King | Im Kabinett des Todes | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 592 Seiten

King Im Kabinett des Todes

Roman
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-12449-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 592 Seiten

ISBN: 978-3-641-12449-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eindringlich, unheimlich, unwiderstehlich – Stephen King in Bestform

14 düstere Überraschungen, blutige und unblutige, die von der unbändigen Schaffenskraft eines Autors zeugen, der als Größter seines Faches anerkannt wird. Unter den preisgekrönten Storys befindet sich auch die Erzählung »Der Mann im schwarzen Anzug«, die mit dem O.-Henry-Preis ausgezeichnet wurde, dem renommiertesten Literaturpreis für Kurzgeschichten.

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.
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Autopsieraum vier


Es ist so dunkel, dass ich für einige Zeit glaube – wie lange genau, weiß ich nicht –, ich sei noch immer bewusstlos. Dann dämmert mir langsam, dass Bewusstlose nicht das Gefühl haben, sich durchs Dunkel zu bewegen, von einem leisen, rhythmischen Geräusch begleitet, das nur ein quietschendes Rad sein kann. Und ich spüre mich von meinem Scheitel bis zu meinen Fersen. Ich kann etwas riechen, das Gummi oder Vinyl sein könnte. Dies ist keine Bewusstlosigkeit, und ich fühle etwas zu ... zu was? Diese Empfindungen sind zu rational, um ein Traum zu sein.

Was erlebe ich also?

Wer bin ich?

Und was geschieht mit mir?

Der dämliche Rhythmus des quietschenden Rades verstummt, und ich höre auf, mich zu bewegen. Um mich herum knistert das nach Gummi riechende Zeug.

Eine Stimme: »In welchen sollen wir ihn bringen?«

Eine Pause.

Eine zweite Stimme: »Vier, glaub ich. Yeah, vier.«

Wir setzen uns wieder in Bewegung, diesmal etwas langsamer. Ich kann jetzt das leise Schlurfen von Füßen hören, vielleicht in Laufschuhen. Die Besitzer der Stimmen sind auch die Besitzer der Schuhe. Sie bleiben wieder stehen mit mir. Ich höre einen dumpfen Schlag, dem ein leises Zischen folgt. Das sind, vermute ich, die Geräusche einer mit Druckluft betätigten Tür, die geöffnet wird.

Was geht hier vor?, schreie ich, aber der Schrei erklingt nur in meinem Kopf. Meine Lippen bewegen sich nicht. Ich kann sie fühlen – und meine Zunge, die wie ein betäubter Maulwurf auf dem Boden meines Mundes liegt –, aber ich kann sie nicht bewegen.

Das Ding, auf dem ich liege, setzt sich wieder in Bewegung. Ein rollendes Bett? Ja. Mit anderen Worten, eine fahrbare Krankentrage. Damit habe ich vor langer Zeit – während Lyndon Johnsons beschissenem kleinem Abenteuer in Asien – einige Erfahrungen gesammelt. Mir wird klar, dass ich in einem Krankenhaus bin, dass mir etwas Schlimmes zugestoßen ist, etwas wie die Detonation, die mich vor dreiundzwanzig Jahren beinahe kastriert hätte, und dass ich operiert werden soll. In dieser Idee stecken viele Antworten, überwiegend vernünftige Antworten, aber ich habe keine Schmerzen. Von der Kleinigkeit abgesehen, dass ich in Todesangst schwebe, fühle ich mich heil und gesund. Und wenn das Krankenpfleger sind, die mich in einen Operationssaal rollen, warum kann ich nicht sehen? Warum kann ich nicht sprechen?

Eine dritte Stimme: »Hier herüber, Jungs.«

Mein rollendes Bett wird in eine neue Richtung geschoben, und die Frage, die in meinem Kopf dröhnt, lautet: In welchen Schlamassel bin ich geraten?

Hängt das nicht davon ab, wer du bist?, frage ich mich, denn das ist wenigstens etwas, das ich weiß, wie ich jetzt feststelle. Ich bin Howard Cottrell. Ich bin ein Börsenmakler, der bei einigen seiner Kollegen als Howard der Eroberer bekannt ist.

