E-Book, Deutsch, Band 2, 528 Seiten
Reihe: Naris
Hounsom Naris
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-97642-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Schicksal der Sterne
E-Book, Deutsch, Band 2, 528 Seiten
Reihe: Naris
ISBN: 978-3-492-97642-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lucy Hounsom arbeitet als Buchhändlerin für Waterstones. Sie hat einen BA in English & Creative Writing von der Royal Holloway University of London. Ihren Master in Creative Writing machte sie bei Sir Andrew Motion. »Naris. Die Legenden von Mond und Sonne« war ihr erster Roman, mit »Naris. Das Schicksal der Sterne« setzt sie die erfolgreiche »Naris«-Trilogie fort.
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Kapitel 1
Hagdon
D war ebenso prachtvoll ausgestattet wie der Rest des Palasts. Seltene schwarze Ken – die kleinen Steine, die in Acre als Währung dienten – schimmerten an den Wänden, wo sie wie einfache Mosaiksteine verlegt worden waren. Die meisten Menschen zogen es vor, ihr Geld in ihrem Geldbeutel aufzubewahren, aber der derzeitige Davaratch neigte dazu, sein Vermögen zur Schau zu stellen. Davaratch war der Imperator gewesen, der Sartya vor Jahrhunderten zur Vorherrschaft geführt hatte, seitdem hatte jeder der darauffolgenden Herrscher seinen Namen als Titel verwendet. Davaratch war der einundzwanzigste seiner Dynastie, und Hagdon traf ihn auf dem riesigen Bett liegend an, umgeben von jungen Männern, alle Sprösslinge adliger Häuser. Ihre geschminkten Gesichter wirkten vorsichtig, zurückhaltend.
General Hagdon von der Faust Sartyas wandte mit einer kaum verhohlenen Grimasse den Blick ab. Die Szene erinnerte ihn unangenehm an seinen Neffen; unwillkürlich stellte er sich die Umstände vor, unter denen Tristan zu Tode gekommen war. Doch als er seinen Bericht abgab, klang seine Stimme ausdruckslos und ließ keine Empfindungen erkennen.
»Land im Osten?«, fragte der Imperator und setzte sich auf.
»Unbekannt«, erklärte Hagdon. »Unsere Karten sind nutzlos.«
Mit einem Knurren erhob sich der Davaratch und warf sich einen Hausmantel über. Im Stehen war er gut über sechs Fuß groß. Gereizt schnippte er mit den Fingern der einzigen Hand, die er besaß, und die halbnackten Knaben stoben durch die Tür.
»Lasst sie beseitigen, Hagdon.« Die dunklen Augen des einarmigen Imperators blickten kalt. »Ihr solltet Eure Worte besser abwägen. Ich hasse es, junges Leben zu vergeuden.«
Kälte breitete sich in Hagdons Magengrube aus. »Herr, es wurde nichts von Bedeutung gesagt …«
»Nicht?« Die schwarzen Augen schienen tiefer in ihre Höhlen einzusinken. »Ich erlaube nicht, dass solche Kunde nach Khronosta gelangt.«
»Unsere Kundschafter melden, dass sich das Land in Ost-Baior befindet, Herr«, erklärte Hagdon leise, »jenseits der Frostlande.«
»Jenseits der Frostlande ist nichts.«
Hagdon zögerte. »Ihr habt natürlich recht, Herr, aber …«
Der Davaratch brachte ihn mit einem zornigen Blick zum Verstummen. »Holt Shune. Wir fragen ihn.«
»Sofort.« Hagdon trat an die Türflügel und ergriff eine vergoldete Klinke. »Seine Imperiale Majestät wünscht den Barden zu sehen«, blaffte er eine der in rote Rüstungen gekleideten Wachen, die draußen standen, an. »Gebt ihm Bescheid.«
Der Soldat schlug sich mit der Faust an die Schulter und eilte davon.
Für einen so massigen Mann bewegte sich der Davaratch geschmeidig. Er brütete bereits über einer detaillierten Reliefdarstellung von Acre, die in einer Ecke des Gemachs stand. Hagdon trat zu ihm und folgte dem Bogen der Ak-Taj-Wüste nach Norden bis nach Baior. Letzteres war eine ärmliche Gegend mit felsigem Boden, wo es regelmäßig zu Missernten kam. Bauernland. Die Frostlande erstreckten sich bis zu Baiors Ostgrenze, und Hagdon unterdrückte ein Schaudern – dort verschwanden häufig Menschen. Vor Jahren hatte er dort ein ganzes Regiment verloren.
Der Davaratch benetzte seine Fingerspitze und strich damit leicht über die Karte. Flackernd erwachte das Relief zum Leben. Die Maserung der aus dem Holz herausgeschnitzten Flüsse schien zu fließen, und Wind bewegte die skelettartigen Blätter des Toten Waldes. Über Städten flatterten sartyanische Banner und zeigten ihre Gefolgschaft an. Hagdon blinzelte; es erstaunte ihn, dass die Karte noch funktionierte. Die Energie, mit der sie betrieben wurde – Ambertrix, Sartyas Lebenselixier – war fast versiegt. Sogar im Palast wurde es rationiert.
Am östlichen Ende der Frostlande begann Rauch aufzusteigen, und graues Holz löste sich auf und enthüllte einen tiefroten Farbton darunter. Hagdon starrte darauf, und ein Prickeln überlief seine Haut.
»Unmöglich«, hauchte der Davaratch und richtete den Blick auf den glitzernden Sand. »Seit fünfhundert Jahren hat niemand mehr das Verlorene Tal gesehen. Warum sollte es ausgerechnet jetzt auftauchen?«
»Die Antwort auf diese Frage solltet sogar zu fürchten lernen«, sagte eine Stimme.
