E-Book, Deutsch, 314 Seiten
Hohlfeld Die Apfelkuchen-Freundinnen - oder: Wenn das Glück anklopft
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96655-725-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 314 Seiten
ISBN: 978-3-96655-725-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kerstin Hohlfeld wurde in Magdeburg geboren, studierte Theologie in Naumburg und Berlin und verließ die Hauptstadt kurz vor dem Mauerfall, um später zurückzukehren und in verschiedenen Berufen, u.a. als Autorin, zu arbeiten. Sie ist Mutter von drei erwachsenen Kindern. Bei dotbooks veröffentliche Kerstin Hohlfeld ihre Romane »Tage der Kirschblüte«, »Der Duft von Muskat und weißem Jasmin«, »Die Apfelkuchen-Freundinnen« und »Der Duft von Winterschokolade«.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
»Maaaama!«
Milena, die auf der Terrasse eingenickt war, schreckte hoch.
»Was ist los?«
»Maaaama!«
Die Mittagshitze war heute besonders quälend gewesen. Milena hatte ihre Gartenarbeit nach zwei Stunden erschöpft aufgegeben und war unter den Sonnenschirm geflüchtet, um sich ein wenig auszuruhen und ein paar Ideen in ihr kleines Notizbüchlein zu kritzeln. Leise stöhnte sie auf.
»Was gibt’s denn?«, rief sie.
Seit sie laufen konnten, versuchte Milena, ihren Kindern beizubringen, dass sie aufstehen und zu ihr kommen sollten, wenn sie etwas brauchten. Mit zweifelhaftem Erfolg, wie sie gerade feststellte. Noch immer zogen die beiden, die unterdessen zu schlaksigen Teenagern herangewachsen waren, es vor, ihre Mutter durch schrilles Geschrei in Bewegung zu setzen. Das war schließlich bequemer so.
»Ich hab Hunger!«, grölte die 14-jährige Lilli mit der Lautstärke eines startenden Düsenjets zurück. Wahrscheinlich hatte sie sich die Ohren mit diesen kleinen Kopfhörern zugestöpselt und deshalb keinerlei Gefühl für die Dezibel ihrer Stimme.
»Im Ofen ist eine Pizza«, rief Milena und wartete darauf, dass jeden Moment einer ihrer Nachbarn den Kopf über den Gartenzaun strecken würde.
»Mmh, Pizza gibt’s bei Ihnen. Da würde ich gerne mitessen.«
Sie musste wegen ihrer kleinen Übertreibung lächeln. Ganz unrecht hatte sie trotzdem nicht, denn spätestens heute Abend würde wieder jemand aus der Siedlung vor ihrer Tür stehen und sich etwas ausborgen. Milena war bekannt für ihren stets gut gefüllten Kühlschrank. Zwei Häuser weiter wohnte eine Familie mit drei ganz kleinen Kindern. Da fehlte immer irgendetwas. Allerdings verstand Milena nur zu gut, dass es einer Herkulesaufgabe gleichkam, einen Haushalt mit lauter Windelkindern perfekt zu organisieren. Sie half gern aus. Bei dem Rentnerehepaar aus dem Haus gegenüber konnte sie erst recht nicht nein sagen. Manchmal brachte sie ihnen einen Topf Suppe, denn Milena kochte immer reichlich und gab gern ab. Und die beiden freuten sich.
Das Haus zu ihrer Linken stand seit Monaten leer. Vorher hatte ein alleinstehender Unternehmer dort gewohnt, der so manches Mal mit Milena und ihren Kindern am Abendbrottisch gesessen hatte. Der Mann konnte außer Spiegelei in der Küche nichts zustande bringen und sah nach der Arbeit immer so geschafft aus, dass Milena ihn zuweilen am Gartenzaun abpasste und an ihren reich gedeckten Tisch bat.
Einzig ihre Nachbarn rechter Hand konnten eigentlich selbst für ihr Essen sorgen. Die waren weder alt, einsam noch überlastet, und ihre einzige Tochter war bereits sechzehn und in der Lage, sich auf ihr Fahrrad zu setzen und in den Supermarkt zu fahren. Aber wenn sie oder ihre Eltern vor der Tür standen, die Kochschürze umgebunden, aber »… leider sind uns gerade die Eier/Milch/Äpfel/Rosinen ausgegangen«, dann konnte Milena einfach nicht nein sagen.
