Immerfall / Wasner | Freizeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 107 Seiten, Gewicht: 121 g

Immerfall / Wasner Freizeit


1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8463-3446-1
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 107 Seiten, Gewicht: 121 g

ISBN: 978-3-8463-3446-1
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Freizeit prägt viele Lebensbereiche und spielt auch in zeitgenössischen Analysen eine immer bedeutendere Rolle.

Die AutorInnen Stefan Immerfall und Barbara Wasner ermöglichen einen strukturierten Zugang zu diesem vielfältigen Themenfeld. Historische Entwicklungen oder die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung von Freizeit werden ebenso behandelt wie ihre Erlebnisqualität oder ihr Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit.

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Weitere Infos & Material


Warum Freizeit? 7
Freizeit im Profil 9
1 Was ist Freizeit? 9
2 Wie hat sich Freizeit entwickelt? 18
3 Wie ist Freizeit verteilt? 25
4 Wie wird Freizeit erlebt? 40
5 Ausgewählte Bereiche des Freizeiterlebens: Sport und Tourismus 47
6 Aktuelle Entwicklungen 58
7 Wirtschaftliche Effekte von Freizeit und Tourismus 65
8 Zukunft der Freizeit 74
Serviceteil 81


2 Wie hat sich Freizeit entwickelt?
Freie Zeit und Freizeit waren im Laufe der Geschichte grundlegenden Veränderungsprozessen unterworfen. Der Blick auf den historischen Wandel von Arbeit und Freizeit ermöglicht aber einen tieferen Einblick in die gesellschaftliche Rahmung von Freizeit und des Umgangs der Menschen mit Zeit. Diese Geschichte stellt sich keineswegs als lineare Ausdehnung der freien Zeit dar. Zeit ist ein besonderes soziales Konstrukt. Es fußt auf natürlichen Gegebenheiten (wie Jahreszeiten und Sonnenauf- und -untergängen) und teilt diese in klar definierte Einheiten ein. Diese Einheiten werden festgehalten in Kalendern und Uhren. Zeit wurde durch diese Festlegungen zu einer sozialen Realität. Dies ermöglicht das Aufeinander-Abstimmen von sozialen Interaktionen. Elias zeigte, dass Zeit als sozialer Tatbestand, die Entwicklung von Zeitbewusstsein die Folge eines menschheitsgeschichtlichen Lernprozesses, des Zivilisationsprozesses ist. Zeit ist insofern ein Produkt menschlicher Gesellschaften und Veränderungen von Zeitkonzepten sind auf Veränderungen in der Organisationsform der Gesellschaft zurückzuführen (vgl. Elias 1988). Die folgenden Ausführungen über die Veränderungen der Freizeit sind also immer auch als grundlegende gesellschaftliche Wandlungsprozesse zu verstehen.
Einige geschichtliche Anmerkungen In einem ersten Zugang kann die Geschichte der Freizeit holzschnittartig in drei Abschnitte eingeteilt werden: ein vorindustrielles, ein industrielles und ein – wie auch immer zu bezeichnendes – gegenwärtiges Zeitalter. Als grobe Richtschnur wird dabei die Nicht-Arbeitszeit des „gemeinen Mannes“ genommen, also der weitaus überwiegenden Mehrzahl. Dabei ist zu betonen, dass es sich dabei keineswegs um eine lineare Entwicklung „vom Mußemonopol zur Massenfreizeit“ handelte (Prahl 2002: 85). Im vorindustriellen Zeitalter, zumindest in der Antike, war zwar die Muße (gr. scholé, lat. otium) der nichtarbeitenden Klasse vorbehalten. |18? ?19| Für Sklaven, unfreie Bauern, kleine Handwerker und Händler, Knechte und Mägde war Arbeit der Normalzustand. Allerdings gab es zahlreiche arbeitsfreie Tage: öffentliche Zeremonien, Wettkämpfe oder religiöse Feiertage. Ein Höhepunkt dürfte im 4. Jahrhundert erreicht worden sein, in dem der römische Kalender 200 regelmäßig wiederkehrende öffentliche Veranstaltungen aufwies und Badeeinrichtungen oder der Zirkus für jedermann offenstanden (Lamprecht/Stamm 1994: 29ff.). Auch das Mittelalter kannte zahlreiche kirchliche Feiertage. Viele Heilige wurden durch einen besonderen Tag geehrt und jedes Dorf hatte seine eigene Kirchweih. Dieser Zustand wurde manchem Landesherrn der entstehenden Territorialstaaten des 16. Jahrhunderts zum Ärgernis. Sie wollten ihre Bevölkerung zu mehr Arbeit anhalten, um den Reichtum des Landes bzw. Fürsten zu mehren. Besonders eifrig waren die württembergischen Fürsten, vielleicht auch weil Südwestdeutschland durch den Dreißigjährigen Krieg ganz besonders hart getroffen und stark entvölkert worden war. Mit gesetzgeberischen „Policeyordnungen“ griffen sie immer mehr in das Alltagsleben ihrer Untertanen ein, suchten nicht nur Umfang und Ausmaß der Feierlichkeiten zu reduzieren, sondern Bekleidung, Bettelei, Ernährung, Alkoholkonsum und nicht zuletzt die Sexualität zu regulieren (Fritz 2004). Diese, ab dem Spät-Mittelalter greifbaren, obrigkeitlichen Ordnungsmaßnahmen stellten nicht nur auf äußeren Zwang ab, sondern zielten auch auf die innere Lebensführung. Sie wurden daher von Gerhard Oestreich (1980) treffend als „Sozialdisziplinierung“ bezeichnet. Ob es tatsächlich, wie von Michel Foucault (2006) angenommen, der Regierung gelang, die Menschen nicht einfach nur zu unterwerfen, sondern sie so zu formieren, dass sie sich nun im Sinne der Staatlichkeit selbst kontrollieren, muss offen bleiben. Denn solcher Absicht stand – neben der Widerständigkeit der unteren Schichten – eine nur beschränkt handlungsfähige Bürokratie entgegen:„In der Tat trug der barocke Staat viele Züge eines Ankündigungsstaates, dem ein erhebliches Vollzugsdefizit innewohnt.“ (Fritz 2004: 29) Natürlich unterschieden sich höfische, bürgerliche und die Arten der Freizeitgestaltung der unteren Schichten und Klassen grundlegend voneinander (Kleinschmidt 2008: 52-57). Der Adel ging Vergnügen wie der Jagd und höfischen Spiele nach. Im Bürgertum dagegen entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Auffassung, dass die Freizeit kulturell sinnvoll zu nutzen sei (Nahrstedt 1972: 17): Musik, Tanz, Theater, der Salon und gemäßigte Formen der Körperertüchtigung standen beim Bürgertum hoch im Kurs; Bauern und Handwerker gestalteten |19? ?20| ihre Freizeit vor allem mit Geselligkeit und Feiern. Es kam aber auch zu Annäherung; so wurde die obligatorische „Grand Tour“, die klassische Bildungsreise des Adels, seit dem 17. Jahrhundert zunehmend vom Bürgertum imitiert. Die erwähnte Disziplinierung war vermutlich eine Voraussetzung für die Industrialisierung. Sie setzte sich in den Fabriken in bis dahin unbekanntem Ausmaße fort. Die Fabrikherren forderten eine „satanische“ Arbeitsdisziplin; sie stellten die Uhr und kontrollierten die Einhaltung der Zeiten, was wiederum bei den Arbeitern den Sinn für den Wert der Minute schärfte (Bausinger 1979). Nicht umsonst wurden Arbeitszeitkämpfe zu wichtigen Etappen der Arbeiterbewegung. Um 1800 sind in deutschen Ländern wöchentliche Arbeitszeiten von über 90 Stunden nachgewiesen! Angesichts der zu verrichtenden Schwerstarbeit dürfte die Zeit außerhalb der Fabrik vornehmlich der Regeneration gedient haben. Erst allmählich sanken die durchschnittlichen Arbeitszeiten pro Woche auf 78 (1870), 66 (1890) und 59 (1910) Arbeitsstunden. Mit dem Rückgang der Arbeitszeit traten erneut Fragen der Moral hervor. In Großbritannien, dem damals führenden Industrieland, wurde schon der Ten Hours Act von 1847, der die wöchentliche Arbeitszeit auf 58 Stunden in der Woche herabsetzte, von einer Diskussion innerhalb der Mittel- und Oberschicht begleitet, was die Arbeiter mit der erkämpften Freizeit anfangen würden: Würden sie sich nicht billigen