Kubasik Earthdawn 3: Vergiftete Erinnerungen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95752-492-8
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Earthdawn-Zyklus, Band 03
E-Book, Deutsch, Band 3, 300 Seiten
Reihe: Earthdawn
ISBN: 978-3-95752-492-8
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Nachdem die Völker der Welt vierhundert Jahre lang in ihren magischen Festungen dem Eindringen der Dämonen getrotzt haben, öffnen sich nun wieder die Pforten ihrer selbstgewählten Gefängnisse. Doch die Bewohner Barsaives müssen feststellen, dass ihre Welt vollständig verwüstet wurde und ihre alten Feinde immer noch gegenwärtig sind. Es liegt am Zwergenkönigreich von Throal, dem grausamen Theranischen Imperium und den verschlagenen Dämonen die Stirn zu bieten. J'roles Versuch, den königlichen Zwergenjungen Neden vor dem Erzfeind Mordom zu retten, scheitert und endet für beide in der Gefangenschaft. Um dem qualvollen Tod auf Mordoms Luftschiff zu entgehen, springt J'role in die glühenden Lavamassen - und entdeckt verblüfft, dass ein Sterbender ein zweites Leben geschenkt bekommt, wenn seine Verzweiflung nur echt genug ist.
Christopher Kubasik (*1963 in New York) ist ein amerikanischer Autor von Romanen und Kurzgeschichten, vornehmlich aus den Bereichen Science-Fiction und Fantasy. Von 1987 bis 192 arbeitete er bei der FAS Corporation, dem Herausgeber von mehreren Rollenspielen und Tabletopspielen (u.a. Earthdawn, Battletech & StarWars), zu denen er passende Geschichten verfasste. Seither arbeitet er als Drehbuchautor und war sogar schon für einen Emmy nominiert.
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4. Vor Überraschung schrien beide auf, bis die kühlen Fluten des Flusses über uns zusammenschlugen. Unsere nasse Kleidung schmiegte sich um unsere Haut, klammerte sich an uns. Ich kannte den Fluß, der normalerweise viel kleiner war, kaum mehr als ein Bach. Ich hatte vergessen, daß er durch die kürzlichen Regenfälle angeschwollen war. Die Strömung trieb uns mit zahllosen formlosen Händen voran. Das Ding, das in meinem Körper gewesen war, der sondierende Hauch, war verschwunden, doch meine Nervenenden spürten noch einen Rest von Klebrigkeit. Einen sonderbaren Schleim, der durch meinen Körper sickerte. Der Junge ruderte mit den Armen und rief nach seiner Mutter, während er auftauchte und wieder untertauchte und dabei Wasser schluckte. Ich hielt ihn fest und drehte ihn so, daß er auf dem Rücken schwamm. »Entspann dich«, befahl ich, aber er schlug weiterhin mit den Armen, unfähig, seiner Panik Herr zu werden. Der Verlust jeglichen Halts forderte seinen Tribut: Wir glauben, das Leben zu kennen, und dann ist plötzlich alles Vertraute verschwunden, unförmigen Schatten, Trugbildern von anderen Leuten und Orten gewichen, die wir nicht kennen. Was kann man dann anderes tun, als um sich schlagen und versuchen, sich irgendwie in die Welt zurückzubefördern, die man gekannt hat? Ein Platschen flußaufwärts. Über uns hielt das dichte Blätterdach das Sternenlicht fern. Hinter uns nur das Rauschen des Wassers. Irgend etwas schwamm auf uns zu. Schwer atmend. Feucht. Hungrig. Ich griff nach meinem Schwert, das ich mir zu Hause in den Gürtel gesteckt hatte, doch meine Hand fand nichts. Ich mußte es bei der Flucht durch den Wald oder bei dem Sturz in den Fluß verloren haben. Fackeln tanzten am Flußufer entlang, verschwanden hinter Bäumen, um gleich darauf wieder aufzutauchen. Sie folgten uns. Die Kehle schnürte sich mir zu, und ich paddelte aus Leibeskräften mit den Beinen, um uns ans gegenüberliegende Ufer zu bringen, während der Dämon spritzend durchs Wasser pflügte. Die Dunkelheit, das schwarze Wasser, das Treiben darin, alles das erweckte in mir das Gefühl, irgendwie bereits