E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Kavka / Benecke / Freydorf Potzblitz
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-86608-288-5
Verlag: U-Line UG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
31 + 1 erleuchtende Liebeserklärungen an meinen Liveclub
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-86608-288-5
Verlag: U-Line UG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Markus Kavka ist einer der profiliertesten Musikjournalisten der deutschen Popkultur und tritt dabei als TV- und Radiomoderator, Kolumnist oder Buchautor in Erscheinung. Vielen Teenagern der Nullerjahre hat er sich wohl als bekanntestes Gesicht des deutschen Musikfernsehens eingeprägt. Zusammen mit Babette Conrady bot er den Lockdown-Zeiten und einem drohenden Lagerkoller mit elektronischer Live-Musik unter dem Titel Quarantächno Paroli.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vielleicht
aber
kamen
die Jungs
auch aus
Wien
von
Philip Bradatsch
Vor vielen Jahren schenkte mir eine Freundin eine zerfledderte Ausgabe von Jack Kerouacs On The Road. Keine Ahnung, ob sie mir damit irgendetwas sagen wollte. Als Widmung hinterließ sie mir jedenfalls ein Zitat aus einem Film über den großen amerikanischen Songpoeten Townes Van Zandt: «Hang loose, bring money.» Seltsam, dass ich diesen Ratschlag Jahre später einmal befolgen sollte.
Hatte sie einen Grund gehabt, mir dieses Buch zu schenken? Halten wir wirklich eine Fackel, die wir jenen, denen sie bestimmt ist, übergeben sollen? Oder versuchen wir nicht viel eher, einfach nur einen Funken in uns selbst zu entzünden? Um da irgendwie rauszukommen. Nicht die Tretmühle, bloß nicht, nicht wir. Keine zwei Abende am gleichen Fleck, immer unterwegs, das Unterwegssein als Selbstzweck, uns kriegen sie nicht. Helden der Handykameras. The Cowboys of Instagram.
Jedenfalls, man hat mich gebeten, eine Liebeserklärung an einen Live-Club abzugeben, und während ich das hier schreibe, ist diese irre Pandemie noch in vollem Gang. Der Stillstand ist zum Normalzustand geworden, der Stock steckt in den Speichen, der Schock nicht mehr ganz so tief in den Knochen, und keiner sitzt mehr fest im Sattel. Desolation Row.
Schwierig, in den verschwimmenden Erinnerungen zu wühlen. So viele Orte, die man erzählen müsste. Und mehr noch, die großartigen Menschen dahinter. Die Verrückten, mit allem Mut der Welt ausgestattet, mit allen Wassern gewaschen. An der Theke, hinter der Theke, vor den Türen, letzte Zigarette, man kann dem kalten Atem noch silbern im Wind hinterherschauen, bevor man wieder reinmuss, Stagetime, unter die unfassbar heißen Scheinwerfer, noch aus den Achtzigern, vom Vorbesitzer, der hatte hier mal ’ne Kleinkunstbühne am Laufen, dann war’s einige Zeit ein Juze, erzählt der Mittfünfziger in der engen Lederjacke. Seine Begleitung will ihn kurz korrigieren, belässt’s aber bei einem entschuldigenden Lächeln und schüttelt sich vor Kälte. Auch sie drängt es nun hinein. Vielleicht aus Höflichkeit, vielleicht aus vollkommen anderen Gründen, wer weiß das schon. No hard feelings.
Wie also wählt man einen solchen Club aus? Ist nicht alles irgendwann eh nur noch e-i-n Club? Ein Wohnzimmer, eine Küche, ein und dieselbe gottverdammte Schlafcouch? Wenn überhaupt? Mir fallen tausend Dinge gleichzeitig ein. Schießen Bilder durch den Kopf, die ich nicht vernünftig verknüpft kriege, kann nicht beschreiben, was mir fehlt, wenn ich nicht mittendrin bin. Weil man ja, während man es erlebt, schon weiß, wie flüchtig es ist. Wie vergänglich. Jeder Abend ein kleines bisschen Blitz und Donner. Morgen früh, falls mich meine Erinnerung dann nicht trübt, ist das Gefühl vergessen, und ich jage ihm von Neuem hinterher. Tramps like us.
