Jr. | Helligkeit fällt vom Himmel | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

Jr. Helligkeit fällt vom Himmel


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-903061-58-3
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

ISBN: 978-3-903061-58-3
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Novafront zieht an dem entlegenen kleinen Planeten Damiem vorbei und lockt einen bunten Haufen Besucher an: Forscher, Touristen, Heilung Suchende und einen Trupp jugendlicher Pornostars mit ihrem Agenten, der in aufsehenerregender Kulisse einen Film drehen will. Sie alle kommen in dem Gästehaus unter, das von drei Wächtern betrieben wird, die von der Föderation zum Schutz der Bewohner des Planeten abgestellt wurden. Die Dameii sind Wesen von ätherischer Schönheit und mit grauenvoller Vergangenheit. Finster ragt die Vergangenheit in die heiter-erotische Gegenwart und finster scheinen die Absichten einiger der Besucher. Schon bald werden in der kleinen Zwangsgemeinschaft die Masken fallen, wird erneut Gewalt ausbrechen, werden Betrug und Mord, echtes und falsches Heldentum, Schuld und der Drang nach Vergeltung und eine in allem wirkende Liebe und Sehnsucht nach Schönheit in einem großen letzten Gericht enden. James Tiptree Jrs. zweiter und gleichzeitig letzter Roman erscheint erstmals in deutscher Übersetzung und schließt die 10-bändige Werkausgabe ab.

James Tiptree Jr. (1915-1987) ist das männliche Pseudonym von Alice B. Sheldon. Tiptrees geheimnisvolle Identität faszinierte die Fans und gab Anlass zu vielen Spekulationen, freilich glaubten alle, es müsse sich um einen Mann handeln. Die Aufdeckung, noch zu ihren Lebzeiten, war ein Schlag: Diese knappen, harten und frechen Kurzgeschichten, die nur allzu häufig mit dem Tod enden, waren von einer alten Dame mit weißen Federlöckchen verfasst worden. Sie zählt unter Science-Fiction-Fans zu den großen Klassikern, gleich neben Philip K. Dick und Ursula K. Le Guin. Ihre Kurzgeschichten, die sie erst im Alter von einundfünfzig Jahren zu schreiben begann, und von denen einige wohl zu den besten des späten 20. Jahrhunderts gehören, brachten ihr schnell Ruhm und zahlreiche Auszeichnungen ein. Dennoch litt sie ständig unter schweren Depressionen und Todessehnsucht. Nach einem vorab geschlossenen Selbstmordpakt erschießt Sheldon im Alter von einundsiebzig Jahren erst ihren vierundachtzigjährigen Mann und dann sich selbst.
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I

Nova minus 20 Stunden:

Ankunft auf Damiem

Sanft geht die Morgendämmerung in Tageslicht über, das die wunderschöne kleine Welt namens Damiem erhellt. Die Sonne, die man hier Yrrei nennt, ist noch nicht ganz aufgegangen, und der perlenfarbige Zenit ist sternenlos. Damiem liegt am äußersten Rand der Galaxie. Nur zwei Sterne stehen hier am Himmel. Einer prangt groß, komplex und smaragdgrün im Westen, das ist der Murdered Star. Der andere ist ein feuerroter Punkt, der von oben herabsaust.

Der Landeplatz im Vordergrund ist von wilden Blumen überwuchert und wird offenbar nicht oft benutzt.

Unter den Luftschlangenweiden am Rand des Platzes steht ein offener elektrischer Minibus mit einem Anhänger. Auf der vorderen Sitzbank des Busses sitzen drei Menschen, eine Frau und zwei Männer.

Ihre Augen sind auf das landende Schiff gerichtet. Das kleine Tier, das sich leise dem Anhänger nähert, bemerken sie nicht. Es ist ein hübsches, samtviolettes arachnoides Wesen von etwa einem halben Meter Durchmesser. Die Dameii nennen es Avray, was so viel wie Verderben oder Schrecken heißt. Es ist sehr selten und scheu. Im nächsten Moment ist es in oder unter dem Anhänger verschwunden, während die Menschen zu reden anfangen.

»Offenbar schicken sie das große Shuttle runter«, sagt Cory Estreèl. »Ich frage mich, wie viele wir kriegen.«

Sie streckt sich – eine gertenschlanke, glücklich wirkende Frau in der Blüte ihres Lebens mit einem breiten Lächeln und glänzend braunen Haaren. Cory ist Administratorin der Föderation und Wächterin der Dameii und kümmert sich bei Bedarf auch um das kleine Gästehaus. Aus gutem Grund ist Damiem für die Öffentlichkeit nur sehr begrenzt zugänglich.

Neben ihr auf dem Fahrersitz blinzelt Kipruget Korso – allgemein Kip genannt – in den herabsinkenden Feuerstrahl. Er ist stellvertretender Administrator, Verbindungsmann der Dameii und Corys Gefährte.

Corys braune Augen bewegen sich zur Seite und sie lächelt ihn an. Kip ist der attraktivste Mann, den sie je gesehen hat, und er scheint sich dessen kaum bewusst zu sein.

