Howard So weit der Wind uns trägt
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95576-611-5
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 150 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
ISBN: 978-3-95576-611-5
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Er ist skrupellos und kalt, behaupten Roberts Feinde. Nein, wiedersprechen die Frauen, er ist verführerisch und charmant! Die Wahrheit über Robert Cannon? In einer heißen Sommernacht erfährt Evie mehr über ihn, als sie sich hat träumen lassen. Doch ein gefährliches Rätsel verbirgt er selbst dann noch, als sie längst seiner Leidenschaft erlegen ist ...
Seit Linda Howards Karriere als vielfach beachtete Autorin begann, hat sie mehr als 25 Romane geschrieben, die weltweit eine begeisterte Leserschaft gefunden haben und millionenfach verkauft wurden. Zahlreiche Auszeichnungen sprechen für den internationalen Ruhm, den sie durch ihr Schaffen erreicht hat. Zusammen mit ihren Mann und zwei Golden Retrievers lebt sie in Alabama.
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2. KAPITEL
Es war ein typischer schwülheißer Sommertag in den Südstaaten. Dicke weiße Wolken zogen träge über den tiefblauen Himmel. Der Wind war so schwach, dass er kaum die Oberfläche des Sees kräuselte. Möwen segelten darüber hin, und die Boote dümpelten an ihren Liegeplätzen. Nur wenige unermüdliche Fischer und Wasserskiläufer waren auf dem Wasser. Die meisten waren vor Mittag zurückgekehrt. Die feuchte Luft verstärkte die Gerüche des Sees und der üppig bewachsenen grünen Berge in der Umgebung.
Evie Shaw blickte aus dem großen Fenster auf der Rückseite des Bürogebäudes auf den Jachthafen. Jeder Mensch brauchte sein eigenes Reich, und diese Stege und Bootsliegeplätze gehörten ihr. Nichts, was hier geschah, entging ihrer Aufmerksamkeit. Vor fünf Jahren, als sie die Marina übernommen hatte, war das Unternehmen heruntergewirtschaftet gewesen und hatte kaum die laufenden Kosten gedeckt. Sie hatte ein beachtliches Darlehen aufnehmen müssen, um das erforderliche Kapital hineinzustecken. Schon nach einem Jahr war es aufwärts gegangen, sodass die Anlage jetzt mehr einbrachte als je zuvor. Mit etwas Glück hätte sie das Darlehen in drei Jahren zurückgezahlt. Dann würde die Marina ihr endgültig gehören.
Der alte Virgil Dodd war schon den ganzen Morgen bei ihr. Er saß in einem Schaukelstuhl hinter dem Tresen und unterhielt sie und ihre Kunden mit Geschichten aus seiner Jugend. Der alte Mann war zäh wie Leder. Beinahe ein ganzes Jahrhundert lastete auf seinen zerbrechlichen Schultern, und Evie fürchtete, dass er höchstens noch zwei oder drei Jahre durchhalten würde. Sie kannte ihn schon sehr lange und freute sich über jede Minute mit ihm. Er genoss diese Besuche ebenfalls. Zwar fuhr er nicht mehr zum Fischen, aber hier war er den Booten noch nahe. Er hörte, wie das Wasser an den Kai schlug, und roch den See.
Virgil hatte gerade mit einer weiteren Geschichte begonnen. Evie saß auf einem hohen Hocker und warf von Zeit zu Zeit einen Blick aus dem Fenster, um festzustellen, ob jemand tanken wollte.
Die Seitentür öffnete sich, und ein großer, schlanker Mann trat ein. Er blieb stehen und nahm die Sonnenbrille ab. Es dauerte eine Weile, bis seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Dann schlenderte er näher.
Evie warf ihm nur einen kurzen Blick zu und hörte Virgil weiter zu. Trotzdem waren ihre Sinne plötzlich aufs Höchste geschärft. Sie kannte den Mann nicht, merkte aber sofort, dass er anders war. In Guntersville lebten viele ältere Leute aus den Nordstaaten, die von den milden Wintern, der fehlenden Hektik, den niedrigen Lebenshaltungskosten und der natürlichen Schönheit des Sees angezogen worden waren. Dieser Mann war viel zu jung, um Rentner zu sein. Er trug eine teure Garderobe und blickte hochmütig drein. Evie kannte solche Typen und mochte sie nicht.
