Kundera | Jacques und sein Herr | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Kundera Jacques und sein Herr

Hommage an Denis Diderot in drei Akten
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-311-70515-4
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Hommage an Denis Diderot in drei Akten

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

ISBN: 978-3-311-70515-4
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Denis Diderots Jacques der Fatalist und sein Herr aus dem 18. Jahrhundert zählte zu Milan Kunderas Lieblingsromanen. Um ihn zu würdigen, schuf er seine eigene Bühnenfassung: drei Akte über den Diener Jacques, seinen adeligen Herrn und die Wirtin eines Gasthauses auf ihrer Reise wohin auch immer. Die drei erzählen sich Geschichten über Liebe, Eifersucht, Treue und Verrat – Geschichten, die immer wieder Variationen ihrer selbst sind, die sich überschneiden, sich aufeinander beziehen und spiegeln. Jacques setzt einem Freund die Hörner auf, der Herr bekommt von einem Freund die Hörner aufgesetzt, und die vom Herrn umworbene Agathe erinnert an die Hure aus der Geschichte über Madame de La Pommeraye, die wiederum an die Wirtin erinnert … »Ist es nicht immer dieselbe unwandelbare Geschichte?«, fragt der Herr und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Doch genau diese Variation der immergleichen Geschichte eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Komik und des Spiels mit der Form.
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Szene 1


Jacques und sein Herr treten auf; sie gehen einige Schritte, und Jacques’ Blick fällt auf die Zuschauer; Jacques bleibt stehen …

JACQUES leise: Monsieur … (Er zeigt seinem Herrn das Publikum:) Was schauen die uns alle an?

HERR fährt zusammen und zupft seine Kleidung zurecht, als befürchtete er, durch eine Nachlässigkeit aufzufallen: Tu so, als wäre niemand da.

JACQUES : Könnten Sie nicht woandershin schauen? Also gut, was wollen Sie? Wo wir herkommen? () Von dort. Und wo wir hingehen? () Weiß man denn, wohin man geht? () Wissen Sie etwa, wohin Sie gehen?

HERR: Jacques, ich habe Angst davor, zu wissen, wohin wir gehen.

JACQUES: Sie haben Angst?

HERR traurig: Ja. Aber ich habe nicht vor, dich in meine traurigen Verpflichtungen einzuweihen.

JACQUES: Monsieur, man weiß nie, wohin man geht, glauben Sie mir! Aber wie mein Hauptmann sagte, es steht da oben geschrieben.

HERR: Und er hatte recht …

JACQUES: Der Teufel besteige Justine und den widerlichen Dachboden, wo ich meine Unschuld verlor!

HERR: Warum verwünschst du eine Frau, Jacques?

JACQUES: Weil ich mich betrunken habe, als ich meine Unschuld verlor, mein Vater hat mir rasend vor Wut eine Tracht Prügel verpasst, ein Regiment zog durch die Gegend, also habe ich mich anwerben lassen, eine Schlacht bricht los, ich bekomme eine Kugel ins Knie. Was übrigens einen Rattenschwanz von Ereignissen nach sich zog. Ohne diese Kugel zum Beispiel hätte ich mich, glaube ich, nie verliebt.

HERR: Du warst also verliebt? Davon hast du mir nie was gesagt!

JACQUES: Es gibt vieles, wovon ich Ihnen nie etwas gesagt habe.

HERR: Na gut! Wie hast du dich verliebt? Erzähle!

JACQUES: Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, die Kugel im Knie. Ich liege unter einem Haufen Toter und Verwundeter begraben. Am nächsten Tag wurde ich gefunden und auf einen Karren geworfen. Ab ins Lazarett. Die Straße war schlecht, beim kleinsten Geholper brüllte ich vor Schmerzen. Plötzlich wird angehalten. Ich verlange, dass man mich ablädt. Es war am Ausgang eines Dorfes, und vor der Tür einer ärmlichen Hütte stand eine junge Frau.

HERR: Aha, endlich …

JACQUES: Sie geht ins Haus, kommt mit einer Flasche Wein wieder heraus und gibt mir zu trinken. Sie wollen mich wieder auf den Karren legen, aber ich klammere mich an ihren Rock. Dann wurde ich ohnmächtig, und als ich wieder zu mir kam, war ich in ihrem Haus, ihr Mann und ihre Kinder standen um mich herum, und sie machte mir Umschläge.

HERR: Du Lump! Ich seh schon, worauf du hinauswillst.

JACQUES: Sie sehen überhaupt nichts.

HERR: Der Mann nimmt dich in sein Haus auf, und so dankst du es ihm!

