Hutchinson | Die perfektesten 1440 Minuten meines Lebens | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Hutchinson Die perfektesten 1440 Minuten meines Lebens


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-401-80249-7
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-401-80249-7
Verlag: Arena
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Oliver Travers weiß: Am Ende dieses Tages ist er tot. Doch die letzten 1440 Minuten sollen die besten seines Lebens werden. Denn es gibt da eine ultimative Liste mit den Dingen, die man im Leben mal getan haben muss: von einer Brücke springen, sich ein Tattoo stechen lassen, ein Graffiti sprühen, also eben einfach bleibende Spuren hinterlassen und - ja, natürlich - ein Mädchen küssen. Das kann nur eine sein: Ronnie!Ein Buch für alle, die es verstehen, aus jedem Tag den perfektesten Tag ihres Lebens zu machen.
Hutchinson Die perfektesten 1440 Minuten meines Lebens jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


23h 59min, die Zeit läuft

»Oliver! Oliver! Komm doch bitte runter!«

Echt, Leute, das geht gar nicht: Das Allerletzte, was ich hören will, wenn ich meinen Solobeitrag zur Geburtenkontrolle leiste, ist die Stimme meiner Mutter. So lästig wie eine Melodie, die einem ständig durch den Kopf dröhnt. Aber so sieht’s aus: Da lieg ich unter der warmen Decke und fummle an meinem Joystick herum und eigentlich sollte überhaupt noch niemand im Haus wach sein, da muss sie natürlich meinen Namen durch die ganze Hütte brüllen. Widerwillig lege ich eine Zwangspause ein und warte ab, vielleicht denkt sie, dass ich noch fest schlafe. Aber genauso gut kann ich jetzt den Hebel endgültig sinken lassen, denn ich weiß genau, wenn ich die Augen wieder zumache, sehe ich sie als Nächstes durch meine Bude schweben, mit wehendem blondem Haar und ihrem rosa Frotteebademantel, der ein bisschen weiter offen steht, als es mütterlicherseits erlaubt sein sollte, und dann wird sie mir befehlen, meinen lahmen Hintern endlich aus dem Bett zu hieven, weil ich sonst zu spät zur Schule komme. Ich sag dir, Kumpel, das ist einfach total ätzend.

Meine Mom hat einen geradezu teuflischen sechsten Sinn für alles, nur eben nicht dafür. Die Frau ist ein menschlicher Lügendetektor, sie kann ein miserables Halbjahreszeugnis über die ganze Stadt hinweg wittern, hat aber trotzdem nicht den blassesten Schimmer, was ein Fünfzehnjähriger wohl treibt, wenn er volle dreißig Minuten unter der Dusche steht.

Frustriert schiebe ich die ziemlich warm gewordene Bettdecke zurück und schlurfe ins Bad, um mein Morgenritual zu absolvieren: pissen, Zähne schrubben, meinem afroähnlichen Haarbesatz mit einer Bürste zusetzen. Ob du’s glaubst oder nicht, ich komme in ungefähr sechs Komma fünf Sekunden vom Tiefschlaf auf full action. Bin ziemlich sicher, dass das Rekordzeit ist.

So gerüstet, steige ich die Treppe hinunter, um mich todesmutig in den durchgeknallten, halb irren Zirkus zu werfen, den die Travers-Familie darstellt.

Mom ist Zirkusdirektorin und Löwenbändigerin in einer Person und manchmal gibt sie auch den Clown, aber ich glaube nicht, dass sie die Clownrolle absichtlich spielt. Keiner von uns ist ein echter Morgenmensch und deshalb muss Mom dafür sorgen, dass wir alle rechtzeitig dorthin kommen, wo wir hinmüssen, und dass dabei niemand ums Leben kommt. In extremen Fällen muss sie dafür auch mal die Peitsche einsetzen.

Mein Dad ist eher der Messerwerfer, der spitze Klingen auf die aufs Drehrad gefesselte scharfe Tussi schleudert. Meistens läuft er leicht benebelt durch die Gegend, prallt gegen Wände und kippt Stühle um, aber wenn es dann an der Zeit ist, mit Messern zu werfen, verwandelt er sich in ein Genie. Mit Messerwerfen meine ich auch seine Kochkünste – einfach genial, solange er morgens seinen Kaffee bekommt. Gott stehe dir bei, wenn du ihm beim Kochen (oder Messerwerfen) in den Weg gerätst, bevor er seinen Morgenkaffee hatte.

