Jenoff | Der Kommandant und das Mädchen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: MIRA Taschenbuch

Jenoff Der Kommandant und das Mädchen


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95576-201-8
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: MIRA Taschenbuch

ISBN: 978-3-95576-201-8
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Krakau 1941: Die Jüdin Emma muss zusehen, wie ihre Eltern über Nacht in das polnische Ghetto verschleppt werden. Ihr Mann Jacob ist bereits im Widerstand untergetaucht. Emma flüchtet sich in das Haus von Jacobs Tante. Aus der Jüdin Emma wird die Katholikin Anna. Bald aber bekommt sie einen heiklen Auftrag: Der deutsche Wehrmachtsoffizier Georg Richwalder findet Gefallen an dem aparten Mädchen, und diese Sympathie soll sich Anna für den Widerstand zunutze machen. Sie nimmt eine Stelle als Sekretärin im Krakauer Hauptquartier der Deutschen an, schmuggelt Passierscheine nach draußen, bespitzelt ihren Kommandanten. Die Ereignisse spitzen sich zu, als Anna merkt, dass sie sich in einen Mann verliebt hat, der ihr Volk, ihren Mann, ihre Eltern, verfolgt und tötet.



Pam Jenoff wurde in Maryland geboren und wuchs in der Nähe von Philadelphia auf. Sie besuchte die George Washington Universität in Washington D.C. und die Cambridge University in England. Während sie ihren Master in Geschichte machte, arbeitete sie als Special Assistant bei der Army im Pentagon. 1996 wurde sie ins U.S. Konsulat in Krakau, Polen versetzt. In dieser Zeit vertiefte Pam Jenoff ihre Kenntnisse in der Polnisch-Jüdischen Geschichte und dem Holocaust. Sie schloss enge Bekanntschaften und Beziehungen zur Jüdischen Gemeinde, während sie in Ämtern arbeitete, die sich mit dem Nachlass von Auschwitzüberlebenden beschäftigte. Sie verließ den 'Foreign Service' 1998 und beendete ein Jura - Studium an der Universität von Pennsylvania. Sie arbeitete mehrere Jahre als Rechtsanwältin in einer Firma in Philadelphia und ist mittlerweile als Dozentin für Recht tätig. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in der Nähe von Philadelphia.

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1. KAPITEL


Als wir den weitläufigen Marktplatz überqueren, auf dem sich Tauben rund um die abgestandenen Pfützen scharen, betrachte ich argwöhnisch den Himmel. Ich greife Lukasz’ Hand noch etwas fester, um den Jungen zur Eile anzutreiben. Ein erster Regentropfen verfängt sich in seinen blonden Locken. Gott sei Dank, dass es wenigstens Locken sind. Ein schneidender Märzwind fegt über den Platz, und obwohl ich meinen abgetragenen Mantel enger um mich ziehen möchte, wage ich es nicht, den Jungen loszulassen.

Wir durchqueren den hohen zentralen Torbogen der ausladenden gelben Tuchhalle, die den Platz in zwei Hälften teilt. Bis zum Markt in Nowy Kleparz, am äußersten nördlichen Rand der Krakówer Innenstadt, sind es noch einige Häuserblocks weit, doch ich merke, wie Lukasz schon jetzt langsamer wird. In seinen kleinen Schuhen mit den dünnen Sohlen schlurft er bei jedem Schritt über das Kopfsteinpflaster. Ich überlege, ihn zu tragen, aber er ist jetzt drei Jahre alt, und jeden Tag wird er ein bisschen schwerer. Hätte ich gut gegessen, dann könnte ich ihn vielleicht auf den Arm nehmen, doch so weiß ich: Meine Kräften würden mich nach wenigen Metern verlassen. Wenn er doch bloß schneller gehen würde. “ Ich flehe ihn im Flüsterton an. “ Er scheint etwas leichtfüßiger zu gehen, als wir uns einen Weg zwischen den Blumenhändlern hindurchbahnen, die im Schatten der Türme der Marienkirche ihre Ware anpreisen.

Augenblicke später erreichen wir die gegenüberliegende Seite des Platzes, und ich spüre unter meinen Füßen ein vertrautes Dröhnen. Ich bleibe stehen. Seit rund einem Jahr habe ich keine Straßenbahn mehr genutzt, und ich stelle mir vor, wie ich Lukasz in die Bahn hebe und mich dann auf einen Sitz sinken lasse, wie ich die Häuser und die Fußgänger vorbeiziehen sehe. Innerhalb von Minuten wären wir am Markt. Innerlich schüttele ich den Kopf. Die Tinte auf unseren neuen Papieren ist kaum getrocknet, und das völlige Erstaunen, das sich bei Lukasz’ allerersten Fahrt in einer Straßenbahn auf seinem Gesicht abzeichnen muss, würde bei den anderen Leuten nur Argwohn wecken. Ich kann unsere Sicherheit nicht dem Wunsch nach etwas Bequemlichkeit opfern, also gehen wir so schnell weiter, wie es möglich ist.

