Krügel | Inseltage mit Rosa | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Krügel Inseltage mit Rosa

Mit Bildern von Anna Schilling
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-407-75284-0
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mit Bildern von Anna Schilling

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-407-75284-0
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach einem Sturm sitzen Lila und ihre Großmutter auf einer Schäreninsel fest. Die Tage vergehen. Was ist, wenn niemand kommt? In dem Wäldchen trifft Lila ihre vor Kurzem verstorbene Freundin Rosa, die für sie ganz real wird. Auch Mu hilft Lila, und die beiden dichten und malen gegen Wind und Nebel an und passen aufeinander auf, trösten sich, bis endlich Hilfe kommt und es Zeit wird, Rosa gehen zu lassen. Eine berührende Geschichte über Familie, Freundschaft und das Vertrauen in die eigene Kraft.

Mareike Krügel, geboren 1977 in Kiel, lebt mit ihrer Familie bei Schleswig. Sie studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und schreibt für Kinder und Erwachsene. Ihre Kinderbücher erscheinen bei Beltz & Gelberg, darunter »Zelten mit Meerschwein« und »Almuth und der Hühnersommerist« und »Inseltage mit Rosa«. www.mareikekruegel.de
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1. Tag

Freitag


Das Boot war schon fast um die Inselecke verschwunden, und ich winkte immer noch. Mein Vater hatte mir, als ich klein war, beim Versteckspielen erklärt: »Wenn du mich sehen kannst, kann ich dich auch sehen.« Ich beneidete ihn nicht darum, dass er jetzt wieder zurück zum Festland musste. Die Fahrt führte im Zickzack zwischen unglaublich vielen Inseln hindurch, und Mikkos Boot war ziemlich wackelig. Aber ich vermisste ihn jetzt schon ganz fürchterlich. Ich winkte, bis nichts mehr von ihnen zu sehen war.

Da legte Mu mir einen Arm um die Schulter, mit dem anderen machte sie eine weite Bewegung.

»Sieh dich mal um, Linnea«, sagte sie. »Unsere kleine Insel. Wunderschön, oder? Freust du dich?«

Ich fühlte eigentlich nur, dass ihr Arm schwer war, und wand mich darunter hervor. Bestimmt war die Insel sehr schön. Manchmal schaute ich etwas an und wusste, dass es schön war, aber ich spürte es nicht. Nichts war schön ohne Rosa.

Ein Weg aus verwitterten, zum Teil schiefen und abgebrochenen Holzbrettern führte vom Anlegefelsen hinauf zu einem sehr kleinen Haus mit einer Plattform davor. Rund um das Haus waren Felsen und ein bisschen Gras, weiter hinten gab es irgendwelches Gestrüpp. Und noch weiter hinten gab es Bäume. Im Grunde war das alles nicht viel mehr als ein Haufen Steine im Meer mit einer Holzhütte drauf. Hier also sollte ich ein Wochenende verbringen, mit einer alten Frau, die ich kaum kannte, auch wenn sie meine Großmutter war.

Sie war die Mutter meines Vaters, und weil sie schon vor Jahren nach Finnland gezogen war, hatte ich sie noch nicht oft gesehen. Ab und zu gab es einen Videoanruf, da redete meistens mein Vater. Früher war sie ein paar Mal zu Weihnachten bei uns gewesen. Aber sie mochte das Fliegen nicht, und außerdem hatte sie hier eine Freundin, mit der sie lieber Weihnachten feiern wollte. Jedenfalls hatte ich das so verstanden.

Dass wir zur Insel fahren würden, war eine Überraschung gewesen. Auch für meinen Vater. Vielleicht war er deswegen auf Mikkos Schiff mit rausgefahren, weil er einen Blick auf alles werfen wollte, bevor er mich mit Mu hier allein ließ. Er hatte insgesamt ein etwas schlechtes Gewissen, mich bei meiner Großmutter zu parken, während er auf seiner internationalen Konferenz ganz oben im Norden des Landes war. Aber irgendwo musste ich ja bleiben. Und ich ging sowieso nicht zur Schule, seit Rosa nicht mehr da war.

»Du musst auf Mu hören«, hatte mein Vater mir auf unserem Flug hierher gesagt. »Sie ist alt und auch ein bisschen verrückt, aber du musst trotzdem auf sie hören, verstehst du?« Es hatte wie eine Bitte geklungen, und weil ich üblicherweise ziemlich brav war und man mich nicht ermahnen musste, war es wohl eher so, dass mit Mu etwas nicht stimmte.

Mu nahm so viel Gepäck wie möglich und ging voran zum Haus. Sie war groß und dünn, und ich hatte ein bisschen Sorge, dass sie in den alten, schiefen Holzplanken einbrach und zu einer Art Knochenhaufen zusammenfiel.

Mir kam es vor wie viel zu viel Gepäck. Was sollten zwei Leute an einem Wochenende schon brauchen? Ich nahm eine Kiste und meinen Rucksack und folgte ihr.