»Nein« war nämlich ein Wort, das sie nur äußerst selten benutzte.
Sie war die Älteste von vier Geschwistern. Wenn die Kleinen etwas von ihr wollten, so hatte sie nie ablehnen können. Sie war die große Stütze ihrer stets überfordert wirkenden Mutter gewesen, und es hatte ihr gefallen, gebraucht zu werden.
Die meisten Menschen liebten sie für ihre aufopferungsvolle Art. Nur Alex, ihr Exmann, hatte irgendwann genug von ihr gehabt. Milena schüttelte leicht den Kopf und schob jeden weiteren Gedanken an das betrübliche Ende ihrer Ehe beiseite. Sie hatte das alles schon tausendmal und von allen Seiten betrachtet.
»Isst du mit mir?«
Lilli war aus ihrem Zimmer gekommen, stand jetzt neben ihr und grinste. Die Kopfhörer hingen ihr um den Hals. Die Musik dröhnte so laut daraus hervor, dass sie die Stöpsel eigentlich gar nicht in die Ohren stecken musste.
»Du sollst doch nicht so laut Musik hören. Du machst dir dein Gehör kaputt!«, tadelte Milena sie halbherzig. Zu ihrer rehäugigen, zierlichen Tochter mit den wilden braunen Locken streng zu sein war ihr schon immer schwergefallen.
»Was?«, schrie Lilli zurück. »Was hast du gesagt?«
»Sehr witzig«, gab Milena zurück und erhob sich von ihrer Sonnenliege. Besser gesagt: Sie versuchte, sich zu erheben. Aber es gelang ihr nicht. Sobald sie sich in sitzende Position brachte, fuhr ihr ein unglaublich starker stechender Schmerz in den Rücken. Stöhnend ließ Milena sich wieder auf die Liege sinken.
»Was ist denn los?«, fragte Lilli und schaute plötzlich besorgt drein. Sie stellte ihren MP3-Player aus und beugte sich zu ihrer Mutter herunter.
»Nichts ist«, wiegelte Milena ab und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich habe mich wohl ein bisschen komisch hingelegt. Deck bitte den Tisch und hol die Pizza aus dem Ofen. Im Kühlschrank ist Salat. Ich komme gleich zu dir.«
Sobald Lilli in die Küche verschwunden war, versuchte Milena erneut aufzustehen. Tränen schossen ihr in die Augen. Ihr Rücken war ein einziger schneidender Schmerz. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was plötzlich mit ihr los war. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch keine größeren Probleme mit dem Kreuz gehabt. Manchmal, wenn sie viel im Garten arbeitete, zwickte es ein bisschen. Aber das gab sich schnell wieder.
Heute hatte sie nur eine Stunde Erdbeeren gepflückt und dabei viel mehr die Hitze als ihre gebückte Haltung beschwerlich gefunden.
Milena mobilisierte all ihre Willenskraft und riss sich mit einem Ruck von der Liege hoch. Einen Schmerzensschrei unterdrückte sie.
»Mama, du siehst ja schrecklich aus«, rief Lilli erschrocken, als sie ihre Mutter mehr in die Küche kriechen als laufen sah.
»Irgendetwas stimmt mit meinem Rücken nicht«, stöhnte Milena und ließ sich vorsichtig auf einem Stuhl nieder. »Er tut unglaublich weh.«
»Du musst sofort zum Arzt gehen«, beschloss das Mädchen. »Soll ich Papa anrufen, damit er dich fährt?«
»Ich kann alleine Auto fahren«, erwiderte Milena ärgerlich. »Und außerdem brauche ich keinen Arzt. Es geht schon wieder.«
Sie überlegte kurz. Es musste beinahe zehn Jahre her sein, dass sie das letzte Mal eine Arztpraxis betreten hatte. Sie war eine kerngesunde Frau. Was also sollte sie dort? Außerdem standen vier Körbe Erdbeeren in ihrer Küche, die sie noch am Nachmittag verarbeiten wollte.
