E-Book, Deutsch, 76 Seiten
Hutflesz / Opielka Online-Delphi in der Zukunftsforschung zur Sozialpolitik
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7526-5173-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 76 Seiten
ISBN: 978-3-7526-5173-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Online-Delphi ist eine bewährte Methode der Zukunftsforschung, um ExpertInnen zu komplexen Fragestellungen der Zukunftsgestaltung aktiv einzubeziehen. In der Zukunftsforschung zur Sozialpolitik wurde diese Methode bisher kaum genutzt. Timo Hutflesz und Michael Opielka berichten aus den Erfahrung mit dieser Methode in einem äußerst anspruchsvollen Projekt, dem "Zukunftslabor" in Schleswig-Holstein. Es soll untersuchen, ob Konzept wie Bürgergeld und Grundeinkommen die Zukunft der Sozialpolitik prägen können und sollten, oder ob die Sozialsysteme nur immanent fortzuentwickeln sind. Die Autoren zeigen, dass es nicht leicht ist, in Politik und Verwaltung Verständnis für eine solch tastende, explorative Forschungsmethode zu erlangen.
Timo Hutflesz arbeitet seit August 2019 im ISÖ - Institut für Sozialökologie als Junior-Researcher. Er hat im November 2018 seinen Master (M.Sc.) in Soziologie und Empirischer Sozialforschung an der Universität zu Köln abgeschlossen. Schwerpunkt des Masters war die quantitative Analyse von Daten in den Bereichen Bildung, Migration und Familie. Als Nebenfach belegte er Sozialpolitik mit dem Fokus auf der Entstehung und Entwicklung europäischer Sozialpolitik.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2 Delphi im Zukunftslabor 2.1 Delphi-Befragung Allgemein Die Delphi-Befragung ist ein systematisches, mehrstufiges Befragungsverfahren mit Rückkopplung an die Befragten. Sie ist eine Forschungsmethode, die dazu dient, zukünftige Ereignisse, Trends, politische oder technische Entwicklungen bestmöglich einschätzen zu können. Ursprünglich bezieht sich der Name der Delphi-Befragung auf das gleichnamige Orakel der griechischen Antike. Dieses Orakel befand sich in einem Tempel in der griechischen Stadt Delphi. Die Bewohner des antiken Griechenlands konnten sich an dieses Orakel wenden, um Rat bei ganz unterschiedlichen Fragen zu suchen. Dabei formulierten sie schriftlich eine Frage und übergaben sie an die Priesterin des Tempels. Anschließend musste der Ratsuchende ein Opfer erbringen und auf den Tag der Orakelgebung warten, an dem die Priesterin die Antwort des Orakels verkündete. Dieses Ritual gewann unter der gesamten griechischen Bevölkerung Anklang, wodurch die Stadt Delphi und deren Orakel über lange Zeit über großen sozialen und politischen Einfluss in Griechenland verfügte.30 In der zeitgenössischen Wissenschaft wurde die Delphi-Methode erstmals im militärischen Bereich in größerem Maße eingesetzt. Die RAND Corporation führte in den 1950er und 1960er Jahren 14 Experimente mithilfe der Delphi-Methode durch, deren Ergebnisse allerdings nie veröffentlicht wurden.31 Die erste der Öffentlichkeit zugängliche Studie, die sich auf Ergebnisse einer Delphi-Befragung stützt, ist die Studie „Report on a Long Range Forecasting Study“ von Gordon und Helmer aus dem Jahr 1964. Hierbei ging es um die Prognose wissenschaftlicher und technischer Entwicklung über die nächsten 15 Jahre. Seit den 1970er Jahren verbreitete sich die Delphi-Methode insbesondere im Bereich der Betriebswirtschaft, fand aber auch in anderen Wissenschaftsfeldern zunehmend Beachtung. Die wohl bisher umfangreichste Delphi-Befragung startete 1971 in Japan. Das National Institute of Science