Krücken / Jürgens | Sturmkap | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

Krücken / Jürgens Sturmkap

Um Kap Hoorn und durch den Krieg. Die unglaubliche Geschichte von Kapitän Jürgens
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-945877-28-9
Verlag: Ankerherz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Um Kap Hoorn und durch den Krieg. Die unglaubliche Geschichte von Kapitän Jürgens

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

ISBN: 978-3-945877-28-9
Verlag: Ankerherz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Vor Kap Hoorn, 1939: Seit Wochen kämpft die Besatzung der Viermastbark Priwall gegen schwere Stürme. Als der Großsegler aus Hamburg in Valparaiso festmacht, beginnt für den fünfzehnjährigen Schiffsjungen Hans Peter Jürgens eine Irrfahrt durch eine Welt im Krieg. Er arbeitet als Straßenbauer in Chile, überlebt ein Lager im afrikanischen Dschungel und füttert Bären an Kanadas Großen Seen. Nach sieben Jahren kehrt er zurück in eine zerstörte Heimat. Seinen Traum, Kapitän zu werden, gibt Jürgens nie auf. Dafür brennt er Schnaps in London, schuftet auf Fischkuttern in wilder See - und landet wegen illegaler Ausreise sogar im Gefängnis. STURMKAP ist die Geschichte einer Liebe zum Meer. Es ist eine Geschichte von Freundschaft und Kameradschaft, die jedem Sturm trotzt. Es ist die Geschichte von der Kraft eines Traums. Und es ist auch die letzte Erinnerung an eine vergangene Epoche: Die Priwall sollte das letzte Segelschiff bleiben, das Ladung um Kap Hoorn transportierte, gegen die harten Weststürme von Ost nach West. 'Ein mitreißender Bericht aus dem vollen Seemannsleben.' Stern 'Ein Buch, das Menschen in ganz Deutschland bewegt.' NDR Info

Kapitän Hans Peter Jürgens, 1924 in Cuxhaven geboren, fuhr mehr als ein halbes Jahrhundert zur See. Fünf Jahre verbrachte er nach Selbstversenkung des Dampfers Erlangen in alliierter Kriegsgefangenschaft, erst in Sierra Leone, später in Schottland und Kanada. 1953 machte er sein Kapitänspatent und fuhr hauptsächlich für die Hansa-Linie Bremen. 1960 ließ er sich als Seelotse in Kiel nieder. Er gilt heute als einer der bekanntesten deutschen Maler maritimer Motive. Jürgens lebte in Kiel.
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14. MAI 1939
HAMBURGER HAFEN


ABSCHIED


Hamburgs Hafen wirkte auf mich wie ein Jahrmarkt, ein Durcheinander von Fähren, Elbkähnen und Schuten. Auf den Landungsbrücken hörte man das Dröhnen der Niethämmer, das herüberdrang von den Werften, von Blohm & Voss. Es roch nach dem Ruß und dem schwarzen Qualm, der aus unzähligen Schornsteinen der Dampfer in den Himmel aufstieg. An trüben Tagen hing der Rauch wie eine dunkelgraue Glocke über dem Hafen.

Die meisten Schiffe lagen nicht an einer Kaimauer, sondern waren an Pfählen festgemacht. Oft mehrere nebeneinander, Bordwand an Bordwand. Wenn ein Besatzungsmitglied an Land wollte, setzte man die Signalflagge N, eine Flagge mit kleinen Karos in Blau und Weiß. Dann wartete der Seemann auf das Wassertaxi. Zahllose kleine Fähren verkehrten in den Hafenbecken. Einen besonderen Ruf genoss die , die »Lumpensammler« genannt wurde, weil sie auf ihrem Zickzackkurs besonders viele Seeleute aufsammelte, auch in den weiter entfernten Hafenbecken.

Im Hafen spielte sich das ganze Leben des Seemanns ab, ganz anders als heute, wo Landgänge meist im Containerterminal enden. Der Hamburger Hafen war damals eine eigene Stadt inmitten der Stadt. Matrosen hatten es nicht weit zur Reeperbahn auf St. Pauli. Manche aber gingen gleich in eine der Spelunken unten an der Wasserkante. Seeleute bekamen damals in jeder Kneipe einen Kredit, einen Bierdeckel, auf den sie anschreiben lassen konnten, denn kaum einer prellte seine Zeche. Das war eine Frage der Ehre.

