E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Huttenlocher / Schwaigert / Donots Potzblitz
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95791-094-3
Verlag: Unsichtbar
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
27 + 1 erleuchtende Liebeserklärungen an die Popmusik
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95791-094-3
Verlag: Unsichtbar
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Und plötzlich war sie da! Meist kein sanftes, vorsichtiges 'Gestatten, ich bin die Popmusik, darf ich reinkommen'? Nein, eher vergleichbar mit einem Kometeneinschlag! Mit einem mal stand kein Stein mehr auf dem anderen und ein ganzes Lebenskonzept musste wieder neu zusammengesetzt werden.
Potzblitz betrachtet genau diesen prägenden Moment. Viel mehr: lässt betrachten.
Die Initiatoren Sebastian Schwaigert und Marc Huttenlocher fragen Vorbilder, Weggefährten und Freunde ,die sich inzwischen selbst einen guten Namen in der Musikwelt gemacht haben, nach ihrem entscheidenden Potzblitz-Moment.
Dabei steht die gute Sache im Vordergrund, denn alle Autorinnen und Autoren sowie die Herausgeber stellen ihr Honorar dem Projekt 'Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge' von Amnesty International zur Verfügung.
Mit Texten von: Die Toten Hosen, Donots, Mambo Kurt, Madsen, Oliver Uschmann, Ton Steine Scherben, Massendefekt, Itchy, DOTA, Blackout Problems, Berni Mayer, Kapelle Petra, Turbobier, Stoppok, Deniz Jaspersen, Killerpilze, Radio Havanna, Van Holzen, Weiherer, Staatspunkrott, Go Go Gazelle, Montreal, Koje, Tomas Tulpe, Charly Klauser, Tommy Finke, Stefan Üblacker und Max Richard Lessmann.
Die Initiatoren Sebastian Schwaigert und Marc Huttenlocher fragen Vorbilder, Weggefährten und Freunde ,die sich inzwischen selbst einen guten Namen in der Musikwelt gemacht haben, nach ihrem entscheidenden Potzblitz-Moment.
Dabei steht die gute Sache im Vordergrund, denn alle Autorinnen und Autoren sowie die Herausgeber stellen ihr Honorar dem Projekt 'Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge' von Amnesty International zur Verfügung.
Mit Texten von: Die Toten Hosen, Donots, Mambo Kurt, Madsen, Oliver Uschmann, Ton Steine Scherben, Massendefekt, Itchy, DOTA, Blackout Problems, Berni Mayer, Kapelle Petra, Turbobier, Stoppok, Deniz Jaspersen, Killerpilze, Radio Havanna, Van Holzen, Weiherer, Staatspunkrott, Go Go Gazelle, Montreal, Koje, Tomas Tulpe, Charly Klauser, Tommy Finke, Stefan Üblacker und Max Richard Lessmann.
Autoren/Hrsg.
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DIE MINEN VON MORIA
von Berni Mayer Bofrost, Bertelsmann und Beatles. So lauteten die Koordinaten meiner mittleren Kindheit im Ödland Niederbayerns, am Rande des sogenannten Gäubodens, wo sich Fuchs und Hase gar nicht »Gute Nacht« hätten sagen können, weil sich in der vollkommen von Nutzfeldern overdubbten Landschaft längst kein Tier mehr blicken ließ. Für die Jüngeren: Bofrost war ein Tiefkühl-Lieferant und der Tiefkühl-Lifestyle galt auch vor Tschernobyl schon als schick. Jahre bevor die zwangseingedeutschte italienische Küche ihren Siegeszug in Form von Parmesan zum Selberreiben, Espresso-Maschinen und abgepackter Mortadella antrat, freuten sich Hunderttausende von Menschen auf ihren wöchentlichen Kühllaster mit geschmacksarmen Kroketten, uniform verpacktem Wassereis und geriffelten Tiefkühlpommes. Wir Kinder stürmten vom geringsten Motorengeräusch euphorisiert vor die Haustür, um dem Bofrost-Fahrer den ihm gebührenden Hoflieferanten-Empfang zu bescheren. Wenn nicht bei Bofrost bestellt wurde, dann beim Bertelsmann Buchclub, oft der einzige Zugang zur Weltliteratur, wenn man grade nicht von der Kunsthandwerk betreibenden Tante den neusten Kleinen Vampir geschenkt bekam und sich heimlich vor dem brachialen Lumpi gruselte. Im Bertelsmann Buchclub, so scheint es mir zumindest im Nachhinein, gab es fast ausschließlich teure Hardcover-Varianten von Bestsellern mit hässlicherem Einband. Das hielt meinen sonst nur Stern lesenden Vater (bis zu den Hitler-Tagebüchern zumindest) natürlich nicht davon ab, sich alle drei Teile vom Herrn der Ringe zu bestellen und nach ein paar Wochen wegzulegen. »Was ist denn das?