Er ist ein paar Jahre jünger als sie und vereint alle Merkmale eines Models für eine Raumfahrt-Rekrutierungskampagne in sich – groß, schlank, ein gebräuntes, scharf geschnittenes Gesicht mit heiteren grauen Augen, die Ehrlichkeit ausstrahlen, ein freundliches, breites Grinsen und ein Schopf schwarzer Locken. Als sie sich kennenlernten, hatte sie ihn zunächst für einen Aufschneider gehalten. Das war während der letzten Demob vor mehr als zehn Jahren. Sie hatte sich nach einer Stelle bei der Föderation auf einem unbewohnten Planeten umgesehen, und Kip ebenfalls, wie sich herausstellte. Als dieses unfassbare Exemplar zu ihrem Stellvertreter ernannt wurde, war sie leicht verwundert gewesen, bis andere Raumfahrer sie über seine Kriegsvergangenheit aufklärten.

Und dann stellte sich auch noch heraus, dass sie beide auf der Suche nach ihrem jeweiligen Gegenstück gewesen waren. In ihrem ersten Jahr auf Damiem hatten sie sich zu Gefährten erklärt. Vor ein paar Jahren war ihr zweites Jahr als Gefährten zu Ende gegangen, aber sie hatten einfach so weitergelebt, hier draußen, hundert Licht-Minimen von der nächsten FedBase entfernt.

Während sie Kip ansieht, wird Corys Lächeln breiter. Die Aussicht auf Besuch hat ihn dazu veranlasst, frische Kleidung herauszusuchen: eine ausgeblichene weiße Entdeckeruniform und ein zinnoberrotes Halstuch. Es wäre reinster Mord, wenn ihre Besucher für solche Reize empfänglich wären, denkt sie. Aber sie sollte besser nichts sagen, nicht solange sie selbst Shorts trägt, die ihre wohlgeformten Beine zeigen. Sie hat sich des armen Bram wegen bisher verboten, sie zu tragen.

Während sie in Damiems sanfter, duftender Luft warten, stiehlt sich Corys Hand in die ihres Gefährten. Aber sie zieht sie zurück, als sie an den Mann denkt, der traurig an ihrer Seite sitzt und sich so steif hält, dass der Minibus bebt.

Doktor Balthasar Baramji ap Bye – Baram oder Bram für seine Freunde – ist Leitender Xenopathologe und Medizinischer Wächter der Dameii. Er ist ein paar Jahre älter als Cory, ein schlanker, vorzeitig weiß gewordener Mann mit bronzefarbener Haut und leuchtend türkisfarbenen Augen. Jetzt starrt er mit grimmigem, durchdringendem Blick auf das landende Shuttle.

»Bist du sicher, dass es die Große ist, Cor?«, fragt er.

»Völlig«, versichert sie ihm freundlich.

Kip grunzt bestätigend. »Sie haben ungefähr eine halbe Minime zu früh die Bremsraketen gezündet. Und diese rötliche Färbung der Abgase deutet auf eine übergroße Ablationsabschirmung hin. Hierher kommen nur welche mit alten Raketenantrieben. Die verbrennen alles. Ich hoffe nur, unsere Dameii beschließen nicht, abzuhauen.«

»Hier, nimm die Brille, Bram.« Cory glaubt, dass es hilft, wenn er rasch Gewissheit hat.

Baramji leidet an keiner Krankheit, nur an den Bedürfnissen, die jeden kräftigen Mann, der zölibatär mit einem glücklichen Paar leben muss, befallen können. Seine Gefährtin ist vor Jahren im Weltraum umgekommen und eine Zeit lang hatte Damiem ihm geholfen. Aber sein Herz ist wieder geheilt und das erzwungen enthaltsame Leben quält ihn inzwischen.

Eines Abends war Cory das ganze Ausmaß seines Unglücks bewusst geworden, als Kip ins Ferne Dorf unterwegs war. Baram war zu ihr getreten, Schamesröte im Gesicht.

»Es ist gegen den Kodex, Cor, ich weiß. Ich weiß. Bitte, vergib mir. Ich bin sicher, dass du das nie gemeint hast – aber manchmal glaube, träume ich – und ich muss sicher sein. Oh Cor, Cory, du Bezaubernde – wenn du wüsstest …«

Und er war verstummt, das Herz in den wunderbaren Augen und die Fäuste in den Achseln wie ein Kind, das sich zurückhalten muss, etwas anzufassen.

Sämtliche Freundschaftsgefühle drängten sie, ihm Erleichterung zu verschaffen, sie liebte Baram inniglich wie einen Bruder. Aber sie sah die Probleme voraus, die folgen würden, die unvermeidliche Wiederkehr dieser Situation, die Unaufrichtigkeit in der Gruppe.

Schlimmer noch: Bei einem Mann wie Baram könnte Erleichterung mit beängstigender Geschwindigkeit zu wahrer Liebe führen und sie alle verletzen. Tatsächlich fürchten sie und Kip, dass Brams Grundproblem nicht in seinen Lenden sitzt, sondern in seinem Herzen, das er mit Freundschaft und den Dameii zu füllen versucht.

