König | Der Westen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 522 Seiten

König Der Westen

Islamisch geprägte Perspektiven
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-593-46055-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Islamisch geprägte Perspektiven

E-Book, Deutsch, 522 Seiten

ISBN: 978-3-593-46055-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Der Westen« ist nicht nur eine Himmelsrichtung, sondern ein Konzept der Weltordnung, das die globalen Diskurse unserer Zeit prägt. Doch wie wird er wahrgenommen? Das Buch beleuchtet den Westen (al-?arb) aus islamisch geprägten Perspektiven, die in Westasien, Nordafrika und Europa formuliert wurden. Es zeigt, wann das Konzept aufkam, welche Vorläufer es ersetzte und welche Vorstellungen mit ihm einhergehen. In Miniaturen, die einzelnen Bildern vom Westen gewidmet sind, führt es vom 7. Jahrhundert bis in die Gegenwart: Es zeichnet nach, wie Muslime mit einer als »fränkisch« verstandenen Sphäre in Berührung kamen und wie dann Handel, Diplomatie, Kreuzzüge und andere Formen der Beziehungen ihre Bilder davon prägten. Im Zeichen der kolonial geprägten Moderne verbreitete sich im 19. Jahrhundert ein Konzept des Westens. Unter dem Eindruck westlichen Hegemonialstrebens und islamistischer Gegenentwürfe wurde es mit Deutungen und Emotionen belegt, die viele Zwischentöne aufweisen.

Daniel G. König ist Professor für Religionsgeschichte an der Universität Konstanz.
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Fluide Definitionen. Ambiguitäten eines kulturalistischen Konzepts


Im Jahre 1955 wurde posthum ein Essay des ägyptischen Intellektuellen A?mad Amin (1867-1954) unter dem Titel veröffentlicht.4 Dieser lässt sich mit »Osten und Westen« übersetzen, aber auch – eher kulturalisierend und der Diktion des Essays folgend – mit »Orient und Okzident«. Amin setzt sich hier stark essenzialisierend mit zwei kulturellen Sphären auseinander, die er vergleichend und im Hinblick auf ihre Beziehungsgeschichte beleuchtet und interpretiert. Der Essay beschäftigt sich mit fundamentalen Themen dieses Buches und kann somit dazu dienen, anhand eines konkreten Beispiels eine Einführung darin zu geben.

  1. Erstens behandelt der Essay die grundlegende Frage, was unter den Begriffen »der Westen« und »westlich« eigentlich zu verstehen ist, verweist also auf eine grundsätzliche Definitionsproblematik.

  2. Zweitens geht aus der Lektüre des Essays hervor, dass Amins Westbilder an einen spezifischen historischen Kontext gebunden sind, sich also von Alternativen unterscheiden, die in anderen historischen Kontexten formuliert wurden. Amins Text wirft damit die Frage nach den Ursprüngen, der Verbreitung und der Nutzung eines Konzepts des Westens und dazugehöriger Narrative auf.

  3. Drittens und letztens schreibt Amin nicht explizit als Muslim, obwohl er Absolvent der al-Azhar war, einer der berühmtesten theologischen Hochschulen der islamischen Welt, und auch mehrere Jahre als Richter () wirkte. Vielmehr präsentiert er sich in diesem Essay als Vertreter einer als »orientalisch« () definierten Kultur. Dies führt zu Überlegungen, welche Rolle »dem Islam« in der Konzeptualisierung »islamisch geprägter Bilder des Westens« zukommt und inwieweit es möglich ist, von spezifisch »muslimischen« Vorstellungen vom Westen zu sprechen.

Gleich zu Anfang seines Essays macht Amin deutlich, dass Definitionen des Westens vielfältig, fluide und von Ambiguitäten gekennzeichnet sind.

»Unter den Gelehrten gibt es einige, die den Unterschied auf die geographische Bedeutung zurückführen. Sie haben also definiert, dass dem Orient all das zugehöre, was sich östlich des Mittelmeers nach Norden und Süden erstreckt. Somit umfasse er Indien, China, Japan, die Sowjetunion, den Iran und die gesamte arabische Welt, darunter auch Ägypten, ebenso aber Australien. Der Okzident wiederum umfasse Europa und Amerika. Allerdings wirft diese geographische Definition viele Gegenargumente auf. Das wichtigste ist, dass es in Europa Gegenden wie etwa einen großen Teil der Türkei gibt, die als orientalisch erachtet werden, und es im Orient wiederum Gegenden wie Südafrika gibt, die als westlich erachtet werden. Deswegen sind einige dazu vorgestoßen, eine geographische Definition aufzugeben, und haben sich einer Definition auf der Grundlage bestimmter Merkmale zugewandt.«5

Geographische, historische, kulturelle oder systemische Verortung?