tot zu sein. Der Dämon kam näher, und ich flehte den Jungen an, still zu sein. Ich glaubte nicht, daß uns die Stille gegen ihn helfen würde, aber vielleicht entging unseren Jägern, wo wir an Land gingen – falls wir es ans Ufer schafften. Tatsächlich beruhigte er sich, als ihm plötzlich klar wurde, daß er noch nicht ertrunken war, und sein Verstand die Gefahr, in der er schwebte, nicht zur Kenntnis nahm. Erleichterung erfaßte ihn. Er schniefte vor sich hin, da ihm Einsamkeit und Heimweh jetzt mehr zusetzten als alles andere. Das Ding kam paddelnd näher. Alles in mir verkrampfte sich, da ich damit rechnete, den seltsamen feuchten Lufthauch wieder zu verspüren. Als er nicht kam, nahm ich an, der Dämon mit dieser entsetzlichen Fähigkeit müsse wieder angeleint worden und bei den Jägern am Flußufer sein. Der zweite Dämon, der mit uns im Wasser war, blieb ein Geheimnis, das erst noch gelüftet werden mußte. Sie, die Dämonen, treten in so vielen alptraumhaften Formen und Gestalten auf, wer könnte sie da alle erfassen und katalogisieren? Sein hechelnder Atem war jetzt deutlich zu hören. Er schnaufte und spie Wasser, während er immer näher an uns heranpaddelte, nur noch ein paar Schritte entfernt. Der Junge hörte das Schnauben und fing an zu schreien. Angespornt durch die Furcht des Jungen, schnellte der Dämon vorwärts. Der Sprung war zu kurz, und der Dämon klatschte ins Wasser zurück, das über uns zusammenschlug. Der Junge versuchte seiner Angst durch einen weiteren Schrei Herr zu werden, doch vergeblich. Er schlug plötzlich um sich, da er sich aus meinem Griff befreien wollte, packte meinen Arm und versuchte sich loszureißen. Ich hielt ihn fest, doch dann fiel der Dämon über uns her. Er stürzte sich auf mich, ein Schatten dunkler als die Finsternis um uns. Das Aufblitzen von Zähnen, ein huschendes Schemen. Die Wunde, eine Konzentration von zerbrochenem Glas. Der Junge glitt aus meinen Armen, als ich mich aufschreiend herumwälzte. Mein Mund, der vor Schmerzen weit aufgerissen war, füllte sich mit Flußwasser, in dem Blutschlieren trieben. Riesige Pranken mit Krallen wie silberne Nägel krabbelten über meinen Rücken und drückten mich tiefer ins Wasser. Das Ding kletterte über mich hinweg und paddelte hinter dem Jungen her. Ich war für den Dämon nicht mehr vorhanden, und im Vorübergehen trat er mit gedankenloser Nachlässigkeit nach mir. Um mich herum Leere. Kein Oben, kein Unten. Ich trieb ohne Sinn und Zweck im Wasser. Meine Lungen schrien nach Luft, die Augen nach Licht. Dann ein erstickter Schrei. Dort, rechts von mir. Ich durchbrach die Wasseroberfläche. Hustend. Die Luft, die ich einsog, schnitt heiß durch meine Brust. Das Ding wirbelte herum, bevor ich mich wieder orientieren konnte. Ein Gesicht – nein. Ein Maul. Der Kopf des Dämons war nicht mehr als ein riesiges Maul, die Lippen waren so weit zurückgezogen, daß nur Zähne und eine Zunge zu sehen waren. Eine geschälte Orange und darin nichts als eine gähnende Leere. Die Unmöglichkeit dieses Anblicks ließ mich erstarren. Das Maul schnellte mir entgegen. Ich warf mich nach hinten, versuchte mit den Füßen zu paddeln. Die Krallen des Dämons bohrten sich tief in meine Brust. Ein Schrei von mir, dann ein Gurgeln, als ich wieder Wasser schluckte. Ich klammerte mich an seine Schultern, tastete nach seinem Hals, von dem Gedanken beseelt, der Dämon könne mich vor dem Ertrinken retten. Wir beide, der Dämon und ich, tauchten unter. Wir wanden uns, pflügten durch die Fluten des Flusses. Jeder von uns mühte sich, den anderen richtig zu fassen zu bekommen. Meine Finger glitten seinen Hals entlang über zartes Fell, das sich merkwürdig flauschig anfühlte. Der Hals war lang, absonderlich lang für das riesige Maul, das er trug. Ich umklammerte ihn