Karl | "Ich brauche einen Liebhaber, der mich am Denken hindert" | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Karl "Ich brauche einen Liebhaber, der mich am Denken hindert"

Katherine Mansfield. Eine Biografie
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-641-26010-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Katherine Mansfield. Eine Biografie

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-641-26010-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das unangepasste Bohèmienne-Leben und der tragische Tod von Katherine Mansfield - Die neue große Biografie von Bestsellerautorin Michaela Karl

Heute von Leser*innen weltweit verehrt, war Katherine Mansfield (1888-1923) zu ihren Lebzeiten vor allem eins: unbeliebt. Anfang des 20. Jahrhunderts kommt die gebürtige Neuseeländerin nach London, mit dem Ziel, eine berühmte Schriftstellerin zu werden. Im Dunstkreis der legendären Bloomsbury Group sorgt sie für Furore – und Ärger. Virginia Woolf & Co empfinden sie als »literarische Unterwelt«, sie selbst hält sich für ein Genie. Gesegnet mit Kreativität, Talent und Humor schafft sie in kürzester Zeit ein herausragendes Werk und kämpft zugleich gegen ihre zahlreichen Dämonen. Doch der härteste Kampf ihres Lebens steht ihr erst noch bevor … Michaela Karl zeichnet ein umfassendes Bild dieser widersprüchlichen Künstlerin und wirbt zugleich für ihren Wahlspruch: Leben und leben lassen.
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(Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray)

I.

Ein ungeschliffener Diamant
Kass von den Beauchamps



»Sie stand in der Tür des großen Speisesaals und sah alles und jeden mit stechend intensiven, dunklen Augen an. Sie brannten vor Verlangen und Hunger nach neuen Eindrücken. (…) Ich fragte, wem dieses wundervolle Gesicht gehörte – ihren Körper hatte ich gar nicht bemerkt. ›Sie ist eine Schriftstellerin, eine Engländerin, ihr Name ist Katherine Mansfield.‹ Ich wollte sie unbedingt kennenlernen.«[27]


Dieser Sonntag beginnt stürmisch. Seit den frühen Morgenstunden braust der Wind ums Haus. Doch in der Tinakori Road Nr. 11 in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington hat dafür niemand ein Ohr. Die Dame des Hauses liegt in den Wehen. Der Morgen graut schon, als das Kind endlich das Licht der Welt erblickt: Es ist ein Mädchen. Jahre später wird dieses Mädchen über jenen stürmischen Sonntagmorgen am 14. Oktober 1888 schreiben: »Sie war während eines eisigen Südsturms schreiend aus ihrer widerstrebenden Mutter gekrochen. Als die Großmutter sie vor dem Fenster wiegte, sah sie, wie das Meer sich zu grünen Bergen erhob und die Esplanade überschwemmte. Das kleine Haus war wie eine Muschel im lauten Meeresdröhnen. Unten im Graben peitschten die Bäume wild gegeneinander, und große Möwen glitten kreiselnd und kreischend am Fenster vorbei.«[28] Der Wind wird sie ihr Leben lang faszinieren und ängstigen zugleich und ein wiederkehrendes Motiv ihrer Erzählungen sein.

Einen Tag nach dem großen Ereignis findet sich unter den Geburtsanzeigen der Wellingtoner folgende Notiz: »Beauchamp – am 14. Oktober, Frau von Mr Harold Beauchamp, eine Tochter«.[29] Das Kind erhält den Namen Kathleen Mansfield Beauchamp, doch die Welt lernt sie später unter ihrem selbstgewählten Namen Katherine Mansfield kennen.

