E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Hooper Im Haus des Zauberers
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8458-0389-0
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-8458-0389-0
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mary Hooper begann zu schreiben, als ihre Kinder noch klein waren. Seitdem hat sie zahlreiche Kurzgeschichten für Zeitschriften und über 30 Kinder- und Jugendbücher verfasst. Daneben gibt sie Kurse in Kreativem Schreiben. Die Autorin lebt in Hampshire, England.
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Ich suchte mir ein hübsches Fleckchen am Rand der Dorfwiese, dicht vor der Weißdornhecke, zum Verkauf meiner Waren. Hinter der Hecke lag ein abgemähtes Feld, auf das die Gänse zum Grasen gelassen worden waren, damit sie bis Weihnachten schön rund und fett würden, und während ich meine Lavendelstäbe auspackte, hörte ich sie schnattern und picken und in der trockenen Erde scharren und hin und wieder einmal mit den Flügeln schlagen, um sich etwas Kühlung zu verschaffen.
Ein Liedchen vor mich hin summend, schüttelte ich ein sauberes leinenes Tischtuch aus und breitete es auf dem Gras aus, über den Gänseblümchen und Butterblumen, die prompt unter dem Gewicht platt gedrückt wurden. Es war Anfang September und Michaelimarkt in unserem Dorf, was immer ein Festtag ist, und so war ich in vergnügter Stimmung, als ich meine Ware auslegte. Ich wusste schon im Voraus, dass ich all meine Lavendelstäbe verkaufen würde, und von dem Geld wollte ich mir etwas recht Hübsches zum Anziehen gönnen.
Neben mir hatte Harriet Simon im Gras eine Bank aufgestellt, auf der sie ihre Auswahl an Gebäck und Keksen feilbot. »Knuspriges süßes Backwerk!« hörte ich sie mit gedämpfter Stimme vor sich hin murmeln, um sich schon einmal für ihre Kundschaft warmzureden. »Feinstes Zuckerwerk!« Neben ihr verkaufte die alte Mistress Roberts aus Muscheln gefertigte Amulette, wiederum daneben bot eine Hausfrau frische Eier und Flammeris feil, und danach kam ein Quacksalber, der auf einem Tisch eine Ansammlung von Fläschchen in allerlei Farben ausgelegt hatte: Tränke und Tinkturen, Pasten und Salben. Ich konnte das Banner nicht lesen, das über seinem Kopf flatterte, doch Harriet konnte es und berichtete mir, dass er vorgab, sämtliche Krankheiten heilen zu können, die die Menschheit kannte, und noch ein paar darüber hinaus.
Es gab noch unzählige weitere Marktstände und Händler auf dem Feld, doch ich war die Einzige, die Lavendelstäbe verkaufte. Siebzehn davon hatte ich gemacht, einen jeden aus einundzwanzig langen Lavendelstängeln, die ich über ihre Blütenstände nach hinten gebogen, mit smaragdgrünem, scharlachrotem oder weißem Band zusammengeflochten und mit einer Schleife versehen hatte. Gerne hätte ich noch mehr verkauft, doch ich hatte nur Platz für sechs kleine Lavendelbüsche zu Hause, und selbst die musste ich noch an den eigentümlichsten Stellen in unserem Garten verstecken: mitten unter hoch aufgeschossenen Bohnenranken, hinter unserem Schuppen oder im Schatten eines gewaltigen Kohlkopfs. Schuld daran war mein Vater, der in seinem Garten nichts duldete, was sich nicht geradewegs in bare Münze verwandeln ließ. Eines Abends hatte er, angeheitert vom Ale, drei meiner kostbaren jungen Pflanzen entdeckt, sie prompt herausgerissen und den Schweinen zum Fraß vorgeworfen. (Hier stocke ich für einen Augenblick und frage mich, warum es immer heißt, dass jemand angeheitert sei vom Bier, wo es mir doch eher scheint, dass Vater niemals heiter ist, wenn er getrunken hat, sondern nur noch übellauniger als sonst.)