Zwar sage ich mir immer wieder, dass ich den Kopf gesenkt halten und jeglichen Blickkontakt mit den Menschen vermeiden sollte, die an diesem Morgen ihre Einkäufe erledigen. Doch ich kann nicht anders und muss alles in mich aufsaugen. Ein Jahr ist vergangen, seit ich zum letzten Mal die Innenstadt besucht habe. Ich atme tief durch. Die von den noch verbliebenen Schneeresten feuchte Luft ist erfüllt vom Aroma gerösteter Kastanien, die an einem Eckkiosk angeboten werden. Plötzlich beginnt der Trompeter im Kirchturm das Hejnalied zu spielen, eine kurze Melodie, die er zu jeder vollen Stunde über den Platz schickt, um an den Einfall der Tataren in Kraków vor vielen Jahrhunderten zu erinnern. Ich widersetze mich dem Wunsch, mich der Richtung zuzuwenden, aus der die Klänge kommen, die mich wie eine alte Freundin begrüßen.

Als wir uns dem Ende der ulica Florianska nähern, bleibt Lukasz abrupt stehen und umklammert fester meine Hand. Sein Gesicht, das blass ist von den vielen Monaten, die er in verschiedenen Wohnungen versteckt gehalten wurde, wird noch eine Spur fahler. “Was ist los?”, flüstere ich ihm zu, während ich mich neben ihn hocke, aber er reagiert nicht. Ich folge seinem Blick und erkenne, was er so gebannt betrachtet. Zehn Meter von uns entfernt, am Eingang zum mittelalterlichen Florianstor, stehen zwei deutsche Wachposten mit Maschinenpistolen. Lukasz zittert am ganzen Leib. “Ist schon gut, . Es ist alles in Ordnung.” Ich lege meine Arme um seine Schultern, doch nichts kann ihn beruhigen. Seine Augen gehen hin und her, er bewegt den Mund, aber kein Ton kommt über seine Lippen. “Komm her.” Ich hebe ihn hoch, und er vergräbt das Gesicht an meinem Hals. Mein Blick wandert umher, da ich nach einer Seitenstraße Ausschau halte – jedoch vergeblich. Umkehren kann ich nicht, das würde nur Misstrauen wecken. Also hole ich tief Luft und gehe zielstrebig an den Wachposten vorbei, die von uns keinerlei Notiz nehmen. Ein paar Minuten später merke ich, dass der Junge wieder ruhig atmet, und ich setze ihn ab.

Schon bald haben wir den Markt von Nowy Kleparz erreicht. Mir fällt es schwer, meine Begeisterung darüber im Zaum zu halten, dass ich das Haus verlassen habe und wie ein ganz normaler Mensch spazieren und einkaufen gehe. Während wir uns durch die schmalen Gänge an den Ständen vorbei bewegen, höre ich, wie sich die Leute beklagen. Der Kohl ist blass und verwelkt, das Brot hart und trocken. Das wenige angebotene Fleisch ist von unbekannter Herkunft und verströmt bereits einen sonderbaren Geruch. Für die Menschen in den Städten und Dörfern, die die reiche und gute polnische Ernte aus der Zeit vor dem Krieg kennen, sind diese Lebensmittel ein Skandal. Ich dagegen fühle mich so sehr wie im Paradies, dass sich mein Magen verkrampft.

“Zwei Laibe”, sage ich zum Bäcker und halte den Kopf gesenkt, als ich ihm meine Lebensmittelmarken gebe. Ein merkwürdiger Ausdruck huscht über sein Gesicht, aber ich rede mir ein, dass ich mir das nur einbilde. Ich muss Ruhe bewahren. Ich weiß, für einen Fremden sehe ich aus wie eine beliebige Polin. Mein Haar hat einen hellen Farbton, ich spreche die Sprache akzentfrei, und ich trage ein bewusst unauffälliges Kleid. Krysia wählte absichtlich diesen Markt in einem Arbeiterviertel am nördlichen Stadtrand aus, wohl wissend, dass keiner meiner früheren Bekannten zum Einkaufen hierherkommen würde. Es ist von größter Wichtigkeit, dass niemand mich erkennt.

