Keilson / Detering | Kein Plädoyer für eine Luftschaukel | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Keilson / Detering Kein Plädoyer für eine Luftschaukel

Essays, Reden, Gespräche
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-10-401626-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Essays, Reden, Gespräche

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-10-401626-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Hans Keilsons Essays und Reden verbinden die Reflexion mit der Poesie, das Nachdenken mit dem Erzählen. Bereits als Schüler in den zwanziger Jahren hat Hans Keilson kurze Texte geschrieben, er blieb der Form des Essays treu bis heute. Thematisch bewegen sich seine Texte vom Porträt bis zur Landschaftserkundung, von der Psychoanalyse bis zum Nachdenken über Sprache und Schreiben. Immer wieder steht die Trauer über die deutsche Katastrophe des letzten Jahrhunderts im Mittelpunkt, der Schmerz angesichts der Verfolgung und Vernichtung der Juden. Auf der Grundlage der 2005 erschienenen Werkausgabe hat Heinrich Detering für diesen Band eine Auswahl getroffen und zahlreiche Texte hinzugefügt, die in den letzten Jahren entstanden oder bisher nur entlegen publiziert worden sind. Gleichzeitig erscheinen von Hans Keilson der Erinnerungsband ?Da steht mein Haus? und die Neuausgabe des frühen Romans ?Das Leben geht weiter?. Lieferbar sind außerdem die Novelle ?Komödie in Moll? und der Roman ?Der Tod des Widersachers?.

Hans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde geboren. Der Arzt und Schriftsteller emigrierte 1936 in die Niederlande, wo er bis zu seinem Tod 2011 lebte. Sein erster Roman ?Das Leben geht weiter? erschien 1933 bei S. Fischer. Die Novelle ?Komödie in Moll? wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und 2010 zum Weltbestseller. Hans Keilson wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, zuletzt mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis, der Moses-Mendelssohn-Medaille, der Humboldt-Medaille und dem »Welt«-Literaturpreis. Literaturpreise: 'Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay' der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2005 Moses-Mendelssohn-Medaille 2007
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»Ich lebe. Als Sieger und Besiegter.«


Ein Gespräch mit der Wochenzeitung

… und auch kaum Autos.

Das Telefon. Das ist es sehr wichtig für mich. Aber sonst?

Ich bin sehr neugierig!

Man bekommt einen anderen Bezug zur Welt. Das Eremitendasein gehört ins vorige Jahrhundert. Das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt ist völlig verändert. Sie kommen aus Deutschland hierher nach Holland, um sich mit mir zu unterhalten. So etwas hätte ich mir früher nicht vorstellen können.

Daran rieche ich. Aber ich muss nicht mehr eintauchen. Das ist nicht mehr mein Thema. Wenn ich zweihundert Jahre alt würde vielleicht …

Das werde ich nie vergessen.

Ich will nicht sagen, dass es die erste war. Aber in der Pubertät hat er in mir etwas geöffnet, fürs Leben, aber auch für den Tod. Das war ein großes, trauriges Erlebnis.

Das denke ich heute nicht mehr. Es war eine Flucht. Ich begriff, dass es Fritz sehr schwer gehabt hatte, auch mit seiner Sexualität. Aber dass der Tod eine Erlösung sein könnte, das haben mir die Nazis gründlich ausgetrieben. So stirbt man nicht. Ermordung ist kein Tod.

Ja. Ermordung ist kein Tod.

Eine »Komödie in Moll«. Da ist einer untergetaucht und kann nicht begraben werden. Deshalb wird die Leiche unter eine Parkbank gelegt. Dieser Tod, der nicht richtig begangen werden kann, ist absurd.

Die Perversität des Zeitalters war so groß, dass man selbst über den Tod lachen konnte. Perversität ist der richtige Ausdruck, obwohl ich es noch nie so formuliert habe.

Da bin ich sehr vorsichtig, um mein Selbstgefühl nicht zu überfordern. Ich beschütze mich bewusst selbst. In meinem Leben spielt das keine Rolle. Ich könnte ja eitel werden.

Als Analytiker weiß ich, dass man sehr eitel sein kann. Warum sollte ich es nicht auch sein können? Aber das möchte ich nicht. Das ist keine angenehme Eigenschaft.

Das ist eine völlig legitime Frage. Ich habe überlebt. Aber ich sage mir: Das ist genug.

Das begann schon, als ich untergetaucht war. Ich hatte mit Kindern gearbeitet, bevor ich holländischer Arzt wurde. Ich war deutscher Arzt und Sportlehrer und habe als solcher ab 1934 in jüdischen Schulen Berlins gearbeitet. In der Großen Hamburger Straße, in der Rykestraße, im Landschulheim Caputh, in der Zionistischen Schule am Kaiserdamm. Deshalb hatte ich viel Erfahrung mit jüdischen Kindern. Holländische Hausärzte haben dann später Kinder zu mir geschickt, weil ich offenbar Vertrauen zu ihnen aufbauen konnte.

Ich habe neun Jahre an den Nachuntersuchungen gesessen. Es war keine Eitelkeit, oder doch? Ich habe mir gesagt: »Du hast so viel Erfahrung, du hast so viel mit den Kindern mitgemacht, als du untergetaucht warst. Du hast so viel Leid gesehen; auch später nach dem Krieg, als du mit ihnen gearbeitet hast.« Meine erste und dann meine zweite Frau sagten auch: »Du bist einer der wenigen, die das erlebt haben. Probiere, daraus etwas zu machen.« Die schöngeistige Literatur kann lesen, wen das interessiert. Aber die Wissenschaft gehört auch zu mir. Ich empfand es als Verpflichtung. Denn ich hatte eine Erfahrung, die Kollegen nicht hatten.