Seit 1865 neuseeländische Hauptstadt, ist Wellington in jener Zeit eine mittlere Kleinstadt mit circa 28 000 Einwohnern. Katherines Familie gehört zu den angesehenen Bürgern der von Wasser umgebenen Stadt an der südwestlichen Spitze der Nordinsel von Neuseeland. Geprägt von einem Naturhafen, der entscheidend zum Wohlstand ihrer Bewohner beiträgt, liegt sie malerisch zwischen grünen Hügeln. Eine Idylle, die Katherine durchaus mit gemischten Gefühlen betrachtet: »Zugegeben ein recht unscheinbares Fleckchen Erde, aber wenn man so wie ich rastlos in der Weltgeschichte herumzieht, dann sind es wohl gerade die unscheinbaren Orte, die es in sich haben.«[30]

Gesellschaftliche Aufsteiger wie Katherines Eltern leben bevorzugt im Stadtteil Thorndon. Hier befinden sich das neuseeländische Parlament, zahlreiche Gerichtsgebäude und Kirchen sowie die Nationalbibliothek. Im Westen durch den grünen Gürtel des Te-Ahumairangi-Hügels begrenzt, im Osten durch den Hafen, ist Thorndon eine der ältesten Siedlungen Neuseelands, errichtet beim Eintreffen der ersten europäischen Siedler 1840. Heute sind dort zahlreiche Botschaften untergebracht, auch die deutsche. Das Haus, in dem Katherine Mansfield das Licht der Welt erblickt, gehört zu den bescheideneren Gebäuden im Viertel. Man sieht ihm an, dass es während der Wirtschaftskrise der 1880er Jahre errichtet worden war. Seit geraumer Zeit sieht sich das Land, dessen Hauptwirtschaftszweig der Export von Wolle ist, mit der Tatsache konfrontiert, dass auch andere Länder in großem Stil Wolle exportieren. Der Zusammenbruch der Wollpreise auf dem Weltmarkt hat den Immobilien- und Bankensektor des Inselstaates mitgerissen. Das Land befindet sich in einer Depression, es gibt unzählige Pleiten und mannigfache Arbeitslosigkeit. Es gibt Gegenden in Wellington, die mehr ans mittelalterliche London denn an eine moderne Stadt erinnern. In unmittelbarer Nähe zu Katherines Elternhaus liegen Slums, die eine Säuglingssterblichkeit von fast 80 Prozent aufweisen.[31]

Katherine ist nach den Töchtern Vera Margaret (1885) und Charlotte Mary, genannt Chaddie, (1887) das dritte Kind ihrer Eltern. Sie wird in einen nicht uninteressanten Haushalt hineingeboren. Ihr Vater Harold Beauchamp wird im Laufe seines Lebens nicht nur einer der reichsten Männer Neuseelands werden, sondern völlig unabhängig von seiner berühmten Tochter in die Geschichtsbücher eingehen. Er gehört jener Generation von Neuseeländern an, die bereits in den Kolonien geboren wurden, und ist Abkömmling einer Familie von Abenteurern, Visionären und Pionieren, die ihre Vorfahren bis zu William the Conqueror zurückverfolgen können.

Mitte des 19. Jahrhunderts war sein Vater Arthur Beauchamp, Katherines Großvater, aus Highgate in England nach Sydney ausgewandert. Zahlreiche seiner Verwandten folgten seinem Beispiel und gehörten damit zu den wenigen Briten, die sich freiwillig in die britische Strafkolonie New South Wales aufmachten. Die allerwenigsten Untertanen seiner Majestät konnten sich vorstellen, ans andere Ende der Welt überzusiedeln, weshalb die Besiedlung der neuen Besitztümer der britischen Krone einige Zeit in Anspruch nahm.

Im 17. Jahrhundert waren es vor allem niederländische Seefahrer gewesen, die zuerst bis an die Westküste Australiens vorgedrungen waren. Was sie dort vorfanden, wirkte wenig einladend, dennoch beauftragte die Niederländische Ostindien-Kompanie 1642 eine Expedition mit der gezielten Erforschung des Landes, das, ohne daraus Besitzansprüche abzuleiten, den Namen »New-Holland« erhielt.

