König | Das Hintertürl zum Paradies | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 202 Seiten

König Das Hintertürl zum Paradies


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-475-54538-2
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 202 Seiten

ISBN: 978-3-475-54538-2
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Limmer Georg zieht aus der Großstadt aufs Land, um Bauer zu werden. Die Bewohner des winzigen Dorfes, in dem er sich niederlassen möchte, sind gegenüber dem 'Stadtfleck', der obendrein aus der Kirche ausgetreten ist, zunächst äußerst skeptisch. Georg trifft auf einen Menschenschlag, der raubeinig und rauflustig ist, wenn es um den eigenen Querschädel geht, doch er geht seinen Weg mit derselben Beharrlichkeit. Nach und nach bringt man ihm so etwas Respekt entgegen: Immerhin ist der Georg hilfsbereit und freundlich, zudem trinkt er die meisten Dörfler mühelos unter den Tisch. Vieles von dem, was der Autor kraftvoll schildert, hat er selbst erlebt.

Jürgen König ist dem Publikum seit vielen Jahren als freier Journalist, Schirftsteller und Drehbuchautor bekannt. Überdies hat er verschiedene Romane und Reportagen in Buchform veröffentlicht, von denen einige auch verfilmt wurden.
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1


Alles war ziemlich merkwürdig an diesem Tag. Die Menschen im Dorf benahmen sich sonderbar, waren aggressiv und gereizt. Der Bauer Lehmann, sonst ein friedfertiges, phlegmatisches Mannsbild, kochte vor Erregung und wusste nicht, weshalb. Die Höck Maria, die Spechtinger Wirtin, stand weinend vor dem großen Küchenherd, weil ihr die Semmelknödel bereits zum dritten Mal zu matschigem Brei zerfallen waren; dass ausgerechnet ihr das passieren musste!

Es war Hochsommer, und über Spechting lag eine unheimliche Stimmung. Der Himmel wölbte sich nicht wie sonst, er hing schwer und schweflig über dem kleinen Kessel, in dem sich, entlang der Dorfstraße, ein Dutzend Bauernhöfe duckte. Ein Unwetter zog auf. Es kam vom Tegernsee herüber, einer Gegend, aus der ohnehin selten Gutes kam. Kein Windhauch regte sich. Hunderte von Schwalben segelten wie irr an den Hausmauern entlang, und ihre eifrige Geschwätzigkeit steigerte sich zu einem panischen Geschrei. Drei, vier von ihnen klatschten im Sturzflug gegen Mauern und Fensterscheiben und blieben tot oder benommen auf dem Pflaster vor der Wirtschaft liegen. Der Höck Lukas, sonst so vernarrt in seine Kälber und Kühe, drosch wie von Sinnen mit einem Haselnussstock auf die Tiere ein, um sie in den schützenden Stall zu treiben; nie zuvor hatte er sein Vieh so geschunden.

Obwohl es erst kurz vor sieben war, brannte in der Wirtsstube schon Licht. Am Stammtisch hockten der Springer Marinus, ein Bauer aus Seiling, der Wegscheider Martl, ein derber, knöcherner Einödler, und der Limmer Georg, der »Stadtfleck«, der sich im Laufe der letzten beiden Jahre in Spechting eine kleine Landwirtschaft aufgebaut hatte und so recht und schlecht über die Runden kam. Die drei hatten sich nicht viel zu sagen und nippten lustlos an ihren Biergläsern; von Zeit zu Zeit stand einer von ihnen auf, ging zum Fenster und blickte sorgenvoll zum Himmel. Der Wegscheider Martl stützte seinen Kopf in die Hände und sagte: »Dös schaugt ganz nach Hagel her, Kruzefix, kruzefix!«

»Oda d’ Welt geht unter«, gab der Springer Marinus zu bedenken, und obwohl er sich bemühte, gleichgültig zu scheinen, tanzten seine Finger unaufhörlich um die Glieder der silbernen Uhrenkette herum.

»Vielleicht verzieht sich’s wieder«, gab der Limmer Georg mit einem Anflug von Hoffnung zu bedenken.

