Kaltenbrunner / Jakubowski | Die Stadt der Zukunft | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Kaltenbrunner / Jakubowski Die Stadt der Zukunft

Wie wir leben wollen

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-8412-1604-5
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Städte zeigen unsere Sehnsüchte und unsere Zerrissenheit wie durch ein Brennglas. Auf engstem Raum treffen sich Menschen und Ideen, existieren die mannigfachsten Lebensstile nebeneinander. Jung oder alt, modern oder traditionell – die Stadt ist ein soziokulturelles System, in dem sich die Themen unserer Zeit spiegeln: Von Gentrifizierung, Migration, Verödung der Innenstädte bis zum urban gardening, weltweitem Bauboom und den Auswirkungen des globalen Klimawandels. Das Stadtleben motiviert, es polarisiert aber auch. Wie sieht sie aus, die Stadt von Morgen? Wie werden wir in und mit ihr leben? Das Autorenduo zeichnet ein spannendes Mosaik der Stadt und ruft dazu auf, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.
„Es gibt kein Leben, in dem nicht eine Stadt eine Rolle spielt.“ Karen Blixen.
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Einleitung
»Es gibt kein Leben, in dem nicht eine Stadt eine Rolle spielt«, notierte die Schriftstellerin Karen Blixen, »und es macht wenig aus, ob man ihr wohl oder übel gesinnt ist, sie zieht die Gedanken an sich nach einem geistigen Gesetz der Schwere.« Wir halten diesen im Roman Jenseits von Afrika versteckten Satz für so hellsichtig wie maßgebend. Tatsächlich ist die Stadt der Seismograph einer Gesellschaft. Ob nun Babylon, als das Symbol der Sprachverwirrung und der uneinholbaren Perspektivendifferenz, oder das himmlische Jerusalem als der Ort, an dem die Einheit der Verheißung gestiftet wird: Stets waren es Städte, in denen die entscheidenden Entwicklungen ihren Ausgang hatten und auch kumulierten. Folgerichtig ist der Weltengang bis heute durch das ewige Ringen um eine stadtnahe Gesellschaft bestimmt – wo schon im Begriff des Politischen das Städtische der polis unverrückbar im Mittelpunkt steht. Insofern offenbaren sich Städte als Laboratorien der Moderne, als die Orte, an denen sich die funktional ausdifferenzierten Zentren der Gesellschaft – Ökonomie, Politik, Recht, Religion, Bildung, Kunst und Wissenschaft – begegnen und aufeinander bezogen werden. In städtischen Räumen verdichten sich also gesellschaftliche Strukturen, Differenzierungen und Routinen an einem Ort. Und ja, letztlich sind Städte auch Orte, an denen sich dem sensiblen Beobachter in amüsanten, verwirrenden und lyrischen Episoden ein ganz eigener Blick auf das Leben eröffnet. Hier spielt die Musik des Zufalls eine leise wie unverzichtbare Hauptrolle, wie sie Paul Auster in seinem breiten schriftstellerischen Wirken kunstvoll arrangiert. »Die [mit der Stadt] verbundenen Erscheinungen sind Zufall, Gleichzeitigkeit, Bilokation und andere Dinge, die das Metaphysische streifen, aber man denkt dabei auch an Chiffren, Spiele, Aufführungen, spontane Darbietungen auf dem Bürgersteig – die Insiderscherze der Großstadt. Scheinbar zufällige Elemente sind wie durch Tunnel oder Gassen miteinander verbunden.«1 So entstehen fernab jeder Theorie und Planung urbane Wirklichkeiten und Gefühlslagen, die das Menschsein immer wieder aufs Neue mit der Stadt verbinden. Kultur und Unkultur, das Seelenleben ganzer Völker ebenso wie Wunden und Rehabilitationen machen wir häufig an den Namen von Orten fest. Wie die große Historie lassen sich aber auch Familiengeschichten und Einzelschicksale mit den Städten der Welt verbinden. Die europäische Stadt – Abbild von Errungenschaften ohnegleichen, aber auch von Irrungen und Wirrungen des Kontinents: Athen, Rom, London, Paris, Madrid, Lissabon, Wien, Budapest, Moskau, Warschau, Prag. Chemnitz, Karl-Marx-Stadt und dann wieder