E-Book, Deutsch, 386 Seiten, eBook
Kühn Sicherheit und Entwicklung in der Weltgesellschaft
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-531-92360-4
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Liberales Paradigma und Statebuilding in Afghanistan
E-Book, Deutsch, 386 Seiten, eBook
Reihe: Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens
ISBN: 978-3-531-92360-4
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Florian P. Kühn ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Politik der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort;10
3;1 Dank;12
4;2 Einleitung;14
4.1;2.1 Prolog;14
4.2;2.2 Afghanistans Aufbau auf dem Prüfstand;16
4.3;2.3 Aufbau und Fragestellung der Arbeit;18
4.3.1;2.3.1 Die Kapitel zu Sicherheit und Entwicklung;19
4.3.2;2.3.2 Das Konzept der Synthese von Sicherheits- und Entwicklungspolitik;22
4.3.3;2.3.3 Fallstudie Afghanistan;29
4.4;2.4 Erkenntnisinteresse und Wissenschaftsverständnis;35
4.5;2.5 Stand der Literatur zu Afghanistan;39
5;3 Sicherheitspolitik;43
5.1;3.1 Der Sicherheitsbegriff;45
5.1.1;3.1.1 Kritik der Internationalen Beziehungen14;47
5.1.1.1;3.1.1.1 Realistische Ansätze;48
5.1.1.2;3.1.1.2 Liberale und institutionalistische Ansätze;50
5.1.2;3.1.2 Verhältnis von Sicherheit und Frieden;53
5.1.3;3.1.3 Bezugspunkte von Sicherheit und die Internationalen Beziehungen;56
5.1.3.1;3.1.3.1 Die Erhaltung des Staates und des Systems;56
5.1.3.2;3.1.3.2 Werte und ihre Referenzen;59
5.1.3.3;3.1.3.3 Historizität und Geltung;60
5.1.3.4;3.1.3.4 Politökonomischer Primas: Der Staat und die Gewalt;62
5.1.3.5;3.1.3.5 Ausweitung der Sicherheit;64
5.2;3.2 Ebenen von Sicherheitspolitik;65
5.2.1;3.2.1 Sicherheit und das internationale System;66
5.2.1.1;3.2.1.1 Strukturanalytische Diagnose: Anarchie;69
5.2.1.2;3.2.1.2 Die Sicherheitsgemeinschaft;73
5.2.1.3;3.2.1.3 Die Gesellschaftlichkeit der Sicherheit;77
5.2.1.4;3.2.1.4 Normen, Werte, Ideen – und die Sicherheit im Staat;80
5.2.2;3.2.2 Sicherheit als Aufgabe des Staates;81
5.2.2.1;3.2.2.1 Die Begründung des Staates als Sicherheitsakteur nach innen;82
5.2.2.2;3.2.2.2 Innere und äußere Sicherheit;91
5.2.3;3.2.3 Die personale Ebene;103
5.2.3.1;3.2.3.1 Personen im Staat;103
5.2.3.2;3.2.3.2 Individuelle Sicherheit als internationale Aufgabe;105
5.2.3.3;3.2.3.3 Konsequenzen für die personale Ebene von Sicherheit;109
5.3;3.3 Zusammenfassung;110
6;4 Entwicklungspolitik;113
6.1;4.1 ‚Development as Freedom‘?;113
6.1.1;4.1.1 Entwicklung als wissenschaftliches Projekt;113
6.1.1.1;4.1.1.1 Die Entfaltung des Individuums;114
6.1.1.2;4.1.1.2 Wissenschaft als Maßstab für intendierte Entwicklung;116
6.1.1.3;4.1.1.3 Gesellschaftlichkeit und Entwicklung: historisch-materialistische Teleologie;117
6.1.1.4;4.1.1.4 Wissenschaftsglaube und Entwicklungsprognostik;120
6.1.2;4.1.2 Liberaler Fundamentalismus;121
6.1.3;4.1.3 Wachstum als Indikator für Entwicklung;125
6.1.3.1;4.1.3.1 „Stages of Growth“ – Rostows Entwicklungsentwurf;125
6.1.3.2;4.1.3.2 Wachstum und Dependenz;128
6.1.4;4.1.4 Staatlichkeit und Entwicklung;131
6.1.4.1;4.1.4.1 Immanente und exogene Modernisierung;131
6.1.4.2;4.1.4.2 Märkte als Ausdruck der Freiheit;132
6.1.4.3;4.1.4.3 Pazifizierte Ausgleichsmechanismen freier Individuen?;134
6.1.4.4;4.1.4.4 Konstruktion von Normen und Werten;135
6.1.5;4.1.5 Zusammenfassung: Reduktion existenzieller Risiken;137
6.2;4.2 Ebenen von Entwicklung;138
6.2.1;4.2.1 Internationale Entwicklung;141
