E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Köb / Sauerborn Schriftspracherwerb in heterogenen Lerngruppen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-044311-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-17-044311-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Erwerb schriftsprachlicher Kompetenzen ist für die Teilhabe an der von Literalität geprägten Gesellschaft fundamental. Lehrkräfte sehen sich hier bei heterogenen Lerngruppen mit anspruchsvollen Herausforderungen konfrontiert. Das Buch stellt zentrale Teilbereiche des Schriftspracherwerbs durch eine Verknüpfung von fachdidaktischen sowie sonder- und grundschulpädagogischen Perspektiven differenziert dar. Im Mittelpunkt stehen die spezifischen Besonderheiten und Bedürfnisse verschiedener Lerngruppen (z. B. DaZ-Lernende oder Lernende aus den sonderpädagogischen Schwerpunkten). Dies ermöglicht es, individuelle Lernverläufe umfassend und gezielt zu betrachten sowie entsprechend bedarfsorientiert passgenaue Angebote zu entwickeln.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2 Schriftspracherwerb bei Lernenden mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ)1
Hanna Sauerborn Im Basisartikel in diesem Band (? Kap. 1) wurde der Schriftspracherwerb unter der Prämisse der Entwicklung eines Regelgrundschulkindes beleuchtet, wobei die Kategorie Regelgrundschulkind an sich diskutabel, im Hinblick auf den Vergleich Lernender mit anderen Lernvoraussetzungen zu einem gewissen Grad jedoch dienlich ist. Als Regelgrundschulkind wird dabei einerseits ein Kind verstanden, das eine Regelklasse in der Grundschule besucht. Zudem würde man bei einem Regelgrundschulkind aktuell davon ausgehen, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, einem Unterricht in der Landessprache zu folgen, der für Lernende konzipiert ist, die genau diese Landessprache als Erstsprache sprechen. Dass ein Festhalten an einer solchen muttersprachlichen Konzeption des Deutschunterrichts nicht hinreichend und ein Umdenken erforderlich ist, stellen mehrere Autor:innen dar, z.?B. Belke (2019), Haueis (1994, S. 11) oder Steinig und Huneke (2022, S. 12). Innerhalb der verschiedenen Heterogenitätsdimensionen an Grundschulen bildet die Gruppe der Lernenden, die einen mehrsprachigen Hintergrund haben, die größte Gruppe an Schüler:innen ab, die sich bezogen auf die Lernbedingungen für den Schriftspracherwerb vom oben skizzierten Regelgrundschulkind möglicherweise unterscheiden. Als mehrsprachig (bzw. zweisprachig) werden die Kinder bezeichnet, »die in ihren ersten Lebensjahren in Interaktionssituationen geraten, in denen mehrere Sprachen in kommunikativ relevanter Weise Verwendung finden« (Reich 2010, S. 8). Wie viele Kinder dies bundesweit betrifft, stellt derzeit ein Forschungsdesiderat dar und wurde nur exemplarisch für bestimmte Regionen erhoben (z.?B. Decker-Ernst & Schnitzer 2013), allerdings wird die Gruppe der Viertklässler:innen mit offiziellem Zuwanderungshintergrund aktuell auf 38,3?% beziffert, mit starken Unterschieden zwischen einzelnen Bundesländern (z.?B. Brandenburg: 58,3?%; Sachsen: 12,2?%; vgl. Henschel et al. 2022, S. 303). Schaut man jedoch genauer, welche Gruppe in der Studie als mit Zuwanderungshintergrund verstanden wird (s.?u.), wird deutlich, dass auch diese Zahl nur einen Teil der Lernenden abbildet, die mehrsprachig aufwachsen, und die tatsächliche Gruppe auf jeden Fall noch größer ist. Durch ihre Mehrsprachigkeit verfügen diese Kinder über besondere Ressourcen: Erwerben sie in »ihren« Sprachen gute Sprachkompetenzen, die ihnen die Kommunikation in beiden Sprachen erlauben, können sie als bilingual bezeichnet werden. Bilingualität gilt als eine »wichtige Fähigkeit in unserer Gesellschaft« (Leyendecker 2016, S. 1). Beim Schriftspracherwerb unterscheiden sich die Lernvoraussetzungen mancher mehrsprachiger Kinder möglicherweise von denen anderer Kinder, dies auch in Abhängigkeit von den Kompetenzen in den Sprachen, die das Kind kommunikativ nutzt. Um die Besonderheiten der Lerngruppe mehrsprachiger Kinder darzustellen, soll zunächst auf unterschiedliche Szenarien an Sprachbiografien eingegangen werden, um die Heterogenität innerhalb der Lerngruppe aufzuzeigen. So erwerben z.?B. nicht alle mehrsprachigen Kinder Deutsch als Zweitsprache, sondern z.?B. im parallelen Spracherwerb auch als Erstsprache. Für manche Kinder wiederum stellt Deutsch z.?B. die Drittsprache dar. Auf die Darstellung möglicher Sprachbiografien aufbauend werden verschiedene Aspekte, die beim Schriftspracherwerb bei Lernenden aus dieser Gruppe anders sein können, mit Bezug auf das KOMET-Modell dargelegt. Allerdings erfolgt dies nur exemplarisch. 2.1 Mehrsprachigkeit in der Grundschule
2.1.1 Verschiedene Erwerbsszenarien
In welcher Sprache fühlst du dich am wohlsten? Türkisch, Türkisch, Türkisch, Türkisch.