Zweite Stimme (spricht direkt über meinem Kopf): »Sie sehen heute sehr hübsch aus, Doc.«

Vierte Stimme (weiblich, eher kühl): »Es ist immer nett, das von Ihnen bestätigt zu bekommen, Rusty. Können Sie sich ein bisschen beeilen? Die Babysitterin erwartet mich bis sieben Uhr zurück. Sie ist bei ihren Eltern zum Abendessen eingeladen. «

Bis sieben Uhr zurück, bis sieben Uhr zurück. Es ist noch Nachmittag, vielleicht später Nachmittag, aber schwarz hier drinnen, rabenschwarz, schwarz wie ein Bärenarsch, schwarz wie Mitternacht in Persien, und was geht hier vor? Wo bin ich gewesen? Was habe ich gemacht? Warum habe ich nicht an den Telefonen gesessen?

Weil heute Samstag ist, murmelt eine Stimme tief aus meinem Unterbewusstsein. Du hast ... hast ...

Ein Geräusch: KLACK! Ein Geräusch, das ich liebe. Ein Geräusch, für das ich mehr oder weniger lebe. Das Geräusch von ... von was? Natürlich vom Kopf eines Golfschlägers. Der den Ball vom Tee abschlägt. Ich stehe da, sehe ihm nach, als er ins Himmelsblau davonfliegt ...

Ich werde an Schultern und Waden gepackt und hochgehoben. Das erschreckt mich furchtbar, und ich versuche zu schreien. Ich bringe keinen Ton heraus ... oder vielleicht ein einziges winziges Quietschen, viel leiser als das des Rades unter mir. Wahrscheinlich nicht einmal das. Wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein.

Ich werde in dem mich umgebenden Dunkel durch die Luft geschwungen – He, lasst mich nicht fallen, ich habe Rückenprobleme!, versuche ich zu sagen, und auch diesmal bewegen sich weder Lippen noch Zähne; meine Zunge liegt weiter auf dem Boden meines Mundes, der Maulwurf ist vielleicht nicht nur betäubt, sondern tot, und ich habe jetzt einen schrecklichen Gedanken, der Angst auslöst, die schon fast Panik gleicht: Was ist, wenn sie mich falsch hinlegen, wenn meine Zunge nach hinten rutscht und meine Luftröhre blockiert? Ich werde nicht mehr atmen können! Das meinen die Leute, wenn sie sagen, jemand habe »seine Zunge verschluckt«, nicht wahr?

Zweite Stimme (Rusty): »Der wird Ihnen gefallen, Doc, er sieht wie Michael Bolton aus.«

Ärztin: »Wer ist das?«

Dritte Stimme – scheint ein junger Mann zu sein, kaum älter als ein Teenager: »Das ist dieser weiße Schnulzensänger, der wie ein Schwarzer zu singen versucht. Ich glaube nicht, dass er’s ist.«

Das löst Gelächter aus, in das die weibliche Stimme einstimmt (etwas zweifelnd), und als ich auf etwas gelegt werde, das sich wie ein gepolsterter Tisch anfühlt, macht Rusty bereits den nächsten Witz – er hat anscheinend ein ganzes Repertoire. Ich verpasse diese neuerliche Heiterkeit, weil mich jähes Entsetzen befällt. Wenn meine Zunge meine Luftröhre blockiert, werde ich nicht atmen können, das ist der Gedanke, der mir eben durch den Kopf gegangen ist, aber was ist, wenn ich gar nicht atme?

Was ist, wenn ich tot bin? Was ist, wenn der Tod so aussieht?