Genüssen hingeben und gefährliche Ausschreitungen auslösen, statt „vernünftige Erholung“ zu suchen? Immerhin begünstigte der Versuch, die Freizeit der unteren Klassen zu regulieren, öffentliche Einrichtungen wie Spazierwege, Parks und Bibliotheken (Best 2010: 118-140). In kapitalistischen Gesellschaften erweist sich freilich die moralische Regulierung der Freizeit generell als schwierig, da mit Tabak, Glücksspiel oder Gewaltdarstellungen allzu gut verdient werden kann. Mit dem Rückgang der Arbeits- und Erwerbszeit, der steigenden Lebenserwartung und der Verbreitung des Massenkonsums gewinnt die frei gestaltbare Lebenszeit einen zentralen Stellenwert. In den Aufbaujahren der 1950er Jahre dominierte noch die Arbeitszeit. Die Woche bestand aus sechs Arbeitstagen oder 48 Arbeitsstunden. 1955 erhob der DGB mit der Parole „Samstags gehört Vati mir“ die Forderung nach der 5-Tage-Woche mit 40 Stunden, die über die nächsten Jahre schrittweise Wirklichkeit wurde. 1990 überholte erstmals die Freizeit die Arbeitszeit (Opaschowski 1996: 28f.). In den letzten Jahren hat es allerdings keine weitere Verkürzung der Arbeitszeit mehr gegeben; eher zeigt der Trend wieder eine Verlängerung an. |20? ?21| Die umfangreiche „Zeitbuchhaltung“ von Gershuny ermöglicht einen genaueren Blick auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, zumindest bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (Gershuny 2000). Sie beruht auf einer Sammlung quantitativer Zeitstudien aus mehr als zwanzig Ländern mit mehreren Erhebungspunkten. Darin sind beispielsweise die Aktivitäten eines Tages in 35 Kategorien festgehalten. Insgesamt zeigt sich im untersuchten Zeitraum zum einen eine Konvergenz zwischen den industrialisierten Gesellschaften hin zu mehr (Konsum-) Freizeit. Insofern widersprechen Gershunys „objektive“ Daten der verbreiteten Wahrnehmung einer wachsenden „Zeitarmut“ (s. a. Garhammer 1999). Als einen möglichen Grund für diese Diskrepanz nennt Gershuny, dass in eine gegebene Zeiteinheit mehr Aktivitäten gepackt werden und dass die Lebensverläufe fragmentierter werden (dazu auch Hofmeister 2010). Auch werden in Gershunys Daten selbst in den USA und in Kanada schon wieder Gegentrends hin zu einer erneuten Ausweitung der Arbeitszeit sichtbar. Neueste Daten zeigen zudem, dass dies ganz besonders für die unteren Schichten gilt und mit einem teilweise gesundheitsgefährdenden Schlafmangel verbunden ist (Robinson/Martin 2009). Zum anderen ergibt sich auch eine Konvergenz bei den Arbeitsmustern von Männern und Frauen (Abbildung 1). Während Männer (im erwerbsfähigen Alter) in den 90er Jahren im Vergleich zu den 60er Jahren ihre unbezahlte Arbeit ausgeweitet haben, ist das Umgekehrte bei Frauen der Fall. Zu dieser, von Männern jetzt stärker betriebenen, unbezahlten Arbeit zählt zum Beispiel die Kinderbetreuung. Eine weitere Analyse zeigt, dass diese Entwicklung je nach Bildungsschicht unterschiedlich verlief (Abbildung 2). Hatten in den 60er Jahren die formal höher Gebildeten mehr Freizeit, so sind es in den 90er Jahren eher diejenigen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss. Warum diese Umkehrung? Gershuny vermutet, dass mit ihrer wachsenden Verbreitung bloße Freizeit nicht länger ein Statussymbol ist. Sie wurde durch den demonstrativen Konsum teurer Luxusgüter abgelöst. Aber solcher Konsum erfordert nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Hier kann sich ein Widerspruch...


Immerfall, Stefan
Prof. Dr. Stefan Immerfall lehrt an der PH Schwäbisch Gmünd.

Wasner, Barbara
PD Dr. Barbara Wasner lehrt an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.



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