E-Book, Deutsch, 628 Seiten
Klöcker Der Ingenieur
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7407-7656-5
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was Kolo gemacht hat
E-Book, Deutsch, 628 Seiten
ISBN: 978-3-7407-7656-5
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Roman beschreibt etwa zehn Jahre aus dem Leben eines technischen Angestellten in einem florierenden deutschen Industrie-Unternehmen. Neben der ungewöhnlichen Vorgeschichte werden viele Unwägbarkeiten, die ein betriebliches Miteinander mit sich bringt, anschaulich und engagiert beschrieben. Den roten Faden ziehen die charakterlich und menschlich konträr gestrickten Antipoden des Entwicklungs- und des Qualitätsleiters durch die locker geschriebene Story. Beide sind schicksalhaft zur Zusammenarbeit gezwungen, was einen nicht mehr lösbaren Konflikt verursacht und in der Katastrophe endet. Trotz der an manchen Stellen sehr in die technischen Einzelheiten gehenden Auseinandersetzungen, kommen sowohl die Auswirkungen in den privaten Bereich als auch die menschelnden Scharmützel nicht zu kurz. Es ist eines der ganz wenigen Bücher in der internationalen Literatur, die das Innenleben eines Industrieunternehmens thematisieren.
Prof. Dr.-Ing. Ingo Klöcker wurde 1937 in Stuttgart geboren, studierte Maschinenbau und an der legendären Hochschule für Gestaltung Ulm Design. Das mündete in 20 Jahre Industrie vom Entwicklungs-Ingenieur bis zum Geschäftsführer. Die Schwerpunkte waren Feinwerktechnik, Pkw- und Lkw-Konstruktion und Design von Schwermaschinen. Es folgten über 20 Jahre als Professor für Konstruktion, Werkstoffe und kreatives Arbeiten an der TH Nürnberg. Sein, wie er sagt, zweites Leben ist die Kunst. Das umfangreiche Oeuvre seiner Materialbilder befindet sich in Museen und bei Sammlern. Dafür erhielt er Auszeichnungen. Er schrieb viele Aufsätze für die Süddeutsche Zeitung, schreibt Bücher, gibt Seminare und betreibt Coaching zu den Themen kreatives Arbeiten in der Technik, Skizzieren und Freihandzeichnen.
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PROLOG -
ODER: EIN SPAZIERGANG ÜBER DIE SCHWALB
Es war irgendwie alles glatt und schön, ordentlich und kollegial, dieser half jenem und jener bemühte sich, zuvorkommend und freundlich zu sein. Der Platz, den er besetzen sollte, war leer, und die ersten Aufgaben kamen aus dem Vorrat des Chefs und hatten keine persönlichen Widerhaken. Niemand trat jemandem auf den Fuß, die Sonne schien allenthalben. Was konnte er mehr erwarten? Es war kein Traumland, es war Normalland. Für ihn gab es nur Normalland. Wie Traumland aussehen könnte ... es entzog sich seinen bisherigen Erfahrungen. Bösland sei eine Erfindung von Filmemachern und spiele sich allenfalls in nachgestellten Historiengemälden oder im Geschichtsunterricht ab. William Shakespeare hatte seinen König Heinrich den Achten gefunden ... und in Teilen erfunden, der sich auf unrühmliche, um nicht zu sagen, böser und brutaler Art und Weise von einigen seiner Ehefrauen trennte. Storys eben. Hier ging es um technische Produkte, Gegenstände, die das Leben besser und einfacher machen sollten, und die man gut verkaufen konnte. Viele der kollegialen Gesichter waren offen und gerade heraus. Ab und zu war einer dabei, der ihn an Quasimodo erinnerte, an den krüppeligen und krumm schon auf die Weltgekommenen Glöckner von Notre-Dame, den Victor Hugo entwickelt hatte. Er musste, seiner krummen Kleinwüchsigkeit wegen, immer nach oben blicken, wenn er sich mit jemandem unterhalten wollte. Und dieses von unten nach oben ergänzte er durch die seitliche Richtung, er sprach schräg von unten nach oben, was ihn bei den Einwohnern der Stadt zum verschlagen erscheinenden und gefürchteten Monster werden ließ. Es war ein Klischee, natürlich, ein