Im Haus packten wir alles aus. Anders als ich hatte Mu ein Handy dabei und außerdem eine Powerbank. Sie legte beides in das Regal neben dem Sofa. »Wenn wir telefonieren wollen, müssen wir an die Ostseite der Insel gehen«, sagte sie. »Hier im Haus gibt es fast nie Empfang.«

Das Haus war eigentlich ein Häuschen, es gab ein großes und ein kleines Zimmer. In dem kleinen Zimmer standen zwei schmale Betten. Zwischen den Zimmern gab es einen Türrahmen, aber keine Tür. Die Fenster waren nicht sehr groß, und das Glas war an manchen Stellen irgendwie verformt, so dass die Welt dahinter verzerrt aussah, wie durch eine Scherbe. Es gab eine kleine Küchenzeile mit zwei Kochplatten und einer Gasflasche, außerdem ein Waschbecken, das aber keinen Wasserhahn hatte. Unter dem Waschbecken, hinter einem karierten Vorhang, standen ein Eimer, ein Kanister und eine Waschschüssel. Ich begriff: Wir würden das Wasser von draußen holen müssen. Mir wurde etwas bange, wenn ich daran dachte, wie wohl das Klo aussah.

Es gab keinen Kühlschrank, aber wir hatten eine Kühlbox mit Butter und Kartoffelsalat dabei. Und zwei Packungen Haferflocken und vier Liter H-Milch. »Die können wir später hierlassen«, sagte Mu. »Fürs nächste Mal oder für Leute, die hier übernachten müssen. Schiffbrüchige oder so was. Das macht man hier in den Schären so. Ist vielleicht nicht das haltbarste Essen der Welt, aber was Besseres habe ich auf die Schnelle nicht auftreiben können. Die Idee mit dem Insel-Wochenende ist mir ja gerade erst gekommen. Und guck!« Sie hielt ein Glas Honig in die Höhe. »Wusstest du, dass Honig tausend Jahre alt werden kann, ohne zu schimmeln?«

Schließlich holte Mu Brot und Butter, zwei Messer und zwei Teller und stellte alles auf den Holztisch auf der kleinen Plattform vor dem Haus, die sie Terrasse nannte.

»Erstmal etwas essen«, sagte sie. »Das ist das Wichtigste.«

Der Himmel war sehr blau und an den Rändern fast weiß. Es gab keine Wolken. Über unserer Insel flogen Möwen, die kreischten, das Wasser schlug gegen die Felsen. Die Luft roch nach Salz und Kiefern. Aber der Wind war kühl, und ich bekam eine Gänsehaut.

»Der Sommer in Finnland ist kurz und heftig«, sagte Mu. »Man muss ihn ausnutzen, auch wenn man manchmal etwas friert.«

Ich hatte keine Lust zu essen. Das Brot sah trocken aus. Und Butter mochte ich auch nicht so gerne ohne alles. Aber Mu bestrich mir ein Brot und legte es auf meinen Teller, und ich traute mich nicht, es nicht zu essen. Sehr alte Leute waren bekannt dafür, dass sie Lebensmittelverschwendung hassten. Sie hatten alle den Krieg erlebt oder die »Schlechte Zeit« oder irgendeine andere Katastrophe, und sie wollten immer, dass man ganz viel aß. Keine Ahnung, woher ich das wusste. Ich hatte bisher nicht viel mit sehr alten Leuten zu tun gehabt.

Eine Möwe setzte sich auf das Geländer, das die Terrasse umgab, und schaute mir beim Kauen zu. Ich brach ein Stück von meinem Brot ab. Dann zögerte ich und blickte zu Mu.

»Gib es ihr ruhig«, sagte sie. Ich warf das Brotstück in Richtung Möwe, sie flog erschrocken auf. Aber dann landete sie auf der Terrasse, schnappte sich das Brotstück und flog damit auf den nächsten Felsen. Dort zupfte sie mit ihrem großen, gelben Schnabel kleine Teile ab und aß sie auf.

»Ah«, sagte Mu und lehnte sich zurück gegen die Hauswand. »Die Welt sieht doch ganz anders aus, wenn man ein Butterbrot gegessen hat.«

Ich hatte ebenfalls ein Butterbrot gegessen, aber ich fand nicht, dass es einen großen Unterschied machte.

»Ich werde jetzt Wasser holen und mich dann ein bisschen ausruhen. Krieg keinen Schreck: Die Pumpe macht ein Geräusch wie ein empörter Esel«, sagte Mu, als alles verstaut war und wir unsere Betten bezogen hatten. »Was ist mit dir? Willst du vielleicht die Insel erkunden?«

Ich nickte. Auch wenn ich in Wirklichkeit etwas anderes vorhatte. Ich wollte Rosa suchen.

»Fall nicht ins Wasser. Und wenn doch: Komm wieder ans Ufer, ja? Ich habe deinem Vater versprochen, dass ich gut auf dich aufpasse.« Mein Vater hätte sich bedankt, wenn er gehört hätte, dass Mus Vorstellung von Aufpassen darin bestand, mir zu sagen, ich solle wieder ans Ufer kommen, wenn ich ins Wasser fiel.

Tatsächlich hatte ich vorhin am Anleger gehört, wie mein Vater ihr gesagt hatte, dass sie sehr auf mich achtgeben sollte. Ich wusste, dass er Angst um mich hatte. Manchmal hatte ich auch ein bisschen Angst um mich. Danach hatte er Mu umarmt und »Danke, Mama« gesagt.

Es war seltsam, ihn das sagen zu hören. Wenn er mit mir über sie sprach, sagte er immer »Mu«. Das war eine Abkürzung für ihren richtigen Namen, Erdmute. Manchmal sagte er auch »deine Großmutter«. Es war lustig zu denken, dass mein Vater eine Mutter hatte, aber keinen Vater, und bei mir war es umgekehrt. Vielleicht war es auch traurig. Aber das konnte ich ja nicht wissen, ich kannte es nicht anders.

Ich zog meine Leinenschuhe an, weil ich Sorge hatte, dass ich mir beim Barfußlaufen wehtun...



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