Krüger Tatort Oslo - Nichts bleibt verborgen
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-09569-7
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 2
E-Book, Deutsch, Band 2, 240 Seiten
Reihe: Tatort Oslo
ISBN: 978-3-641-09569-7
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Brandstiftung mit Todesfolge! Zuerst mag niemand glauben, dass der Brand in einem kleinen Nebengebäude von Alexanders Schule absichtlich gelegt wurde. Zumal ein Obdachloser, der sich dort versteckt hatte, dabei zu Tode kam. Aber als Kommissar Ohlsen und sein Team die Ermittlungen aufnehmen, wird rasch klar, dass hier jemand seine Finger im Spiel hatte. Aber sollte es wirklich der verwöhnte Magnus aus der Oberstufe gewesen sein, der immer mal wieder beim Zündeln erwischt wurde? Als sich das Ohlsen- Team in seinen zweiten Fall stürzt, ahnen sie nicht, dass sich Alexander damit in größte Gefahr begibt...
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Kapitel 1
Drei Monate zuvor
Was für ein romantisches Fleckchen, dachte Franziska verträumt, als sie ihre Zehen in den warmen Sand bohrte und wie zufällig Alexanders Schulter berührte. Zumindest hätte es ein romantisches Fleckchen sein können, wären da nicht die zehntausend anderen gewesen, die schon am Vormittag die Paradiesbucht gestürmt und sie in einen bunten Flickenteppich aus Badehandtüchern verwandelt hatten. Eine überdrehte Ausgelassenheit lag in der Luft, als hätten sich all diese Menschen hier verabredet, um am letzten Samstag der großen Ferien eine gigantische Strandparty zu feiern.
Denn eines hatte Franziska längst begriffen: So kurz der Sommer in Oslo auch war, so intensiv wurde er hier genossen und ausgekostet. Es war, als ginge es darum, sich so schnell wie möglich einen Vorrat an Sonne, Licht und guter Laune anzulegen, um im Winter – der »dunklen Zeit«, wie er hier meist genannt wurde – davon zu zehren.
Sie ließ ihren Blick über das Halbrund der Bucht wandern. Sonnenanbeter brutzelten mit Kopfhörern im Ohr, während andere ganz in der Welt des Buches versunken waren, das sie in der Hand hielten. An der Wasserlinie flogen Bälle und Frisbees hin und her. Zwei picklige Mädchen mit blitzenden Zahnspangen jagten im Zickzack um die Handtücher herum und quietschten um die Wette. Jungs mit gebräunten Oberkörpern spurteten durch die seichten Wellen, zogen ihre Kumpel auf Skimboards hinter sich her und brachen jedes Mal in schallendes Gelächter aus, wenn einer von ihnen kopfüber ins Wasser stürzte. Norwegisches Strandrodeo.
Rechts von Franziska und Alexander schnarchte ein Rentner mit offenem Mund, während zur Linken ein Baby plärrte. Drei Handtücher weiter stritten sich zwei muskelbepackte Kerle über die perfekte Art, ein Steak zu braten. Direkt am Wasser hatte eine Gruppe von Jugendlichen ihren Gettoblaster aufgedreht, der wummernde Rhythmen über den Fjord schickte. Für einen Augenblick kam es Franziska so vor, als schwappten die Wellen im Takt dazu. I Follow Rivers von Lykke Li, die Hymne dieses Sommers.
Plötzlich klopfte ihr jemand von hinten auf die Schulter.
»Bist du nicht diese …?«, fragte ein sommersprossiger Junge mit Zahnlücke.
»Doch, bin ich«, antwortete Franziska seufzend. »Autogramm?«
Der Junge streckte ihr strahlend einen Stift sowie ein kleines Album entgegen, in dem sich Aufkleber berühmter Fußballer befanden.
»Kannst ganz hinten unterschreiben, neben Ibrahimovic«, lispelte er.
Franziska nickte, blätterte und kritzelte ihren Namen neben das Foto eines grimmig dreinblickenden Kickers.
Ohne ein weiteres Wort flitzte der Junge davon.