Ins Blickfeld der britischen Krone rückte der neue Kontinent zum ersten Mal, als der Naturforscher und Freibeuter William Dampier 1688 und 1699 an Bord des Piratenschiffs im Nordwesten des heutigen Australiens anlandete. Seine Berichte nach Hause klangen wenig vielversprechend, wurden aber unter dem Titel zur Inspirationsquelle eines der berühmtesten Reiseromane aller Zeiten: . Dieser war bereits zu Lebzeiten so erfolgreich, dass der neu entdeckte Kontinent für die meisten Menschen eher durch die Fantasie Jonathan Swifts geprägt war als durch die Realität. Nicht nur, dass der Roman eine ziemlich freie Landkarte der Südwestküste New-Hollands zeichnete, behauptet Romanheld Gulliver auch, ein Cousin William Dampiers zu sein: »Wir legten am 4. Mai 1699 in Bristol ab, und unsere Reise war zunächst sehr glücklich. Aus verschiedenen Gründen wäre es nicht angebracht, den Leser mit den Einzelheiten unserer Abenteuer in jenen Gewässern zu behelligen. Es mag genügen, ihn zu informieren, dass wir auf unserer Fahrt von dort nach Ostindien durch einen heftigen Sturm nordwestlich von Van Diemen’s Land verschlagen wurden. Nach einer Berechnung befanden wir uns auf dem 30. Breitengrad zwei Minuten südlich. Zwölf aus unserer Mannschaft waren bereits infolge der übergroßen Anstrengung und schlechten Nahrung gestorben, die Übrigen befanden sich in einer sehr schwachen Verfassung. Am 5. November, das ist Sommeranfang in jenen Breiten, als das Wetter sehr dunstig war, erspähten die Matrosen einen Felsen, der eine halbe Kabellänge von unserem Schiff entfernt war. Aber der Wind war so stark, dass wir geradewegs auf ihn zugetrieben wurden und unmittelbar danach auseinanderbrachen. Sechs Mitglieder der Mannschaft, zu denen ich gehörte, ließen das Rettungsboot in die See hinab und bemühten sich, von Schiff und Felsen freizukommen. Nach meiner Berechnung ruderten wir ungefähr neun Meilen, bis wir nicht mehr konnten, da wir uns durch die Anstrengung bereits verausgabt hatten, als wir noch auf dem Schiff waren. Wir gaben uns daher den Wellen preis, und etwa eine halbe Stunde später kenterte das Boot durch eine Böe aus nördlicher Richtung. Ich kann nicht sagen, was aus meinen Gefährten im Boot geworden ist oder aus denen, die auf den Felsen entkamen, oder denen, die wir im Schiff zurückließen. Ich nehme aber an, dass sie alle untergegangen sind. Was mich selbst angeht, so schwamm ich, wie das Schicksal mich lenkte, und ich wurde von Wind und Flut vorwärtsgestoßen. Oft ließ ich meine Füße hinunter, konnte aber keinen Grund spüren. Doch als ich beinahe ohnmächtig und nicht länger zu kämpfen in der Lage war, trat ich auf festen Boden. (…) Ich war todmüde, und (…) infolge eines Viertelliters Branntwein, den ich beim Verlassen des Schiffes getrunken hatte, hatte ich große Lust einzuschlafen. Ich legte mich ins Gras, das sehr kurz und weich war, und schlief dort besser als je zuvor in meinem Leben. (…) Als ich erwachte, brach gerade der Tag an. Ich versuchte aufzustehen, konnte mich aber nicht bewegen. Ich lag zufällig auf dem Rücken und merkte, dass meine Arme und Beine beiderseits auf dem Boden festgebunden waren.«[32] Nimmt man Swifts nautische Angaben für bare Münze, dann liegt die Insel Liliput mitten in Australien. Während Swift Dampiers Reise nach Australien nur als Hintergrund seiner Geschichte wählte, beruht ein weiterer Klassiker der Literaturgeschichte auf einer tatsächlichen Episode in Dampiers Seefahrerleben: Daniel Defoes von 1719. Dampiers ehemaliger Segelmeister Alexander Selkirk, von dem er sich im Streit getrennt hatte, blieb 1704 freiwillig auf der unbewohnten...


Karl, Michaela
Michaela Karl, geboren 1971, promovierte 2001 an der FU Berlin mit einer Arbeit über Rudi Dutschke. Ihre Biografien über Dorothy Parker, Zelda und F. Scott Fitzgerald, Unity Mitford, Bonnie & Clyde, Maeve Brennan, Isadora Duncan und Katherine Mansfield wurden vom Publikum geliebt und von der Presse hochgelobt. Michaela Karl ist Mitglied der Münchner Turmschreiber. 2020 erhielt sie den Kulturpreis Bayern, 2022 wurde sie mit dem Bayerischen Poetentaler ausgezeichnet.



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