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E-Book, Deutsch, Band 2922, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Krieger Die deutschen Geheimdienste

Vom Wiener Kongress bis zum Cyber War

E-Book, Deutsch, Band 2922, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-76433-2
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Auf dem neuesten Stand der Forschung erzählt Wolfgang Krieger die Geschichte deutscher Geheimdienste seit dem 19. Jahrhundert. Er erläutert die unterschiedlichen Ausrichtungen der Dienste – beispielsweise des Sicherheitsdienstes (SD) im Dritten Reich oder des Bundesnachrichtendienstes (BND) in der Bundesrepublik – und erhellt deren Verhältnis zu anderen staatlichen Institutionen. Darüber hinaus ordnet er die Organisationen in den internationalen Rahmen ein und beschreibt aktuelle Herausforderungen der Geheimdienstarbeit. Sachkenntnis und unaufgeregter Ton zeichnen den Band aus, in dem auch die unterschiedlichen moralisch-rechtlichen Perspektiven auf geheimdienstliche Aktivitäten nie aus dem Blick geraten.
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2. Deutscher Bund und Kaiserreich
Vor 1900 finden sich nur wenige Ansätze für eine dauerhafte institutionelle Verankerung der nachrichtendienstlichen Tätigkeit im Staatsapparat, wobei Österreich im deutschen Sprachraum eine Pionierrolle spielte. Bereits in der Regierungszeit von Kaiserin Maria Theresia entstanden schrittweise moderne Polizeibehörden. Ihr Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg verbesserte das «schwarze Kabinett», welches zur Spionageabwehr, aber auch zur politischen Spionage diente. Beim Militär wurde 1758 auf Vorschlag von Feldmarschall Leopold Joseph Graf von Daun ein Generalquartiermeisterstab aus zunächst 40 Offizieren gebildet, der unter anderem für die Einrichtung sicherer Kommunikationswege und für die Beschaffung von militärisch relevanten Informationen über den oder die Gegner zuständig war. Gewiss wurden derartige Stäbe in Friedenszeiten immer wieder verkleinert. Ihre Finanzmittel wurden gekürzt. Doch ein personeller Kern und vor allem das gesammelte Informationsmaterial blieben erhalten. Um diese Sammlung dauerhaft abzusichern, richtete Erzherzog Karl 1802 die «Evidenthaltungs-Abteilung» im Wiener Kriegsarchiv ein, der neben den im Ausland tätigen Militärspionen vor allem die entsprechenden Dienststellen in den Grenzprovinzen zulieferten. 1828 löste man die «Evidenthaltungs-Abteilung» aus dem Kriegsarchiv heraus und bildete eine kriegsgeschichtliche Abteilung, in der nicht nur die Kriegsgeschichte, hauptsächlich Operationsgeschichte, als unmittelbares Lehr- und Anschauungsmaterial für die aktuelle Generalstabsarbeit vorgehalten wurde, sondern auch das rasch anwachsende Informationsmaterial zu den interessierenden Regionen Süd- und Osteuropas. Doch erst 1850 gründete man das «Evidenzbureau», welches nach den leidvollen politisch-militärischen Erfahrungen der 1848er-Revolution einen zentralen militärischen Geheimdienst Österreichs auf der höchsten Kommandoebene bildete. Der erste Leiter war Oberst Anton von Kalik, der bis 1864 im Amt blieb. Österreich war damit fast allen größeren Mächten einen erheblichen Schritt voraus. Allerdings fehlte noch eine taktische Komponente, denn das 1813 geschaffene «Botenmeister-Corps», das aus berittenen Unteroffizieren der Grenz- und Feldjägerbataillone bestand und wahlweise in Uniform oder in Zivil zur Beobachtung eingesetzt werden konnte, hatte man bei Kriegsende aufgelöst. In Preußen wurden die Kriegsakademie und ein Generalstab erst mehrere Jahrzehnte später als in Österreich eingerichtet. Das geschah im Zuge der Militärreformen von Gerhard von Scharnhorst und August Neidhardt von Gneisenau (1807/1814), nachdem Preußen vom napoleonischen Frankreich vernichtend geschlagen und in seiner staatlichen Existenz bedroht wurde. Preußen war jedoch ein Pionier, indem es das Prinzip der Generalstabsarbeit nicht nur auf die oberste Führungsebene, sondern auch auf große Einheiten (Division, Korps) anzuwenden begann. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dieses Modell weiter ausgebaut und perfektioniert. Die Blitzkriege von 1866 und 1870 galten später als Erfolge dieser Generalstabsarbeit, die weltweit für viele Militärreformen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zum Vorbild wurde. Seit 1810 wurden, erneut einer Idee von Erzherzog Karl folgend, Offiziere an verschiedene österreichische Botschaften entsandt, um dort ihren militärischen Sachverstand in die Diplomatie einzubringen. Daraus entwickelte sich der militärische Attaché-Dienst, doch es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis dieser Gedanke von anderen Mächten aufgegriffen wurde. Immerhin schlug der russische Zar Alexander I. diesen Austausch auf dem Wiener Kongress vor. Doch dachte er eher an Liaison-Offiziere, also an persönliche Vertraute der Monarchen der Heiligen Allianz, um die für gemeinsame militärische Interventionen erforderliche Abstimmung zu