»Deine Fans werden immer jünger«, bemerkte Alexander. »Vielleicht solltest du mal ’ne Signierstunde im Kindergarten geben.«
Sie rollte die Augen. Seit ein Osloer Fernsehsender über ihre spektakuläre Rettung berichtet hatte, die gut vier Monate zurücklag, war Franziska eine lokale Berühmtheit geworden. Dass ausgerechnet ein deutsches Mädchen von einem norwegischen Ganoven verfolgt und in eine Hütte gesperrt worden war, hatte bei vielen Einheimischen für Scham und Empörung gesorgt. Einem Kamerateam hatte sie vor Ort demonstriert, wie sie die Scheibe des Schuppens eingeschlagen hatte und durch das Fenster geflüchtet war. Auf Bitten des Reporters hatte sie sogar den gesamten Fluchtweg rekonstruiert, inklusive ihrer Begegnung mit dem Elch, ehe sie schließlich Hauptkommissar Ohlsen in die Arme gelaufen war.
Wenn sie in der Öffentlichkeit angesprochen wurde, was hin und wieder geschah, dann variierte sie die Geschichte ein wenig, damit es ihr selbst nicht langweilig wurde, davon zu erzählen. Und obwohl Alexander ihr geraten hatte, nicht zu dick aufzutragen, hatte sie erst letzte Woche drei neugierigen Teenagern in der U-Bahn weisgemacht, sie sei dem Elch auf den Rücken gestiegen und dem Suchkommando der Polizei im gestreckten Galopp entgegengeritten. Die Teenager hatten gekichert. Entweder glaubten sie Franziska kein Wort, oder sie amüsierten sich über ihr drolliges Norwegisch, das nach wie vor alles andere als perfekt war. Franziska war das schnuppe.
»Nur kein Neid«, entgegnete sie. »Kannst dich ja auch mal entführen lassen.«
»Also sooo wichtig ist mir ein eigener Fanklub auch wieder nicht.« Alexander öffnete den Reißverschluss der Kühltasche und angelte sich eine neue Dose Solo-Zitronenlimonade. »Willst du?«
»Danke.« Franziska hielt sich die kühle Dose an die verschwitzte Stirn, ehe sie die Lasche mit einem »Zosch« aufzog und den Kopf in den Nacken legte. Die sprudelnde Flüssigkeit schoss ihr in den Rachen, was einen spontanen Hustenreiz auslöste. Prustend spuckte sie einen Teil auf Alexanders blau-weiß gestreiftes Handtuch, auf dem sie beide saßen, und wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum.
»Sorry …«
Alexander schaute sie belustigt an. »Zitrone gibt jedenfalls keine Flecken.«
»Ich versteh das … nicht«, röchelte sie mit tränenden Augen. »Erst bei Tonje, dann bei dir.«
Vor einem knappen Jahr war ihr fast an derselben Stelle die Limonade zur Nase herausgeschossen und hatte Tonjes Ballerinas besudelt. Dieses kleine Malheur war quasi der Auftakt zu einer Reihe von Ereignissen gewesen, die Franziska jetzt schon als größte Pechsträhne ihres Lebens betrachtete. Abgesehen von der Tatsache, dass sie damals unter abartigem Heimweh gelitten hatte, war ihre Mutter in einen Blödmann, Aufschneider und Betrüger namens Leif verknallt gewesen, an dem einfach gar nichts echt war, nicht mal sein Name. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, war sie von einem brutalen Bulldoggengesicht in diesen stinkenden Schuppen gesperrt worden, aus dem sie sich nur unter höchster Gefahr hatte befreien können – was ihr im Nachhinein zwei vernarbte Handflächen und einen zweifelhaften Ruf als Provinzpromi beschert hatte.
