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E-Book

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

Reihe: Vorgeschichten zur Gegenwart

Kreis Vorgeschichten zur Gegenwart

Band 1, Teil 1: Die Schweiz als Kohäsionsfarbik
1., Aufl
ISBN: 978-3-7965-3585-7
Verlag: Schwabe Basel
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Band 1, Teil 1: Die Schweiz als Kohäsionsfarbik

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

Reihe: Vorgeschichten zur Gegenwart

ISBN: 978-3-7965-3585-7
Verlag: Schwabe Basel
Format: EPUB
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Dieser Teil befasst sich mit der Herausbildung eines staatlichen Zusammengehörigkeitsgefühls. Dabei wird deutlich, dass dieses nicht von selbst entsteht, sondern von vielen mitgetragen, aber auch hergestellt und gepflegt werden muss. Vorgeschichten zur Gegenwart (Vorgeschichten zur Gegenwart) Georg Kreis (Hrsg.) Vorgeschichten zur Gegenwart Georg Kreis Vorgeschichten zur Gegenwart Band 1, Teil 1: Die Schweiz als Kohäsionsfarbik Format E-Book: EPUB. 2017. 346 Seiten, 12 Abbildungen. sFr. 12.- / ? (D) 11.99 ISBN 978-3-7965-3585-7

Georg Kreis, em. Professor für Neuere Allgemeine Geschichte an der Universität Basel und ehemaliger Leiter des Europainsitituts
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Schweizerische Landesausstellungen – zu welchem Zweck?


Ein Überblick über die Entwicklung 1804–2002


Warum sich mit der Geschichte der Landesausstellungen beschäftigen? Wie in vielen anderen Geschichten bieten sich zwei grundsätzlich diverse und doch gleichartige Demarchen an: Wir betonen, dass es früher ganz anders war, oder wir betonen, dass es früher auffallend gleich war. Auf Kontrast wäre beispielsweise die Aussage angelegt, dass man früher um das Ausstellungsprojekt viel weniger gestritten habe und das Geld weniger wichtig gewesen sei. Auf Kontinuität pocht dagegen, wenn jemand gerne sagt, dass schon früher um die Ausstellungen viel gestritten worden1 und auch damals das Geld wichtig gewesen sei. Wenn man will, wird sich wohl beides beweisen und widerlegen lassen. Es ist auch nicht so, dass wir die Spätform eines Phänomens (und die Expo 2001/02 ist eine Spätform) nicht besser verstehen, wenn wir die sogenannten Anfänge verstehen. Es gibt, um mit unserem cher Marc Bloch zu reden, ein «idole» oder eine «hantise des origines», die irrtümlich meint, dass in sogenannten Anfängen alles Folgende bereits angelegt sei.2

Die Möglichkeiten der Geschichte sind jedoch angemessener genutzt, wenn wir uns überlegen, 1. aus welchen sozioökonomischen Bedürfnissen heraus das Ausstellungswesen entstanden ist, 2. wie sich daraus eine Tradition gebildet hat und 3. wie es kommt, dass diese Tradition weitergetragen wird, obwohl sich die gesellschaftlichen Bedürfnisse grundlegend gewandelt haben und auch die Funktion solcher Ausstellungen eine völlig andere geworden ist.

Antworten auf welche sozioökonomischen Bedürfnisse?


Die um 1800 als transnationales Phänomen aufkommenden Wirtschaftsausstellungen unterschieden sich von den traditionellen Messen und Märkten, wo individuelle Angebote und individuelle Nachfragen in direktester Weise gegenüberstanden, in drei grundsätzlichen Punkten: 1. Sie verfolgten eine gemeinnützige Zielsetzung, indem sie auf der Seite der Produzenten die technische Entwicklung und den Wettbewerb vorantrieben und auf der Seite der Kunden über die Verbesserung des Wissens über die Möglichkeiten der modernen Produktion die Ansprüche steigern. 2. Sie legten höchsten Wert auf die Präsentation. Die Schaustellung erlangt eine eigene Bedeutung, sie dient nicht nur der Absatzförderung, sondern auch der Belehrung. 3. Die Ausstellungen wurden zu Muster-Messen; an die Stelle des direkten Verkaufs traten Bestellungsaufnahmen und Imagepflege.

