E-Book, Deutsch, Band 2, 288 Seiten
Reihe: Die Tue-Trilogie
Korsgaard Stadt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98568-142-6
Verlag: Kanon Verlag Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 288 Seiten
Reihe: Die Tue-Trilogie
ISBN: 978-3-98568-142-6
Verlag: Kanon Verlag Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thomas Korsgaard, geb. 1995, schrieb seinen Debütroman »Hof« mit gerade mal 21 Jahren. Band 2 und 3 der Trilogie folgten wenige Jahre später. Seine Romane haben sich in Dänemark mehr als 300.000 Mal verkauft. Für seinen letzten Roman wurde Thomas Korsgaard mit dem Literaturpreis Goldene Lorbeer ausgezeichnet und ist damit der jüngste Preisträger aller Zeiten. Bei Kanon erschien Band 1 »Hof« im Herbst 24, Band 3 »Paradies« wird im Herbst 25 erscheinen.
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KAPITEL 7
Morten und ich standen in der Küche und verzierten die Eistorten mit Marzipanrosen, damit sie wie selbstgemacht aussahen. Meine Mutter hatte auch Tortenfontänen gekauft. Wir sollten die Torten zum Abschluss des Abends an den Tisch bringen, während von irgendeinem Handy der »Champagner-Galopp« abgespielt wurde. Eigentlich hatte ich schon beschlossen, bei der Party nicht dabei zu sein.
»Du bist so egoistisch, du willst immer nur allein sein«, hatte meine Mutter mich angeschnauzt, als ich ihr das mitteilte. Ich hatte schlagartig Bauchschmerzen bekommen, weil sie recht hatte. Jetzt galt es nur, diesen Abend zu überstehen.
Das Küchenfenster stand offen, und wir mussten uns beeilen, weil die Eistorten schon anfingen zu schmelzen. Sie sollten bis zu ihrem Einsatz zurück in die Gefriertruhe.
»Kann ich jetzt mal fröhliche Gesichter sehen?«, rief uns meine Mutter durchs Fenster zu. Sie war auf dem Hofplatz und hängte Lichterketten an die Wäscheleine, unter der zwei Gartentische standen, die sie zusammengeschoben hatte. An der Leine hing auch ein schimmernder blauer Luftballon. Die anderen in der Packung waren bröselig und ließen sich nicht aufblasen. Mein Vater hatte rosa Bauernrosen mitgebracht, die auf dem Tisch standen und die Köpfe hängen ließen.
»Die Gäste kommen bald, her mit der guten Laune! Ich will ein Lächeln sehen, Kinder!«, rief meine Mutter.
»Ich kann nicht lächeln, wenn ich mich konzentrieren muss!«, rief Morten und ging ins Badezimmer, um sich die Haare zu machen.
»Freust du dich denn gar nicht, Tue?« Meine Mutter sah durchs Küchenfenster.
»Nein«, sagte ich, weil ich nicht lügen wollte. »Ich will nicht dabei sein. Das willst du ja auch nicht. Wolltest du nicht nach Fünen ziehen?«
»Sei still. Darüber reden wir heute nicht. Heute wird gefeiert.«
Meine Mutter hatte sich ihr Hochzeitskleid umnähen lassen, damit es ihr wieder passte. In den vergangenen zwölfeinhalb Jahren hatte sie einige Kleidergrößen zugenommen. Irgendwie hatte das Fett sie in die Knie gedrückt, sie krumm gemacht. In einem Fotoalbum bei O. P. und Oma hatte ich sie als junge Frau gesehen. Damals war sie hübsch gewesen. Das war lange vor meinem Vater und uns. Lange vor der Totgeburt, den vielen Rechnungen, den Nachrichten von der Kommune und der Depression. Sie hätte so hübsch sein können.
Ich war gerade dabei, den Tisch zu decken, als Glenn und Stereo ankamen und auf dem Acker neben dem Haus parkten. Gabeln, Messer und die schwarzen, viereckigen Teller, die Tante Trunte mitgehen lassen hatte, als sie noch in Jensens Bøfhus arbeitete. Stereo zog ihre Cargohose hoch und drehte an ihrem Ohrring, während sie auf uns zukam.