6.2.1.1;4.2.1.1 Wirtschaftsboom nach 1945 als beschleunigender Faktor der ‚westlichen Entwicklung‘;141
6.2.1.2;4.2.1.2 Der Kalte Krieg und politisch motivierte Hilfe zur Entwicklung;143
6.2.1.3;4.2.1.3 Dekolonisierung;145
6.2.1.4;4.2.1.4 Wirtschaftliche Integration;147
6.2.1.5;4.2.1.5 Diachrone Betrachtung von Entwicklung;150
6.2.1.6;4.2.1.6 Politisches Imperium?;153
6.2.1.7;4.2.1.7 Dynamische Entwicklung im Weltmaßstab;154
6.2.2;4.2.2 Staatliche Entwicklung;162
6.2.2.1;4.2.2.1 Ideal und Praktiken des Staates und gesellschaftlicher Akteure;162
6.2.2.2;4.2.2.2 Die Position des Staates in der internationalen politischen Ökonomie;164
6.2.3;4.2.3 Personale Entwicklung;172
6.2.3.1;4.2.3.1 Entwicklung und Nothilfe;172
6.2.3.2;4.2.3.2 Nachhaltige Entwicklung und ‚needs-based aid‘;175
6.2.3.3;4.2.3.3 Freiheit zur Entwicklung;177
6.2.3.4;4.2.3.4 Reduktion existenzieller Risiken;179
6.3;4.3 ‚Mehrebenen‘-Politik und Risikoreduktion;182
7;5 Liberales Paradigma und Statebuilding:Sicherheits- und entwicklungspolitische Synthese;188
7.1;5.1 Weltgesellschaft und liberale Ansätze;189
7.2;5.2 Externe Eingriffe und Souveränität;195
7.2.1;5.2.1 Das Subjekt: Die Sicherheitsgemeinschaft;199
7.2.2;5.2.2 Das Objekt: Fragile Staaten;206
7.2.3;5.2.3 (Un-)Gleichheit in der liberalen Weltsicht;211
7.2.4;5.2.4 Entwicklung als Modernisierung in der Weltgesellschaft;213
7.3;5.3 Securitization und Developmentalization126;217
7.4;5.4 Gewaltmonopolisierung als Ausdruck der Staatlichkeitsdoktrin;229
7.4.1;5.4.1 Gewaltmonopolisierung durch nichtstaatliche Akteure;231
7.4.2;5.4.2 Das Sicherheitsdilemma auf den Ebenen von Staat und Gesellschaft;234
7.4.3;5.4.3 Gewalt als Wirtschaftsfaktor;238
7.5;5.5 Rentierstaatlichkeit und Staatsfinanzierung;242
7.5.1;5.5.1 Die ökonomische Rente;244
7.5.2;5.5.2 Die politische Rente;245
7.5.3;5.5.3 Die Rente als Problem der internationalen Politik;246
7.5.4;5.5.4 Die Rente als Hindernis kapitalistischer Vergesellschaftung;247
7.5.4.1;5.5.4.1 Rent-seeking;248
7.5.4.2;5.5.4.2 ‚Dutch disease‘;251
7.5.4.3;5.5.4.3 Nachhaltige Abhängigkeitsstrukturen;253
7.6;5.6 Staatsaufbau als Risikofaktor;255
7.7;5.7 Staatsaufbau in staatsferner Gegend: Widersprüche liberaler Weltpolitik;258
7.7.1;5.7.1 Alle Menschen sind gleich, manche jedoch nicht;259
7.7.2;5.7.2 Alle Staaten sollen sich ihre Regierungsform selbst geben, solange es Demokratie ist;261
7.7.3;5.7.3 Demokratie bringt allen etwas, nur keinen Wohlstand;262
7.7.4;5.7.4 Gewalt kann nur der Staat eindämmen oder externes Militär;263
8;6 Afghanistan als sicherheitspolitischer Prüfstein;265
8.1;6.1 Weltgesellschaft und liberaler Staatsaufbau;281
8.2;6.2 Externe Eingriffe und Souveränität;290
8.3;6.3 Securitization und Developmentalization;304
8.4;6.4 Gewaltmonopolisierung als Ausdruck der Staatlichkeitsdoktrin;310
8.5;6.5 Rentierstaatlichkeit und Staatsfinanzierung210;315
8.6;6.6 Staatsaufbau als Risikofaktor;331
8.7;6.7 Staatsaufbau in staatsferner Gegend;334
8.7.1;6.7.1 Alle Menschen sind gleich, manche jedoch nicht;336
8.7.2;6.7.2 Alle Staaten sollen sich ihre Regierungsform selbst geben, solange es Demokratie ist;338
8.7.3;6.7.3 Demokratie bringt allen etwas, nur keinen Wohlstand;340
8.7.4;6.7.4 Gewalt kann nur der Staat eindämmen oder externes Militär;341
9;7 Schluss;343
10;8 Literatur;352
Dank.- Sicherheitspolitik.- Entwicklungspolitik.- Liberales Paradigma und Statebuilding: Sicherheits- und entwicklungspolitische Synthese.- Afghanistan als sicherheitspolitischer Prüfstein.- Schluss.
