E-Book, Deutsch, Band 70, 120 Seiten
Reihe: Edition Gegenwind
Karger / Beyerlein / Schlüter SchreibLese
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-66465-4
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ansichten - Absichten - Einsichten
E-Book, Deutsch, Band 70, 120 Seiten
Reihe: Edition Gegenwind
ISBN: 978-3-347-66465-4
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ulrich Karger, geb. 1957 in Berchtesgaden, lebt in Berlin. Seine Buchveröffentlichungen richten sich an Kinder und Erwachsene. Eines seiner erfolgreichsten Werke ist "Homer: Die Odyssee", eine vollständige Nacherzählung der Homerschen Odyssee als Jugendbuch. Sein Bilderbuchtext zu "Geisterstunde im Kindergarten" wurde in fünf Sprachen übersetzt. Daneben ist er Begründer der Edition Gegenwind (www.edition-gegenwind.de) und schreibt zudem seit 1985 als Freier Mitarbeiter Rezensionen, seit 1995 hauptsächlich für den Berliner Tagesspiegel. Mehr über den Autor und seine Veröffentlichungen unter: ulrich-karger.de
Autoren/Hrsg.
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DIE WELT DER BILDER DIE WELT DER SPRACHE
EINE WANDERUNG ZWISCHEN WELTEN VON MANFRED SCHLÜTER
Das Blatt Papier, noch unbeschrieben,
wäre gern so weiß geblieben,
geriet jedoch in meine Hände -
und mit der Weißheit war’s zu Ende.
Diese vier Zeilen (geschrieben in den 1990er Jah-ren) könnten als Motto über meinem Leben stehen. Schon früh war ich in der Welt der Bil-der zu Hause. Hab mit Stiften, Pinseln und Farben dem Papier das Weiß geraubt, hab mich in den Kunstbüchern meines Vaters verloren, in den Werken von Rembrandt, Leonardo da Vinci und anderen. Manche Bilder wurden begleitet. Von Geschichten, Gedichten. Ich sehe mich auf dem Schoß meines Opas, hab noch das schwere rote Buch vor Augen und höre die Verse von Wilhelm Busch: Max und Moritz, Fipps der Affe, Hans Huckebein, Maler Klecksel …
Das Lesen fiel mir anfangs schwer. Ich liebte Tim und Struppi, Fix und Foxi, Micky Maus und Donald Duck. Diese Bildergeschichten haben mir geholfen, mich mit Buchsta-ben, Wörtern, Sätzen anzufreunden. Später kam ich ohne Bilder aus. War mit Winnetou und Kara ben Nemsi unter-wegs. Hab Moby Dick gelesen, Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Allerdings nur jene für die Jugend gekürzten Ausga-ben, wie mir Jahrzehnte später bewusst wurde, als ich die wahren Texte verschlang.
Ich wollte Maler werden, freier Künstler. Eigentlich. Stu-dierte aber Grafik-Design. Werbegrafik. In Hamburg. Besuchte damals - in den 1970er Jahren - immer wieder die großen Bibliotheken der Stadt und lieh Kunstbücher aus. War von Max Ernst fasziniert, von René Magritte und Salvador Dali, von Paul Klee und Pablo Picasso. Von den Surrealisten.
Nicht wenige dieser Künstler waren auch schriftstelle-risch tätig. Oder fanden Bildtitel, die literarisch anmuten. Ich denke - beispielsweise - an „Die Zwitscher-Maschine“ von Paul Klee. An die „Rückkehr der schönen Gärtnerin“ oder „Sie sind zu lange im Wald geblieben“ von Max Ernst. Er, der große Maler, Grafiker und Bildhauer, „schrieb“ auch Romane. Mit der Schere und den Mitteln der Colla-ge: „La femme 100 têtes“, „Une semaine de bonté“. Und Pablo Picasso war nicht nur ein besessener und vielseitiger Bil-dender Künstler, er verfasste zudem Gedichte und trat als Dramatiker in Erscheinung. „Le Désir attrapé par la queue“, eines seiner Stücke, wurde von Paul Celan ins Deutsche übertragen: „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“. Durch die Auseinandersetzung mit Leben und Werk von Max Ernst entdeckte ich schließlich Paul Éluard, den französischen Lyriker und Freund von Dadamax. In seinen Gedichtbänden - „Hauptstadt der Schmerzen“ (Karl H. Henssel Verlag, 1983) und „Schwestern der Hoffnung“ (dtv 1973) - hab ich eine Zeit lang nach Titeln für meine Bilder gesucht:
Ohne den steinernen Schlaf zu verlassen
Und dein Leib geht schneller als deine Gedanken
Die Texte von Paul Éluard haben mich in die Welt der Gedichte gelockt. Haben mich irgendwann selbst Ge-dichte schreiben lassen, die ich meinen Bildern als Titel an die Seite gestellt habe. Ein Beispiel:
Wenn in sterbenden Wäldern
der Dunst des neuen Tages sich verfängt
und im Wirrwarr der Zweige die Zukunft verdorrt,
wenn die letzten Strahlen einer fremden Sonne
zu Boden schmelzen und dort blutrote Pfützen bilden,
wenn in euren Bäuchen alles Leben erstickt,
wenn alles zu stürzen beginnt,
dann wecke mich! -
Wird die Nacht jemals die Wunden des Tages
heilen können?