Das passt. Das passt mit schrecklicher prophylaktischer Passform zu allem. Das Dunkel. Der Gummigeruch. Heutzutage bin ich Howard der Eroberer, ein erfolgreicher Börsenmakler, der Schrecken des Derry Municipal Country Clubs, ein häufiger Gast in den Räumen, die in Golfklubs in aller Welt als Neunzehntes Loch bekannt sind, aber im Jahr 1971 gehörte ich im Mekongdelta einer Sanitätseinheit an, ein verängstigter Junge, der manchmal mit feuchten Augen aufwachte, wenn er vom Familienhund geträumt hatte, und jetzt erkenne ich dieses Gefühl, diesen Geruch plötzlich wieder.

Großer Gott, ich bin in einem Leichensack.

Erste Stimme: »Unterschreiben Sie bitte hier, Doc? Aber gut aufdrücken – es sind drei Durchschläge. «

Das Geräusch eines Kugelschreibers auf Papier. Ich stelle mir vor, wie der Besitzer der ersten Stimme der Ärztin ein Schreibbrett hinhält.

O liebster Jesus, lass mich nicht tot sein!, versuche ich zu schreien und bringe keinen Ton heraus.

Aber ich atme doch ... stimmt’s? Ich meine, ich kann nicht spüren, dass ich’s tue, aber meine Lunge scheint in Ordnung zu sein, sie pocht nicht oder schreit nach Luft, wie sie’s manchmal tut, wenn ich zu lange getaucht habe, also muss alles mit mir in Ordnung sein, nicht wahr?

Wärst du tot, murmelt die Stimme in meinem Unterbewusstsein, würde sie nicht nach Luft schreien, stimmt’s? Nein, denn eine tote Lunge braucht nicht zu atmen. Eine tote Lunge kann es irgendwie ... langsamer angehen lassen.

Rusty: »Was machen Sie nächsten Samstagabend, Doc?«

Aber wenn ich tot bin, wie kann ich dann etwas fühlen? Wie kann ich den Sack riechen, in dem ich liege? Wie kann ich diese Stimmen hören, wie die Ärztin jetzt sagt, dass sie am nächsten Samstagabend ihren Hund baden wird, der übrigens Rusty heißt, was für ein Zufall, worauf wieder alle lachen? Wenn ich tot bin, warum bin ich dann nicht entweder gefühllos oder in das weiße Licht gehüllt, von dem sie bei Oprah immer reden?

Dann ist ein scharfes Reißen zu hören, und plötzlich bin ich in weißes Licht gehüllt; es ist blendend hell wie die Sonne, wenn sie an einem Wintertag durch die Wolkendecke bricht. Ich versuche meine Augen schützend zusammenzukneifen, aber nichts passiert. Meine Lider gleichen Jalousien, deren Mechanik defekt ist.

Ein Gesicht beugt sich über mich, verdeckt einen Teil des grellen Lichts, das nicht von irgendeinem gleißend hellen Himmelskörper, sondern von in Reihen angeordneten Leuchtstoffröhren an der Decke über mir kommt. Das Gesicht gehört einem jungen, auf konventionelle Weise gut aussehenden jungen Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren; er sieht aus wie einer dieser Muskelmänner, die in Baywatch oder Melrose Place die Strände bevölkern. Jedoch geringfügig intelligenter. Er hat eine Menge schwarzes Haar unter seiner achtlos getragenen Chirurgenmütze. Er trägt auch den dazu passenden Kittel. Seine Augen sind kobaltblau, genau die Farbe, auf die angeblich alle Mädchen fliegen. Seine Backenknochen sind mit kleinen Sommersprossen überstäubt.

»He, Mann«, sagt er. Ihm gehört die dritte Stimme. »Dieser Kerl sieht wirklich wie Michael Bolton aus! Vielleicht nicht mehr gerade der Jüngste ...« Er beugt sich tiefer über mich. Eines der flachen Bänder mit denen sein grüner Kittel am Hals zugebunden wird, kitzelt mich an der Stirn. »... aber yeah, ich sehe die Ähnlichkeit. He, Michael, sing uns was!«

Hilf mir!, ist es, was ich zu singen versuche, aber ich kann nur mit meinem starren Totenblick in seine dunkelblauen Augen sehen; ich kann mich nur fragen, ob ich tot bin, ob die...


King, Stephen
Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.



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