E-Book, Deutsch, 700 Seiten
KLÖCKER Alt werden
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7407-7709-8
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Peters Manifest der Altersweisheit
E-Book, Deutsch, 700 Seiten
ISBN: 978-3-7407-7709-8
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Peter ist alt geworden. Es hat ihn um die Sechzig überrumpelt. Natürlich kannte er alte Menschen, ist aber nie auf die Idee gekommen, dass sie andere Wünsche haben und ihre Wirklichkeit mit eigenen Imponderabilien gestalten müssen. Er dachte, dass alles weiter geht. Für eine, real sich eingenistete, surreale Aussage, er werde nie sterben, hatte er nur Häme. Die ersten Blessuren meldeten sich, nicht nur körperliche, und für noch offene Vorhaben lief ihm die Zeit davon. Gleichzeitig darf Langeweile, ein Unwort, nicht aufkommen, und wird mit Aktionismus klein gehalten. Freundschaften sortierten sich, in der Verwandtschaft treten Verhärtungen auf und das Denken in Prioritäten, im beruflichen Alltag als sportliches Getue abgetan, wird dringlich. Der Glaube und die Kirche rücken wieder näher und das Interesse an der Gemeinschaft findet im Ehrenamt seinen Niederschlag. Der Autor lässt uns in bunten Bildern an seinen täglichen Unwägbarkeiten teilhaben. Er weiß wovon er schreibt.
Prof. Dr.-Ing. Ingo Klöcker wurde 1937 in Stuttgart geboren, studierte Maschinenbau und an der legendären Hochschule für Gestaltung Ulm Design. Das mündete in 20 Jahre Industrie vom Entwicklungs-Ingenieur bis zum Geschäftsführer. Die Schwerpunkte waren Feinwerktechnik, Pkw- und Lkw-Konstruktion und Design von Schwermaschinen. Es folgten über 20 Jahre als Professor für Konstruktion, Werkstoffe, Industrial Design, kreatives Arbeiten und Darstellungstechnik an der TH Nürnberg. Sein, wie er sagt, zweites Leben ist die Kunst. Das umfangreiche Oeuvre seiner Materialbilder befindet sich in Museen, in Institutionen und bei Sammlern. Dafür erhielt er Auszeichnungen. Er schrieb viele Aufsätze für die Süddeutsche Zeitung, schreibt Bücher, gibt Seminare und betreibt Coaching zu den Themen kreatives Arbeiten in der Technik, Skizzieren und Freihandzeichnen.
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PROLOG
„Geehrtes Publikum, die Zeit ist trist. Klug, wer besorgt, und dumm, wer sorglos ist! Doch ist nicht überm Berg, wer nicht mehr lacht Drum haben wir ein komisches Spiel gemacht. Und wiegen wir den Spaß, geehrtes Haus Nicht mit der Apothekerwaage aus. Mehr zentnerweise, wie Kartoffeln, und zum Teil Hantieren wir ein wenig mit dem Beil. Wir zeigen nämlich heute Abend hier Euch ein gewisses vorzeitliches Tier … “ (1) „ … und meinst dich selbst damit, aber doch nicht im Ernst. Du, ein Emeritus, der, so richtig, noch gar keiner ist, der noch jeden Dienstag in die Uni eilt, am frühen Morgen mit seiner alter Aktentasche, die einmal schwarz war, deren Griff schon so gedehnt und ausgeleiert ist, dass er wahrscheinlich nicht mehr lange macht, und immer noch Vorlesungen hält? Ein Emeritus ist, so die landläufige und eher liebe Bedeutung, ein im Ruhestand befindlicher Professor, einer, der die Lehrbefähigung hat, und der nun, so die weniger liebe, die eher wörtliche Bedeutung dieses Begriffes, ausgedient, seinen Job beendet hat und unbrauchbar geworden ist. Ja, so grausam, so lautete das tatsächlich. Und, entsprechend der ganz bösen, aber auch immer noch richtigen und nachzulesenden Übersetzung, ist ein Emeritus ein ausgebrannter Scheiterhaufen. Den meinst du mit dem gewissen vorzeitlichen Tier?