Einem anderen Werk hab ich folgenden Titel geschenkt:
… wird ein warmer Regen all das Gift aus deinen Wunden spülen
Der Dichter Christian Saalberg (1926-2006) schrieb mir am 4. Dezember 1979: „Es ist ein Bild, worin man sich ver-lieren kann, wie überhaupt Ihre Bilder ein Wald sind, den man leicht betreten kann, dann aber nur schwer wieder herausfindet.“
Und er fragte, ob er es als Covermotiv für seinen neuen Gedichtband nutzen dürfe: „Königin der Schrecken“ (Glock und Lutz Verlag 1980). In einem der darin enthaltenen Texte hat er mit meinem Bildtitel gespielt. „Ihr schöner Vers hat mich inspiriert und ist ins Wuchern geraten.“ Später schrieb er mir ins Buch: „Für Manfred Schlüter, dem ich die schöne Zeichnung und den schönsten Vers (S. 16) verdanke!“
Etwa zeitgleich - ich war mittlerweile als freiberuflicher Werbegrafiker tätig - fasste ich den Entschluss, mich von dieser ungeliebten Brotarbeit zu verabschieden. Ich brachte meine Schreibmaschine zum Glühen und schick-te Bewerbungen in die Welt. Mein Traum war es, Buch-umschläge zu gestalten, vielleicht die eine oder andere Il-lustration zu fertigen. Von den fünfzig angeschriebenen Verlagen haben fünfzehn geantwortet. Immerhin. Sachlich, freundlich, ablehnend. Und nun?
Ende der 1970er Jahre kam es zu einer folgenschweren Begegnung. Ich lernte Boy Lornsen (1922-1995) kennen, den Schöpfer von „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“. Zufällig.
Er hat mir die Tür zur Bücherwelt weit aufgestoßen. Hat den Stuttgarter Thienemann Verlag auf mich auf-merksam gemacht. Ich durfte eine Übersetzung aus dem Finnischen illustrieren: „König Tulle“ von Irmelin Sand-mann Lilius (Thienemann Verlag 1980). Mein erstes Buch mit eigenen Illustrationen!
Und dann begann eine intensive Zusammenarbeit mit Boy Lornsen. Boy schrieb damals an seinem Störtebeker-Roman. Wir trafen uns häufiger. Er erzählte und las vor. Mit dieser Stimme, die sich anhörte, wie wenn der starke Ast eines Baumes im Sturmwind knarrte.
Ein wütender Wind kämmte die Baltische See. Von Westen her kam er, hetzte seine Wellenhunde nach Osten zu, daß denen der Schaumgeifer vor den Mäulern stand.
Mit den Wolken trieb er Schindluder, mal jagte er sie zuhauf, mal scheuchte er sie auseinander, bis ihnen das Fell in Fetzen davonstob.
Was für eine Sprache! So bildhaft. Zupackend. Ich war fasziniert. Irgendwann war seine Geschichte auch meine Geschichte. Ich fertigte Skizzen und Entwürfe, Illustrati-onen wuchsen, immer waren wir im Gespräch. Und schließlich war es da, das zweite Buch mit Bildern aus meiner Hand: „Gottes Freund und aller Welt Feind“ (Thiene-mann Verlag 1980). Es folgten weitere gemeinsame Bü-cher. Bis in die 1990er Jahre hinein. In der Zusammen-arbeit mit Boy hab ich ungeheuer viel gelernt. Auch als Mensch.
Als Boy an seinem Störtebeker arbeitete, hat er mich mit Hansjörg Weitbrecht, dem damaligen Thienemann-Verle-ger, besucht. Der sah meine freien Arbeiten und konnte sich ein großformatiges Buch mit meinen Illustrationen vorstellen. Ein Bilderbuch! Hohoho! Und tatsächlich kam eines Tages der Münchener Bilderbuch-Lektor Gangolf Rost mit dem Flieger nach Hamburg, mit dem Leihwagen in unser Dorf, schaute sich um und fragte, ob ich selbst für Kinder schreiben würde.
Das traute ich mich damals nicht.
Wessen Texte ich denn gut fände, wollte er dann wis-sen. Nun, ich las gerade Michael Endes „Momo“ und nannte den Namen des Verfassers. Einige Wochen später flatterten drei Texte von Michael Ende (1929-1995) in den Postkasten. Und in den Folgejahren kamen drei Bil-derbücher in die Welt: „Der Lindwurm und der Schmetterling“ (1981), „Tranquilla Trampeltreu, die beharrliche Schildkröte“ (1982), „Norbert Nackendick, das nackte Nashorn“ (1984).
Ich hab deren Schöpfer erst kennengelernt, als unsere Bücher bereits erschienen waren. Im Rahmen seiner Le-sereise mit „Der Spiegel im Spiegel“ (Edition Weitbrecht 1983) war er in Heide zu Gast. Ich erinnere mich an den Abend, an die Nacht im Hotel. Das Buchhändlerehepaar hatte sich irgendwann verabschiedet, und im Restaurant wurden die Stühle hochgestellt. Aber die Minibar im Zimmer des Meisters war gut gefüllt. Und dann hockten wir auf Stuhl und Bettkante und erzählten.
Er lebte damals in Italien und schwärmte von Genzano di Roma und ich von Hillgroven, jenem Dorf, in dem ich heute noch lebe. Seit über vierzig Jahren schon. Michael Ende, Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende (1901-1965). Auch jemand, der in verschiedenen Welten zu Hause war. Ein Schauspieler, der irgendwann zu schreiben begann und eines seiner Bücher - „Momo“ nämlich - selbst illustriert hat.
Zehn Jahre lang hab ich ausschließlich illustriert. Ge-schichten von Michael Ende, Boy Lornsen, Achim Bröger, Jürgen Banscherus, Knister, Willi...