Aber da war noch etwas. Der Mann war gefährlich. Seine starke Willenskraft, die aus den erstaunlich hellen Augen sprach, seine Entschlossenheit und sein Temperament duldeten keinen Widerspruch. Evie hätte nicht sagen können, weshalb, doch sie spürte, dass der Mann eine Bedrohung für sie darstellte.
“Entschuldigen Sie bitte”, sagte er, und ein seltsamer, kalter Schauer lief ihr bei seiner tiefen Stimme das Rückgrat hinab. Seine Worte klangen betont höflich. Aber der eiserne Wille dahinter verriet dennoch, dass der Mann ihre sofortige Aufmerksamkeit verlangte.
Evie warf ihm einen weiteren raschen Blick zu. “In einer Minute stehe ich Ihnen ganz und gar zur Verfügung”, sagte sie nicht ganz so freundlich und drehte sich wieder zu Virgil. “Und was geschah dann?”, fragte sie warmherzig.
Robert ließ sich nichts anmerken, obwohl er sich wunderte. Er war es nicht gewöhnt, unbeachtet zu bleiben, erst recht nicht von einer Frau. Normalerweise reagierten die Frauen sofort auf seine starke männliche Ausstrahlung. Bisher hatte er das immer als selbstverständlich betrachtet. Er erinnerte sich nicht, je eine Frau begehrt und nicht bekommen zu haben.
Trotzdem wollte er warten und die Zeit nutzen, um die Frau zu beobachten. Ihre Erscheinung verwirrte ihn ein wenig, was ebenfalls ungewöhnlich war. Es fiel ihm schwer, seine Erwartungen mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
Dies war Evie Shaw, daran zweifelte er nicht. Doch sie war keineswegs die pummelige Provinzlady, auf die er gefasst gewesen war. Stattdessen … glühte sie geradezu.
Das war ein irritierender Eindruck, der von den Sonnenstrahlen hervorgerufen wurde, die durch die großen Fenster hereinfielen. Sie umgaben Evies helles Haar mit einem magischen Lichtkranz, brachten ihre haselnussbraunen Augen zum Leuchten und streichelten ihre seidenweiche, goldene Haut.
Unwillkürlich musste er an lange heiße Nächte und zerknüllte Laken denken.
Energisch riss Robert sich zusammen und sah sich näher um. So baufällig das Haus war, nach der Anzahl der Angelgeräte zu urteilen, die Evie in ihrem Büro anbot, und der belegten Liegeplätze schien das Geschäft gut zu gehen. Die Zündschlüssel für die Mietboote hingen an einem Holzbrett hinter dem Tresen. Jeder war sauber beschriftet und nummeriert. Wo sie wohl notierte, wer mit welchem Boot unterwegs war?
Virgil erzählte lebhaft weiter und schlug sich begeistert auf die Knie. Evie Shaw lachte fröhlich auf. Plötzlich erkannte Robert, dass er nur verhaltenes Lachen gewöhnt war. Wie hohl klang das im Vergleich zu dieser unverstellten Fröhlichkeit.
Er versuchte, dem Drang zu widerstehen und Evie nicht unaufhörlich anzustarren, verlor den Kampf aber bald. Mit einer Mischung aus Verärgerung und Neugier gab er der Versuchung nach und betrachtete sie von Kopf bis Fuß.
Evie Shaw war nicht der Frauentyp, zu dem er sich sonst hingezogen fühlte. Außerdem war sie eine Hochverräterin oder zumindest in Industriespionage verwickelt. Er würde sie überführen und dann vor Gericht bringen.
Trotzdem konnte er den Blick nicht von ihr wenden, und seine Gedanken schlugen eine ganz andere Richtung ein. Sein Herz klopfte plötzlich heftig, und er schwitzte derart, dass ihm die heiße Außentemperatur im Vergleich dazu beinahe kühl vorkam.