»Hey Baby, alles Gute zur Petersilienhochzeit«, sagte sie und setzte sich.
Eigentlich hieß sie Diana, aber weil sie immer so laut redete, wurde sie Stereo genannt. Meine Mutter hatte die Theorie, dass Stereo in Wirklichkeit lesbisch war. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, aber sie war mit Glenn verheiratet. Er kam nach, sein langes schwarzes Haar trug er zu einem Pferdeschwanz gebunden, der auf seine schwarze Lederjacke fiel. Die beiden sahen aus wie Rocker, waren aber laut meiner Mutter die nettesten Menschen der Welt.
»Hallöchen, ihr Heinis, ihr seid zu früh«, sagte meine Mutter. Sie drehte sich zu mir um. »Tue, die Gabeln kommen auf die linke Seite«, murmelte sie leise. »Wenn du jemals ein Mädchen beeindrucken willst, dann solltest du wissen, wie man einen Tisch deckt.«
»Habe ich eh nicht vor«, antwortete ich, lief einmal um den Tisch herum, um das Besteck zu tauschen, und setzte mich dann hin. Meine Mutter kannte Stereo schon seit vielen Jahren, sie hatten zusammen in der Fischfabrik in Glyngøre gearbeitet. Jetzt hatten sie über Facebook wieder Kontakt aufgenommen. Meiner Mutter fiel es immer leicht, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Stereo und Glenn arbeiteten an der ok-Tankstelle an der A 26, ganz in der Nähe von O. P.
»Wie du aussiehst!«, sagte Stereo und musterte meine Mutter von oben bis unten.
»Warum? Was meinst du?«
»Dieses Kleid! Hammersexy, meine Liebe.«
»Hör doch auf«, sagte meine Mutter und setzte sich neben Stereo.
»Lass sie reden«, sagte Glenn. »Sie wird ganz blöd im Kopf, weil sie den ganzen Tag Benzin verkauft.«
»Wir verkaufen doch auch andere Sachen, Idiot«, sagte Stereo. »Aber ganz im Ernst, du siehst toll aus.«
»Danke, du Süße«, sagte meine Mutter.
»Seid ihr Millionäre geworden, oder was?«, fragte Glenn und ließ seinen Blick über die Dekorationen schweifen. Ich folgte seinem Blick.
»Nein, das nun wirklich nicht«, sagte meine Mutter.
»Und woher habt ihr dann das Geld für die Party und die Deko?«
»Wir haben gespart!« Meine Mutter drückte ihre Zigarette im Kies aus und nahm den Strauß gelber Rosen, den Stereo mitgebracht hatte. Die Blätter waren übersät mit braunen Flecken.
»Alle Achtung«, sagte Stereo.
»Ja, so lange verheiratet zu bleiben schaffen nicht viele«, sagte meine Mutter.
»Ich meinte das Sparen, du Knallkopp.« Stereo zog eine Dose Bier aus einer Tasche ihrer Cargohose und öffnete sie mit dem Mittelfinger.
Meine Mutter stand auf, um sich um das Essen zu kümmern. Ich blieb sitzen und überlegte hektisch, worüber ich mit den beiden reden konnte.
»Vor Kurzem war der Bürgermeister bei uns an der Tanke«, sagte Stereo.
»Echt?«, sagte ich.
»Und weißt du was, Tue?«
»Was?«
»Er hat eine Flasche Wodka gekauft.«
»Das ist doch nichts Ungewöhnliches, oder?«
»Oh, doch! Weil es um sieben Uhr morgens war, und weißt du was?«
»Was?«
»Er hat irre viele Kanister Scheibenklar gekauft. Und weißt du noch was? Er hat vergessen, seine Tankrechnung zu bezahlen. Er ist zwar sofort zurückgekommen und hat sich entschuldigt, aber den wähle ich nicht nochmal. Never ever.«
Meine Mutter kam zurück. Sie zupfte ihr Kleid zurecht, das am Bauch hochgerutscht war.