»Freilich verzieht sich’s wieder«, grantelte der Wegscheider, »irgendwann verzieht sich’s immer. Aba zuvor haut’s uns dös ganze Zeug z’amm.«

Der Wegscheider stand auf, steckte seinen Kopf in die Kuchl und sagte zur Höck Maria, seiner Schwester: »I muaß hoam. Schreib auf, was i g’habt hab. Zahl’n tu i nix, weil i koa Geld net dabei hab.«

»Geh, Martl! Wart halt, bis dös Wetter vorbei is«, mahnte die Maria.

»Nix da. I muaß hoam, bevor mei Viech narrisch werd.« Und mit Riesenschritten verließ der Wegscheider die Wirtsstube, warf seinen Traktor an und tuckerte die Dorfstraße hinunter. Der Limmer und der Springer sahen ihm nach, bis er hinter einem Hügel verschwunden war.

Fast gleichzeitig zuckten zwei, drei grelle Blitze, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Das Licht flackerte, erholte sich noch einmal ganz kurz und erlosch dann endgültig; der Blitz hatte eine Stromleitung getroffen. Und als sei dies das Signal zu Schlimmerem, schlug der Hagel los. Taubeneigroße Schlossen trommelten auf die Häuser, Dachplatten platzten wie Bratäpfel, Fensterscheiben zersplitterten, und eine Henne, die es nicht bis zum Stall geschafft hatte, wurde von einem Eisklumpen glatt erschlagen. Ein orkanartiger Sturm heulte um die Hausecken, Bäume wurden von dem Trommelfeuer der Hagelschlossen kahl rasiert, und binnen Minuten stieg auf der Dorfstraße das Eis knöchelhoch. In den Ställen brüllte das Vieh, die Kanaldeckel am Straßenrand schienen überzukochen. Das Dorf brodelte wie in einem Hexenkessel.

Inzwischen hatten sich der Höck Hiasl, der Wirt, und sein Sohn, der Luk, zum Limmer Georg an den Stammtisch gesetzt. Die Höck Maria hatte ein paar Kerzen angezündet; im flackernden Licht schimmerten die Gesichter der Männer grau und hohl. Der Springer Marinus stand mit weit aufgerissenen Augen am Fenster und schrie unentwegt: »Himmelherrgottsakra! Mei Treibhaus! Meine Kohlrabi! Meine Tomat’n! Meine Radieserl! Alles hin! I muaß hoam! Ach was – is eh scho z’spät. Huren-Hagel, varreckta!«

Erst im Frühjahr hatte er sich hinter seinem Hof ein großes Treibhaus gebaut, ganz aus Glas. Mehr als ein Scherbenhaufen war inzwischen wohl nicht mehr übrig davon. Der Luk ging in den Stall, um das Vieh zu beruhigen; vor allem wollte er sich um den Stier kümmern, den der Höllenspektakel fast um sein bisschen Verstand brachte. Er stampfte und zerrte an der Kette, dass das Holz ächzte. Auch der Limmer Georg fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Um Max und Moritz, seine beiden Haflinger-Hengste, war ihm nicht bange; die beiden hatten Nerven wie Drahtseile. Desto mehr sorgte er sich um die zehn Schafe und um Anna, die sensible Ziege. Die fünf Schweine würden sich zwar gleichfalls höllisch ängstigen, aber in ihrem Bretterverschlag waren sie gut aufgehoben. Doch Rocker, dieser Teufel von einem Stier, der mit seinen 18 Monaten mitten im schlimmsten Flegelalter war und schon Terror machte, wenn die Kreissäge einmal länger lief, als ihm passte, der würde es wohl schaffen, die sechs Kühe verrückt zu machen. Dem Limmer brannte der Hintern. Am liebsten wäre er aus der Wirtschaft gestürmt. Es waren knapp 200 Meter bis zu seinem Hof, den er im niederprasselnden Hagel wohl nicht ohne Schaden erreichen würde. Jetzt das Haus zu verlassen, war lebensgefährlich. Ein einziger dieser höllischen Tennisbälle hätte ihm den Schädel einschlagen können. Also blieb nur die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Unwetters.