Bild ließ Wirklichkeit werden ... aus dem später in der Person des Kollegen Koslowski teuflische Realität wurde. Es dauerte, bis er Wirklichkeiten dieser Provenienz als reale Erscheinungen wahrnahm. Da sie aber kaum Wirklichkeiten sein konnten, Menschen dieser Art waren ihm fremd, vermutete er Trugbilder, die er abtun und ignorieren konnte. Erst als sie häufiger auftraten und sich Verhaltensweisen und Bilder zu decken schienen, sah er genauer hin. Manchmal drängte sich ihm die Idee auf, dass er, würde er diese Beobachtungen jemandem außerhalb seines aktuellen Wirkungsfeldes berichten, ihm nur ungläubiges Staunen entgegen schlagen könnte. Um sich dagegen, und der aufkommenden Angst, vieles wieder zu vergessen, zu wappnen, beschloss er, Buch zu führen ... nicht sehr konsequent und ausformuliert, nicht so, wie man sich ein Tagebuch vorstellt, nur um dem Vergessen zu begegnen. Manchmal fand er keine Zeit und nahm sich vor, eine interessante Beobachtung dann eben zu einem späteren Zeitpunkt festzuhalten. Manchmal war es dann doch zu wenig, wenn er sich nur ein paar Stichworte notierte, hätte er doch gerne bis in alle Einzelheiten hinein ausformuliert, wollte er doch die genaueren Umstände und Ereignisse oder in Kleinigkeiten begründete, sensible Unterschiede sichern. Dabei dachte er tatsächlich nur ans Vergessen. Er war kein Jurist, der etwas daraus machen wollte oder meinte, später etwas machen zu können, er erinnerten sich nur immer wieder an seine Zeit im Gymnasium, an die Fächer Geschichte und Chemie, auch an Deutsch, in denen das Gegenteil zum Vergessen gefragt war. Er packte es nicht. Schillers Glocke auswendig zu lernen, er packte es nicht. Zu repetieren was dreihundertdreiunddreißig geschah, welche Schlacht mit wem warum geführt ... er packte es nicht, oder warum der kleine Napoleon nach Elba musste, auch das konnte er sich nicht merken. Sein Gedächtnis bestand damals schon aus Zetteln, aus sorgfältig sortiertem Papier mit Buchstaben, für das er sich eine ausgeklügelte Organisation gebastelt hatte. Sie funktionierte immer noch, als er dieser Kleingeistigkeit und Unsinnigkeit gewahr wurde. Das und mehr wollte er mir erzählen. Es schien ihm wichtig, dass es jemand erfährt. So kam er auf die Idee, mich einzuladen. Ja, er hatte mich eingeladen. Wir kennen uns schon länger. Wenn man es in Kalenderangaben rechnen wollte, sind es nur ein paar Jahre, vier oder sechs vielleicht, und wir haben auch nicht häufig Gelegenheit gehabt, uns mehr auszutauschen, aber irgendwie gab es ein Bedürfnis, es einmal zu tun. Das Schöne daran war, dass es nicht nur ein Bedürfnis von einer Seite war, es erging beiden gleichermaßen. Zumindest sage ich das jetzt so, ich meine so subjektiv, so aus meiner Sicht. Vielleicht kennen wir uns ja auch schon länger, viel länger, so lange, dass es in Zahlen oder Jahren schwerlich zu benennen ... wie sollte das gehen? Es ist eine gefühlsmäßige Einschätzung, und wenn die in große Dimensionen geht, in eine Metaebene, womöglich noch auf eine gefühlsbedingte, bin ich geneigt zu sagen: Och, wir kennen uns schon ewig, aus einem anderen ... oder vielleicht einem schon früheren Leben. Wer kann das wissen? Das mit dem vorigen, oder einem anderen, früheren Leben ist nicht gerade mein Ding. Es ist für mein Verständnis und meine Denke weit weg. Ich habe davon gehört und weiß, dass es Menschen gibt, die den Zugang zu früheren Leben haben, oder zumindest vorgeben, den zu haben. Vielleicht haben sie ihn tatsächlich, wir sind von so vielen wundersamen und unbegreiflichen Dingen umgeben, sodass ich auch das nicht ausschließen möchte. Oder, um mit Ernst Bloch zu sprechen, ich möchte mich in dieser Frage allenfalls auf ein kleines peut-etre zurückziehen. Ich jedenfalls habe diesen Zugang