Es war ein warmer Tag im Mai, die Sonne schien aus einem Himmel ohne Wolken, als mein Vater und ich in Richtung Rödingsmarkt spazierten. Ich sollte mich in einem der Geschäfte für Seemannszubehör einkleiden: Seestiefel, Ölzeug, Unterhosen aus Wolle kauften wir. Frühmorgens waren wir in Cuxhaven aufgebrochen und in den Zug gestiegen, der von einer schwer keuchenden, alten Dampflok gezogen wurde. Vater sprach nicht viel, er sprach nie besonders viel. Hans Jürgens war ein angesehener Kapitän, eine Autoritätsperson, die Leute mit einem Blick zum Schweigen bringen konnte. Mit seinen Kontakten und dank seiner Reputation hatte er es möglich gemacht, dass ich – 15 Jahre alt – als Schiffsjunge auf die kam. »Wenn schon, dann gehörst du auf ein vernünftiges Schiff!«, sagte er. Ein vernünftiges Schiff?

Kein Schiff hatte es geschafft, Kap Hoorn schneller zu umrunden. Von 50 Grad Süd im Atlantik nach 50 Grad Süd im Pazifik, also von Ost nach West, in fünf Tagen und 14 Stunden, schneller als sämtliche amerikanischen Clipper oder der berühmte Fünfmaster . Die Bark der Hamburger Reederei F. Laeisz war kein vernünftiges Schiff: Sie war längst eine Legende mit vier Masten – 98,5 Meter lang und 14,4 Meter breit.

Nach dem Einkauf trug ich einen Seesack auf der Schulter, und wir spazierten hinunter zu den Landungsbrücken, wo wir auf die Fähre warteten. Die lag in einem der Gräben genau gegenüber von St. Pauli, wo sie mit Kali und Stückgut beladen wurde. Erster Zielhafen sollte Corral sein, eine Hafenstadt in Chile. Ich hatte keine Ahnung, wo genau Chile auf der Weltkarte zu finden war und wo sich dieses Corral eigentlich befand. Ich konnte in meinem Kopf hören, wie mein Herz schlug, als die Fähre lostuckerte und wir den Masten der näher kamen.

VATER


Meine Liebe zum Meer begann zu einer Zeit, an die ich keine Erinnerung haben kann. Wenn uns Vater mitnahm auf eine seiner Reisen, legte man mich, den Säugling, in eine Schublade unter seine Koje. Es kam aber nicht oft vor, dass meine Mutter Emma und ich ihn begleiten durften. Vater war selten daheim. Seine Reisen dauerten stets mehrere Monate, und als er für eine ägyptische Reederei Holz aus dem Schwarzen Meer fuhr, kam er zwei Jahre nicht nach Hause. Ich vermisste ihn oft, wie alle Kinder von Seeleuten ihre Väter vermissen. Man kann sagen, dass mich meine Mutter allein aufzog. Wir wohnten in Cuxhaven, in einem Backsteinhaus an der Nordersteinstraße, ganz in der Nähe des Amerikahafens. Kapitäne waren keine reichen Leute mehr nach dem Ersten Weltkrieg, aber wir hatten unser Auskommen.

Wenn Vater in Hamburg oder Bremen einlief, besuchten meine Mutter und ich ihn im Hafen. Festtage waren das für mich, denn als Sohn des Kapitäns ist man eine Art »kleiner Kapitän« an Bord. Die Matrosen erzählten mir, was sie auf ihren Reisen erlebt hatten. Ihre Geschichten von den Stürmen vor Kap Hoorn faszinierten mich besonders.

1914 hatte Vater im Krieg eine Seeschlacht vor den Falklandinseln überlebt, als die Briten fast das gesamte Geschwader der kaiserlichen Marine versenkten und nur ein Kreuzer entkommen konnte. Er gehörte zu den wenigen Seeleuten, die aus dem Ozean gezogen werden konnten. Mehrere Jahre verbrachte er dann in Kriegsgefangenschaft, im kargen schottischen Hochland. Auf einem Foto, das er mir zeigte, trug er eine Pelzmütze. Das Foto soll in meiner Geschichte noch eine Rolle spielen, aber dazu kommen wir später.

Als ich acht Jahre alt war – das war 1932 –, durfte ich Vater auf dem Dampfer nach Schweden begleiten, wo wir Zellulose für Nordamerika luden. Unsere Besatzung bestand aus Chinesen – eine Sensation in den einsamen schwedischen Kleinstädten, wo noch nie ein Asiate angelegt hatte. In jedem Hafen entlang unserer Route liefen die Leute zusammen, um die fremdartigen Gesichter zu sehen. Ein Bootsmann brachte mir bei, wie man mit Sprotten umgeht, und ich durfte mit dem Arbeitsboot im Hafenbecken umherrudern. Jede Reise war ein Abenteuer, und mein Entschluss stand fest: Ich wollte zur See fahren. Noch heute kann ich mich an die Namen und alle Details erinnern, so sehr haben mich diese Erlebnisse geprägt.

