E-Book, Deutsch, Band 1, 608 Seiten
Reihe: Der Armageddon-Zyklus
Hohlbein Armageddon
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-97840-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 608 Seiten
Reihe: Der Armageddon-Zyklus
ISBN: 978-3-492-97840-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolfgang Hohlbein, Jahrgang 1953, war Industriekaufmann, bevor er 1982 mit seinem Debüt »Märchenmond« einen Autorenwettbewerb gewann. Seitdem schreibt er einen Erfolgsroman nach dem anderen und gilt als der Großmeister der deutschen Phantastik. Titel wie »Die Tochter der Himmelsscheibe«, »Das Avalon-Projekt« sowie der »Enwor«-Zyklus wurden bei Piper zu Bestsellern. Wolfgang Hohlbein lebt mit seiner Familie und vielen Haustieren in der Nähe von Düsseldorf.
Autoren/Hrsg.
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Prolog
Zuallererst: Sie haben keine Flügel. Zumindest diese beiden süßen kleinen Engelchen nicht, obwohl sie mit ihren schulterlangen, wippenden blonden Löckchen, den weißen Sommerkleidchen und den niedlichen Pauspäckchen und Stupsnäschen durchaus etwas von Rauschgoldengeln hatten, wie man sie früher auf Christbaumspitzen fand oder auch als niedliche kleine Putten auf Kaminsimsen oder zwischen elektrisch beleuchteten Plastiktulpen und auf geklöppelten Spitzendecken. Aber auch wenn sie ganz eindeutig keine Flügel hatten, standen ihre Chancen nicht schlecht, einen neuen Geschwindigkeitsrekord in der Luft aufzustellen. Seit gefühlten zwei Stunden jagten sie unentwegt durch den Gang der El-Al-Maschine, wobei sie die knapp neunhundert Stundenkilometer, mit denen diese in Flughöhe dahinraste, bei ihren Sprints in Richtung Bugspitze um ihre eigene Geschwindigkeit übertrafen.
An ihrem eigenen Vergleich gefiel Beka am besten das Wort Putten, wobei sie gerne noch das Ihre dazu getan hätte, um die Silbe Ka davorzusetzen. Vermutlich nicht als Einzige an Bord. Unter den knapp zweihundert Passagieren des Airbus gab es wahrscheinlich nur zwei, denen die beiden Bälger nicht gehörig auf die Nerven gingen, nämlich Mama Engel und Papa Engel, ein Pärchen mittleren Alters, das zwar weder Birkenstocksandalen noch Norwegerpullover oder John-Lennon-Brillen trug, trotzdem aber irgendwie danach aussah. Von den übrigen Passagieren warteten wohl insgeheim etliche nur darauf, dass eine der beiden kleinen Nervensägen über ihre eigenen Füße stolperte und auf die Fresse fiel.
Bisher waren der natürlichen Entfaltung der beiden herzallerliebsten Kleinen, die ihr gottgegebenes Recht in Anspruch nahmen, in zehntausend Metern Höhe ihre Grenzen auszutesten, mindestens zwei Essenstabletts, diverse Getränke und, als logische Konsequenz daraus, auch das eine oder andere Kleidungsstück zum Opfer gefallen sowie mindestens ein iPad, dessen Besitzer die Unverschämtheit gehabt hatte, sich nicht auf den Schoß seines Sitznachbarn zu retten, um dem doppelten blonden Wirbelsturm auszuweichen, der durch den Gang tobte.
Und um ein Haar auch Bekas Schneidezähne, denn obwohl sie nun am Fenster saß, prallte die erste Rotznase in vollem Galopp gegen ihre Schulter und eine Viertelsekunde später ihr Colabecher gegen ihre Zähne. Hätte sie statt eines hauchdünnen Plastikbechers ein Glas in der Hand gehabt, wäre wohl Blut geflossen. Und zwar ihres.