“ „Ging ich neulich in der Stadt, als ein großes, schwarz glänzendes Auto mit Stern vorne auf der Kühlerhaube auf der gegenüber liegenden Straßenseite mir entgegen kam, plötzlich etwas langsamer fuhr, es fiel mir auf, sodass ich hinsehen musste, in dem sich das Fenster absenkte und das schließlich anhielt, einfach so, der ganze Verkehr dahinter ebenfalls anhalten musste, und ein Sonnenbrille Tragender zu mir herüber rief: Sind sie‘s wirklich? Ich sah ihn ungläubig an und gab ihm zu verstehen, dass er die Brille … was er sofort verstand, ich ihn nun erkennen und wir uns anlachen konnten. Es war der ehemalige Student, der als Letzter in meiner langen Hochschulkarriere seinen Abschluss bei mir gemacht hat. Es war eine Bachelorarbeit über ein nicht ganz einfaches Thema. Er wollte in der Firma ... ich weiß ihren Namen nicht mehr, sie macht kleine Getriebemotoren und hat ihre Fabrik in Neudorf, die Triz-Methode installieren. Das ist eine komplizierte und aufwendige Kreativitätstechnik, die er sich selbst ausgesucht hatte ... obwohl er notabene keine Koryphäe, eher ein mühsamer Streber war, in dessen Denken manchmal große Traurigkeit und Flaute herrschte. Höhenflüge waren die Seltenheit. Die Bachelorarbeit ist der Einstieg in den Abschluss ... wenn du weißt, was ich meine.“ „Ich weiß, dein letzter Bachelor, dein allerletzter sogar, dann Streber und ein nur mühsam die Weisheiten Begreifender, die sein Prof und dessen andere Kollegen von der großen Tafel aus ins Auditorium hinein absondern … und der … “ „Ja genau, das passte alles nicht, widersprach sich eigentlich. Aber er wollte es unbedingt wissen, auch ein bisschen verbissen, nur fehlten ihm ganz einfach ein paar der notwendigen Intelligenz-Gene. Also wurde es eine Fleißaufgabe, ich durfte ihm ja nichts schenken, sodass er nicht nur einmal stöhnte ... und ich mein Gewissen beruhigen konnte. Aber wir haben es hingekriegt. Nun fuhr er diesen Schlitten, saß da drin wie Graf Koks von der Gasanstalt mit der großen und dunklen Sonnenbrille, die er abgenommen hatte, strahlte bis hinter beide Ohren und blockierte eine der eh sehr engen Straßen in der Altstadt … seines ehemaligen Professors wegen. Die ersten hupten bereits und machten Theater. Er fuhr dann nach links rüber, sodass auch der Gegenverkehr quietschend bremsen musste, stellte sein Schiff schräg in eine dafür viel zu kleine Parklücke, stieg aus … “ „ … rannte fast auf dich zu und wollte dich eigentlich umarmen. Mit einem Arm war er schon auf der richtigen Höhe, aber du wolltest nicht und strecktest ihm stattdessen deine Hand, ganz weit von dir weg, entgegen. Du musst wissen, mein Lieber, dass man das seit geraumer Zeit auch unter Männern macht, Küsschen drei Mal oder das Einvernehmen mit um den Hals fallen und zweimaliges auf den Rücken klopfen.“ „Mag sein. Aber ich bin noch von der anderen, der älteren und konservativen Sorte, bei der man sich in die Augen sieht und auf Abstand bleibt.“ „Das gewisse vorzeitliche Tier, ein alter weiser Mann, die achtzig schon drüber, jetzt habe ich das mit deinem Gedicht verstanden.“ „Nicht mein Gedicht, nicht ich habe es mir ausgedacht. Es ist ein kleines Stück aus dem Prolog des Theaterstücks ‚Herr Puntila und sein Knecht Mattis‘ von Bertolt Brecht. Mit dem Prolog, der geht noch einige Passagen weiter als er hier abgedruckt ist, wollte Brecht dem geneigten Publikum noch vor Beginn des Stückes vermitteln, dass nämlicher Typ, ein Gutsbesitzer, nicht einfach nur eine Person im Ensemble oder eine irgendwie interessante Figur des Stückes ist, nein, er sollte vielmehr den Prototyp einer ganz bestimmten sozialen Klasse repräsentieren.“ „Und du willst das hier, in dem Stück, von dem dieses Buch handelt, nun auch so sehen? Der soziale Prototyp des alten weißhaarigen Mannes … das bist du.