Nach gut 20 Minuten war der Spuk vorbei. Zwar zuckten immer noch Blitze am inzwischen tiefschwarzen Himmel, aber der Hagel hatte aufgehört; dafür goss es in Strömen. Der Limmer starrte aus dem Fenster. Die Obstbäume in seinem Garten standen nackt da, als wäre ein Insektenschwarm über sie hergefallen. Apfelmus und Zwetschgenmarmelade konnte er für dieses Jahr wohl vergessen. Er bezahlte sein Bier, nahm noch einen doppelten Obstler mit auf den Weg und wollte gerade die Wirtschaft verlassen, als ein Traktor die Dorfstraße herunterkam. Es war der Wegscheider Martl, den alle schon längst zu Hause vermutet hatten. Die Windschutzscheibe hatte er geschlossen, und das Kabinendach fehlte, weil es im Sommer wegen der Hitze meistens abmontiert wurde. Auf den immer noch taubeneigroßen Hagelschlossen, mit denen die Straße gepflastert schien, schlitterte das schwere Fahrzeug von einer Straßenseite auf die andere. Hinter der regennassen Scheibe, über die der Wischer hin- und hertanzte, kauerte schemenhaft der Wegscheider. Irgendetwas stimmte nicht.

Jetzt hatte er die Wirtschaft erreicht, und als der Limmer Georg an den Traktor herantrat, kippte der Wegscheider über das Lenkrad. Und da sah der Limmer, dass der Martl aus mehreren Kopfwunden blutete, und auf den Handrücken hatten sich dunkle, blutunterlaufene Flecken gebildet. Dem Limmer wurde ganz anders.

»He! Luk! Maria! Schnell, helft’s mir. Der Wegscheider blutet wie a abg’stoch’ne Sau.« Und während er den Wegscheider festhielt, wartete er auf Verstärkung.

»Ja um Gott’s will’n, Martl! Lebst denn überhaupts no«, kreischte die Maria, und mit Hilfe des Lukas hob der Limmer den Martl vom Fahrersitz. Er war bewusstlos, über sein blasses Gesicht rannen kleine Blutbäche, seine Haare waren verklebt. Behutsam legten sie ihn auf einen Diwan im Nebenzimmer. Die Maria holte eine Schüssel mit warmem Wasser und ein sauberes Tuch, wusch dem verletzten Martl das Gesicht ab und reinigte seine Kopfwunden.

Jetzt kam wieder Leben in das ausgemergelte Bauerngesicht. Der Wegscheider schlug die Augen auf, und das Erste, was er sagte, war: »Kruzefix, Kruzefix.«

»So schlimm kann’s net sei. Er fluacht ja scho wieda«, sagte die Maria erleichtert. Auch wenn sie ihren Bruder sonst wegen seiner derben Flüche oft zur Ordnung rief, jetzt war sie froh drum, dass er sein Maul überhaupt wieder aufmachte.

»Was is ’n passiert, Martl?« wollte der Luk wissen.

Der Wegscheider verzog sein Gesicht, fasste sich mit den Händen ganz vorsichtig an seine malträtierte Kopfschwarte und jammerte:

»Mei oh mei. Der Huren-Hagel hat mi dawischt. Bevor i vo meim Traktor obakemma bi, hat’s mi vo ob’n dawischt. Als ob’s mia an Sack Stoana auf ’n Schädl schmeiß’n, genau so war’s.«

Der Lukas lud seinen Onkel gleich ins Auto und fuhr mit ihm nach Miesbach zum Doktor Hochbichler. Der zählte fünf Treffer und flickte mit ebenso vielen Nähten den zerschundenen Schädel wieder zusammen. Dann verordnete er dem Wegscheider strenge Bettruhe, weil er auch eine leichte Gehirnerschütterung abbekommen hatte, und entließ ihn mit den besten Wünschen für eine schmerzfreie Nacht.

Doch der Martl wäre keiner derer von Wegscheid gewesen, wenn er sich nach diesem Erlebnis folgsam ins Bett gelegt hätte; vielmehr verordnete er sich seine eigene Kur, und zwar im Spechtinger Wirtshaus. Wenigstens zwei doppelte Obstler schienen ihm nach all der Aufregung angebracht. Dann ging er zum gemütlichen Teil über und bestellte ein Bier und eine anständige Brotzeit. Auf seinem Kopf leuchtete ein...



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