Von einer seiner Reisen brachte Vater ein kleines Boot mit, etwa drei Meter lang, mit einem Mast, an den ich ein Bettlaken als Segel knotete. Mein Freund Egon und ich kreuzten damit vor Cuxhaven umher, im Mündungsgebiet der Elbe, was – wenn ich heute darüber nachdenke – ziemlich gefährliche war für zwei kleine Jungs. Das Seegebiet ist für Strömungen und den starken Gezeitenwechsel bekannt.

Einmal trieben wir zu weit vom Hafen ab und schafften es nicht mehr zurück, bevor die Ebbe einsetzte. Gerade noch konnten wir uns ins Watt retten, wo wir trocken fielen und abwarteten. Als die Flut einsetzte und wir wieder Wasser unter dem Kiel hatten, segelten wir zurück nach Cuxhaven. Obwohl wir uns beeilten, kamen wir Stunden zu spät nach Hause. Meine Mutter hatte sich große Sorgen gemacht und schimpfte, als ich endlich durch die Tür trat.

Sie hatte es nicht leicht mit mir. Ich war ein unaufmerksamer Schüler und langweilte mich im Unterricht. Statt daheim Hausaufgaben zu erledigen, zog es mich in den Hafen. Ich las jedes maritime Buch, das ich bekommen konnte, und malte mir ferne Länder aus, dachte an Städte mit magischen Namen, träumte von Rio de Janeiro, von Caracas, von Havanna. Meine Schulnoten im humanistischen Gymnasium an der Abendrothstraße wurden immer schlechter. Nachsitzen oder die Androhung von Stockschlägen konnten daran wenig ändern. Nur einmal brachte ich es zu einer Höchstleistung im Klassenzimmer, als ich von einer Reise mit meinem Vater zurückkehrte und den Dampfer malte, auf dem wir gefahren waren. Dem Lehrer gefiel das Bild so gut, dass er es an die Wand hängte. Darauf war ich sehr stolz.

Meine Eltern waren von meiner Leidenschaft für die Seefahrt wenig begeistert. Ich sollte, wenn überhaupt, zur Marine gehen, aber das wollte ich nicht. Wir diskutierten, wir stritten oft, bis zu jenem Abend, als mein Vater in mein Zimmer kam. Er war ausnahmsweise gerade zu Hause, um einen Lehrgang zu besuchen; es ging um Verhaltensregeln für Kapitäne der Handelsschifffahrt im Krieg. Er setzte sich auf die Bettkante und sagte: »Also gut, Junge, du kannst auf ein Schiff. Ich habe dich auf der untergebracht.«

Ich erinnere noch heute das Gefühl: Es war, als treffe mich eine warme Welle. Ich konnte es zunächst gar nicht glauben. Vaters Entscheidung, mich doch zur See fahren zu lassen, hat mir vermutlich das Leben gerettet.

Von meinen Klassenkameraden haben nur drei den Krieg überlebt.

Meine ersten Minuten an Deck der glaubte ich zu träumen, so beeindruckt war ich von der Höhe der Masten, vom Gewirr der Takelage, die sich wie ein gewaltiges Spinnennetz über uns spannte. Als wir das Hochdeck betraten, stupste mich Vater an und flüsterte mir zu: »Junge, sieh mal: Eine der Brassen auf der Brassenwinde ist übergelaufen. So etwas darf nicht vorkommen.«

Diese Worte haben sich mir ins Gedächtnis eingebrannt, ganz seltsam, aber sie haben mich mein ganzes Leben auf See begleitet. Vom ersten Moment an hatte Vater mich für Nachlässigkeiten sensibilisiert, die bei schwerem Wetter fatale Folgen haben können. Alle anderen Ratschläge habe ich vergessen. Diesen einen jedoch nicht.

Der Dritte Offizier nahm uns in Empfang und zeigte uns das Schiff. Unter der...


Stefan Krücken
Jahrgang 1975, wollte schon als Kind Reporter werden. Er volontierte beim Kölner Stadt-Anzeiger, arbeitete als Polizeireporter für die Chicago Tribune und ging dann zur Zeitschrift max. Krücken schreibt als Editor-at-large für GQ sowie für andere Magazine. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Familie in einem Dorf bei Hamburg.



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