Chemnitz. Sankt Petersburg, Leningrad, wieder Sankt Petersburg. Oder das schillernde Venedig – La Serenissima. Konstantinopel, seit 1876 Istanbul, gegründet 660 v. Chr. – Stadt auf zwei Kontinenten. Ferne Städte, zu denen wir hier im Westen eine hochemotionale, zugleich kaum sachkundige Verbindung spüren – Hiroshima, Nagasaki, Fukushima. New York vor und nach 9/11, New Orleans oder, räumlich näher, Srebrenica, Aleppo. Schon diese Aufzählung macht deutlich, dass wir das Leben in den Städten nicht mehr als rein lokales oder regionales Problem begreifen dürfen. Die Großstädte sind die Zentren der globalen Wirtschaft. Zugleich rückt im Stadtdiskurs der jüngeren Zeit die Rolle der Migration in den Fokus. Weltweit sind Millionen Menschen auf grenzüberschreitender Wanderung, eine Zahl, die von den Massen der Binnenwanderer noch weit übertroffen wird. In den Entwicklungsländern schreitet die Urbanisierung so rasch voran, dass sich die Zahl der Megastädte mit mehr als fünf Millionen Einwohnern in Afrika, Asien und Lateinamerika dramatisch erhöht hat. Das tatsächliche Drama der Urbanisierung findet in den Entwicklungen in Europa kaum Anknüpfungspunkte, wenngleich die Globalisierung die für uns so gemütliche Trennung von Wohlstand und Armut und Sicherheit und Krieg bzw. Terror längst aufgehoben hat.2 Deshalb kann man behaupten, dass die Städte hierzulande – all ihren Problemen zum Trotz – nach wie vor Geschöpfe ziviler Prosperität sind. Sie markieren auf je eigene Weise so etwas wie Mitte: Zwischen einem staatlichen chinesischen Hochgeschwindigkeitsurbanismus, der mit Hilfe westlicher Stararchitekten ganze Städte vom Reißbrett weg baut, auf der einen und auf der anderen Seite den megalomanen Armutswucherungen der Dritten Welt. Beispielsweise in Dakar, Jakarta, Lagos, Kairo und teilweise in São Paulo. Hier stoßen Slum und Gated Community unvermittelt aufeinander. Direkt neben den Wellblechhütten der Favelas, in denen ein einfacher Wasserhahn fehlt, ragen Bauten mit Luxusappartements empor, deren Balkone Swimmingpools beherbergen. Doch auch viele unserer alten, traditionellen Großstädte stehen vor neuen Wachstumsschüben – und ihre Bewohner vor altbekannten Kalamitäten. In Frankfurt, Köln, München oder Berlin wühlt das derzeitige Baufieber den gegelten Glanz vieler zwischenzeitlich zur Ruhe gekommener Stadtviertel auf. Es gibt wieder Landschaften von Baustellen und halbfertigen Häusern. Erneut erleben wir diesen Staubgeruch, dieses Gewimmel von winzigen behelmten Gestalten. Und wir sind einem Baulärm ausgesetzt, den alles andere als smarte Maschinen wie Bagger, Kräne und Presslufthämmer durch die Straßen treiben. Die Stadtbewohner ächzen unter diesen Wachstumsschmerzen und möchten lieber nichts von der neuen Stadtlust wissen. Und zugleich sprechen Planer und Stadtpolitiker vom Sexappeal einer »Renaissance der Städte«. Neben dieser Entwicklungswucht existieren freilich auch andere Naturen von Stadt, die fern des großen Trubels Menschen Heimat sind, manchmal still und vergessen scheinen, mitunter jedoch im Brennpunkt auftauchen und ganz andere Geschichten erzählen können. Letztere werden im Fachjargon oft allzu abschätzig als schrumpfende Städte bezeichnet. Wie viel Geschichte, Schweiß, Stolz und Hoffnung, aber auch Erschöpfung und Enttäuschung verbindet man mit dem Kohle- und Stahlrevier in Nordrhein-Westfalen, mit dem »Ruhrpott«, in dem heute über fünf Millionen Menschen in allein zehn kreisfreien Städten leben. Vieles hier machte sich lange an einer Kohle- und Stahlromantik fest. Der Pulk an Städten war lange eng mit stolzen Zechennamen verknüpft. Hamm (Zechen Maximilian, Heinrich Robert oder Radbod), Lünen (Zechen Victoria, Preußen oder Minister Achenbach), Herne (Shamrock, Königsgrube oder Mont Cenis). Und größer dann und zwischenzeitlich mächtiger die