5 Liberales Paradigma und Statebuilding: Sicherheits- und entwicklungspolitische Synthese (S. 187-188)
In diesem Kapitel werden die Fäden der beiden konzeptionellen Ausarbeitungen zur Sicherheit und zur Entwicklung zusammengeführt. Es ist gezeigt worden, dass beide Begriffe und Konzepte und die Politik, die daraus resultiert, historisch bedingt sind, entwicklungs- und sicherheitspolitische Zielstellungen also von historischen Umständen abhängen.
Sicherheit und Entwicklung hingen darin zusammen, dass Staaten und ihr politisches System als Sicherheitsproblem verstanden wurden und in der Folge entwicklungspolitisch unterstützt wurden, um ihre politische Haltung zu beeinflussen. Gleichzeitig repräsentierten und reproduzierten diese Beziehungen Abhängigkeiten, die historisch weiter zurückreichen. Die Strukturen des Kolonialismus schlugen sich in internationalem Recht, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen nieder.
Die skizzierten Vorstellungen übertragen die Idealtypen auf die Welt, so dass Staatlichkeit zur Doktrin wurde. Die idealtypisierten Merkmale territorialer Kontrolle und Gewaltmonopol als Ausdruck rationaler, verstetigter Herrschaftsbeziehungen gelten als Richtmarke, an der die Abweichung und damit die Schwäche von Staatlichkeit abzulesen ist. Sowohl entwicklungs- als auch sicherheitsbezogene Überlegungen beziehen sich also letztlich auf den Staat.
In diesem Staat kann Entwicklung letztlich nur durch Fortschritt verwirklicht werden, der als Wachstum verstanden wird. Selbst dort, wo self-reliance als Ziel von Entwicklung gilt, dient der Staat immer noch als Kontrollinstanz, deren Aufgabe die Einhegung menschlichen Tuns ist (N. Cooper 2006: 330). In dieser liberalen Konstruktion verschmelzen geopolitische und biopolitische Zielsetzungen. Seit den 1990er Jahren bezogen sich sowohl der Sicherheitsbegriff als auch der Entwicklungsbegriff auf den individualisierten Menschen.
Dies erlaubt eine Biopolitik, die ihren Gegenstand gerade nicht in territorialer Kontrolle hat, sondern in der Kontrolle und Eindämmung des menschlichen Faktors findet. Politische Räume sind also nicht mehr staatliche oder nationale, die den Kategorien Souveränität und Autonomie entsprechen, sondern sind insbesondere in Postkonflikt-Konstellationen stark internationalisiert. Unterschiedliche Akteure wie staatliche Organisationen und Regierungsinstitutionen, NGOs, religiöse und tribale Autoritäten, Terroristen und Aufständische, aber auch Interventionstruppen, lokale und politische Eliten interagieren in diesem Raum hochkomplexer Dynamiken.
Dabei sind diese Akteure in den wenigsten Fällen unitaristisch, handeln nicht einheitlich oder kohärent, sondern haben multiple Identitäten, die sich überschneiden und ineinander übergehen. Die Zuschreibung von festen Kategorien, denen zufolge politische Akteure sortiert werden können, werden dem Geschehen im politischen Raum oder ‚Machtfeld‘ des internationalisierten Staates nicht gerecht (J. Heathershaw/D. Lambach 2008b).
Der ‚unterentwickelte‘ Staat gewinnt also an Bedeutung, weil seine Charakteristika dem Ideal nicht entsprechen. Er dient als institutionelle Plattform, auf der die sozialen Beziehungen der Individuen nach westlichem Vorbild gestaltet werden können. Indem Armut und Unterentwicklung von einer humanen Katastrophe zu einem bedrohlichen Sicherheitsproblem umgedeutet wurden, lässt sich dies innerhalb eines liberalen Paradigmas begründen und erklären. Die Widersprüche jedoch, die darin enthalten sind, bleiben häufig unbeachtet oder werden der simplen Tatsache zugeschrieben, dass die sozialen Beziehungen, die adressiert werden, außerhalb der liberalen Weltsicht liegen.