Ihr brennendes Heimweh nach München hatte sich inzwischen in eine leise Wehmut verwandelt. Es tat nicht mehr weh, doch war sie ziemlich sicher, dass ihr Oslo niemals in gleicher Weise ans Herz wachsen würde. Sie war aus ihrem alten Leben vertrieben worden und im neuen noch nicht angekommen. Sie fühlte sich wie im Wartezimmer eines Arztes, in dem sie nichts anderes tun konnte, als die Zeit totzuschlagen. Irgendwie schien sie darauf zu warten, dass jemand ihren Namen rief, zum Zeichen, dass es endlich weiterging. Eine vage Ahnung, wer dieser Jemand sein könnte, hatte sie immerhin. Zumindest hätte sie nichts dagegen, wenn der attraktive Junge mit den lässigen Bewegungen und den sanften braunen Augen, der neben ihr auf dem Bauch lag, sich ein bisschen für sie …
»Franziska!«
»Äh … was?«
Alexander schirmte mit einer Hand das Display seines Smartphones ab. »Elias schreibt gerade, dass er mit Håkon im Strandbad ist. Wollen wir zu ihnen rübergehen?«
Ach, ich weiß nicht.
»Okay, meinetwegen. Aber vielleicht sollte ich dir vorher noch mal den Rücken eincremen, ich glaube, er ist ein bisschen rot.«
»Nicht nötig. Hab ich schon zu Hause gemacht.«
Seufz.
So packten sie also ihre Sachen zusammen und machten sich auf den Weg zum Strandbad Huk, das etwa eine Viertelstunde von der Paradiesbucht entfernt lag. Alexander trug die Badetasche am Zeigefinger über der Schulter. Franziska hatte sich die Kühltasche unter den Arm geklemmt und hielt sich etwa einen Meter hinter ihm. Auf diese Weise konnte sie am besten ihren Gedanken nachhängen und in aller Ruhe Alexanders gebräunte Beine betrachten, auf denen sich ein Flaum blonder Härchen abzeichnete.
Was das Beisammensein mit ihm so angenehm machte, war die Tatsache, dass man gut mit ihm schweigen konnte. Jedenfalls brauchte man nicht, wie bei anderen Jungs, nach zehn Sekunden Stille nervös in Schweiß auszubrechen und fieberhaft darüber nachzudenken, was man bloß für eine schlaue oder witzige Bemerkung machen könnte. Alexander sorgte dafür, dass man sich entspannte.
Mildes Nachmittagslicht flutete den Saum des Strandes, während eine warme Brise Franziska die Haare aus dem Gesicht strich. Milliarden von Lichtreflexen tanzten auf der Wasseroberfläche und verliehen ihr das Bild eines zerbrochenen Spiegels, der bis zum Horizont reichte. Franziska kniff unwillkürlich die Augen zusammen, wodurch sich das endlose Glitzern abermals vervielfältigte, als sähe sie durch ein Kaleidoskop.
Der Trubel der Paradiesbucht war nur noch ein fernes Summen, dafür traten die Gerüche umso stärker hervor. Nie zuvor hatte Franziska so deutlich die verschiedenen Aromen von Luft, Erde und Meer unterscheiden können. Sie roch die salzige Schärfe des Tangs sowie den süßlich-würzigen Duft der sich wiegenden Gräser, die beim Gehen ihre nackten Zehen kitzelten.
Doch war da noch ein anderer Geruch, den sie nicht identifizieren konnte. Wie der Anflug von etwas Metallischem, das sie aus irgendeinem Grund mit den anthrazitfarbenen Felsen, die den Trampelpfad säumten, in Verbindung brachte.
Als das Strandbad mit seinem Kiosk und der großen Liegewiese in ihr Blickfeld geriet, waren nur noch wenige Leute im Wasser. Am Ufer flackerten bereits die ersten Lagerfeuer, deren Rauchschwaden rätselhafte Muster in die Luft malten. Von der weißen Holzterrasse des Strandrestaurants drang das Klirren von Gläsern zu ihnen herüber.
»Habt ihr einen Treffpunkt ausgemacht?«, fragte Franziska.
»Nicht direkt.«
»Und indirekt?«
»Auch nicht.«
Franziska stellte die Kühltasche ins Gras und stemmte die Hände in die Hüften. Eigentlich mussten ihre beiden Klassenkameraden hier am Strand doch ein...