Und dann gehören ganz offensichtlich noch zwei echte Freaks dazu – das sind meine Schwestern, die Zwillinge Edith und Angela.

Und was ist mit Nana? Keine Ahnung, wo ich sie einordnen soll. Tritt in einem Zirkus eigentlich auch eine außerordentlich süße, aber trügerisch harmlos wirkende Puppenspielerin auf, die einen mit einem einzigen Blick und einem Schokokeks um den rosigen Finger wickeln kann?

Ach so, mich selbst hätte ich fast vergessen. Okay: Wenn ich nicht gerade irre spät für die erste Stunde dran bin, bin ich wahrscheinlich damit beschäftigt, auf den letzten Drücker irgendein Schulprojekt auf die Reihe zu kriegen, für das ich eigentlich drei Monate Zeit gehabt hatte – aber natürlich warte ich immer bis zur allerletzten Sekunde. Ich glaube, ich kann nur unter Druck wirklich gut arbeiten. Wie ein Hochseilakrobat. Oder wie der Typ, der sich aus einer Kanone schießen lässt … Vielleicht sollte ich mal Mom fragen, ob ich nicht eine Kanone haben kann.

Du siehst, was hier abgeht, oder? Mein Zuhause ist morgens ein fast unkontrolliertes Chaos. Okay, es ist eigentlich immer ein fast unkontrolliertes Chaos, aber vor allem am Morgen. Und deshalb bin ich an diesem Morgen total verwirrt, als ich die Treppe herabkomme und in die Essküche trete.

Normalerweise würde mich dort eine erste Breitseite mütterlicher Ermahnungen erwarten, dass ich wieder mal zu spät ins Bett gegangen sei und zu lange mit Shane unser Lieblingsgame Halo gespielt hätte. Heute nicht. Heute ist die gesamte Familie brav um den Küchentisch versammelt. Mom, Dad und Nana stehen darüber gebeugt wie Angler über ihre Angelruten, an denen ein besonders fetter Fisch hängt, und meine ansonsten teuflischen kleinen Zwillingsschwestern stehen gebannt auf Zehenspitzen wie Statuen.

Und alle starren auf etwas, das auf dem Tisch liegt.

»Oliver Aaron Travers!«, schreit meine Mutter, ohne sich umzudrehen.

Mom benützt ganz selten meinen vollen Namen, schon deshalb, weil die Abkürzung OAT heißt, und wer in Englisch wenigstens mal vorübergehend wach genug war und aufgepasst hat, wird wissen, dass das Hafer heißt und an jeden Karrengaul verfüttert wird. Aber selbst wenn sie meinen Namen nicht so laut hinausposaunt und bei mir fast einen blutigen Hörsturz ausgelöst hätte, an ihrem Tonfall hätte ich sofort gemerkt, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

»Hier bin ich, Mom«, sage ich. »Du weißt doch: Brüllen am frühen Morgen ist schlecht für den Blutdruck.«

Hast du auch schon mal einen dieser seltsamen Träume geträumt? Du bist auf dem Weg irgendwohin – zum Beispiel auf dem Weg in die Bücherei oder zur Schule, dir geht’s super, die Welt ist super, überhaupt alles ist super, bis du in einen Raum kommst und alle drehen sich um und starren dich an. Nicht so, dass sich erst einer umdreht und dann alle anderen, nein, alle drehen sich auf einen Schlag um, ungefähr wie eine Gruppe Synchronschwimmer. Und in genau dem Moment wird dir klar, dass du absolut splitternackt bist? Na gut, ich bin in diesem Moment vielleicht nicht nackt, aber ich könnte es ebenso gut sein.

»Was ist?«, frage ich und es kommt aggressiver raus, als ich eigentlich wollte, und ich krieg sofort ein schlechtes Gewissen.

