Krischke | Was heißt hier Deutsch? | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Krischke Was heißt hier Deutsch?

Kleine Geschichte der deutschen Sprache
2. Auflage 2022
ISBN: 978-3-406-79336-3
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kleine Geschichte der deutschen Sprache

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-79336-3
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Unsere Sprache gerät heutzutage immer wieder in Turbulenzen: beim Gendern, durch die Leichte Sprache, bei der Kommunikation im Netz. Während die Debatten darüber sich oft in Polemik aufreiben, verhilft der Blick zurück zu mehr Sachlichkeit, Klarheit und echten Argumenten. Wolfgang Krischke erzählt die spannende Geschichte der deutschen Sprache auf unterhaltsame und aufschlussreiche Weise. Wenn wir sprechen, liegt uns die Vergangenheit auf der Zunge. Nicht nur jedes Wort hat seine Geschichte - historisch gewachsen sind auch die grammatischen Formen, die Schreibweisen, die Ausspracheregeln und nicht zuletzt unsere Urteile und Vorurteile über gutes und schlechtes Deutsch. Wolfgang Krischke erklärt, welche Kräfte den Sprachwandel vorantreiben. Er berichtet von den Menschen, die das Deutsche geprägt haben, und beantwortet Fragen wie: Warum ist Hochdeutsch «hoch»? Wie kam das reinste Deutsch nach Hannover? Stirbt der Genitiv wirklich? Und gehört die Zukunft dem Denglisch?

Wolfgang Krischke ist promovierter Sprachwissenschaftler, freier Journalist und Autor und hat an den Universitäten Hamburg, Bremen und Tübingen gelehrt.
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2. Unterwegs zur Hochsprache


Exklusiv: Die Sprache der Ritterlichkeit


Die dialektale Zerklüftung der deutschen Schriftsprache störte nicht besonders, solange das weitgehend regulierte Latein als überregionales Medium diente. Damit ging es aber seit dem Hochmittelalter allmählich zu Ende. Zwar blieb Latein das Idiom der Wissenschaft und der Kirche bis weit in die Neuzeit hinein. Doch in anderen Bereichen bröckelte seine Dominanz.

Die Literatur hörte im 11. Jahrhundert auf, ein Feld der lateinisch geprägten Geistlichkeit zu sein. Immer stärker drangen weltliche Themen vor, über die auf Deutsch geschrieben wurde. Germanische Heldensagen, historische Schilderungen und vor allem die aus Frankreich kommenden Geschichten um König Artus und seine Tafelrunde erfreuten sich wachsender Beliebtheit. Aus diesen Quellen speisen sich die großen Werke, die heute als «mittelhochdeutsche Klassik» gelten. Dichter aus dem Ritterstand wie Wolfram von Eschenbach oder Hartmann von Aue bemühten sich als erste, das Deutsche aus seinen landschaftlichen Bindungen zu lösen und eine überregional verständliche Hochsprache zu schaffen, die den literarischen Glanz der höfisch-ritterlichen Welt möglichst weit strahlen ließ.

Schauen wir uns also einmal um in den Ritterburgen und auf den Turnierplätzen. Unser Blick fällt auf Parzival, den «strahlend Schönen», wie er Aufstellung nimmt und die Lanze einlegt. Es ist der erste Turnierkampf des jungen Recken, aber er lässt es schon ordentlich krachen:

er nam den poinder wol sô wit, / daz von sîner tjoste hurt / bêden orsen wart enkurt. / darmgürtel brâsten umbe daz: / ietweder ors ûf hähsen saz. / die ê des ûf in sâzen, / ir swert si niht vergâzen: / in den scheiden si die vunden / … / Parzivâl im brahte gelt / mit sîner ellenthaften hant, / daz Kingrûn scheneschlant / wânde vremder maere, / wie ein pfeteraere / mit würfen an in seigte. / ander strît in neigte: / ein swert im durch den helm erklanc. / Parzivâl in nider swanc: er sazt im an die brust ein knie.