Lilli reichte Milena ein Taschentuch.
»Und warum heulst du die ganze Zeit?«
Milena wollte nicht zugeben, dass der Schmerz in ihrem Rücken sich, selbst mit ganz viel gutem Willen, nicht ignorieren ließ.
»Keine Ahnung«, log sie verzweifelt und wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Du rufst auf keinen Fall deinen Vater an!«
»Schon gut«, versprach Lilli widerwillig. Sie stellte die Pizza auf den Tisch und begann, sie in große Stücke zu zerteilen. »Mmh, Spinat und Gorgonzola«, schwärmte sie und leckte den geschmolzenen Käse von den Fingern ab.
»Leg noch die gelbe Tischdecke auf«, bat Milena. »Und hol den Strauß Glockenblumen, die ich vorhin abgeschnitten habe.«
Widerspruchslos folgte Lilli. Während ihre Tochter den Tisch deckte, atmete Milena auf. Immerhin: In puncto Esskultur waren ihre Kinder ihr unkompliziert nachgeraten. Sie liebten ausgedehnte Mahlzeiten an einer hübsch dekorierten Tafel. Nur wenn es ganz schnell gehen musste, aßen sie ein Brot im Stehen.
Der Duft der frischen Pizza half Milena, die Schmerzen tatsächlich für eine Weile zu vergessen. Sie genoss das würzige Aroma des italienischen Blauschimmelkäses in Kombination mit dem frischen Spinat, den sie nur ganz kurz gedünstet und kaum zerkleinert hatte. Die feinen grünen Blätter waren in Milenas Augen ein völlig zu Unrecht geschmähtes Lebensmittel. Allerdings verstand sie alle Kinder, die bei aromalosem grünem Brei auf dem Teller misstrauisch wurden und anschließend für immer einen großen Bogen um Rahmspinat machten.
Sie langte mit Appetit zu. Ein paar Minuten später fand sich Jonas, ihr 16-jähriger Sohn, ein. Er schmiss seine Schultasche in eine Ecke und setzte sich zu ihnen. Nach einem lässigen »Hi, allerseits« begann er ebenfalls zu essen.
Glücklich schaute Milena ihren Kindern beim Kauen zu. Das waren ihre schönsten Momente. Wenn sie mit den beiden zusammen am Tisch saß, ein bisschen plauderte und sie sich hungrig über ihr Essen hermachten.
Milena kochte und backte alles selbst. Jede Woche verwendete sie viel Zeit und Mühe darauf, sich einen abwechslungsreichen Speiseplan auszudenken. Drei gute, frische Mahlzeiten am Tag, dazu leckere Pausenbrote und Snacks für die Schule. Im Supermarkt brauchte sie mindestens eine Stunde. Sie genoss das Einkaufen und das sorgfältige Auswählen der Zutaten. Dosenessen und Fertiggerichte mit all den Zusatzstoffen von El bis 3000 bekamen in ihrer Vorratskammer keine Chance. Am Wochenende, wenn die Kinder bei Freunden oder ihrem Vater übernachteten, setzte sie sich in ihr Auto und fuhr ins Berliner Umland. Hier gab es Obst-und Gemüsehöfe mit einer üppigen Auswahl an Sorten, die sie sogar selbst ernten konnte, wenn sie wollte. Milena wusste, dass all das ein riesiger Aufwand war. Doch sie nahm sich die Zeit, denn alles, was mit Essenszubereitung zu tun hatte, machte sie einfach froh. Ein ganzer Schrank voller unterschiedlicher Tischwäsche, Besteck, Teller, Gläser – von knallig bunt bis edel – ergänzte ihr Vergnügen, jedes Essen zu einem kleinen Erlebnis werden zu lassen.
Der Erfolg gab ihr recht. Jonas und Lilli aßen, ohne zu klagen, jedes Grünzeug, das sie ihnen auftischte. Gegrilltes Gemüse frisch vom Wochenmarkt mit selbstgemachter Knoblauchmayonnaise – wer konnte dazu schon nein sagen?
Noch vor ein paar Jahren war Alex, der Vater ihrer Kinder, ebenfalls Teil der gemütlichen...