Eine Millisekunde herrscht entsetztes Schweigen, dann, wie auf Kommando, fangen Edith und Angela zu heulen an. Jetzt bin ich sicher, dass was los ist. Meine Schwestern sind die unangefochtenen Rekordhalterinnen in der Sportart des vorgetäuschten Heulens. Darin sind sie absolute Superstars, denn wenn sie ihre dicken nassen Tränen herausdrücken und ihre Unterlippen beben und zittern lassen, gibt es kaum ein menschliches Wesen, das dann noch Nein sagen kann. Aber ich kenne sie inzwischen gut genug, um den Unterschied zu erkennen, und diese Tränen sind echt.

Ich hab schon viel Zeit dafür aufgewendet, den lieben Gott zu fragen, wie er das gemacht hat – so viel reine Bosheit in zwei so reizende, anbetungswürdige kleine Päckchen zu packen. Von meiner Mutter haben sie das Blondhaar und die Grübchen geerbt und niemand hat sie jemals bei einer Übeltat erwischt. Aber es kann ja wohl kein Zufall sein, dass sämtliche Babysitter der Zwillinge entweder ins Kloster gingen oder in die kanadische Wildnis auswanderten.

»Was ist los? Was habt ihr denn?«, frage ich.

Mom deckt das, was immer da auf dem Tisch liegt, mit ihrem Körper ab. Ich sehe, dass ihr mein Vater Den Blick zuwirft. Ich kriege ziemlich oft Den Blick. Normalerweise dann, wenn ich was Blödes getan habe, wie zum Beispiel vergessen, meiner Mutter zu sagen, dass ich sie auf die Liste für den Kuchenverkauf in der Schule gesetzt habe und sie eine Hundertschaft Kekse backen müsse. Dad warnt mich manchmal mit Dem Blick, besser sofort zuzugeben, was ich angestellt habe, weil es die Strafe nur schlimmer macht, je länger ich es aufschiebe. Aber noch nie habe ich gesehen, dass er meiner Mutter Den Blick schickt, und prompt schüttelt sie ein wenig verkrampft den Kopf, als würde sie jeden Augenblick einen Herzanfall bekommen.

Nach diesem unangenehmen Blickgefecht zwischen Dad und Mom dreht sich Mom endlich zu mir um, sie weint ebenfalls. Oder jedenfalls hatte sie geweint. Ihre Nase ist clownrot und Tränenspuren laufen über ihre Wangen. Mom versucht zwar, das vor mir zu verheimlichen, aber sie ist im Verheimlichen ihrer Gefühle nicht mal halb so gut, wie sie denkt. Jedenfalls ist mir inzwischen klar, dass es um was Schlimmes geht. Aber erst, als sie endlich zur Seite tritt, kapier ich, dass es keinen geeigneten Ausdruck für diese Sache gibt.

Es ist ein Todestagbrief.

Scheiße.

Unverwechselbar. Ein langer weißer Umschlag mit diesem idiotischen Regenbogen in einer Ecke, als ob das bisschen Farbe der schlimmsten aller Nachrichten den Stachel nehmen könnte. Echt jetzt – ein stinkender Scheißhaufen bleibt ein stinkender Scheißhaufen, auch wenn du ihn in hübsches Geschenkpapier mit rosa Schleifchen verpackst.

Ich bin geschockt und niemand scheint sich bewegen zu wollen, bevor sie sehen, wie ich reagiere. Ich weiß nicht warum, aber ich laufe instinktiv zu meiner Großmutter und umarme sie heftig.

»Es tut mir so leid, Nana«, sage ich, während ich versuche, mein Gesicht in ihrer Schulter zu vergraben, wie ich das als Kind immer tat. Nur funktioniert das jetzt nicht mehr so gut, weil ich gewachsen bin und sie geschrumpft ist. »Ich will nicht, dass du stirbst.«

Nana ist mein liebster Mensch auf der ganzen weiten Welt. Ehrlich. Achtundsiebzig erstaunliche Jahre, verpackt in einem winzigen,...


Shaun David Hutchinson kam in Florida zur Welt. Er verschwendete seine Tage mit Schlafen und Lesen und zog mit seinen besten Kumpels durch Spielzeugläden. Heute lebt er wieder dort, zusammen mit seinem Hund. Shaun hofft, dass er noch eine lange Liste von Lebenszielen erreichen kann - zum Beispiel jedes Land dieses Planeten zu bereisen und in einem Godzilla-Köstüm durch Tokio zu laufen-, bevor er seinen eigenen Todestagbrief erhält.Foto: Copyright Angela Engle



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.