nicht. Aber, um das noch einmal aufzugreifen, ich kenne das Gefühl und das Empfinden, einen anderen Menschen schon ewig zu kennen. Und wenn jener mit derartigen Dingen umgehen kann: Warum sollten wir uns dann nicht verständigen oder sogar kennen lernen? Neben unserer noch kurzen Bekanntschaft oder Freundschaft, eigentlich ist es sogar schon etwas mehr als nur eine so dahin gesagte Freundschaft, haben wir beide, jeder für sich, doch bereits eine lange Strecke unseres Lebensweges hinter uns. Seine, so kommt es mir vor, müsste ein ganzes Stück länger sein als meine. In einem Anflug von Resignation meinte er sogar schon einmal, dass er seine Zukunft bereits hinter sich habe. Man macht so etwas gerne an Kindern fest. Kinder haben zu wollen ist Zukunft. Wenn man schon Kinder hat, große und bereits flügge gewordene Kinder, dann würde wohl mit deren Herauswachsen aus ihrem Kindsein, dem, was wir Erwachsenwerden bezeichnen, das Erlangen der Zukunft einhergehen. Sie zu erreichen, zu ihr hin zu gelangen, oder wenigstens einen Zipfel von ihr fassen zu können bedeutet gleichzeitig zu versuchen, sie zu überholen und hinter sich zu lassen. Und das wiederum offenbart, dass es sie immer weniger gibt, dass die Zukunft sozusagen kleiner und schließlich zur Gegenwart wird. Das mit den Kindern gefiel ihm nicht, schien ihm mehr theoretisch gemeint, als Hypothese, die nicht unbedingt stimmen muss. Er hat schon Kinder, aber dass die etwas mit dem Verlauf seiner Zukunft zu tun haben oder gar etwas in dieser Hinsicht bewirken konnten, wollte er kategorisch ausschließen. Beide haben wir unsere Narben, sauber und glatt verheilte Narben, aber auch solche mit einer dicken und hässlichen Hornhaut darüber, Schrunden, an denen jegliches Gefühl verstummt ist, die sich knotig anfühlen und man deshalb immer wieder ansehen und betasten muss. Manchmal hatte er den Eindruck, so berichtete er in einer schwachen Stunde, dass diese Hornhaut gar nicht mehr lebt, dass sie abgestorben sei und ihre Funktion nur noch als seelenloser Deckel erfülle. Und dann gibt es Narben, die noch ganz frisch scheinen, noch ein bisschen rot, eher rosa und so frisch aussehen, als ob sie noch gar keine Narben, als ob sie noch offene Wunden seien. Die seien sehr sensibel und für Angriffe, auch nur vermeintliche und unbeabsichtigte Angriffe, sehr empfindlich. Manchmal könne er überhaupt nicht verstehen, warum die nicht zuwachsen. Bei einigen liegen die dazugehörigen Ereignisse, die Verwundungen, schon sehr lange zurück. In einem Falle, an den er dabei immer ganz besonders erinnert wird, seien das schon weit über fünfundzwanzig Jahre. Die Einstellungen zu dem, was war, dann die Narben und vielleicht noch einiges mehr, erlauben uns keine jugendliche Unbekümmertheit im Umgang miteinander. Der Spontaneität steht die Rücksichtnahme, ein bisschen auch die ängstliche Vorsicht, gegenüber. Es ist eine schon eingefleischte Vorsicht vor neuer Unbill, die ganz ohne jede Absicht, aus Unwissenheit oder Dummheit zustande kommen könnte und so etwas wie eine Tretmine darstellt, eine Tretmine gegen die Seele. Unter Umständen ist es nicht nur eine, vielleicht sind es mehrere Tretminen, die so herumliegen. Über diese Tretminen wollte er mit mir sprechen. Sie waren einer der Gründe für seine Einladung. Er wollte aber nicht nur darüber sprechen, er wollte, dass wir bei diesem Sprechen und Beschreiben und Bereden an den entsprechenden Stellen kleine Wimpel aufstellen mit der Aufschrift: Vorsicht, Tretmine. Er wollte warnen. Er wusste ja nicht genau, wo die sind. Die Tretminen sind Episoden, Ereignisse und Schicksalsschläge im Leben, die haften geblieben sind und Spuren hinterlassen haben. Vieles ist in Vergessenheit geraten, aber einiges ist noch so gegenwärtig, als sei es gestern...