E-Book, Deutsch, 385 Seiten, Web PDF
Kühn Sicherheit und Entwicklung in der Weltgesellschaft
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-531-92360-4
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Liberales Paradigma und Statebuilding in Afghanistan
E-Book, Deutsch, 385 Seiten, Web PDF
Reihe: Humanities, Social Science (German Language)
ISBN: 978-3-531-92360-4
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Dank.- Sicherheitspolitik.- Entwicklungspolitik.- Liberales Paradigma und Statebuilding: Sicherheits- und entwicklungspolitische Synthese.- Afghanistan als sicherheitspolitischer Prüfstein.- Schluss.
(S. 187-188)
In diesem Kapitel werden die Fäden der beiden konzeptionellen Ausarbeitungen zur Sicherheit und zur Entwicklung zusammengeführt. Es ist gezeigt worden, dass beide Begriffe und Konzepte und die Politik, die daraus resultiert, historisch bedingt sind, entwicklungs- und sicherheitspolitische Zielstellungen also von historischen Umständen abhängen.
Sicherheit und Entwicklung hingen darin zusammen, dass Staaten und ihr politisches System als Sicherheitsproblem verstanden wurden und in der Folge entwicklungspolitisch unterstützt wurden, um ihre politische Haltung zu beeinflussen. Gleichzeitig repräsentierten und reproduzierten diese Beziehungen Abhängigkeiten, die historisch weiter zurückreichen. Die Strukturen des Kolonialismus schlugen sich in internationalem Recht, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen nieder.
Die skizzierten Vorstellungen übertragen die Idealtypen auf die Welt, so dass Staatlichkeit zur Doktrin wurde. Die idealtypisierten Merkmale territorialer Kontrolle und Gewaltmonopol als Ausdruck rationaler, verstetigter Herrschaftsbeziehungen gelten als Richtmarke, an der die Abweichung und damit die Schwäche von Staatlichkeit abzulesen ist. Sowohl entwicklungs- als auch sicherheitsbezogene Überlegungen beziehen sich also letztlich auf den Staat.
In diesem Staat kann Entwicklung letztlich nur durch Fortschritt verwirklicht werden, der als Wachstum verstanden wird. Selbst dort, wo self-reliance als Ziel von Entwicklung gilt, dient der Staat immer noch als Kontrollinstanz, deren Aufgabe die Einhegung menschlichen Tuns ist (N. Cooper 2006: 330). In dieser liberalen Konstruktion verschmelzen geopolitische und biopolitische Zielsetzungen. Seit den 1990er Jahren bezogen sich sowohl der Sicherheitsbegriff als auch der Entwicklungsbegriff auf den individualisierten Menschen.
Dies erlaubt eine Biopolitik, die ihren Gegenstand gerade nicht in territorialer Kontrolle hat, sondern in der Kontrolle und Eindämmung des menschlichen Faktors findet. Politische Räume sind also nicht mehr staatliche oder nationale, die den Kategorien Souveränität und Autonomie entsprechen, sondern sind insbesondere in Postkonflikt-Konstellationen stark internationalisiert. Unterschiedliche Akteure wie staatliche Organisationen und Regierungsinstitutionen, NGOs, religiöse und tribale Autoritäten, Terroristen und Aufständische, aber auch Interventionstruppen, lokale und politische Eliten interagieren in diesem Raum hochkomplexer Dynamiken.
Dabei sind diese Akteure in den wenigsten Fällen unitaristisch, handeln nicht einheitlich oder kohärent, sondern haben multiple Identitäten, die sich überschneiden und ineinander übergehen. Die Zuschreibung von festen Kategorien, denen zufolge politische Akteure sortiert werden können, werden dem Geschehen im politischen Raum oder ‚Machtfeld‘ des internationalisierten Staates nicht gerecht (J. Heathershaw/D. Lambach 2008b).
Der ‚unterentwickelte‘ Staat gewinnt also an Bedeutung, weil seine Charakteristika dem Ideal nicht entsprechen. Er dient als institutionelle Plattform, auf der die sozialen Beziehungen der Individuen nach westlichem Vorbild gestaltet werden können. Indem Armut und Unterentwicklung von einer humanen Katastrophe zu einem bedrohlichen Sicherheitsproblem umgedeutet wurden, lässt sich dies innerhalb eines liberalen Paradigmas begründen und erklären. Die Widersprüche jedoch, die darin enthalten sind, bleiben häufig unbeachtet oder werden der simplen Tatsache zugeschrieben, dass die sozialen Beziehungen, die adressiert werden, außerhalb der liberalen Weltsicht liegen.