“ „Du machst dich lustig. Es geht damit weiter, dass er oder es, er wird ja als Tier bezeichnet, das Tier in ihm angesprochen, als verfressen und ganz ‚unnützlich‘ gebrandmarkt wird.“ „Wahrlich, wahrlich, aber da hinkt der Vergleich. Insbesondere dann, wenn du an die weitere Unterhaltung mit deinem Ehemaligen zurückdenkst. Er ist ja ausgestiegen und wollte sich offensichtlich noch ein bisschen mit dir unterhalten.“ „Das wollte er … und ist erst Mal ein schöner Zug. Er hat mir erzählt, dass er mit alledem, was er im Studium gelernt hat, nichts machen und damit auch nicht den Job finden konnte, den er sich vorstellte, das war sein Einstiegsthema, mit dem Wissen und den Anleitungen von mir natürlich schon ... “ „ ... deshalb hielt er ja auch an ... “ „ ... aber das von meinen Kollegen … nein, vergiss es. Dabei strich er mit den Fingern, an denen ich mir gut zwei oder drei schwere Klunker, Wappenringe vielleicht oder mit großen bunten und goldumrankten Steinen besetzt, ganz gut vorstellen konnte, durch die lockeren, fast schwarzen Haare, steckte dann beide Hände tief in die Hosentaschen seines, wie das Auto, schwarzen Anzuges, und fuhr in seinem Vortrag fort.“ „Das mit den Klunkern ... das war deine Idee?“ „Er sei nun im Außendienst, da wollte er immer schon hin. Nein, keine Konstruktion mehr, überhaupt, die Technik, das war‘s nicht, das sein mühsam und biete viel zu wenig Möglichkeiten, zu wenig Geld ... bei einer Pharmafirma … seine Stimme wurde etwas heller, ich fragte nach Ärztebesucher, nach Außendienst und Pharmaunternehmen, das seien doch die Ärztebesucher … Himmel nein, bloß das nicht, er betreue die Apotheken, zwei, drei Nummern drüber, echt gediegen. Es war also doch nicht ganz so schlecht, das mit dem Studium, bestätigte ich ihm, und dass ich mich für jeden Studierenden freue, der es zu etwas gebracht hat. Ja dann … nein, noch nicht, das müsse er mir noch sagen, er würde mich bestimmt nie vergessen ... als Vorbild, das habe er auch schon seinem kleinen Sohn erzählt, wie er und seine studentischen Kollegen bei mir Zeichnungen gemacht haben, schöne Skizzen … ja und des wunderbaren Unterrichts wegen und, ganz wichtig, ich sei wirklich ein echtes professorales Urgestein … das müsse er mir ... unbedingt noch sagen. Mir schien, dass er etwas verlegen war. “ „Ich weiß, ich weiß und kann mich noch gut an die Szene erinnern. Die Sonne stand hoch und es war warm, nach deinem Geschmack etwas zu warm. Du warst aufgeräumt und hattest in der Stadt eigentlich nichts vor. Dann kam, aus dem Munde dieses gescheiterten Ingenieurs, der nun zum Kofmich geworden ist und im weißen Hemd mit gelockerter Krawatte von Apotheke zu Apotheke dackelte, dieser Satz vom professoralen Urgestein. Er sagte es zwei Mal und es fühlte sich wie ein Zauberwort an, wie an in Honig getauchtes Spiegelei. Dass es Vertretersprech hätte sein können, kam dir nicht in den Kopf. In letzter Zeit hat dich die beginnende Alterskrümmung schon ab und zu im Griff, du gehst leicht nach vorne gebeugt, merkst es dann Gott sei Dank und richtest dich wieder auf. Nein, nein, nein, das ist noch kein Morbus Bechterew, das habe ich nicht gesagt. Bei Frauen nennt man es einen Witwenbuckel. Aber bei diesem kurzen Satz des Mercedes-Fahrers wurdest du schlagartig wieder gerade, kerzengerade wie die Schwaben sagen, und aufrecht und jung und dynamisch und fühltest dich, trotz brennender Sonne, staubiger und lärmender Straße, wieder frisch. Das hatte noch niemand zu dir gesagt. Wenn er dich jetzt hätte umarmen wollen … es wäre ein längeres Ding geworden.“ „Karo, du sprichst zwar aus mir heraus, als ob ich mich höchst persönlich reden hör, bist meine andere Stimme oder, wie Cicero und Seneca das so ähnlich...