Er nahm den Anritt so weit, / daß durch seinen Tjost-Stoß / beide Pferde entgurtet wurden: / die unteren Sattelgurte zerrissen / beide Rösser sanken auf die Kruppen. / Die eben noch auf ihnen saßen, / vergaßen ihre Schwerter nicht, / die in ihren Scheiden steckten … [Dem Kingrun] zahlte es Parzival nun heim / mit einem derart starken Arm, / daß Kingrun, der Seneschall, / nicht wußte, wie ihm da geschah: schlugen Steinbrocken auf ihn nieder, von einer Wurfmaschine geschleudert? / Es war ein anderer Kampf, der ihn fällte: ein Schwert durchdröhnte seinen Helm / Parzival zwang ihn nieder, / setzte ihm auf die Brust ein Knie.

Schimmernde Rüstungen und splitternde Lanzen, Edelmut und Minnedienst – der «Ritter auf dem weißen Pferd» bezeugt noch als ironisches Klischee unserer Tage die Leuchtkraft dieser mittelalterlichen Lichtgestalt. Wolfram von Eschenbach, von dem die Zeilen stammen, gehörte wie Walther von der Vogelweide oder Hartmann von Aue zur Elite der mittelalterlichen Dichtkunst. Mit Liedern und Epen, die aus Zehntausenden von Versen bestanden, zogen diese Ritterpoeten von Burg zu Burg. Sie besangen das christliche Ideal des zivilisierten, «höfischen» Kriegers, der seine grobschlächtigen Affekte zu zügeln weiß, der Kampfesmut, Fechtkunst und Gefolgschaftstreue mit Nächstenliebe, guten Umgangsformen und Bildung verbindet. Die Geschichten von den Rittern der Tafelrunde oder dem Untergang der Nibelungen schlugen die Zuhörer in ihren Bann. Hier trafen sie auf Figuren und Verhaltensweisen, in denen sie sich selbst und ihre Welt gespiegelt sahen.

Die mittelhochdeutschen Dichter waren sich ihrer literarischen Bedeutung durchaus bewusst. Generös lobt Gottfried von Straßburg seinen Kollegen Hartmann von Aue:

wie er mit rede figieret / der âventiure meine! / wie lûter und wie reine / sin kristallîniu wortelîn / beidiu sint und iemer müezen sîn!

Hier ist nichts mehr zu spüren von Zweifeln an der literarischen Tauglichkeit des Deutschen, von Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber dem Latein und dem Zwang, sich für die Muttersprache rechtfertigen zu müssen, unter dem noch die deutschsprachigen Autoren zweihundert Jahre zuvor standen.

Ihre Blütezeit hatte die mittelhochdeutsche Literatur zwischen 1150 und 1250. In den Werken dieser klassischen Periode zeigte sich zum ersten Mal der Wille zu einer vereinheitlichten Schriftsprache. Natürlich entstand sie nicht im sprachlichen Vakuum: Ihre Basis war das Alemannische, dem das schwäbische Kaisertum der Staufer Strahlkraft verlieh. Doch innerhalb dieses dialektalen Rahmens bemühten sich die Dichter um sprachliche Glättung. Ausdrücke, die zu provinziell und kleinräumig waren, mieden sie schon im eigenen Interesse. Schließlich wollten sie bei ihren Lesetourneen durch die deutschen Lande möglichst überall verstanden werden.

Sie schufen ein elegantes, «bereinigtes» Deutsch, das allerdings im Alltag niemand verwendete. Die Sprache des «Tristan», des «Parzival» oder des «Iwein» war ein hoch artifizielles Gebilde aus der Poesie-Retorte, dessen Lebensraum sich auf das Pergament beschränkte. Auch innerhalb des Schrifttums spielte dieses klassische Mittelhochdeutsch eine exklusive Sonderrolle. Es existierte nur in den Werken der wenigen herausragenden Dichter dieser kurzen Periode. Andere Texte diese Zeit – Gesetze, Erlasse, Verwaltungsschreiben – sind stärker dialektal geprägt.

Unter den Literaten aber war der Vorbildcharakter dieser hochdeutschen Dichtersprache so groß, dass niederdeutsche Autoren ihre eigene Sprache als mangelhaft empfanden. Sie versuchten deshalb, höfische Verse auf Hochdeutsch zu dichten. Der aus dem Braunschweigischen stammende Albrecht von Halberstadt entschuldigte sich schon im voraus für die Unzulänglichkeiten seiner hochdeutschen Reime, indem er auf seine niederdeutsche Herkunft verwies:

Des lat u sin zu danke, / Ob ir fundet in den rimen, / Die sich zeinnder limen, / Valsch oder unecht: / Wan ein Sachse, heizet Albrecht, / Geboren von Halberstadt, / U ditze buch gemachet hat.

