E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Jaffe Diese wilden, wunderbaren Jahre
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8437-1780-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1780-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rona Jaffe wurde 1931 in Brooklyn geboren und blieb lebenslang eine New Yorkerin. 1958 erschien ihr Debütroman 'Das Beste von allem', der lange vor 'Sex and the City' das Leben und die Liebesgeschichten von fünf Freundinnen in New York beschrieben hatte. Rona Jaffe ist Gründerin der nach ihr benannten Stiftung, die jährlich einen Förderpreis an vielversprechende Nachwuchsautorinnen vergibt. Sie starb im Jahre 2005.
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Kapitel eins
Wie so oft wurde Emily um acht von der kalifornischen Sonne geweckt, die in ihr Zimmer schien. Sie drehte sich im breiten Bett um und streckte sich, und dann spürte sie den vertrauten Anflug von Verzweiflung, den sie jeden Morgen verspürte, als wäre sie verlassen worden. Ken war schon wieder aus dem Haus, auf ihn wartete ein interessanter Tag, und er hatte sich nicht einmal verabschiedet. Er nannte das Rücksichtnahme. Er war das Phantom des Hauses, und Emily sollte nach all den Jahren daran gewöhnt sein, aber noch immer lief sie wie ein Kind ans Fenster im Flur, um auf die Auffahrt zu schauen, ob sein kleiner Sportwagen noch dort stand. Das tat er nicht. Nur ihr Mercedes Zweisitzer stand dort, ganz allein. Sie hoffte, dass niemand, der einen Raubüberfall oder Schlimmeres im Sinn hatte, vorbeifuhr und sah, dass jemand ganz allein zu Hause war. Deswegen hatte sie den Kombi auch nicht verkaufen wollen, doch Ken war der Meinung gewesen, es sei albern, ihn zu behalten, jetzt, wo die Kinder ausgezogen waren, und außerdem hatte er jetzt ja Autos kaufen müssen, und keiner von beiden würde sich je in etwas so Spießigem wie einem Kombi blicken lassen.
Aus der Ferne hörte sie die Stimmen der Männer – Mexikaner, Japaner –, die auf den Nachbargrundstücken arbeiteten, und wie jemand eine Hecke beschnitt. Ansonsten war alles still. Ein Vogel krächzte. Ein Wagen fuhr mit einem Affenzahn vorbei; jemand auf dem Weg zur Arbeit. Weit unter ihr, weichgezeichnet im morgendlichen Dunst, sah sie Los Angeles, wo all die anderen Menschen gerade ihren Tag begannen. Sie sollte ihren Tag auch beginnen, ehe Adeline da war, ansonsten hätte sie keinen Augenblick mehr Ruhe.
Zu spät. Brummender Motor, qualmender Auspuff, da war Adelines gewaltiges und uraltes Kabrio, das so tief über der Erde lag wie ein Boot. Der reinste Spritschlucker, wie Adeline es nicht müde wurde, sich bei Emily zu beklagen, obwohl doch Ken für das Benzin bezahlte. Sie hätten ihr den Kombi geben sollen. Aber Ken, der Adeline vergötterte, fand, Emily sei doch verrückt, so etwas zu denken. Warum denn nicht, fragte sie, wo doch andere auch einen Wagen für ihre Haushälterin anschafften, und der Kombi war doch schon alt und nicht mehr viel wert? Ken war explodiert.
Ken, der stets großzügig wie kein anderer gewesen war, hatte bei den merkwürdigsten Dingen Geiz entwickelt. Im einen Moment bestellte er unzählige Kisten des besten, teuersten Weins, weil jemand ihn empfohlen hatte, und im nächsten funkelte er Emily wütend an, weil sie ein Kleid gekauft hatte, was sie ohnehin selten tat, weil sie sich nicht sonderlich für Shopping interessierte. Sie mochte es nicht, wenn Ken sie verrückt nannte – es erinnerte sie an die Zeit, als sie es gewesen war, und sie wünschte, er würde sich etwas anderes einfallen lassen, womit er sie beschimpfen konnte. Er wusste, wie es ihr damit ging, und sie hatte den schrecklichen Verdacht, dass er es mit Absicht tat, was ihm ebenfalls so gar nicht ähnlich sah. Vielleicht konnten sie sich zusammensetzen und darüber sprechen, was hier vor sich ging, wenn sie ihn denn jemals erwischte, wenn er allein war und nicht abgespannt.
Als Emily nach unten kam, saß Adeline beim Frühstück am Küchentisch und las Zeitung. In der Luft hing der Geruch nach gebratenem Speck, wie ein Vorwurf, eine Herausforderung in diesem enthaltsamen Haushalt, in dem es nie dunkles Fleisch gab.
»Guten , meine Liebe!«, trällerte Adeline.
»Guten Morgen, Adeline. Machen Sie sich keine Mühe, ich hole mir selbst etwas, essen Sie nur in Ruhe Ihr Frühstück«, sagte Emily. Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und steckte eine Scheibe kalorienreduziertes Brot in den Toaster. Adeline hatte vor fünf Jahren angefangen, bei ihnen zu arbeiten, und ganz allmählich hatte sie die Macht darüber übernommen, wer was tat. Sie hatte Emily so weit eingeschüchtert, dass sie sich wie eins der Kinder benahm. Adeline war halb Afroamerikanerin, halb amerikanische Ureinwohnerin, massig, starrsinnig und undurchschaubar, und sie wirkte alterslos und gab auch nichts preis, aber Emily musste ihr ihr Gehalt bar auf die Hand geben, damit sie bei ihnen blieb.