«, fragte ich ihn. »Das ist zu kompliziert für dich«, antwortete er. So galt meine Aufmerksamkeit zunächst den Winnetou-Hörspielen, die ich deshalb so grandios fand, weil der furchtbare Filmtod von Pierre Brice dort auf wunderbare Weise negiert worden war und er als Elder-States-Apache weiter die Silberbüchse auf gehässige weiße Wild-West-Faschisten richten durfte. (Nicht, dass ich damals schon gewusst hätte, was Faschisten sind.) Nach Winnetou kamen die Beatles. Das rote und das blaue Best-of-Album faszinierten mich vor allem optisch. Nicht nur die mystische Wandlung von den süßen Buben auf der roten Platte in die bedrohlich unstetig wirkenden Langhaarigen auf der blauen (Paul mal ausgenommen), sondern auch wie ein und dieselbe Band so unglaublich unterschiedlich klingen konnte. Biografischen Wandel, Zeitgeist und Timeline bedachte ich dabei natürlich nicht. Ich hörte zwischen beiden Platten hin und her und trotz Begeisterung für Penny Lane, Ob-La-Di, Ob-La-Da und Hey Jude (minus Coda) waren mir die langhaarigen Beatles zunächst einfach nicht fetzig und direkt genug. Und wenn ich nicht grade bei einem Botinchen (im Grunde ein Fürst Pückler am Stiel) die Beatles hörte, dann sang ich Mark Knopflers handgezupft nachhaltige Soli von der ersten Dire Straits mit, denn in unserer Bertelsmann-Blase (in der man auch Musikkassetten kaufen konnte) gab es so etwas wie ein aktuelles Popgeschehen nicht. Doch ähnlich wie Frodo irgendwann mit den Gefährten aufbricht, um den Ring nach Mordor zum Recycling-Hof zu bringen, so brach auch ich irgendwann auf, um mich der Welt des an sich recht stilsicheren elterlichen Plattenschranks zu entziehen und mich den Gefahren der synthesizerregierten Radiomusik auszusetzen. Five easy steps to pop doom: 1. Die klassische Einstiegsdroge. Martina, die burschikose, aber liebenswerte einbeinige Tochter unserer Haushaltshilfe – die konnten wir uns als alter Klempner-Adel leisten – fing an, mir heimlich die BRAVO zu leihen, die zu der Zeit offenbar ausschließlich über eine Teenie-Band mit dem nachvollziehbaren Bandnamen The Teens zu berichten wusste. Ergänzend dazu kaufte ich mir beim lokalen Bäcker manchmal die Pop/Rocky, von der ich meinen Eltern weismachte, sie wäre nicht so »wild« wie die BRAVO. 2. Es war wieder Martina, die mir irgendwann ein gutes Dutzend Knibbelbilder in die Hand drückte. Coca-Cola hatte damals in seinen Flaschendeckeln Bilder von Popstars samt Songtitel versteckt, und nur durch chirurgisch präzise Herangehensweise konnte man diese zu Sammelzwecken entfernen. Indem ich die Knibbelbilder bald selbst sammelte (ich taumelte von einem Cola-Rausch zum nächsten) und immer wieder in fiktiven Charts anordnete, lernte ich früh altherrenorientierten Rock wie Fleetwood Mac, REO Speed-wagon und Donovan kennen, selbst wenn ich manchmal erst Jahre später die dazugehörigen Songs hörte. 