and Technology (NISTEP) versuchte mit einer Panelstudie über einen Zeitraum von über 30 Jahren Prognosen zur Entwicklung im Bereich Wissenschaft und Technologie zu erstellen.32 Insbesondere durch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung, wie der elektronischen Datenerfassung und Online-Befragungen, erfreut sich die Delphi-Methode wieder größerer Beliebtheit.33 Heutige Delphi-Befragungen zielen darauf ab, das Wissen verschiedener ExpertInnen auf eine möglichst zuverlässige und übersichtliche Vorausschau zu den Herausforderungen und Folgen von Wissenschaft, Politik und Technik zu vereinen.34 Das Design der klassischen Delphi-Befragung besteht aus mindestens zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Befragungswellen. Die Ergebnisse der jeweils vorangegangenen Welle werden den Mitgliedern derselben ExpertInnengruppe in einer weiteren Befragungswelle zurückgemeldet. Die Befragung erfolgt anonym und (heute) in der Regel online. Im Gegensatz zu Bevölkerungs-Umfragen zielt die Auswahl der ExpertInnen nicht auf Repräsentativität, sondern auf Fachkompetenz und Kooperationsbereitschaft. Delphi-Befragung haben also im Gegensatz zu herkömmlichen repräsentativen Befragungen einen diskursiven Charakter. Es geht nicht um eine Erfassung von Meinungen und Einstellungen zu bestimmten Themengebieten, sondern viel mehr um die Erfassung qualitativer Kritik und die gemeinsame Diskussion eines spezifischen und hochkomplexen Bereichs, um diesen möglichst genau auszuarbeiten und Lösungen für schwer zugängliche Problemfelder zu erlangen. Dieser diskursive Charakter wird auch durch die erneute Präsentation der Ergebnisse und Überarbeitungen sowie der wiederholten Befragung der Personen unterstrichen. Das ISÖ hat zudem unter Nutzung des Programms „Mentimeter“35 Delphi-Befragungen in Echtzeit, ein sogenanntes „Real-Time-Delphi“, entwickelt. Dieses Real-Time-Delphi wurde im Verlauf des Zukunftslabors bei zwei Zukunftsworkshops eingesetzt. Im Zukunftsworkshop im Sozialministerium im September 2019 diente es als Grundlage für Diskussionen mit den TeilnehmerInnen und als Pre-Test der späteren Online-Durchführung.36 Die TeilnehmerInnen gaben mithilfe ihres Smartphones auf der Internetseite bzw. der App von „Mentimeter“ an, wie wünschenswert und wie wahrscheinlich die verschiedenen Szenarien aus ihrer Sicht sind. Anschließend wurden die Ergebnisse präsentiert, im Zukunftsworkshop diskutiert und vertiefte inhaltliche Anmerkungen gemacht. Ein weiteres methodisches Element des Real-Time-Delphi war ein „World-Café“ (siehe Abbildung 2). Dabei wurden die Teilnehmer in vier Gruppen aufgeteilt, die im Laufe des Zukunftsworkshops vier Stationen besuchten, in denen die vier Zukunftsszenarien detailliert besprochen und diskutiert wurden. Anschließend wurden in einer etwas abgewandelten Form die Reformszenarien besprochen. Statt durch die vier Stationen zu rotieren wie zuvor sollten die TeilnehmerInnen sich für ein Reformszenario entscheiden. Die TeilnehmerInnen wurden aufgefordert sich für das von ihnen am wenigsten favorisierte Szenario zu entscheiden und bei der entsprechenden Station zusammenzufinden. Dies sollte eine möglichst aktive Teilnahme aller Personen und ausführliche Diskussion der Reformszenarien fördern. Dieses Vorgehen simulierte das Online-Delphi in einem Real-Time-Setting und hatte gemeinsam mit der zuvor durchgeführten Bewertung über Mentimeter die grundsätzlichen Ziele der Validierung, Exploration und Evaluation. Anschließend wurden die Szenarien darauf basierend