Ja. Ich wurde mal gefragt, ob ich mich als Sieger oder als Besiegter fühle. Ich fühle mich weder als Besiegter noch als Sieger. Ich lebe. Und zwar als Sieger und als Besiegter. Die Qualität des Lebens ist durch Hitler und Stalin vernichtet worden. Das muss erst wieder aufgebaut werden.

Überhaupt die Verbindung zum Feind, zum Anderen und sich selbst. Beide spiegeln sich in diesem Verhältnis. Sie können sich auch fruchtbar spiegeln.

Das ist eine Seite des Antisemitismus. Die Jugendlichen haben etwas in sich selbst umgebracht. Das ist ein guter Satz. Er erklärt sehr viel. Ich hatte ihn völlig vergessen.

Das ist das Leben der Juden. Das Leben hat diese Antinomie. Ich finde, dass die Kirchen total versagt haben. Wenn sie einen Beweis für Notwendigkeit ihrer Existenz als moralischer Stellvertreter Gottes auf Erden hätten erbringen wollen, dann hätten sie dagegen aufstehen müssen. Bis hin zu dem »Ich opfere mein Leben«.

Sicher. Aber nicht die Höchsten. Hätte es Hitler gewagt, etwas gegen den Papst zu unternehmen?

Das denke ich auch. Der Umgang mit den Juden ist eine profunde menschliche Problematik: Wie gehe ich mit meinen Feinden um? Wie gehe ich mit Menschen um, die auch geboren wurden, die auch leben, die auch aus einer Samenzelle und einer Eizelle entstanden sind. Genau das ist doch das Wunder des Lebens. Wenn ich jetzt als Mann von hundert Jahren meine Enkelkinder bestaune, fünfzehn Monate und fünf Monate alt, dann sage ich zu meiner Frau und meiner Tochter: »Das ist das Wunder. Die Verbindung einer Samenzelle und einer Eizelle, aus der ein Mensch wird.« Damit akzeptiere ich jeden als Teil der Menschlichkeit.

Nein, aber diese Grausamkeiten könnten überwunden werden.

Ich bin oft auf der Schneekoppe gewesen. Von Krummhübel an der Talsperre hoch, zur Prinz-Heinrich-Baude, wo wir übernachteten. Das ist auch eine Anstrengung. Wer Freude und schöne Dinge erleben will, muss sich anstrengen können, viel schlucken können.

Er flüchtet nicht. Ich bin auch nicht geflüchtet. Aber ich weiß, wie schwer das ist. Wenn mir Leute in meiner Praxis erzählten, wie schwer sie es haben, konnte ich so zuhören, dass sie das Gefühl hatten, der Doktor sie. Der Patient erwartet, erhört zu werden, nicht nur gehört.

Wenn man diesen Beruf hat, muss man sich entscheiden, ob man schreiben oder ob man seinen Beruf ausüben will. Ich habe mich für meinen Beruf entschieden.

Nein. Man muss sich dazu verleiten können, wie Richard Wagner, der mit dem Tod seines Christus nichts anfangen konnte. Tod und Musik. Musik hat in meinem Leben auch eine große Rolle gespielt. Ich schätze Richard Wagner. So schreiben zu können, davor ziehe ich meinen Hut. Dazu muss man ein sehr großes Talent haben.

Bestimmt nicht.

Ich bin angenehm als Mensch.

Aber ich bin ja auch kein Genie. Als Genie kann man kein Psychotherapeut sein. Ich weiß auch nicht genau, ob ich privat immer so angenehm bin. Meine Frau bezweifelt das manchmal.

Tja, das deutsche Wesen hat auch etwas Anziehendes. Wenn ich Haydn oder Mozart höre, dann ist das für mich deutsch....


Detering, Heinrich
Heinrich Detering ist Professor für Deutsche und Vergleichende Literatur an der Universität Göttingen. Über Thomas Mann liegen zahlreiche Veröffentlichungen von ihm vor, u.a. sein Buch 'Thomas Manns amerikanische Religion. Theologie, Politik und Literatur im amerikanischen Exil'. Er ist Mitherausgeber der 'Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe' der Werke Thomas Manns.

Keilson, Hans
Hans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde geboren. Der Arzt und Schriftsteller emigrierte 1936 in die Niederlande, wo er bis zu seinem Tod 2011 lebte. Sein erster Roman ›Das Leben geht weiter‹ erschien 1933 bei S. Fischer. Die Novelle ›Komödie in Moll‹ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und 2010 zum Weltbestseller. Hans Keilson wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, zuletzt mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis, der Moses-Mendelssohn-Medaille, der Humboldt-Medaille und dem 'Welt'-Literaturpreis.

Literaturpreise:

"Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay" der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2005
Moses-Mendelssohn-Medaille 2007

Hans KeilsonHans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde geboren. Der Arzt und Schriftsteller emigrierte 1936 in die Niederlande, wo er bis zu seinem Tod 2011 lebte. Sein erster Roman ›Das Leben geht weiter‹ erschien 1933 bei S. Fischer. Die Novelle ›Komödie in Moll‹ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und 2010 zum Weltbestseller. Hans Keilson wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, zuletzt mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis, der Moses-Mendelssohn-Medaille, der Humboldt-Medaille und dem 'Welt'-Literaturpreis.

Literaturpreise:

"Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay" der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2005
Moses-Mendelssohn-Medaille 2007
Heinrich DeteringHeinrich Detering ist Professor für Deutsche und Vergleichende Literatur an der Universität Göttingen. Über Thomas Mann liegen zahlreiche Veröffentlichungen von ihm vor, u.a. sein Buch 'Thomas Manns amerikanische Religion. Theologie, Politik und Literatur im amerikanischen Exil'. Er ist Mitherausgeber der 'Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe' der Werke Thomas Manns.



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