Daher verweigerte sie sich ihm und musste dabei fast weinen. Später wollte er ihr dafür danken.

Und jetzt warten sie auf eine vermutlich größere Menge von Touristen. Hinter diesem wachsenden Feuerstrahl müsste doch eine verfügbare, freie Frau für Baram zu finden sein! Als das letzte Mal eine Tour gekommen war, die den Stern vorüberziehen sehen wollte, war Bram nicht so verzweifelt gewesen. Dieses Mal, so vermutet Cory, hätte auch ein weibliches Reptil seinen Reiz.

Cory starrt nach oben und ihr Blick wandert unwillkürlich zu dem riesigen grünen Wirbel des Murdered Star, den sie sonst meidet. Es ist eigentlich kein Stern, sondern die letzte Explosionshülle um das Loch, wo der Stern einmal gewesen ist. Man nennt es immer noch Stern, weil es jahrzehntelang als sternenähnlicher grüner Feuerpunkt erschien, der beinahe allein in dem leersten Quadranten am Rim-Himmel von Damiem leuchtete.

Dabei ist es eine Novafront, die sich Damiem mit enormer Geschwindigkeit annähert und beim Näherkommen immer größer wird. Im Laufe der letzten Jahre ist sie von einem Punkt auf Edelsteingröße angeschwollen und jetzt ist sie ein riesiger Lichtkomplex, der über den halben Himmel ausfranst. Zwei äußere Novahüllen haben sich schon ausgedehnt und sind über Damiem hinweggezogen und haben dabei furchterregende Lichterscheinungen hervorgerufen, aber kaum eine Gefahr dargestellt. Das nun ist die letzte, die innerste Hülle. Wenn sie heute Nacht aufsteigt, wird die Scheitelzone über ihnen sein – und in der nächsten Nacht werden die letzten Reste an ihnen vorbeigezogen und für alle Zeiten verschwunden sein.

Das ist nur von Damiem aus zu sehen. Sobald die Hüllen sich auf andere Welten ausgedehnt haben, werden sie so schwach sein, dass sie mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen sind.

»Hey«, sagt Kip, der Corys Blick folgt, »das Ding ist ganz schön schnell unterwegs. Und es ist auch anders als das letzte Mal. Da könnte eine Riesenshow auf uns warten.«

»Hoffentlich«, sagt Cory abwesend. »Ganz schön peinlich, wenn so viele Leute von so weit kommen, um eine Novahülle passieren zu sehen – und dann sind es nur ein paar hübsche Lichter.«

»Und ein Zeitgestöber«, sagt Baram unvermittelt, »das habe ich noch nie mitbekommen.«

»Stimmt, du warst unter der Abschirmung.«

»Mit fünfzehn schwangeren Dameii.«

»Ja.« Sie kichert. »Aber wie gesagt, die sind eigentlich nichts Aufregendes, Bram – ein, zwei Minimen fühlt man sich nur irgendwie zäh. Allerdings läuft das nicht in Echtzeit.«

»Aber jetzt kommt das Herz. Der Kern«, sagt Kip hoffnungsvoll. »Da muss irgendetwas passieren.«

Als Cory aufsieht, werden ihre Lippen schmal. Wieder dieses verfluchte Trugbild. Es besteht aus vier haarfeinen Rissen, die aus den vier Ecken des Horizonts heranrasen und in dem Stern zusammentreffen und ein sehr feines schwarzes Kreuz am Himmel bilden. Sie ist die Einzige, die das je sieht, und froh macht es sie nicht. Sie blinzelt heftig und das Trugbild verschwindet. Morgen wird es für immer verschwunden sein.

Von dem Shuttle ist jetzt etwas zu hören – ein anschwellendes Heulen, das von einem fernen Überschallknall...


James Tiptree Jr. (1915-1987) ist das männliche Pseudonym von Alice B. Sheldon. Tiptrees geheimnisvolle Identität faszinierte die Fans und gab Anlass zu vielen Spekulationen, freilich glaubten alle, es müsse sich um einen Mann handeln. Die Aufdeckung, noch zu ihren Lebzeiten, war ein Schlag: Diese knappen, harten und frechen Kurzgeschichten, die nur allzu häufig mit dem Tod enden, waren von einer alten Dame mit weißen Federlöckchen verfasst worden.
Sie zählt unter Science-Fiction-Fans zu den großen Klassikern, gleich neben Philip K. Dick und Ursula K. Le Guin. Ihre Kurzgeschichten, die sie erst im Alter von einundfünfzig Jahren zu schreiben begann, und von denen einige wohl zu den besten des späten 20. Jahrhunderts gehören, brachten ihr schnell Ruhm und zahlreiche Auszeichnungen ein.
Dennoch litt sie ständig unter schweren Depressionen und Todessehnsucht. Nach einem vorab geschlossenen Selbstmordpakt erschießt Sheldon im Alter von einundsiebzig Jahren erst ihren vierundachtzigjährigen Mann und dann sich selbst.



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