Als Anfang des modernen Ausstellungswesens in der Schweiz darf die Berner Kunst- und Industrieausstellung von 1804 gelten. Diese stand wahrscheinlich unter der Nachwirkung eines Vorbildes: der Pariser Ausstellung von 1798, die als erste moderne Landesausstellung in die Geschichte eingegangen ist. Deren «Temple du Travail» sollte ebenfalls der wirtschaftlichen Wiederbelebung dienen, aber auch gegen aussen, das heisst insbesondere gegenüber dem gegnerischen England, Frankreichs wirtschaftliche Stärke demonstrieren. Später sollte sich dieses Charakteristikum noch verstärken: Solche Ausstellungen wollten das Neueste zeigen, sie wollten, und diese Absicht ist bis heute erhalten geblieben, innovative Impulse geben, ob dies nun frühe Uhrwerke, private Badezimmereinrichtungen oder elektronische Neuheiten des 21. Jahrhunderts waren.

Die schweizerische Frühform der modernen Industrieausstellung kam einstweilen allerdings ohne das Begleitprogramm aus, das in Paris bereits entwickelt worden war: ohne Volksfest, Militärparade, Regierungsaufmarsch, Feuerwerk, sportliche Wettkämpfe und Bälle, also ohne Veranstaltungsteile, welche die Gesamtheit des Volkes ansprechen wollten.

Kunst und Industrie, heute oft als Gegensatz verstanden, bildeten im Denken des frühen 19. Jahrhunderts weitgehend eine Einheit. Beides verband sich in dem, was eine wesentliche Eigenheit der schweizerischen Industrie werden sollte: in der Veredelung von Rohstoffen. Kunst und zugleich Industrieprodukte waren beispielsweise die Chronometer, Filter und Ventile, Federn und Gewinde – und in den verschiedenen Kombinationen die «arbeitenden Maschinen»: Pressen, Pumpen usw.3

Die Ausstellung als temporäre Schule der Nation


Die frühen Ausstellungen wiesen stark lehrhafte Züge auf, ja, ihr Zweck bestand – dem Aufklärungsgedanken gemäss, aus dem sie hervorgegangen waren – recht eigentlich in der Belehrung. Im späten 18. Jahrhundert wie beinahe im gesamten 19. Jahrhundert war der Wissensdurst so gross, anderseits das Wissen so schwer zugänglich, dass solche Vermittlungsveranstaltungen einem allgemeinen Bedürfnis entsprachen. Niemand stiess sich an der Lehrhaftigkeit der Ausstellungen. In der Vermittlung von gesichertem Wissen bestand recht eigentlich ein Nachholbedarf, wobei die wirtschaftliche Produktion im Zentrum des Interesses stand und nicht die gesellschaftspolitische Problematik.

Dem Schulwesen wurde in der ersten eigentlichen Landesausstellung von 1883 besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die ihm gewidmete Ausstellungsfläche nahm als thematische Abteilung mitten in der Produktemesse eine Sonderstellung ein.

Nachdem bereits für die Wiener Weltausstellung von 1873 eine erste schweizerische Schulstatistik zusammengestellt worden war, wurde im Hinblick auf die Zürcher Ausstellung von 1883 im Auftrag des Bundesrates eine umfassende Erhebung durchgeführt. Auch in den folgenden Ausstellungen wurde dem Bildungswesen hohe Bedeutung beigemessen.4

Deutlicher als heute stand den Zeitgenossen vor Augen, dass das Unterrichtswesen sozusagen die wichtigste Voraussetzung für die nationale Produktionsstärke war. Dies nach dem zeitgenössischen sozialdarwinistischen Motto: «qu’il est inutile, le pays qui ne peut s’assurer une place dans le grand mouvement des sociétés humaines par son propre travail. Et l’humanité n’entretient pas d’asiles pour les peuples ruinés.»5 Bundesrat Numa Droz appellierte denn auch in seiner Eröffnungsansprache zur Ausstellung von 1883 an das Nationalgenie und den Nationalstolz: «Quand nous parcourons ces halles immenses où se trouvent réunis les produits du travail et du génie national, nous ne pouvons nous empêcher d’éprouver un sentiment de fierté en voyant tout ce qu’un petit peuple, peu favorisé par la nature, est capable de créer de richesses, lorsque toutes ses ambitions, tous ses efforts sont uniquement dirigés vers les œuvres profitables de la paix et de la liberté.»6