Ich schlendere von Stand zu Stand und gehe im Geiste durch, welche Besorgungen ich machen muss: Mehl, einige Eier, ein Hühnchen, falls es eines geben sollte. Noch nie habe ich Einkaufszettel geschrieben, was mir nun zugutekommt, da Papier so knapp geworden ist. Die Händler sind freundlich, jedoch zurückhaltend. Eineinhalb Jahre nach Kriegsausbruch sind die Lebensmittel knapp geworden, und für ein freundliches Lächeln gibt es kein Stück Käse extra. Auch die großen blauen Augen des Jungen können niemanden zu einer süßen Beigabe verleiten. Nach kurzer Zeit habe ich all unsere Lebensmittelmarken aufgebraucht, trotzdem ist mein Einkaufskorb noch halb leer. Wir machen uns auf den langen Heimweg.

Mir ist noch immer kalt von dem schneidenden Wind auf dem Marktplatz, als ich Lukasz durch Seitenstraßen zurück durch die Stadt führe. Wenige Minuten später biegen wir in die ulica Grodzka ein, eine breite, mit eleganten Geschäften und Häusern gesäumte Hauptstraße. Ich zögere, denn ich hatte gar nicht herkommen wollen. Mir ist, als würde eine zentnerschwere Last auf meine Brust drücken und mir die Luft zum Atmen nehmen. Ganz ruhig, sage ich zu mir. Du kannst das. Es ist eine Straße wie jede andere. Ein paar Meter weit gehe ich, dann bleibe ich wieder stehen. Ich befinde mich vor einem blassgelben Haus mit einer weißen Tür und mit Blumenkästen vor den Fenstern. Mein Blick wandert nach oben zum ersten Stockwerk. Ich fühle einen Kloß im Hals und kann nur mit Mühe schlucken. Denk nicht nach, ermahne ich mich, doch es ist zu spät. Dies hier war Jakubs Haus. Unser Haus.

Ich begegnete Jakub, als ich als Angestellte in der Universitätsbibliothek arbeitete. Es war an einem Freitagnachmittag. Ich erinnere mich noch so genau daran, weil ich mich beeilte, den Katalog auf den neuesten Stand zu bringen, um zeitig zum Schabbes zu Hause zu sein. “Entschuldigen Sie”, hörte ich eine tiefe Stimme neben mir sagen. Verärgert über diese Unterbrechung sah ich von meiner Arbeit auf. Der Mann war von mittlerer Größe, hatte einen kurz geschnittenen Bart und trug eine kleine Jarmulke. Sein braunes Haar war mit rötlichen Sprenkeln durchsetzt. “Können Sie mir ein gutes Buch empfehlen?”

“Ein gutes Buch?” Das unergründliche Dunkel seiner Augen überraschte mich ebenso wie die beiläufige Art seiner Frage.

“Ja, ich würde über das Wochenende gern etwas Leichtes lesen, um mich von meinem Studium abzulenken. Vielleicht die Ilias …”

Unwillkürlich musste ich lachen. “Homer ist für Sie leichte Literatur?”

“Im Vergleich zu Texten über Physik ganz sicher.” Kleine Fältchen bildeten sich an seinen Augenwinkeln. Ich führte ihn in die Literaturabteilung, wo er sich für einen Band mit Shakespeare-Komödien entschied. Meine Hand berührte leicht seine, als ich ihm das Buch gab, und ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich trug das Buch als ausgeliehen ein, doch der Mann hielt sich weiter in der Bibliothek auf. Er verriet mir, er heiße Jakub und sei zwanzig Jahre alt, also zwei Jahre älter als ich.

Von nun an besuchte er mich jeden Tag in der Bibliothek. Schnell erfuhr ich, dass Naturwissenschaften sein Hauptfach war, seine wahre Leidenschaft aber der Politik galt. Er war in verschiedenen Aktivistengruppen tätig und schrieb Artikel für studentische und lokale Zeitungen, die nicht nur der polnischen Regierung gegenüber kritisch waren, sondern auch der – wie er es nannte – “geplanten Vorherrschaft des Deutschen Reichs über seine Nachbarn”. Ich machte mir Sorgen, es könnte gefährlich sein, so offen seine Meinung kundzutun. Während die Juden in meinem Viertel auf den Stufen vor ihren Häusern, vor den Synagogen und in den Geschäften hitzig über die politische Lage und die Welt im Allgemeinen diskutierten, war ich so erzogen worden, mich im Umgang mit anderen Menschen eher bedeckt zu halten. Doch Jakub, Sohn des bekannten Soziologen Maximilian...



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