überarbeitet und in das Online-Delphi übertragen. Die Durchführung des Delphi in einem Real-Time-Setting macht aber auch den enormen Zeitaufwand hinter dieser Erhebungsmethode deutlich. Eine Reduzierung dieses Aufwands, ohne dabei zu viel Komplexität zu reduzieren und die Ergebnisse der Befragung zu trivialisieren ist die zentrale Herausforderung bei der Konzeption einer Online-Delphi-Befragung. Abbildung 2: Real-Time-Delphi Zukunftsworkshop Sozialministerium Kiel Quelle: https://www.isoe.org/projekte/veranstaltungen/zukunftsworkshop-im-zukunftslaborschleswig-holstein-zlabsh-kiel-13-9-2019/ Im Zuge des zweiten Zukunftsworkshops, am Ende der Laufzeit des Online-Delphi an der Fachhochschule Kiel im November 2019, wurde die gesamte Delphi-Befragung mit den Studierenden durchgeführt.37 Bereits im August 2019 wurde die Durchführung dieses Zukunftsworkshops als Element des Zukunftslabors geplant. Einerseits sollte dadurch die Öffentlichkeit über den aktuellen Verlauf des Projekts informiert werden und anderseits erhoffte man sich auch von den Studierenden hilfreichen qualitativen Input für die weitere Ausarbeitung der Szenarien. Nachdem jedoch im September 2019 die Durchführung der Delphi-Befragung geplant wurde und das Sozialministerium einen stärkeren Einbezug der schleswig-holsteinischen Bevölkerung wünschte, bot dieser Zukunftsworkshop eine gute Gelegenheit die Stichprobe der Delphi-Befragung zu erweitern und auch das Fachwissen der Studierenden für die Verbesserung der Zukunfts- und Reformszenarien zu nutzen. Im Gegensatz zu den Teilnehmern des Zukunftsworkshop im Sozialministerium führten die Studierenden die gesamte Online-Befragung durch. Es fand also keine Diskussion in Gruppen statt, sondern jeder Teilnehmer hatte eine Stunde Zeit die Befragung umzusetzen (siehe Abbildung 3). Nachdem die TeilnehmerInnen die Befragung abgeschlossen hatten, wurden die Ergebnisse analysiert und den Studierenden präsentiert sowie mit den bisher erhobenen Daten verglichen. Abbildung 3: Real-Time-Delphi Zukunftsworkshop Fachhochschule Kiel Quelle: https://www.isoe.org/projekte/veranstaltungen/zukunftsworkshop-im-zukunftslaborschleswig-holstein-zlabsh-an-der-fh-kiel-4-11-2019/ Anschließend wurden wiederum über „Mentimeter“ verschiedene Aspekte der Szenarien in „real-time“ erhoben und mit den Studierenden im Rahmen einer öffentlich dokumentierten Podiumsdiskussion erörtert. Die Kombination aus Delphi, Mentimeter und der Diskussion im Zukunftsworkshop bietet eine interaktive und interessante Möglichkeit, auch hochkomplexe Forschungsfragen zu diskutieren und weiter zu vertiefen. Darüber hinaus lassen sich hierbei auch weitere Erhebungs- und Analysemethoden einbinden. Die Delphi-Befragung stellt eine sehr gute unterstützende Funktion bei der Bearbeitung komplexer Forschungsfragen dar, sollte allerdings auch als das aufgefasst werden was sie ist: Eine Erhebungsmethode zur qualitativen inhaltlichen Kritik, nicht zur Erfassung repräsentativer Meinungen. Die Delphi-Befragung „Zukunftsszenarien und Reformszenarien“ fand im Rahmen des „Zukunftslabor Schleswig-Holstein“ statt. Sie richtete sich an ExpertInnen der Sozialpolitik und der Arbeitsmarktpolitik und an interessierte BürgerInnen. Entlang von einerseits vier Zukunftsszenarien zum Zusammenhang von Demographie, Digitalisierung und Sozialpolitik und andererseits von vier Reformszenarien für eine langfristige und nachhaltige Sozialreform wurde die Expertise der Befragten genutzt. Das Delphi wurde zweistufig angelegt. Nachdem die erste Befragungsstufe...