Inzwischen kümmerte Adeline sich um sämtliche Mahlzeiten, und Emily bekam eine Einkaufsliste für den Supermarkt in die Hand gedrückt – Emily, die mit Vorliebe gekocht und unzählige Kurse zu sämtlichen Küchen der Welt belegt hatte, wurde nun nur noch an Adelines freien Tagen Zutritt in ihre eigene Küche gewährt. Ken fand, Adeline sei ein Juwel, Kate und Peter ließen sich gern von ihr verwöhnen, Emily konnte sie nicht ausstehen, kam aber inzwischen auch nicht mehr ohne sie zurecht, und niemand konnte je auch nur erahnen, was Adeline dachte.
Die Kinder würden zum Abendessen kommen, und Emily sah schon die lange Einkaufsliste auf dem Küchentresen und dass die Backbleche für die Kekse bereitlagen. Sie wünschte, sie könnte zumindest die Kekse backen. Kekse waren Liebe.
»Sie gehen besser früh los, bevor es bei Gelson’s zu voll wird«, bemerkte Adeline.
Oh Gott, Donnerstag! Coupon-Tag. Der Tag, an dem es die ganzen Anzeigen für Sonderangebote in der Zeitung gab. Adeline hätte sie schon gestern hinschicken sollen … oder sie hätte selbst daran denken und darauf bestehen sollen.
»Vielleicht gehe ich woanders hin«, sagte sie zaghaft.
»Ich mag Gelson’s«, sagte Adeline in einem Ton, der eindeutig besagte, Emily begehe einen großen Fehler. Emily kannte diesen Ton noch aus ihrer Kindheit, wenn sie mit ihrer Mutter Kleidung einkaufen gegangen war. Hatte sie deswegen solche Angst davor, Adelines Wohlwollen zu verlieren, dass es ihr bisweilen vor Beklemmung die Kehle zuschnürte, wenn Adeline nicht einer Meinung mit ihr war? Würde man nicht nach all den Jahren Psychoanalyse annehmen, dass sie das zwanghafte Bedürfnis, es allen recht zu machen, abgelegt hätte? Sie war das brave Kind, die gute Ehefrau, die gute Mutter, und sie war unsichtbar.
»In Ordnung, ich fahre zu Gelson’s.«
Als sie schließlich geduscht und sich die Haare gewaschen, sich angezogen und etwas Make-up aufgelegt hatte – man wusste schließlich nie, ob man jemandem über den Weg lief, der dann erzählte, wie fürchterlich man aussah –, wusste Emily, dass es schon zu spät war. Ewig kurvte sie in der Tiefgarage unter dem riesigen Supermarkt umher, verzweifelt auf der Suche nach einem Parkplatz, und als sie schließlich einen fand, lag er so weit weg, dass er schon zu einem anderen Geschäft gehörte. Dann der endlose Gang durch die Kohlenmonoxid-Abgase all der Autos; Emily versuchte, nicht zu atmen, und war sich nur zu bewusst, dass es ihr doppelt so lang vorkommen würde, wenn sie auf dem Rückweg einen beladenen Einkaufswagen vor sich her schob. Adeline erinnerte sich an alles, was Peter je gern gegessen oder getrunken hatte, und sie hatte alles auf die Liste gesetzt, weil sie ihm ein Carepaket mitgeben wollte. Kate aß nur wenig, weil sie nicht zunehmen wollte, und obwohl sie immer ganz höflich Kekse mit nach Hause nahm, war Emily doch sicher, dass sie sie weiter verschenkte.
Emily tat es beinahe leid, dass ihre beiden Kinder am selben Abend zum Essen kamen, denn wenn sie zusammen waren, schien es ihr, als hätten sie Geheimnisse, in die Ken und sie selbst nicht eingeweiht waren. Die schwer greifbare Kate mit der rauchigen Stimme, deren Blick einen auf Distanz hielt … Emily hatte sich schon oft gefragt, wem, wenn überhaupt jemandem, je Zutritt zu Kates Welt gewährt wurde außer Peter, und sogar bei ihm war sie sich nicht sicher. Peter war ausnahmslos höflich und respektvoll gegenüber seinen Eltern, weil er fand, dass sich das so gehörte. Es hatte kaum etwas mit seinen Gefühlen zu tun. Manchmal fragte Emily sich, ob er überhaupt Gefühle hatte, so tief verborgen waren sie. Er weigerte sich, Angst oder Verletzlichkeit oder auch nur irgendwelche Zweifel zuzugeben. Wenn er etwas fragte, und er fragte viel, dann, weil er etwas lernen wollte. Immer wieder versicherte er einem, dass er so viel wie möglich lernen wolle, damit er Erfolg haben würde. Weder Kate noch Peter berührten ihre Mutter, wenn es sich vermeiden ließ; nie gaben sie ihr einen Kuss. Natürlich ließen sie es zu, dass Emily sie umarmte und küsste, so behandelte man schließlich seine Mutter. Im Umgang miteinander lachten sie und zwinkerten sich zu, klopften sich gegenseitig auf den Rücken und tauschten Blicke aus, die wie in Kurzschrift ein ganzes Leben abdeckten, aus dem andere ausgeschlossen waren. Sie waren wie zwei Kinder, die sich aneinander festklammerten, damit sie nicht untergingen …
Zwei nassglänzende Köpfchen, die auf der Wasseroberfläche wippten. Ein türkisfarbener Pool … nackte gebräunte Ärmchen, die grellorangen Schwimmwesten verstaut im Geräteschrank …
Und eine Mutter, die nicht kam, als Kate schrie …
Emily verbannte die Bilder aus ihren Gedanken und stapfte mit ihrem beladenen Einkaufswagen entschlossen durch die Tiefgarage. Später gäbe es ein köstliches Essen, und sie alle würden einen richtig schönen Abend zusammen verbringen. All das war lange her, damals war Emily selbst fast...