Die Ausstellung gab der Schule einen Ehrenplatz, sie wollte aber auch selbst temporäre Schule der Nation sein. In der offiziellen Zweckumschreibung ist ausdrücklich von der «gegenseitigen Belehrung» die Rede. Der Schulcharakter der Ausstellung kam darin zum Ausdruck, dass nicht wie heute zur blossen Unterhaltung, sondern zur praktischen Belehrung junge Menschen klassenweise durch die Ausstellung geschleust wurden. Als eher seltsam wird man empfinden, dass ganze Fabrikbelegschaften in Reih und Glied zur Ausstellung marschierten.

Wettbewerb und Entschärfung der Gegensätze


Die Ausstellungen hatten, wie das an der Schulfrage bereits zu erkennen war, auch die Funktion von Bestandesaufnahmen. Ausführliche Berichte wurden im Hinblick auf die Ausstellungen und im Rückblick auf die Ausstellungen verfasst. Letztere hielten fest, was zufriedenstellend gewesen und was bis zum nächsten Mal zu verbessern sei. Die bereits in der Ausstellung von 1804 vorhandenen Preisgerichte verteilten Zensuren bzw. Ehrenmeldungen und Goldmedaillen und gaben den Produktemessen den Charakter eines Klassenwettbewerbs oder einer Wirtschaftsolympiade.

Eine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wichtiger werdende Funktion solcher Ausstellungen bestand darin, mit der Gesamtschau ein Gegenstück zur segmentierenden Wirkung der Arbeitsteilung zu bilden. Der einzelne sollte erfahren können, zu welchem grossen gesamtwirtschaftlichen und nationalen Ensemble er seinen kleinen, aber wichtigen Beitrag leistete. Es ging auch darum, der Wirtschaft über die rein materiellen Interessen hinaus eine erhabenere, noblere Mission zu geben und die Spannungen, Disparitäten und Widersprüche, die sich aus der sozioökonomischen Entwicklung ergeben, zu entschärfen und akzeptabler zu machen. Kein Zufall, dass Numa Droz in seiner Rede von 1883 den «esprit d’harmonie» beschwor.

Mit der Berner Ausstellung von 1914 wurde neben der Produkteschau eine weitere Dimension entwickelt, die heute als dominante Funktion das Feld beherrscht und die ursprüngliche Funktion weitgehend verdrängt hat: die Landesausstellung als Problemschau. Dies lässt sich am Militärwesen stellvertretend deutlich aufzeigen. Nachdem an der Genfer Ausstellung von 1896 erstmals Armeematerial ausgestellt worden war, um den guten Stand der eigenen Rüstung zu zeigen und mit den schönen Exponaten dem Kriegsmaterialexport den Weg zu ebnen, bestand bei der Berner Ausstellung von 1914, wo es erstmals einen eigenen Armeepavillon gab, auch die Absicht zu zeigen, was mit Steuergeldern gekauft wurde. 1939 ging es dann um die Demonstration des Wehrwillens und 1964 auch um die Propagierung der Landesverteidigung.

Mit der Verlagerung des Schwerpunktes weg von der Produkteschau hin zur Problemschau wurde die heutzutage diskutierte Frage nach der Botschaft der Expo bedeutsam. Bis 1914 wurde von keiner Landesausstellung erwartet, dass sie ausser sich selber eine zusätzliche Botschaft transportiere. Auch die «Landi 39», die übrigens mit einem beträchtlichen Ertragsüberschuss abschloss, hatte noch...


Kreis, Georg
Der Autor:

Georg Kreis, geboren 1943, ist emeritierter Professor für Neuere Allgemeine Geschichte an der Universität Basel und der ehemalige Leiter des Europainstituts.

Georg Kreis, em. Professor für Neuere Allgemeine Geschichte an der Universität Basel und ehemaliger Leiter des Europainsitituts



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