Denkt daran, wenn ihr in den Reimen, die hier zusammengeleimt sind, etwas Falsches oder Unechtes findet, dass ein Sachse namens Albrecht aus Halberstadt dieses Buch für Euch gemacht hat.

Heute gilt die mittelhochdeutsche Sprache und Literatur als ehrwürdiges Kulturerbe. Diese Wertschätzung erfuhr sie nicht immer. Als Ende des 18. Jahrhunderts Philologen und Dichter die ersten dieser Dichtungen aus jahrhundertelanger Vergessenheit ans Licht holten, hielt sich die Begeisterung ihrer Zeitgenossen in engen Grenzen. Friedrich der Große, der Connaisseur französischer Literatur, betrachtete Siegfried, Artus, Gral & Co als alten Plunder. Das musste der Schweizer Christoph Heinrich Müller, Lehrer an einem Berliner Gymnasium, schmerzlich erfahren, als ihm der Preußenkönig seine Allerhöchste philologische Meinung sagte:

Hochgelahrter, lieber Getreuer. Ihr urtheilt viel zu vortheilhaft von denen Gedichten aus dem 12., 13. und 14. Seculo, deren Druck Ihr befördert habet, und zur Bereicherung der Teutschen Sprache so brauchbar haltet. Meiner Einsicht nach sind solche nicht einen Schuß Pulver werth und verdienten nicht aus dem Staube der Vergangenheit gezogen zu werden. In meiner Bücher-Sammlung wenigstens würde Ich dergleichen elendes Zeug nicht dulden, sondern herausschmeissen. Das Mir davon eingesandte Exemplar mag dahero sein Schicksal in der dortigen großen Bibliothec abwarten. Viele Nachfrage aber verspricht solchem nicht, Euer sonst gnädiger König Frch. Potsdam, d. 22. Februar 1784.

Müller hatte zusammen mit dem Zürcher Historiker Johann Jacob Bodmer verschiedene mittelhochdeutsche Dichtungen, darunter das Nibelungenlied und den Parzival, ediert und Friedrich ein Exemplar mit der Bitte um wohlwollende Aufnahme zugeschickt. Den 44-Jährigen warf die ungnädige Reaktion erst einmal aufs Krankenlager, die Weiterführung der Edition gab er auf und einige Jahre später kehrte er nach Zürich zurück.

Zu den Verächtern mittelhochdeutscher Dichtkunst gehörte auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel, von dem Clemens Brentano berichtet: In Nürnberg fand ich den ehrlichen hölzernen Hegel als Rektor des Gymnasiums; er las Heldenbuch und Nibelungen und übersetzte sie sich unter dem Lesen, um sie genießen zu können, ins Griechische.

Doch schon zu Hegels Zeit änderte sich die Bewertung. Sprachwissenschaftler und Dichter sahen nun in der Sprache der höfischen Vers-Epen den glanzvollen Vorläufer der modernen deutschen Hochsprache. Ein solch vornehmer Stammbaum entsprach dem Wunschbild, das man sich von der Geschichte des Deutschen machte. Inzwischen weiß man freilich, dass dieses «klassisch» genannte Mittelhochdeutsch ein exklusiver Seitenzweig war, der bald schon endete und keine direkte Fortsetzung fand. Die soziale Basis, das gehobene Rittertum, war zu fragil, um diese Sprache zum Muster für ganz Deutschland machen zu können. Als in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Stauferherrschaft in Deutschland und Italien unterging, die Epoche der Kreuzzüge endete und die Macht des Kaisertums verfiel, verlor das Rittertum seine kulturprägende Kraft. Die kurze Blüte der höfischen Dichtersprache verwelkte. Das Potential einer deutschen Hochsprache, das durchaus in ihr steckte, konnte sie nicht entfalten.

Bürgerlich: Die Sprache des Kontors


Um zu sehen, wo der Boden für das heutige Standarddeutsch tatsächlich bereitet wurde, müssen wir einen Szenenwechsel vornehmen. Unser Blick schwenkt von den luftigen Höhen der Ritterburg in die engen Straßen und dämmrigen Kontore der...


Wolfgang Krischke ist promovierter Sprachwissenschaftler, freier Journalist und Autor und hat an den Universitäten Hamburg, Bremen und Tübingen gelehrt.



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