Im Verweis auf gelehrte Diskurse macht Amin also deutlich, dass der Westen weder auf eine westliche Hemisphäre, also die beiden amerikanischen Kontinente, noch eine westeuropäisch-nordamerikanische atlantische Sphäre reduziert werden kann. Eine geographische Verortung erscheine deswegen nicht ausreichend, weil auch Gesellschaften außerhalb dieser Gebiete als westlich betrachtet würden. Am Beispiel Südafrika illustriert er, dass v. a. solche Gesellschaften als westlich betrachtet werden, die von Europa aus besiedelt und, z. B. durch Christianisierung, kulturell geprägt worden sind, darunter Australien, Neuseeland und Südafrika. Neben die geographische tritt damit eine kulturelle Verortung.

Dennoch ist eine Geschichte europäischer Besiedlung und kultureller Prägung kein Garant dafür, dass Gesellschaften als westlich anerkannt werden. Ehemalige Kolonien wie etwa Indien werden trotz des enormen britischen Einflusses auf die Geschichte des Subkontinents generell nicht dem Westen zugerechnet. Selbst die Gesellschaften Mittel- und Südamerikas, deren europäische Besiedlung, Christianisierung und stark europäisch beeinflusste Kulturgeschichte wohl kaum zu leugnen sind, spielen in Diskursen zum Westen eine viel geringere Rolle als die Gesellschaften Europas und Nordamerikas. Folgt man Amin, mag dies damit zusammenhängen, dass diesen Gesellschaften bestimmte Merkmale abgesprochen werden, die als charakteristisch für westliche Gesellschaften gelten. Neben die geographische und kulturelle tritt damit eine systemische Verortung, die Amin folgendermaßen ausbuchstabiert:

»Der Westen soll sich also durch technischen Fortschritt, industrielle Bewegungen und Demokratie auszeichnen, wobei seine Literatur und Kunst eine besondere Färbung aufweisen sollen – eine stärker pragmatische als theoretische Orientierung, Respekt vor Frauen, denen man größere Freiheiten zugestehe. Der Orient wiederum soll von Abhängigkeit, der Akzeptanz von Willkürherrschaft, ständigem Streit im Umgang miteinander, der Reduktion von Frauenrechten, der weiten Verbreitung abergläubischer Vorstellungen und anderen ähnlichen Dingen geprägt sein. Wenn wir danach gehen, kommt den geographischen Grenzen keinerlei Wert zu. Wir müssten dann behaupten, dass die Japaner westlich geworden oder durch westliche Charakteristika geprägt worden sind, wie wir gleichzeitig behaupten müssten, dass einige Europäer orientalisch geworden oder von orientalischen Charakteristika geprägt worden seien. Orientalisch und westlich wären damit Charakteristika ohne geographische Beschränkung.«6

Die von Amin in den frühen 1950er Jahren genannten systemischen Merkmale decken sich größtenteils mit heute noch gängigen Vorstellungen. Diesen zufolge sind westliche Gesellschaften grundsätzlich Industriestaaten. Ihr gesellschaftspolitisches Wertegerüst beinhaltet Zustimmung zu einer Form des demokratischen, parlamentarischen politischen Systems, zum Prinzip der Gewaltenteilung, zum Prinzip der Meinungsfreiheit und der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks, zur Erklärung der Menschenrechte, zur grundsätzlichen Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlichen Geschlechts sowie mittlerweile auch zur Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung.

Auf Grundlage einer solchen systemischen Definition würden z. B. Japan und Südkorea – trotz großer kultureller Unterschiede zu Europa und Nordamerika – als westliche oder zumindest stark verwestlichte Gesellschaften anerkannt. Ausschlaggebend hierfür ist, dass sie spätestens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als westlich verstandene Produktions-, Organisations- und Lebensformen perfektioniert haben, darunter eine konkurrenzfähige Industrie und Technologie, ein auf Wahlen begründetes rechtstaatliches und parlamentarisches System der Gewaltenteilung sowie eine materialistisch ausgerichtete Kultur. Nach dieser systemischen Definition können Gesellschaften durch Annahme bestimmter Merkmale unabhängig von ihrer Lage auf dem Erdball und ihren kulturellen Traditionen »westlich werden«.

Eine rein systemische Definition des Westens ist allerdings problematisch, weil sie theoretisch viele Gesellschaften ausschließen würde, die aufgrund ihrer geographischen Lage in der westeuropäisch-nordamerikanischen atlantischen Sphäre oder ihrer westeuropäischen kulturellen Prägung gemeinhin zum Westen gezählt werden: Industriell bedingter Wohlstand war nie allen Gesellschaften der nördlichen transatlantischen Sphäre gemein – man denke an die schwierigen wirtschaftlichen...



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