Städte Dortmund, Bochum (die Blume im Revier), Essen oder Gelsenkirchen. Städte mögen aus der Ferne jeweils wie ein festes Gefüge wirken, sie sind aber dynamischen Herausforderungen ausgesetzt: Eingebettet in ein weltumspannendes Wirtschaften, konfrontiert mit Klimawandel und demographischem Wandel, mit Migrationsströmen, mit sozialer Polarisierung, mit enger werdenden finanziellen Handlungsspielräumen, regional zudem unterschiedlichsten Veränderungsprozessen ausgesetzt. Wie die Städte damit umgehen, wie sie darauf reagieren, das wird zudem durch vielerlei Rahmenbedingungen limitiert: »Von oben« begrenzen oder verändern etwa übergeordnete politische Ebenen durch Zuweisung von Aufgaben oder durch Vorgaben der Leistungserbringung die Möglichkeiten der lokalen Gestaltung. »Von unten« sind es beispielsweise steigende Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger in Hinblick auf Beteiligung und Teilhabe, die die Kultur lokaler Politik verändern. Und schließlich impliziert jede neue Weichenstellung auch neue Unsicherheiten. Dennoch – oder gerade deshalb – gilt jener Satz, der John F. Kennedy zugeschrieben wird, noch immer: »Wenn wir unsere Städte vernachlässigen, bringen wir die Nation in Gefahr.« Die Erwartungen, mit denen Stadträume und Häuser benutzt werden, sind wichtiger als die äußere Form. Deren Fassaden darf man auch als eine Art Vexierspiel deuten: Sie lassen nur wenig ahnen, was darin und darum herum passiert. Diese Fähigkeit, überaus präsent und zugleich unsichtbar zu sein, scheint eine grundlegende Eigenschaft von Stadt zu sein. Selbst der jüngste Bauboom, wie hier in London, ändert daran nichts. Die Zukunft liegt in der Stadt. Doch die Stadt gibt es nicht. Und auch eine einzelne Stadt, herausgepickt aus dem schier unendlichen Universum von Städten, ist alles andere als ein fixiertes, starres System aus Bauten, Bewohnern und Verbindungsadern. Stadt besteht aus vielschichtigen, uneindeutigen Assoziationen, Erinnerungen und Ideen, aus Verwicklungen, Tragödien ebenso wie ungeheuren Energien und oftmals irrationalen und unauflösbaren Widersprüchen – im Planen, im Bauen und vor allem im Mit- und Gegeneinander der Stadtmenschen. Die kumulierte Geschichte einer Stadt macht sie zu dem, was wir ihr von außen beimessen, bestimmt ihre Aura und Attraktivität, ihre Gegenwart und tendenziell auch ihre Zukunft. Und natürlich können wir, kann die Stadt selbst nicht sicher sein, dass sich ihr Bild stetig und konsistent entwickelt. So ist das Berlin um 1870 ein ganz anderes als das der 1920er Jahre. Wir haben eine deutsche Hauptstadt nach 1933, eine weitere vom Mai 1945 in unserem kollektiven Gedächtnis gespeichert. Dann gibt es die Metropole, auf die Wim Wenders in seinem Film »Himmel über Berlin« Bruno Ganz und Otto Sander hat schauen lassen. Wir erinnern uns an die beiden Teilstädte zwischen dem 13. August 1961 und dem 9. November 1989. Und das heutige Berlin dürfte allen ein Begriff sein – in dem alle möglichen Facetten der...


Jakubowski, Peter

Peter Jakubowski, Volkswirt mit Hang zur Stadtforschung, hingegen ist Urbanität schon in die Wiege gelegt worden: zunächst in der Ruhrmetropole Dortmund, dann weiter verfeinert in Düsseldorf. Er ist promoviert und arbeitet in leitender Funktion beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.  

Kaltenbrunner, Robert

Robert Kaltenbrunner, Architekt und Stadtplaner, hat es einst aus der tiefsten ostbayrischen Provinz nach Berlin verschlagen, wo er das Großstadtleben mühsam, aber von der Pike auf lernen musste. Er schreibt regelmäßig zu Architektur- und Stadtthemen, u. a. für die Frankfurter Allgemeine und die Neue Zürcher Zeitung. Er ist promoviert und arbeitet in leitender Funktion beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.


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