Behände wie ein viel kleinerer Mann fuhr der sartyanische Imperator herum, der mit einem Mal ein Messer mit schwarzer Klinge in der Hand hielt. Es fuhr durch die Luft, und dann saß seine Spitze am Hals des im Alter dürr gewordenen Mannes, der plötzlich dastand. »Komm mir nicht mit deinen Tricks, Shune«, knurrte der Davaratch. »Ich schneide dir ohne zu zögern die Kehle durch.«
Sobald er das Messer vom Hals von Shune, dem Barden, löste, rieb der Alte über den Blutstropfen, der zurückgeblieben war, und runzelte angesichts des Flecks auf seinen Fingern die Stirn. »Solche Reflexe leisten Euch gute Dienste, Majestät, aber sie allein werden Euch nicht retten.« Er richtete die hellen, phosphoreszierenden Augen auf die Karte. »Ihr seid unvorbereitet.«
»Worauf?«, fragte der Davaratch und verzog gereizt das Gesicht.
»Veränderungen.«
Ein schneller Schlag mit dem Handrücken ließ Shune krachend zu Boden gehen. Mit wütendem Blick stand der Davaratch über ihm. »Ich will nichts von deinen Rätseln hören. Du wirst mir sagen, was du über das hier weißt« – er wies auf das Verlorene Tal –, »sonst finde ich eine andere Verwendung für dich.«
Hagdon sah, wie kurz ein hasserfüllter Ausdruck über Shunes Gesicht huschte. Der Mann war Barde, solange er denken konnte. Er diente dem gegenwärtigen Davaratch und hatte schon dem vorherigen gedient – und möglicherweise bereits dessen Vorgänger. Hagdon sah zu, wie der Alte unsicher aufstand. Er ignorierte das Blutrinnsal, das aus seiner aufgeplatzten Lippe lief. »Es ist Rairam«, sagte er.
Plötzlich war das Gemach in Finsternis getaucht. Hagdons Herz machte einen Satz, doch dann wurde ihm klar, dass nur das mit Ambertrix unterhaltene Licht wieder einmal ausgefallen war. Der Davaratch brummte missfällig, und Hagdon suchte in seiner Tasche rasch nach den Streichhölzern und der Wachskerze, die herumzutragen er sich angewöhnt hatte. Sobald er den Kandelaber auf der Kommode angezündet hatte, nahm er ihn und beleuchtete damit die Karte. Das Verlorene Tal schien die Flammen anzuziehen und hielt sie begehrlich fest wie rote Glasperlen.
»Rairam«, sagte der Davaratch schließlich mit gedämpfter Stimme.
Shune nickte und sah die Karte an. »Ah, Kierik«, flüsterte er. »Du konntest uns nicht in alle Ewigkeiten fernhalten.«
Krachend flog die Tür auf, und Hagdon wirbelte mit einem wütenden Tadel auf den Lippen herum, der jedoch erstarb, als er sah, wer dort stand und den roten Panzerhandschuh auf die Klinke gelegt hatte.
»Majestät«, sprach die Frau den Imperator direkt an, »wir haben sie gefunden.«
Die Augen des Davaratch funkelten. »Die Einheit soll Abstand halten«, befahl er. »Haben sie euch entdeckt?«
»Nein, Herr«, antwortete die Frau. Sie trug den gleichen Kettenpanzer wie die Wachen draußen, nur dass ihre Schulterstücke schwarz und mit drei eingravierten, mit ihrer Haube dargestellten Falken geschmückt waren. Iresonté, Hauptmann der Unsichtbaren Truppe. Ihr Auftauchen konnte nur eines bedeuten: Sie hatten Khronosta gefunden.
»Der ganze vermaledeite Tempel ist in der Nähe eines unserer Außenposten an der Grenze zu Baior aufgetaucht«, erklärte Iresonté. »Das ist jetzt zwei Wochen her, und er ist immer noch sonnenklar zu erkennen.«
»Hagdon«, fauchte der Davaratch, und Hagdon richtete sich gerader auf. »Nehmt Eure besten Männer und begleitet den Hauptmann ins Feld. Ich will kein Risiko eingehen.« Er presste die Lippen zusammen. »Die baioranische Grenze. Das ist kein Zufall …«
»Die Aufständischen haben auch eine Basis …«
»Die Aufständischen sind gesetzloses Gesindel, und der Hauptmann hier hat schon einen Mann bei ihnen eingeschleust. Ich bezweifle, dass sie so dumm sind, sich einzumischen, aber wenn, dann kümmert Euch um sie.« Der Imperator ließ den Blick seiner schwarzen Augen über die beiden schweifen, und Hagdon sah, wie Iresonté zusammenfuhr. »Gut möglich, dass heute der Tag ist, auf den wir gewartet haben. Ihr habt Eure Befehle.«
, flüsterte der Barde in seinem Kopf, und Hagdon musste sein verblüfftes Zusammenzucken als Salut tarnen – er hasste es, wenn Shune ihn ohne Vorwarnung auf diese Art ansprach.
, gab Hagdon zurück. Er fand dieses Eindringen in seinen Kopf unangenehm.
, antwortete der Alte.
, pflichtete Shune ihm mit seiner Flüsterstimme bei,
, knurrte Hagdon lautlos und trat an die Tür zu Iresonté. Er spürte den Blick des Imperators im Rücken wie zwei Klingen, die sich hineinpressten.
»General.«
Er drehte sich um.
»Dies ist unsere Chance, Khronosta zu vernichten. Ich möchte, dass sich die Böden dieses Tempels rot färben. Sie sollen...