Und das ist der Punkt: Wir Musiker sind in der Geschichte dieses Buches nicht die Helden. Wir sind die, die weiterziehen, die davonkommen, die all das im Grunde vor allem für sich selbst tun. Weil wir es uns schuldig sind, weil wir noch irgendeine durchsichtige Rechnung offen haben. Nein, die Helden sind die, die uns auf diese Bühnen stellen. Die die Pacht zahlen, die Zeche, sich mit Nachbarn rumärgern, auf Ämtern, wahrscheinlich sogar in irgendwelchen schimmeligen Stadtratssitzungen. Die Anträge ausfüllen, sich vielleicht sogar verdammt noch mal Faxgeräte zulegen mussten, um mit der örtlichen Verwaltung Schritt zu halten, und das alles, noch bevor auch nur ein Ton erklungen ist. Himmel, wie können wir das als selbstverständlich hinnehmen? Dass irgendwer hinter uns den Tresen abwischt, um vier Uhr morgens zusperrt, womöglich sogar noch halbwegs nüchtern? Was wären Groß- und Kleinstädte, Dörfer und ansonsten gottverlassene Weiler ohne diese Orte, ohne diese Leute?
Die sich keinen großen Dank erwarten, keine stürmische Kritik, keine Bewunderung. Aber vielleicht dann doch, dass man sie in Pandemiezeiten nicht als hilflos träumerische Freaks betrachtet, denen es auch nicht schaden könnte, im «echten Leben» anzukommen, wenn, falls, der ganze Spuk mal ein Ende haben sollte. Das echte, wahre, gute Angestelltendasein, denn was zählt schon ein Lebensentwurf, den man sich selbst ausgedacht hat, wo doch die Wirtschaftswunderschablone der Provinzbarone noch auf jeden irgendwie draufgepasst hat? Zumindest mit ein bisschen Hämmern und Zurren. Freiheit nur für die, die sich zu zügeln wissen! Das öffentliche Leben spielt sich in bundesdeutschen Wohnzimmern ab, und wer jetzt noch keinen Vorhang hat, der näht sich keinen mehr. Sorry, ich schweife ab … Wo war ich?
Genau. Bei Birgit und Mario vom Heppel & Ettlich in Schwabing. Bei Steffi und Rory aus dem Wild Rover in Aachen. Bei Olli Zilk, the one and only, vom Bahnhof in Bad Kötzting und dem Alten Spital in Viechtach. Bei Tamo und Tobi und Conny aus dem Feinstaub in Frankfurt. Bei Reiner und O vom Cafe Ohne in Schieß-mich-tot, Baden-Württemberg. Und und und.
Jeder dieser Läden verdiente es, hier besprochen zu werden. Mein Potzblitz-Club aber steht in meiner Heimatstadt Kaufbeuren, glaube ich. Im Moment zumindest. Und das überrascht mich mehr, als ihr es euch vorstellen könnt. Denn mein Verhältnis zu dem Ort, an dem ich geboren bin, lässt sich wohl am ehesten als Nichtverhältnis beschreiben. Ich hege keinen Groll, verspüre aber auch keinerlei heimatliche Gefühle. Ich hatte keinen Einfluss auf den Ort meiner Geburt, man hat mich nicht gefragt, mir keine Landkarte in die Hand gedrückt und gesagt: Mach dein Kreuz! Zumindest nicht, dass ich wüsste.
Aber wie gesagt, hier geht es nicht um Architektur, nicht um Geografie. Hier geht es um die Leute hinter den Läden. Den Juke Joints, den rauchgeschwängerten Bars, den hippen Hangouts, den altgedienten Indie-Clubs, den derangierten Rangierbahnhöfen der Live-Kultur.