So unterschiedlich die Frauen waren, die er bisher begehrt hatte, alle besaßen einen gewissen Stil, eine Art von Weltgewandtheit. Sie hatten teuer ausgesehen und waren es gewesen. Es hatte ihm nichts ausgemacht, er hatte sie gern verwöhnt.
Evie Shaw legte offensichtlich keinen Wert auf modische Kleidung. Sie trug ein übergroßes T-Shirt, das sie in der Taille geknotet hatte, sowie beinahe farblose, ausgewaschene Jeans und ebenso alte Segelschuhe. Ihr blondes Haar war von der Sonne gebleicht und glänzte in allen Schattierungen von Hellbraun bis zum hellsten Flachs. Sie hatte es zurückgekämmt und zu einem Zopf geflochten. Ihr Make-up war äußerst sparsam und bei dieser Luftfeuchtigkeit vermutlich reine Verschwendung. Außerdem hatte sie gar keines nötig.
Wie konnte die Frau derart leuchten? Es war, als würde sie von einem Spotlight angestrahlt. Ihre Haut war leicht gebräunt. Sie hatte einen warmen Goldton angenommen und wirkte weich wie Seide. Selbst die braunen Augen besaßen einen goldenen Schimmer.
Robert hatte bisher große, schlanke Frauen bevorzugt. Sowohl beim Tanzen als auch im Bett fand er sie geeigneter. Evie Shaw war höchstens eins fünfundsechzig groß, wenn überhaupt. Schlank war sie ebenfalls nicht, eher … Das Wort “üppig” kam ihm in den Sinn. Köstlich üppig.
Plötzlich erschrak er heftig über seine Reaktion. Wollte er etwa mit dieser Frau schlafen? Die Antwort konnte nur ein klares Ja sein.
Evie Shaw besaß fantastische Kurven. Sie war nicht füllig, sondern wohlgeformt und der Inbegriff von Weiblichkeit. Ihre Hüften rundeten sich unterhalb der schlanken Taille, und ihr Po war fest und knackig. Eigentlich mochte er zarte, kleine Brüste. Jetzt starrte er wie gebannt auf die weichen, verlockenden Rundungen unter dem irritierend lockeren T-Shirt. Evies Brüste waren nicht groß und schwer. Doch sie wippten bei jeder Bewegung und machten ihn halb verrückt. Sie würden seine Hände voll ausfüllen. Er ballte sie zu Fäusten, um dem Drang zu widerstehen und nicht hinzulangen.
Alles an Evie Shaw war so geformt, dass es die reinste Freude für einen Mann war. Trotzdem ärgerte Robert sich. Wenn er schon derart auf diese Frau reagierte, wie mochte es dann um Mercer bestellt sein? Vielleicht war der Manager von PowerNet fest in Evies Klauen und nicht umgekehrt.
Er wollte ihre Anziehungskraft nicht beachten, aber er schaffte es nicht. Die Herausforderung war zu groß. Jede Faser seines Körpers war aufs Höchste erregt. Er musste die Frau unbedingt haben.
Die Tür hinter ihm öffnete sich. Robert drehte sich um und war froh über die Ablenkung. Eine junge Frau in Shorts, T-Shirt und Sandaletten trat mit einem fröhlichen “Hallo” ein. Sie betrachtete ihn einen Moment aufmerksam und ging zu den beiden Menschen hinter dem Tresen. “Hast du einen schönen Morgen verbracht, Großvater?”, fragte sie.
“Ja, es war sehr schön”, sagte Virgil und stand mühsam auf. “Wo sind die Kinder?”
“Sie sitzen im Wagen.” Sie wandte sich an Evie. “Ich dränge ungern. Aber es ist so heiß, dass ich die Lebensmittel schnellstens nach Hause bringen möchte.”
“Ich schiebe im Moment nach Möglichkeit alles auf den Abend”, antwortete Evie. “Auch die Einkäufe. Bye-bye, Virgil. Gib auf dein Knie acht und besuch mich bald wieder.”
Nachdem der alte Mann und die junge Frau die Tür hinter sich geschlossen hatten, lehnte Robert sich lässig an den Tresen und sagte: “Ich vermute, das war seine...