mit beiden Händen, versuchte ihm das Genick zu brechen. Der Dämon krümmte sich in meinem Griff wie eine Schlange. Wie ein Kind, das sich freiwinden will. Die Finger meiner Mutter auf meiner Brust. Das Ritual. Das Unwesen in meinen Gedanken. Zähne bohrten sich in meinen Arm. Der Schmerz zwang meinen Mund auf. Die Welt verkehrte sich ins Gegenteil. Wasser wurde zu Luft, verstopfte meinen Mund, meine Kehle. Die natürliche Reaktion auf Schmerzen – Schreien, Keuchen – war gleichbedeutend mit dem Tod. Meine Hände ruderten im Wasser, suchten das Maul, wollten es von meinem Arm abschütteln. Meine rechte Hand reagierte nicht. Sie war lahm und brannte. Die linke fand die scharfen, tödlichen Zähne. Zog das Maul auseinander, während die Zähne meine Hand durchbohrten. Frei. Bilder vom Tod passierten vor mir Revue wie seltsame Fische. Meine Leiche, die den Fluß hinuntertrieb. Meine Leiche, die von theranischen Sklavenmeistern ausgepeitscht wurde. Meine Leiche, von eigener Hand getötet, wie der Dämon in meinem Kopf es mir vorgeschlagen hatte. Wie oft war ich fast gestorben? Durch den Luftmangel wurde mir schwarz vor Augen. Die Zeit dehnte sich, das Werk eines Kindes, ein Ball aus einer Dschungelliane, die sich immer nur um sich selbst wand. Ich trieb dahin, unsicher, wie alt ich war. Alt war ich auf jeden Fall. Sehr alt. Schon immer gewesen. Immer? Immer. Manche von uns brauchen ihr ganzes Leben, um ihr eigentliches Alter einzuholen. Nach oben und durch die Wasseroberfläche. Das Fackellicht flackerte weit entfernt am gegenüberliegenden Ufer. Am Leben! Ein Augenblick der Freude, die Schönheit eines ruhig daliegenden Sees, die plötzlich durch die Wogen des Augenblicks gekräuselt wird. Der Dämon. Mordom. Der Junge! Wo war der Junge? Ich war verwirrt. Meine Schulter brannte so heiß, daß ich glaubte, sie stünde in Flammen. Der Junge, den ich suchte – welcher war es? Einen Augenblick lang glaubte ich, ich könnte mich selbst finden. In den rauhen Wassern des Lebens treibend. Erinnerungen an meine Vergangenheit brachten mich durcheinander, und plötzlich war ich für mich selbst ein Fremder. Ein unbekannter, geheimnisvoller Retter meiner selbst. Existierte meine Kindheit noch? Lebte sie irgendwo? Konnte ich den Jungen retten, der ich einmal gewesen war, und damit meine Gegenwart ändern? Die Gedanken nahmen irgendwo in meinem Kopf Gestalt an, und ich befürchtete, den Verstand zu verlieren. Hin und wieder überfiel mich die Angst, den Verstand zu verlieren. Außer mir zu sein. Gedanken, die sich förmlich überschlugen, wie ein Kind, das von seinem Vater gehalten und herumgewirbelt wird, immer und immer wieder, während das Kind bis zu dem verhängnisvollen Augenblick lacht, wenn der Vater losläßt. Ein Unfall. Ein Ausrutscher. Ein Schwung, und das Kind fliegt los. Davon. Weg. Verschwunden. Ich verlor den Verstand. Ich fürchtete, ich könne wahrhaftig zu der Ansicht gelangen, als Kind nicht ich selbst, sondern tatsächlich zwei verschiedene Personen gewesen zu sein. (Woher stammte diese Vorstellung? Wo kommen eigentlich die Gedanken her?) Wenn ich das glauben konnte, wenn sich dieser Glaube in mir festsetzte, würde ich nicht länger wissen, wie ich in der Welt leben sollte. Ich würde die Dschungel des Landes durchstreifen und wie ein Leopard leben, mir immer der Umgebung bewußt sein – ein Baum, eine Antilope, das Sonnenlicht –, aber meine Gedanken, die Gedanken eines Namensgebers, würden verschwunden sein. Ich würde mich nicht mehr als mich selbst kennen. Plötzlich wieder der Junge. Diesmal, der Zwergenjunge. »Hau ab!« rief er. Ein schwaches Glitzern von Metall. Ein heller Stem an einem wolkenverhangenen Himmel, der den Schleier der Dunkelheit durchbrach. Seine kleine Hand ließ die Klinge hinter dem Maul des...