Homolka / Khorchide | Umdenken! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Homolka / Khorchide Umdenken!

Wie Islam und Judentum unsere Gesellschaft besser machen

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-451-81137-1
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Judentum und Islam – zwei verfeindete Religionen? Hat nicht bereits der Koran zur Gewalt gegen Juden aufgerufen und damit das Fundament zu einem Jahrhunderte währenden Konflikt gelegt, der noch unsere Gegenwart bestimmt? Und auch im deutschsprachigen Raum wirkt das Verhältnis beider Religionen von starken Gegensätzen geprägt. Wird heute von Antisemitismus gesprochen, dann ist in vielen Fällen muslimischer Antisemitismus gemeint.
Doch die beiden Religionen stehen sich näher, als viele vermuten. Judentum und Islam sind eng miteinander verwandt und einander deutlich näher als dem Christentum. Dass ist ein Faktum, das von der Mehrheit unserer Gesellschaft weithin noch übersehen wird.
Der jüdische Religionsphilosoph Rabbiner Walter Homolka und der islamische Theologe Mouhanad Khorchide stellen in ihrem ebenso provokanten wie diskussionsfreudigen Buch gängige Klischees infrage und kommen zu einem überraschenden Ergebnis: Die Geschwisterreligionen Judentum und Islam haben innovatives Potenzial für die Gesamtgesellschaft.
Homolka / Khorchide Umdenken! jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