Natürlich brachte der Lavendel sehr wohl sein Geld ein, doch davon wusste Vater nichts. Er ahnte nicht, dass ich schon seit Kindertagen Jahr um Jahr meine Lavendelbüsche hegte und pflegte, die Stängel genau im richtigen Moment, bevor sich die Blüten öffneten, pflückte und sie in Büscheln zum Trocknen in die Sonne hängte. Das Geld, das mir der Verkauf der duftenden Stäbe einbrachte, teilte ich immer in drei Teile auf: Vom ersten Teil kaufte ich mir etwas Hübsches zum Anziehen, der zweite ging an meine Mutter, damit sie ihn nach eigenem Gutdünken ausgeben konnte, und den dritten hob ich auf, um mir im nächsten Jahr Bänder für neue Stäbe zu kaufen.
Lady Ashe, die von hoher Geburt ist und äußerst vornehm zu sprechen weiß, eröffnete die Festlichkeiten. Lady Ashe ist die Frau von Sir Reginald Ashe, dem adligen Gutsherrn, und war einst Hofdame unserer edlen Königin Elisabeth. Oft hatte ich mir ausgemalt, wie aufregend ihr Leben wohl damals gewesen sein musste, denn als die Milady am Hofe war, waren sie und die Königin noch junge Mädchen, und bestimmt konnte Lady Ashe allerlei Geschichten von den Intrigen bei Hofe erzählen, von Verschwörungen und verschmähter Liebe, von Tanz und Minnesängern. Und was für eine Vorstellung, der Königin persönlich aufzuwarten! Konnte man sich eine angenehmere Stellung, einen reizvolleren Lebenswandel wünschen? Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, umfasste ich die kleine Silbermünze, die ich als Anhänger um den Hals trug. Meine Familie zog mich oft deswegen auf, weil es bloß ein armseliger Groschen mit einem durchgebohrten Loch war (und noch nicht einmal ein echter Groschen, denn offensichtlich war beim Prägen billiges Metall beigemischt worden, so dass es an heißen Tagen schwarz auf meinen Hals abfärbte). Doch er zeigt das Konterfei unserer Königin, in Metall geprägt, und meine Verehrung für Ihre Hoheit ist so groß, dass ich ihn tagaus, tagein trage.
Lady Ashe kleidet sich nach wie vor höchst elegant. Am Tag des Michaelimarkts trug sie ein rotes Seidenkleid mit juwelenbesticktem Mieder und einem großen Spitzenkragen, und dieses letztere Stück war so außergewöhnlich, dass ich dem Drang nicht widerstehen konnte, dichter heranzugehen, um es gebührlich bewundern zu können. Der Kragen stand rechts und links von ihrem Hals ab, fast wie Flügel oder eine Dachtraufe an einem Haus, wobei jeder Flügel mit kunstvoller Stickerei verziert und entlang des Rands zu gezwirbelten Spitzen geformt war, an denen kleine Tropfen aus Gold baumelten und bei jeder Bewegung der Trägerin sanft schaukelten. Ihr Haar war hoch aufgetürmt und mit Perlenketten verschnürt und umwickelt, und ihr Gesicht war ganz weiß und wirkte, als wäre es ebenfalls von einem Perlenschimmer überzogen.