3. Jeden Freitagabend liefen auf Radio Bayern 3 die sogenannten bayerischen Top Ten und in der halben Stunde vorher die Neuzugänge bzw. Vorschläge. Das Platzierungssystem hab ich bis heute nicht verstanden. Gab es ein Hörerbrief-Voting, waren das tatsächlich die Verkaufscharts von Garmisch-Patenkirchen bis Bad Kissingen oder hatte der bierernste Moderator Thomas Brennicke das letzte Wort? Eher nicht, sonst hätte er nicht so eindringlich vor Falcos Jeanny gewarnt und über Bruce & Bongos Geil hergezogen und uns Hörer belehrt, dass diese Vokabel noch vor gar nicht allzu langer Zeit mit einem Paradigma der Unzüchtigkeit konnotiert gewesen war. Nun kam wieder Martina ins Spiel, die mir zeigte, wie ich diese Songs nicht nur jeden Freitag hören und mir dabei neunzig Minuten jeglichen Harndrang verbeißen konnte, sondern wie man sie auf Kassette aufnahm und »on demand« wieder abspielte. Ich denke, »on demand« hat sie nicht gesagt. Mein erstes Erfolgserlebnis war die Aufnahme von Kleine Taschenlampe brenn, der Kollaboration von Nena und Markus, wobei die ersten Sekunden fehlten, weil ich vor lauter Aufregung die gar nicht so komplexe Tastenkombination aus der roten Rec- und der schwarzen Play-Taste vergessen hatte. 4. Jetzt, da ich im Eiltempo zum Chart-Connaisseur geworden war, wollte ich natürlich auch so etwas wie eigenen Geschmack unter Beweis stellen. Mein Vater hatte mir einen alten NDW-Sampler mit dem Titel Tanz mit dem Herzen auf Kassette geschenkt und ab da war NDW mein Jam, wenn auch ein paar Jahre zu spät. In der Kreishauptstadt Straubing eröffnete zu der Zeit gerade ein neuer Levis-Laden, der zur Feier des Tages einen Sampler in grünem Vinyl für 10 DM verkaufte, auf dem jeweils zwei Songs von Nena, Hubert Kah, Relax und Markus drauf waren. Meine erste Schallplatte, Jesus fuckin? Christ, und dann auch noch in grün. Ich war kein Beatles-Hobbit mehr, das elterliche Auenland lag hinter mir, ich hörte jetzt echte Musik, zu dem auch der Rest von Mittelerde abgroovte, um?s mal anachronistisch auszudrücken. 5. Auch mein Radiokonsum wuchs schnell über die bayerischen Charts hinaus und nahm geradezu manische Züge an, wenn ich ab 15:00 Uhr mein Zimmer absperrte, um in Ruhe die Gottschalk-Show zu hören, gefolgt von der Jauch-Sendung und eigentlich weiter bis 20:00 Uhr, um dann religiös Pop nach Acht mit Claus Kruesken oder Peter Illmann zu folgen, um gegen neun in halblegaler Uhrzeit unter der Decke mit Kopfhörer Stellung für Fritz Egners Fritz and Hits zu beziehen. In diesen Tagen kristallisierte sich die eigentliche Bedeutung von Pop für mein Leben heraus. Eine hyperindividuelle Bedeutung, die über die Vorstellung eines guten Songs oder eines Mitsing-Refrains hinausging: seine cineastische Qualität, die letztlich zum einzig ausschlaggebenden Kriterium dafür wurde, ob mir Musik damals gefiel oder nicht. Dabei musste die Musik nichts Filmisches im herkömmlichen Sinne haben, keinen Refrain wie ein Sonnenuntergang, sie musste nur Bilder in mir heraufbeschwören können, die so lange lebendig blieben, so lange der Song dauerte, und immer wieder lebendig wurden, sobald man ihn erneut abspielte. Sie musste Emotionen konservieren wie Bofrost Kalorien und jede neue Lieferung musste ein Erlebnis sein, bei dem man in Vorfreude aus seinem geistigen Haus stürmte, um dem Lieferanten, also dem Radiomoderator, den gebührendsten Empfang zu bereiten. Die Geschichten, die Musik in diesen Werktagsnächten Mitte der Achtziger heraufbeschwor, sollten noch früh genug von narzisstischem Gedankengut und Sinnsuche versaut werden. Doch bis es soweit war und das Gift namens Liebeskummer Einlass in mein Leben gefunden hatte, blieb ich vorerst unschuldige und positivistische 11 Jahre alt und die Musik des Jahres 1985 erfüllte nur einen Zweck: Sie bildete den Soundtrack zum Herrn der Ringe. Ich habe für diese Kurzgeschichte im Vorfeld etliche Songs notiert, ohne zu wissen, in welchem Jahr sie als Single veröffentlicht wurden. Ihre einzige Gemeinsamkeit sollte nur sein, dass ich selbst heute noch Tolkiens mythologische Modelleisenbahn-Welt vor Augen habe, wenn ich sie höre. Vor allem Frodos und Sams ersten schwierige Wochen auf der Flucht vor den Ringgeistern, den Weg durch die Minen von Moria samt *Spoiler* Gandalfs Höllensturz, die erste Begegnung mit dem mysteriösen...