JACQUES: Monsieur! Ist man denn für das verantwortlich, was man tut? Mein Hauptmann sagte: Alles, was uns hienieden an Gutem und Bösem geschieht, steht da oben geschrieben. Kennen Sie ein Mittel, das Geschriebene auszulöschen? Sagen Sie mir, Monsieur: Kann ich nicht sein? Kann ich ein anderer sein? Und wenn ich ich bin, kann ich dann etwas anderes tun als das, was ich tue?

HERR: Etwas macht mich stutzig: Bist du ein Lump, weil es da oben geschrieben steht? Oder steht es geschrieben, weil die da oben wussten, dass du ein Lump bist? Was ist die Ursache, was die Wirkung?

JACQUES: Ich weiß es nicht, Monsieur, aber schimpfen Sie mich nicht einen Lumpen.

HERR: Ein Mann, der seinem Wohltäter Hörner aufsetzt.

JACQUES: Und nennen Sie diesen Mann nicht meinen Wohltäter. Sie hätten sehen sollen, wie er seine Frau behandelte, weil sie Mitleid mit mir hatte.

HERR: Und das war richtig von ihm … Jacques, wie war sie? Beschreib sie mir!

JACQUES: Die junge Frau?

HERR: Ja.

JACQUES Mittelgroß …

HERR Hmm …

JACQUES: Aber eher groß als klein …

HERR Eher groß.

JACQUES: Ja.

HERR: Das gefällt mir.

JACQUES Einen schönen Busen.

HERR: Mehr Hintern als Busen?

JACQUES zögernd: Nein. Mehr Busen.

HERR Schade.

JACQUES: Dicke Hintern sind Ihnen lieber?

HERR: Ja … Wie der von Agathe … Und ihre Augen, wie waren die?

JACQUES: Ihre Augen? Ich weiß nicht mehr. Aber sie hatte schwarzes Haar.

HERR: Agathe war blond.

JACQUES: Ich kann nichts dafür, Monsieur, dass sie keine Ähnlichkeit mit Ihrer Agathe hatte. Sie müssen sie nehmen, wie sie ist. Aber sie hatte hübsche, lange Beine.

HERR Lange Beine. Du machst mir Freude!

JACQUES: Und einen majestätischen Hintern.

HERR: Majestätisch? Im Ernst?

JACQUES So …

HERR: Ah! Du Schweinehund! Je mehr du mir von ihr erzählst, umso verrückter bin ich nach ihr. Die Frau deines Wohltäters, du hast also …

JACQUES: Nein, Monsieur. Es ist nie etwas zwischen dieser Frau und mir gewesen.

HERR: Warum erzählst du mir dann von ihr? Warum verlieren wir unsere Zeit mit ihr?

JACQUES: Monsieur, Sie unterbrechen mich, und das ist eine sehr üble Angewohnheit.

HERR: Ich war schon so scharf auf sie …

JACQUES: Ich erzähle Ihnen, dass ich mit einer Kugel im Knie im Bett liege, dass ich Qualen erleide, und Sie denken nur an Wollust. Und obendrein bringen Sie eine gewisse Agathe ins Spiel.

HERR: Sprich diesen Namen nicht aus.

JACQUES: Sie haben ihn doch ausgesprochen.

HERR: Hast du schon mal erlebt, dass du wahnsinnig scharf auf eine Frau warst, die nichts von dir wissen wollte? Gar nichts?

JACQUES: Ja, Justine.

HERR: Justine? Die, mit der du deine Unschuld verloren hast?

JACQUES: Genau.

HERR: Erzähl …

JACQUES: Nach Ihnen, Monsieur.

Szene 2


In den letzten Augenblicken sind auf der Estrade im Hintergrund weitere Personen erschienen. Der junge Bigre sitzt auf den Stufen. Justine steht vor ihm. Gegenüber, am anderen Ende der Bühne befindet sich noch ein Paar. Agathe sitzt auf einem Stuhl, den der Chevalier de Saint-Ouen ihr herbeigetragen hat, und der Chevalier steht neben ihr.

SAINT-OUEN ruft den Herrn: Hallo! Mein Freund!

JACQUES dreht sich ebenso um wie sein Herr und macht eine Kopfbewegung zu Agathe hin: Ist sie das? (Der Herr nickt.) Und der Mann neben ihr, wer ist das?

HERR: Ein Freund. Der Chevalier de Saint-Ouen. Durch ihn habe ich sie kennengelernt. (Er deutet mit dem Blick auf Justine:) Und die andere da drüben, ist das deine?

JACQUES: Ja, aber Ihre gefällt mir besser.

HERR: Und mir deine. Sie ist mehr im Fleisch. Sollen wir mal tauschen?

JACQUES: Daran hätte man damals denken müssen. Jetzt ist es zu...


Kundera, Milan
Milan Kundera wurde in der Tschechischen Republik geboren. Seit 1975 lebte er in Frankreich, wo er 2023 starb.



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