Das Roundhouse Kaufbeuren gehört Markus, einem meiner besten Freunde auf dieser Welt. Aber der Reihe nach …
Bevor Markus den Laden übernahm, hieß der Schuppen noch Pic, und das seit mehr als dreißig Jahren. Die einzig vernünftige Bar in der Stadt, mein Wohnzimmer, unser Wohnzimmer, dienstags und donnerstags, wenn Happy Hour war, ging man tags drauf nicht zur Schule. Wie auch? Nach der Closing Time holte Wirtin Moni die Aschenbecher hervor, und ich und ein paar Auserwählte durften noch bleiben, und dann wurde wieder mal erzählt, wie das damals war, als Chuck Prophet hier gespielt hatte, und fast mal Nirvana, bevor sie groß wurden.
Kurze Zeit später dann buchte mein Kumpel Chrissi – natürlich ohne mein Wissen – dort meinen allerersten Auftritt, ich war wahrscheinlich achtzehn oder zweiundzwanzig oder sechzehn. Als Opener für irgendeine lokale oder halb lokale Band, vielleicht aber kamen die Jungs auch aus Wien, tat ich mein Bestes, einen einigermaßen glaubhaften Vorstadttroubadour abzugeben, coverte neunminütige Neil-Young-Songs in voller Länge, spielte eigene Lieder, die ich zum Glück schnell wieder vergaß, und warf an irgendeinem Punkt einen Schuh ins Publikum. Was für ein Abend.
Es sollte Jahre dauern, bis ich mit meiner Band The Dinosaur Truckers auf die zu niedrige, zu enge Bühne zurückkehren würde, es waren verschwitzte, rauschhafte Abende, unser Mandolinenspieler sprang während des Auftritts auf die Bar, der Laden platzte aus allen eilig zusammengeschusterten Nähten, nichts hält länger als ein Provisorium, sagt mein Vater, und das Pic war ein einziges Provisorium, aber für uns das Größte der Welt. Hier traf New York City auf die Provinz, Swinging London auf Jugendstil- äh, Jugendzentrum-Charme, alles, was man jemals wollen konnte, wenn man sich traute. Man suchte hier nicht nach Schönheit, wurde aber dafür mit Magie belohnt. Als Moni und Peter ihre Kneipe endgültig zusperrten, kamen fünfhundert und rissen sich als Andenken Kacheln aus den Klowänden.
Markus krempelte das Ding von Grund auf um, womit er sich nicht nur Freunde machte. Er brachte den Laden auf Vordermann, aber viele wollten ihn nicht auf Vordermann gebracht sehen, auch ich war skeptisch. Was würde aus den Gartenstühlen werden? Warum um alles in der Welt sollte man diese Wände streichen wollen? A New Coat of Paint? Wozu?
Als ich das renovierte Roundhouse schließlich das erste Mal betrat, traf mich dann auch naturgemäß der Schlag. Schick. Schwarz. Schöne Bühne. Eine Mords-PA. Lichtanlage. EINE LICHTANLAGE? DIE LAMPEN, MANN! Aber er hatte natürlich recht: Die Aura geht mit den Wirtsleuten. Das kann man nicht übernehmen. Der Geist steckt in den Menschen, nicht in den Mauern. Und Markus verströmte einen neuen Geist, einen neuen Spirit, es war ein neuer Morgen. Er und seine Leute holten Bands aus allen Ecken der Welt, aus New York, aus Bordeaux, Berlin, Kentucky, München. Mal kamen zehn Zuschauer, mal vierzig, voll war’s nur bei den lokalen Bands, was soll ich sagen, ist und bleibt halt ’ne Kleinstadt, Don’t Blame the Messenger. Er schmiss Neunziger-Partys, damit Kohle für Bandgagen reinkam, Achtzigerfeten, bei denen er sich selbst hinters DJ-Pult klemmte. Your own personal Jesus. Und irgendwann, als der Laden endlich lief: Na ja, ihr wisst ja, was dann kam.
Und mitten in dieser schrägen Zeit traf es mich. Wie viel mir dieser Ort noch immer bedeutet. An diesem Abend spielten wir noch nicht einmal ein Konzert, wir machten lediglich einen elendig langen Soundcheck für eine Streaming-Show. Lichttest. Richtfest. Ein Abend, an...