2. Warum über Gott sprechen? –
Umdenken in der Theologie Säkularisierung versus Pluralisierung
Walter Homolka Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass die Moderne dem Säkularismus zum Siegeszug verholfen hätte. Hier möchte ich gerne die Unterscheidung von säkularem Staat und säkularer Gesellschaft anwenden. Wir leben in Deutschland in einem bekenntnisneutralen Staat, der aber mit allen Religionsgemeinschaften, die dazu willens sind, strategische Partnerschaften eingeht. Im Grunde hat die Entwicklung zu dieser Möglichkeit vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis 1918 gedauert und ist so richtig erst in der Bundesrepublik Deutschland als Aufgabe wahrgenommen worden: eine staatliche Moderation der säkularen und bekenntnisspezifischen Stimmen in Deutschland. Nutznießer dieser Auflösung des Bündnisses von Thron und Altar war z. B. das Judentum, das sich im 19. Jahrhundert nur schwer gegen die Doktrin vom „christlichen Staat“ behaupten konnte. Die jüdisch- und islamisch-theologischen Fakultäten an deutschen Universitäten sowie die Militärseelsorge sind paradigmatische Beispiele für Schnittpunkte von Staat und Religion, die heute noch erhalten sind. Hier ist die Pluralisierung vor dem Hintergrund des weltanschaulich neutralen Staates ein wichtiges Erfordernis, um das zu vollenden, was 1918 begonnen hat. Bei der Pluralisierung der Theologie hat sich die deutsche Universitätspolitik gegen eine „Säkularisierung“ der Universität und den Ersatz von Theologie durch Religionswissenschaft entschieden. Stattdessen wurde auf Pluralisierung gesetzt mit der Einführung islamischer und jüdischer theologischer Zentren an staatlichen Universitäten. Bekenntnisgebundene Hochschullehrer als Staatsbeamte vermitteln Theologie, sind in interreligiöse Diskurse verwickelt und sind im Rahmen der weiteren Universität auch angehalten, mit Säkularität umzugehen. Mit über 750 theologischen Lehrstühlen an deutschen Universitäten ist das Phänomen „Theologie(n) in der Universität“ eine nicht zu unterschätzende Größe. Ich werde dieses Beispiel nun näher ausführen. Der Wissenschaftsrat ist in seinen Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften vom Januar 2010 zu der Überzeugung gelangt, dass der zentrale Ort der christlichen und nichtchristlichen Theologien das staatliche Hochschulsystem darstellt. In der Regel solle eine Verankerung von Theologien – gleich welcher Konfession oder Religion – im staatlichen Hochschulsystem Priorität vor der Neugründung eigener privater Hochschulen der Kirchen und Religionsgemeinschaften haben. Der Wissenschaftsrat empfahl die weitere Entwicklung der Theologien im Kontext der anderen Wissenschaften in den staatlichen Hochschulen und plädierte nachdrücklich für den bedarfsgerechten Umbau christlicher Theologien und die bedarfsgerechte Etablierung nichtchristlicher Theologien an deutschen Hochschulen. In der Folge sind nicht nur mehrere Zentren für Islamische Theologie entstanden. Im Wintersemester 2013/14 nahm mit der School of Jewish Theology der Universität Potsdam auch der erste Fachbereich Jüdische Theologie in der Geschichte der deutschen Wissenschaftslandschaft seine Arbeit auf. Wie schon bei der Diskussion zur Abgrenzung von Islamwissenschaften und Islamische Theologie war abzusehen, dass die Jüdische Theologie mit der Judaistik und den Jüdischen Studien ein Gespräch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede würde führen müssen. Jüdische Theologie als Tochter der
Wissenschaft des Judentums
Die Judaistik – im internationalen Sprachgebrauch als Judaic Studies und Jewish Studies bezeichnet – hat die Erforschung und Darstellung des Judentums in allen seinen geschichtlich gewordenen Erscheinungsformen zum Gegenstand. Die Judaistik versteht sich – ähnlich wie die Islamwissenschaft – als eine philologisch und historisch arbeitende Disziplin, die kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze integriert und zugleich (religions-)vergleichend arbeitet. Sie ist ein säkular ausgerichtetes Fach, das in Deutschland in zwei Berufsverbänden organisiert ist: dem 1974 gegründeten Verband der Judaisten in Deutschland und der 1996 gegründeten Vereinigung für Jüdische Studien. Judaistik und Jüdische Studien sollten jedoch nicht als Gegenüber, sondern als Miteinander begriffen werden.[57] Dies gilt nun auch für die Jüdische Theologie, die sich davon insofern abhebt, als sie konfessionell gebunden ist, von jüdischen Hochschullehrern und -lehrerinnen unterrichtet wird und somit auch das Berufsziel des geistlichen Amtes als Rabbiner/Rabbinerin oder Kantor/Kantorin ermöglicht. Die „School of Jewish Theology“ an der Universität Potsdam trägt damit seit 2013 eine dritte Perspektive bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Judentum bei. Ihr geht es um die Reflexion der jüdischen Glaubens- und Traditionsinhalte in einem lebendigen religiösen Kontext. Rabbiner Louis Jacobs (1920–2006) hat den Unterschied zwischen der bekenntnisbezogenen Jüdischen Theologie und den säkularen Jüdischen Studien am Beispiel der jüdischen Geschichte anschaulich gemacht: „Die jüdische Theologie unterscheidet sich von anderen Gebieten jüdischer Gelehrsamkeit dadurch, dass, wer sie betreibt, innerlich der Wahrheit, die er zu ergründen sucht, verpflichtet ist. Es ist zum Beispiel möglich, jüdische Geschichte völlig unbeteiligt zu studieren. Der Historiker, der über jüdisches Gedankengut, über das jüdische Volk oder jüdische Institutionen arbeitet, muss nicht unbedingt den Wunsch verspüren, mit seiner Lebensführung die Ideale des Judentums auszudrücken. Er muss nicht einmal Jude sein. […] Während der Historiker aber danach fragt, was sich in der Vergangenheit des jüdischen Volkes ereignet hat, stellt der Theologe die persönliche Frage, welche Elemente der überlieferten jüdischen Religion hier und heute sein Leben als Jude noch bestimmen. Der Historiker benutzt sein Fachwissen, um nachzuweisen, was die Juden früher geglaubt haben. Der Theologe lässt sich auf die schwierige, für den, der sie erkannt hat, aber auch gewichtigere Aufgabe ein, herauszufinden, was ein Jude in der heutigen Welt zum Inhalt seines Glaubens machen kann.“[58] Als solches hat es die Fragestellungen der Jüdischen Theologie immer gegeben. Schon im 10. Jahrhundert legte Saadja Gaon (882–942) mit seinem Werk „Sefer Ha-Emunot we-ha-Deot“ („Buch der Glaubenslehren und Überzeugungen“, um 933 zunächst in arabischer Sprache verfasst) die wohl erste systematische Theologie vor. Der Begriff „Jüdische Theologie“ im Sinne eines Universitätsfachs wird aber erst in der Neuzeit durch Rabbiner Abraham Geiger (1810–1874) programmatisch geprägt und verwendet. Den Hintergrund für sein Bestreben bildete die „Wissenschaft des Judentums“, die sich als eine historische Disziplin auf der Basis der philosophisch orientierten Haskala (d. h. der jüdischen Aufklärung) gebildet hatte.[59] Beide hatten für das Judentum den Ausbruch aus einem langen geistigen Mittelalter bedeutet.[60] Der Ruf nach einer jüdisch-theologischen Fakultät wurde im Kontext der Emanzipationsbestrebungen der Juden in den deutschen Ländern zu Beginn des 19. Jahrhunderts laut, zum Beispiel durch Rabbiner wie Ludwig Philippson (1811–1889). Unabhängig von Abraham Geiger hatte dieser 1835 in seinem „Predigt- und Schulmagazin“ den Wunsch nach einem jüdischen Seminar geäußert. 1837 veröffentlichte er in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ seine „Aufforderung an alle Israeliten Deutschlands“, die Mittel für eine jüdisch-theologische Fakultät und ein Seminar aufzubringen. Sein älterer Bruder Phöbus Philippson (1807–1870) machte dazu den strukturellen Vorschlag, die jüdische Theologie in vier Hauptbereiche zu unterteilen – in eine exegetische, dogmatische, historische und praktische Theologie –, wobei er den drei erstgenannten Gebieten jeweils die Philologie, die Philosophie und die Geschichte als Muster und Hilfswissenschaft zur Seite stellte.[61] Dabei betonte er mehrfach die Wichtigkeit einer Anbindung an die allgemeinen historischen Wissenschaften. Die wissenschaftliche Ausbildung von „Geistlichen“ an Universitäten, denen die Erziehung der jüdischen Bevölkerung im Sinne der religiösen und bürgerlichen Emanzipation als Aufgabe übertragen werden konnte, war ihm ein besonderes Anliegen: „Die Bildungsstätte des Rabbinen kann und muß aber nur die Universität sein, weil nur sie die universitas litterarum darstellt, weil auf ihr ein beständiger Austausch der Ideen herrscht, wodurch eine Disciplin auf die andere wirkt, ein Geist den anderen anregt, weil hier der Studierende leichter fortschreiten kann, da der Lehrer fortschreitet, kurz, weil hier Freiheit des Studiums, das nothwendigste Element aller geistigen Bildung, waltet.“[62] Damit unterstützten die Philippsons nachdrücklich die Intentionen Abraham Geigers. Auch Geigers Ziel war es, im Sinne seines Lehrers Leopold Zunz „aus dem Judenthum heraus die Judenheit neu und frisch belebt zu gestalten“.[63] Zunz und Geiger setzten indessen zwei ganz unterschiedliche Akzente bei der Ausgestaltung der Wissenschaft des Judentums. Ein weiterer programmatischer Aufsatz zur Funktion und Aufgabe der Wissenschaft des Judentums, den Zunz 1845, also siebenundzwanzig Jahre nach seinem ersten Entwurf veröffentlicht...