Ihre sündhaft teuren Designerjeans waren nicht ganz so glimpflich davongekommen. Was nicht auf den Sitz oder den Boden geklatscht war, das hatte sich über ihre Beine und in ihren Schoß ergossen. Gut, die Jeans waren schwarz, sodass sie beim Aussteigen wenigstens nicht so aussehen würde, als hätte sie einen besonders peinlichen Anfall akuter Flugangst erlitten. Aber das Zeug war eisig, und sie saß jetzt seit einer halben Stunde in einer Pfütze aus klebriger Cola, die auf dem billigen Plastiksitz auch in einem weiteren halben Tag nicht trocknen würde.
Die beiden blonden Sonnenscheinchen wirbelten schon wieder an ihr vorbei, und Beka konnte gerade noch dem Impuls widerstehen, nur einmal ganz kurz das Bein auszustrecken und dem grausamen Spiel auf diese Weise ein Ende zu bereiten. Eine verlockende Vorstellung, aber natürlich nicht machbar.
Stattdessen sah sie zum wahrscheinlich hundertsten Mal auf die Uhr und rechnete im Stillen nach, wie viele Minuten Flugzeit noch blieben, bis sie ihr Ziel erreichten und sie und die anderen hundertfünfundneunzig Unschuldigen erlöst wurden. Noch knappe zwanzig, also vielleicht acht oder zehn Runden, die die Terrorzwillinge drehten.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ sie aufsehen und den Kopf drehen, bis sie dem Blick eines jungen Mannes begegnete, der eine Reihe hinter ihr im Mittelgang saß. Er war ihr vorhin schon aufgefallen. Und das nicht nur, weil die Anarcho-Twins seinem iPad das Fliegen beigebracht hatten, sondern er auch eine ganz außergewöhnliche Erscheinung war.
Der Typ war vielleicht knapp zehn Jahre älter als sie und ganz in Schwarz gekleidet: Jeans, schwarze Sneakers und ein unifarbenes Polohemd, und er hatte ein wirklich gut aussehendes, sehr männliches Gesicht, das zugleich einen beinahe sanften Zug hatte. Obwohl sein Hemd eher locker saß, konnte sie erkennen, wie perfekt die Muskeln darunter austrainiert waren. Nur seine Frisur musste sich aus den Achtzigern in die Gegenwart gerettet haben: Das platinblonde Haar (es war zweifellos gefärbt) war in der Mitte gescheitelt und reichte bis zu den Ohrläppchen, im Nacken war es dafür umso länger. In der Stirn war es zu einem kurzen Pony geschnitten, als hätte jemand mit Erfolg versucht, die ohnehin hässliche Vokuhila-Persiflage noch einmal zu toppen. Beka war ein wenig erstaunt, dass eine solche Frisur heutzutage überhaupt noch erlaubt war.
Trotzdem sah er irgendwie … süß aus. Das Erstaunlichste an ihm waren seine Augen. Sie wirkten ebenso sanftmütig wie sein Gesicht stark, und es war Beka eindeutig nicht möglich, ihre Farbe zu bestimmen. Sie waren dunkel, aber das war auch schon alles, was sie sagen konnte, nicht ob sie schwarz, grün, blau oder braun waren oder vielleicht von einer Farbe, die sie überhaupt noch nie zuvor gesehen hatte.
In diesem Moment lächelten sie diese sonderbaren Augen mit ganz sachtem Spott an.
Beka senkte hastig den Blick und spürte zu ihrem eigenen Verdruss, wie ihr das Blut in Wangen und Ohren schoss. Der Anteil von Spott im Lächeln des Blondschopfs nahm noch einmal deutlich zu, und Beka sah hastig weg.
Über ihrem Kopf leuchtete mit einem hellen Ping das Anschnallzeichen auf. »Meine Damen und Herren«, erklang eine Lautsprecherstimme, »wir verlassen jetzt unsere Reiseflughöhe und beginnen mit unserem Landeanflug auf Tel Aviv. Bitte stellen Sie Ihre Sitze aufrecht, klappen Sie die Tische vor sich hoch und legen Sie die Sicherheitsgurte an.«
Die Durchsage wurde noch zweimal wiederholt – einmal auf Englisch, das zweite Mal in einer Sprache, die sie nicht verstand, aber nur Hebräisch sein konnte – während sich ein allgemeines Klappern und Rumoren in der Kabine breitzumachen begann.