Weil ich weiß Türkisch mehr als Deutsch.
Weil als ich geboren bin hatte erste meine Mama mir Türkisch gesagt.
Und dann, als ich bei Türkisch alles weißt, hatte sie mir Deutsch. (Junge, sieben Jahre, Mitte Klasse 1)
Innerhalb der Gruppe der mehrsprachigen Schüler:innen kann es ganz unterschiedliche Sprachbiografien geben, was auf die sprachlichen Kompetenzen der Lernenden im Deutschen und in der/den Herkunftssprache(n) zum Zeitpunkt der Einschulung Einfluss haben kann. Diese verschiedenen Erwerbsbedingungen müssen bei Fragen um den Schriftspracherwerb berücksichtigt werden (Kalkavan-Aydin 2022, S. 22). Zudem sollte die Sprachkompetenz im Deutschen immer im Hinblick auf die Sprachkontaktzeit sowie Sprachkontaktintensität zum Deutschen beurteilt werden. Montanari (2008) beschreibt verschiedene Formen mehrsprachiger Lebensumstände und betont dabei, wie wichtig es sei, zu fragen, wie Menschen ihre Sprachen benutzten. Tabelle 2.1 versucht, verschiedene mehrsprachige Spracherwerbskontexte darzustellen. Tab. 2.1:Mögliche verschiedene Sprachumgebungen Elternteil 1 / Bezugsperson Elternteil 2 / Bezugsperson Geschwister Familien-
sprache Kontakt zum Deutschen 1 Deutsch Sprache 1 D/Sprache 1 D/Sprache 1 Geburt 2 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1 Vor dem Alter von 2,6 Jahren 3 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1 3 Jahre 4 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1 5 Jahre 5 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1 Schule 6 Sprache 1 Sprache 1 Sprache 1/D Sprache 1/D Kita/
Geschwister 7 Sprache 1 Sprache 2 Sprache 1/2 Sprache 1/2 Siehe Nr. 2?–?6 8 Sprache 1 Sprache 2 Sprache 1/2/3 Sprache 1/2/3 Siehe Nr. 2?–?6 9 ... Bei dem in der Tabelle aufgeführten Szenario 1 liegt ein bilingualer Erstspracherwerb vor, denn beide Sprachen werden simultan erworben (Schneider 2015). In der Forschung gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob Szenario 2 auch als bilingualer Erstspracherwerb gilt (ebd.). Dieses Szenario kann z.?B. vorliegen, wenn ein Kind, das zu Hause von einer anderen Sprache als Deutsch umgeben ist, früh in eine Krabbelgruppe oder Kita geht und dort viel mit der deutschen Sprache in Kontakt kommt. Für einen monolingualen Spracherwerb und einen simultan bilingualen Spracherwerb scheinen ähnliche Variablen zu gelten (Ferstl 2020, S. 35), dennoch verläuft der bilinguale Erwerb anders (u.?a. bilingual bootstrapping, Gawlitzek-Maiwald & Tracy 1996), auch in der Abhängigkeit vom Sprachkontakt in den Sprachen. Teilweise wird der direkte Vergleich von monolingualem und bilingualem Spracherwerb auch stark kritisiert, vor allem dann, wenn Bilingualität immer aus dem Fokus der Monolingualität beurteilt wird (Schneider 2015, S. 195). In Szenario 3 und 4 werden die Sprachen sukzessiv erworben (ebd., S. 18). Man spricht von einem frühen Zweitspracherwerb (Ahrenholz 2022), wobei für das schulische Lernen zwischen Szenario 3 und 4 deutliche Unterschiede zu erwarten sind, da im Falle von Szenario 4 das Kind zum Schuleintritt erst eine Sprachkontaktzeit von einem Jahr hat und somit vermutlich erst über Grundkenntnisse im Deutschen verfügt. Im frühen Zweitspracherwerb erfolgt der Spracherwerb ungesteuert (Dimroth 2008). In Szenario 5 spricht man vom kindlichen Zweitspracherwerb (Ahrenholz 2022). Das Deutsche wird einerseits gesteuert institutionalisiert im Unterricht vermittelt, ebenso findet in Spiel- und anderen Alltagssituationen, in denen die Kinder von Deutsch umgeben sind, ein ungesteuerter Erwerb statt. Szenario 6 beschreibt eine Situation, die auch in einem der anderen Sprachsettings stattfinden kann: Die Geschwister sprechen bereits Deutsch und unterhalten sich zu Hause, zumindest teilweise, untereinander auch auf Deutsch. Das...