erleichtern. Persönliche militärische Vertreter gab es zwischen Preußen und Russland bereits während der Befreiungskriege von 1813 bis 1815. Als dann der preußische Stabschef 1816 vorschlug, zu allen wichtigen Mächten militärische Vertreter zu entsenden, fehlten das Geld und der feste Wille. Auch der französische Außenminister hielt damals noch einen ähnlichen Vorschlag aus der französischen Militärführung für zu kostspielig. Im Mai 1830 schickte Preußen den Generalstabsoffizier Kapitän von Cler nach Algerien, um die französische Kolonialexpedition zu beobachten. Sein Bericht, aber auch die Französische Revolution vom Juli 1830, führten zu einem Sinneswandel. Von Cler wurde als ständiger Beobachter in der preußischen Botschaft in Paris untergebracht. Möglicherweise war dieser Schritt die Geburtsstunde des Militärattachés im späteren Wortsinn. Doch blieb dies noch für viele Jahre ein Sonderfall. Erst 21 Jahre später akkreditierte Frankreich einen Militärattaché in Berlin. Wichtiger waren zunächst die Ad-hoc-Missionen zu besonderen Anlässen, insbesondere im Kriegsfall. Die Überlegenheit des residierenden Militärattachés konnte man allerdings am Beispiel des Krimkrieges erkennen, als die dreiköpfige amerikanische Delegation wegen allerlei bürokratischer Schwierigkeiten erst nach dem Fall der Festung Sewastopol eintraf, während der preußische Militärattaché aus Wien eine genaue Beobachtung der Politik und der Militärbewegungen Österreichs lieferte. Als schließlich Militärattachés zu einer regulären diplomatischen Institution wurden, schuf man ein strenges Reglement, das Spionage sowie die Führung eines Agentennetzwerkes untersagte. In Österreich musste jeder Militärattaché dem Chef des Evidenzbureaus in die Hand versprechen, dass er sich an das kaiserliche Verbot der Spionagetätigkeit halten werde. Hingegen war bekannt, dass die Militärattachés der russischen Zaren regelmäßig Agentennetze aufbauten und führten. Militärattachés wurden jeweils dem Botschafter eines Landes zugeordnet und erhielten diplomatische Privilegien. Im Unterschied dazu wurden «Militärbevollmächtigte» typischerweise zwischen Verbündeten ausgetauscht, während man «Militärbeobachter» zu großen Manövern befreundeter Mächte entsandte. Somit entstand eine Form der offenen militärischen Nachrichtensammlung, die freilich die traditionelle Militärspionage nicht ersetzte. Doch nun war die systematische Erkundung der ausländischen militärischen Fähigkeiten mit dem neuen Beruf des Generalstabsoffiziers verknüpft. Man kann von einem ersten Schritt der Professionalisierung sprechen. Was sollte mit den Berichten der Militärattachés geschehen? Offensichtlich machte es wenig Sinn, eine Menge von militärischen Informationen zu sammeln, ohne sie im Detail aufzuschlüsseln und griffbereit zu halten. Das Londoner Kriegsministerium richtete 1855 ein «Topographical and Statistical Department» ein, zunächst allerdings mit dem Ergebnis, dass die Indexierung hochwertiger war als die Dichte der Informationen. Deshalb wurde den Militärattachés aufgetragen, die großen Wissenslücken systematisch auszufüllen. Heute würde man von Anforderungen (tasking) sprechen, also von präzisen Angaben, welche Informationen gebraucht werden. Im Mai 1860 schrieb der britische Außenminister an den Oberkommandierenden der britischen Armee, man müsse wenigstens nach Berlin einen geeigneten Mann entsenden. Aber erst 1864 war man sich an der Regierungsspitze einig, dass solche Vertreter bei allen größeren Mächten, «sogar in Amerika», erforderlich seien. Dieser Gedanke setzte sich nun durch, weshalb beim preußischen Krieg gegen den Deutschen Bund von 1866 bereits eine ganze Schar von militärischen Beobachtern zugegen war, und zwar auf beiden Seiten. Die Zahl der Militärattachés wuchs stetig an. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges soll es 214 gegeben haben. Doch dauerte es noch lange Jahre, ehe man militärische Lageberichte tatsächlich zur Basis der operativen Führung und der Außenpolitik machte. Statt nüchtern-empirisch seine militärischen Chancen zu kalkulieren, setzte man lieber auf Pathos und Tradition. Das zeigte sich nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, als man in Frankreich begann, den völlig unerwarteten, raschen Zusammenbruch der eigenen Seite zu untersuchen und dabei von den Fehlern der Politik und der militärischen Führung abzulenken. Sogleich wurde der Vorwurf erhoben, die französische Militärführung habe ein völlig falsches Bild des deutschen Militärs gehabt. Daraufhin publizierte Oberst Stoffel, der französische Militärattaché in Berlin, seine Berichte aus den Jahren 1866 bis 1870. Er konnte nachweisen, dass er an den Pariser Fehleinschätzungen, die ja auch geheimdienstliche waren, keine Schuld trug. Immerhin wurde dabei aufgezeigt, wenn auch nur indirekt, was ein militärischer Nachrichtendienst in Friedenszeiten zu...


Wolfgang Krieger ist Professor em. für Neuere Geschichte an der Philipps-Universität Marburg.


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