Und ein an der Ultraschallgrenze scharrendes Kreischen, als die beiden Killerengel zu ihrer Finalrunde ansetzten. Beka war mit Sicherheit nicht die Einzige, die innerlich aufatmete. Auch der junge Mann in der mittleren Sitzreihe verdrehte demonstrativ die Augen – und sah dann fast schon ein bisschen entsetzt aus, als die beiden Rotzgören gar keine Anstalten machten, ebenfalls zum Landeanflug auf ihre Plätze anzusetzen, sondern ganz im Gegenteil noch einmal richtig Gas gaben, um den Gang endgültig in eine Schneise der Vernichtung zu verwandeln.
Jemand beschwerte sich lautstark, und Beka bemerkte aus den Augenwinkeln, wie die Stewardess ebenso tapfer wie erfolglos versuchte, wenigstens eines der beiden Höllenkinder einzufangen. Nachdem sie das dritte Mal vergeblich nach einem blonden Schopf gegriffen und einem Passagier beinahe die feuerrot lackierten Fingernägel ins Auge gestoßen hatte, änderte sie ihre Taktik und steuerte mit energischen Schritten die beiden hintereinanderliegenden Sitze an, auf denen Mama Engel und Papa Engel saßen und über das Treiben ihrer beiden Sprösslinge wachten.
Beka konnte nicht verstehen, was die Stewardess sagte. Mienenspiel und Köpersprache der Terrormutter nach zu urteilen kam es bei ihr nicht gut an, und zumindest die Lautstärke der Unterhaltung bewegte sich nun eindeutig in Richtung Streit. Bevor er jedoch eskalieren konnte, gesellte sich eine zweite Flugbegleiterin hinzu, und die beste Mutter aller Zeiten kapitulierte angesichts dieser Übermacht. Immerhin, dachte Beka, hatte sie so bei der nächsten Häkelyogagymnastikselbsthilfegruppe etwas, um sich gebührend aufzuregen.
»Thora-Marie!«, rief sie mit einer Stimme, die das Singen der Triebwerke und die allgemeinen Kabinengeräusche mühelos übertönte. »Jezabel-Ann! Kommt hierher und setzt euch, bevor euch am Ende noch Fesseln angelegt werden! Es gibt hier drinnen anscheinend ein paar Leute, die Kinder nicht mögen.«
Thora-Marie?, dachte Beka. Jezabel-Ann? In welchem falschen Film war sie denn hier gelandet?
Jemand lachte, und ein kleines Wunder geschah: Natürlich nicht sofort, aber nach einer weiteren Ermahnung ihrer Mutter dann eben doch, kehrten Thora-Marie und Jezabel-Ann (in spätestens zwei oder drei Jahren würden sie anfangen, ihre Eltern für ihre Namen zu hassen, da war Beka ganz sicher) zu ihren Sitzplätzen zurück und ließen sich widerstandslos anschnallen.
Beka kam zu dem Schluss, genug kostbare Lebenszeit an diese Rotzgören verschwendet zu haben. Stattdessen ertappte sie sich bei der mindestens genauso müßigen Frage, wie sie den süßen Typen im Mittelgang ansprechen könnte, ohne sich einen Korb zu holen oder sich gleich bis auf die Knochen zu blamieren.
Die frustrierende Antwort lautete: gar nicht. Und erst recht nicht während des Landeanflugs, wenn sie alle brav angeschnallt auf ihren Sitzen zu bleiben hatten.
Beka erteilte sich selbst einen Rüffel. Das war albern und ihrer nicht würdig. Sie war fast zwanzig, eine erwachsene Frau, keine pubertierende Dreizehnjährige, die zufällig mit Justin Bieber oder Bill Kaulitz im selben Flugzeug saß und alle Mühe hatte, sich nicht vor Aufregung ins Höschen zu machen.
Außerdem war sie ganz sicher, dass er vergeben war. Jemandem, der derart fantastisch aussah, liefen die Mädchen garantiert in Scharen hinterher. Oder auch der eine oder andere Mann, je nachdem.
Sie hatte immer noch das...