Sie war eigentlich nicht hübsch, doch ihr Schmuck und ihre funkelnden Juwelen verliehen ihr eine Art von Schönheit, neben der sich jede andere Frau schäbig ausnahm. Ich selbst kam mir besonders armselig vor, denn mein Rock und Mieder waren, wenn auch aus feinem Batist gefertigt und in einem hübschen Apfelgrün, abgelegte Sachen meiner Schwester und völlig aus der Mode gekommen. Voller Staunen und Bewunderung betrachtete ich Lady Ashe. Wenn doch nur, sagte ich mir, einer dieser goldenen Tropfen an ihrem Kragen zu Boden fiele! Ein einziger davon würde genügen – ich kannte den Wert solcher Sachen sehr wohl–, um meinen jüngsten Bruder aus seiner ungeliebten Lehre als Sargbauer freizukaufen, meine Mutter von der Bürde ihrer Arbeit zu erlösen (denn ihre Augen schmerzten inzwischen fürchterlich) und uns ein eigenes Stückchen Land zu kaufen. Wie seltsam, ging es mir durch den Sinn, dass man mit etwas so Winzigem all diese Dinge erwerben konnte! Aber ich wusste sehr wohl, dass die Menschen um Gold Kriege führten und einander umbrachten, und hatte auch gehört, dass große Summen Geldes bereitgestellt wurden, damit Alchimisten jenes geheimnisvolle Pulver entwickeln könnten, das angeblich gewöhnliches Metall in Gold verwandelte.
Lady Ashe ermunterte alle, sich an den Darbietungen der Gaukler und Akrobaten zu erfreuen, mahnte, mit Verstand einzukaufen, und fügte noch hinzu, dass sie selbst den Gesindemarkt auf Junker Brownlows Feld besuchen werde, um zwei oder drei Mädchen für ihren Haushalt anzuheuern. Bei dieser Ankündigung ging ein aufgeregtes Raunen durch die Menge, da wurden Haare nach hinten und Röcke glatt gestrichen, denn so manches Mädchen hätte alles darum gegeben, auf Hazelgrove Manor in Dienst genommen zu werden. Es hieß, dass dort sämtliche Angestellten – selbst die Küchenmägde – auf Matratzen aus frischem Stroh schliefen und jeden Tag Rindfleisch zu essen bekämen. Mir kam dazu noch etwas anderes in den Sinn: Es ging nämlich das Gerücht, die Königin persönlich sei schon auf Hazelgrove Manor zu Besuch gewesen, um ihre alte Freundin Lady Ashe wiederzusehen.
Dabei kam mir auf einmal der Gedanke, mich selbst als Magd bei Milady anstellen zu lassen. Auf diese Weise wäre ich endlich außerhalb der Reichweite meines Vaters – und obendrein war mir sehr wohl klar, dass ich nicht ewig würde zu Hause bleiben können. Aber konnte ich meine Mutter einfach so zurücklassen? Wie sollte sie bloß zurechtkommen, wenn ich ihr nicht mehr die feinen Näharbeiten abnahm? Wir fertigten Handschuhe für den Landadel, und es sah mir fast danach aus, dass Lady Ashe eins von unseren Paaren trug, denn sie waren aus feinstem zartblauem Leder und ums Handgelenk herum in einem mir wohlbekannten Muster gefältelt. Wenn sie von uns stammten, dann hatte Ma sie zugeschnitten und zusammengesteckt und ich in stundenlanger Arbeit die schmalen Finger zusammengenäht, mit so zierlichen Stichen, dass man hätte meinen können, eine Fee wäre hier am Werke gewesen.
Vielleicht würde ich dieses Jahr noch mit einer Anstellung warten, aber ich konnte ja schon einmal zu Brownlows Feld gehen, um zu sehen, wie die Dinge dort so vonstatten gingen, wer eine Anstellung bekam und wer nicht. Bestimmt würde mir das in Zukunft von Nutzen sein.
Meine Lavendelstäbe waren allesamt schon nach einer Stunde verkauft. Ich steckte das Geld sorgfältig weg, faltete Mutters bestes Tischtuch zusammen und legte es in meinen Korb. Bevor ich mich zum Gesindemarkt aufmachte, konnte ich allerdings der Versuchung nicht widerstehen, ein wenig an den Marktständen vorbeizuschlendern und zu schauen, ob mir unter all dem Tand und Krimskrams, dem Schmuck und den Singvögeln nicht irgendetwas Hübsches ins Auge fiel. Es war ein wunderbares Gefühl, ein paar Münzen in der Tasche zu haben, über die...