Homolka, Walter
Rabbiner Walter Homolka, Dr., geb. 1964, studierte u.a. am Leo Baeck College und King's College London. Der frühere Landesrabbiner von Niedersachsen ist ordentlicher Universitätsprofessor für jüdische Religionsphilosophie der Neuzeitseit und Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology der Universität Potsdam.
Walter Homolka ist seit 2002 Rektor des Abraham Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam, des ersten Rabbinerseminars in Deutschland seit dem Holocaust. Mitglied im Executive Board der World Union for Progressive Judaism und Vorsitzender des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks.

Khorchide, Mouhanad
Mouhanad Khorchide, Prof. Dr., geb. 1971, in Beirut, aufgewachsen in Saudi-Arabien, studierte Islamische Theologie und Soziologie in Beirut und Wien. Seit 2010 Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster und dort inzwischen auch Leiter des Zentrums für Islamische Theologie.
Khorchide studierte in Beirut Islamische Theologie und in Wien Soziologie, wo er mit einer Studie über islamische Religionslehrer promovierte. Er hat zudem als Imam und Religionslehrer gearbeitet. Seit 2011 ist er Koordinator des Graduiertenkollegs Islamische Theologie der Stiftung Mercator und seit 2013 Principle Investigator des Exzellenzclusters 'Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne' an der Universität Münster.

Rabbiner Walter Homolka, Dr., geb. 1964, studierte u.a. am Leo Baeck College und King's College London. Der frühere Landesrabbiner von Niedersachsen ist ordentlicher Universitätsprofessor für jüdische Religionsphilosophie der Neuzeitseit und Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology der Universität Potsdam.
Walter Homolka ist seit 2002 Rektor des Abraham Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam, des ersten Rabbinerseminars in Deutschland seit dem Holocaust. Mitglied im Executive Board der World Union for Progressive Judaism und Vorsitzender des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks.
Mouhanad Khorchide, Prof. Dr., geb. 1971, in Beirut, aufgewachsen in Saudi-Arabien, studierte Islamische Theologie und Soziologie in Beirut und Wien. Seit 2010 Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster und dort inzwischen auch Leiter des Zentrums für Islamische Theologie.
Khorchide studierte in Beirut Islamische Theologie und in Wien Soziologie, wo er mit einer Studie über islamische Religionslehrer promovierte. Er hat zudem als Imam und Religionslehrer gearbeitet. Seit 2011 ist er Koordinator des Graduiertenkollegs Islamische Theologie der Stiftung Mercator und seit 2013 Principle Investigator des Exzellenzclusters 'Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne' an der Universität Münster.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.