»Die Gäste kommen. Sag mal deinem Vater Bescheid, dass er fertig werden soll«, sagte sie. Ich holte mein Handy raus, um nachzusehen, wie spät es war. Iben hatte geschrieben. Sie war aus den Ferien zurück. Ich steckte mein Handy wieder ein, ohne ihr zu antworten.
Mein Vater kam in dem Augenblick aus dem Badezimmer, als ich durch den Flur lief. Er duftete nach Shampoo, seine Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab. Er rubbelte sie mit einem alten Handtuch trocken, das sonst über der Heizung hing. Dann legte er mir einen Arm um die Schulter.
»Bist du bereit für die große Party?«
»Ich bin nur zum Essen da.«
»Red anständig.«
»Ich habe doch nichts Gemeines gesagt.«
»Du sollst trotzdem anständig reden.«
Er legte seine Hände auf die frisch rasierten Wangen, dann knöpfte er sich das Hemd zu. Das verwaschene blaue mit den weißen Knöpfen.
Ich hörte einen Wagen auf den Hof rollen, es wurde dreimal laut gehupt.
»Da sind sie«, sagte er.
Wir gingen nach draußen, es waren Großmutter und Tante Heidi, die einen Nerz um den Hals trug. Den hatte ihr mein Vater besorgt, als er letzten Sommer auf der Nerzfarm gearbeitet hatte.
»Tach!«, sagte ich und streckte ihnen meine Hand hin. Aber Großmutter wollte mich umarmen. Sie schlug mir zuerst auf den Arm, dann zog sie mich zu sich heran. Es tat ziemlich weh in der Schulter.
»Tach, du kleiner Scheißer!«, sagte sie. Ich ignorierte sie und wandte mich an Tante Heidi. Sie kniff mir ins Ohrläppchen, bevor sie mich umarmte.
»Tach, mein Süßer«, sagte sie. »Hattest du schöne Sommerferien?«
»Bis jetzt schon.«
»Was ist uns da zu Ohren gekommen? Du hast dir eine kleine Freundin zugelegt? Ist sie heute hier?«
»Sie ist nicht meine Freundin.«
»Soso.«
»Sie ist nur eine gute Freundin.«
»Ist sie dir zu hässlich? Ist sie zu hässlich, und du willst sie uns deshalb nicht zeigen?«
»Sie ist nicht hässlich.«
»Alles klar, schon gut«, sagte meine Tante und grunzte, bevor sie die anderen Gäste begrüßte.
Meine Großmutter unterhielt sich mit meinem Vater und hielt dabei die ganze Zeit seine Hand fest.
»Wie läuft es? Besser?«, fragte sie ihn.
»Ja, es läuft ganz gut.«
»Ist lange her, dass ihr das sagen konntet.«
Ich hatte Lust, ihr gegen das Schienbein zu treten. Alte Menschen können sterben, wenn sie stürzen, hatte ich letztens erst gehört.
»Wie geht es Lonny?«, fragte sie meinen Vater, aber dann bemerkte sie, dass ich immer noch dastand. »Wie geht es deiner Mutter?« Jetzt galt die Frage plötzlich mir.
»Ihr geht es prima«, sagte ich.
»Ist sie am Computer und spielt?«
»Nein«, sagte ich. »Sie kocht schon den ganzen Tag. Für dich.«
»Wie gut, dass sie sich wenigstens heute zusammenreißen konnte.«
Es gab so viel, was ich meiner Großmutter sagen wollte, aber es löste sich alles in Luft auf, wenn sie vor mir stand. Sie drückte sich an meinen Vater.
»Und so ganz im Vertrauen, von Mutter zu Sohn?«
»Ja?«
»War sie überhaupt jemals krank? Es ist ein Leichtes, sich in seiner eigenen Welt zu vergraben und sich der Faulheit hinzugeben. Aber wir anderen haben auch dann gearbeitet, wenn wir...