E-Book, Deutsch, 286 Seiten
Kurz Hühnertod
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-86913-329-4
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Duke
E-Book, Deutsch, 286 Seiten
ISBN: 978-3-86913-329-4
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hans Kurz ist Redakteur bei einer Tageszeitung in Bamberg. Er studierte Sinologie und Politische Wissenschaften in Mu¨nchen, Taipei und Erlangen, jobbte als Taxi- und Kurierfahrer, als wissenschaftlicher Hilfsbibliothekar, im Buchhandel sowie als Übersetzer, Werbetexter, Kulturmanager und freier Journalist fu¨r Zeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
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Am Abend saßen wir dann alle in der Bauernstube. Hacker hatte sogar noch ein Kartoffelgratin zubereitet. Erwartungsvolle Blicke waren auf mich gerichtet, als ich mich setzte. Nur Ginas Leichenbittermiene ergänzte das Menü um eine angewiderte Note. Ich spülte den Beigeschmack erst mal mit einem Bier runter und warf, noch bevor einer – beziehungsweise eine – den Schnabel aufreißen konnte, meine Entscheidung in die Runde: »Ich mach den Job. Jahrelang hab ich in Erlangen beim Hühnertod gespeist, jetzt will ich endlich auch den Lieferanten kennenlernen.«
Meine Bemerkung über die Hähnchenbraterei mit dem originellen Namen, in der ich mich zu Studentenzeiten regelmäßig verköstigt hatte, kam nicht besonders gut an. Dabei lag nicht mal eines der abgekratzten Tiere gegrillt auf dem Tisch.
Joe starrte vor sich hin. Der Koch hieb mir eine Kelle voll vom Gratin auf den Teller und kommentierte: »Das ist gut« – gab aber nicht weiter zu verstehen, ob er damit sein Essen, meinen Witz oder meine Entscheidung meinte. Gina blaffte nur: »Dann mach es auch.« Und Alex konterte: »Er macht das schon.«
Ihr Vertrauen ehrte sie, war allerdings auch ein bisschen naiv. Ich hatte zwar gute Geschichten auf Lager – und die waren sogar wahr. Aber mit akribischer Detektivarbeit hatte das alles wenig zu tun gehabt. Ich war da immer irgendwie hineingestolpert oder hineingestoßen worden und meist mit einem bis zwei blauen Augen und manchmal einem Batzen Geld wieder rausgekommen. Warum also jetzt nicht mal wieder, nachdem mir fünf Jahre lang nichts Besseres eingefallen war, mein Leben zu gestalten.
Nach einer weitgehend schweigsamen Nahrungsaufnahme – nur Joe kaute noch immer lautstark auf den vereinzelt ins Gratin eingestreuten Speckstreifen herum – stand die Krisensitzung an. Denn das Hühnersterben war eine echte wirtschaftliche Bedrohung für die Lebensgemeinschaft, die ja keine bloße Zweck-WG war, wie besonders mir gegenüber regelmäßig betont wurde. Gina Feustl und Franz Reitmaier waren hier vor sechs oder sieben Jahren, in ihren frühen Dreißigern, mit der Gründung eines ökologisch betriebenen Bauernhofes zivilisationsflüchtig geworden. Den verlassenen Einödhof hatten sie mit Geld von Ginas Eltern gekauft und halbwegs renoviert. Vor zwei Jahren, nachdem ein anderes biodynamisches Mitgründerpaar wieder zurück in die Stadt geflüchtet war, hatten sie dann den pünktlich zu seinem 30. Geburtstag von einer Midlife-Crisis geschüttelten Wiener Kaffeehausliteraten Josef Prohaska in ihre von alternativen Idealen der Achtzigerjahre geprägte Lebensgemeinschaft aufgenommen. Und Alexandra Mossmann, die beste Freundin von Hackers kleiner Schwester, die sich damals nach etlichen Studienabbrüchen wieder nach ihren Wurzeln im Bayerischen Wald sehnte.
Mit Alex war ich, der von der Gegend zuvor nicht viel mehr gekannt hatte als den Bärwurz, nach dem endlich vollbrachten Sinologie-Studium hier im Wald gestrandet – und stets ein Fremdkörper auf dem Hof geblieben. Ein solcher war auch die Havanna, die ich zum Auftakt der Sitzung genussvoll beschnitt und entflammte.
Dabei waren die Biobauern um mich herum keineswegs nichtrauchende, antialkoholische Vegetarier. Gina zündete sich noch während meines Zigarren-Initiationsrituals bereits die zweite Marlboro Light an. Hacker goss sich das dritte Bier hinter die Binde. Joe holte sich noch ein Stück Speck aus der Speisekammer, und Alex nippte bedächtig an einem Kräuterlikör. Doch die Cohiba Lancero wirkte auf die Ökokommunarden gar zu dekadent. Da half auch meine immer wieder vorgebrachte Erklärung, dass einst Che Guevara persönlich diese Zigarrenmarke kreiert hatte, nicht weiter. Selbst meine wiederholten Hinweise, dass den Kubanern sowieso das Geld für Pestizide und Herbizide fehlte, ihre Zigarren also ein echt naturbelassenes Produkt aus einem sozialistischen Land der Dritten Welt seien und überdies zu einem mehr als fairen Preis gehandelt würden, hatten bereits in der Vergangenheit ihre Wirkung verfehlt.
Diese Cohiba war die letzte aus dem Nachlass von Bruno Sack. Die vorletzte hatte er höchstpersönlich weggeraucht, bevor in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 der finale Schuss fiel. Es deutete einiges darauf hin, dass er seine 45er selbst abgefeuert hatte. Weil auch noch sein zweites Bein amputiert werden sollte. Oder weil der Altkommunist den Zusammenbruch des Sozialismus nicht verkraftete. Vielleicht war er aber auch erschossen worden. Bruno hatte viele Feinde: Nazis und Neonazis, in der Justiz und bei den Geheimdiensten. Die hätten es schon so arrangieren können, dass es wie Selbstmord aussah. Bei Barschel gab’s ja auch Verschwörungstheorien. Ganz genau hatte ich das jedenfalls nie herausfinden können. Und das war dann auch der Anfang vom Ende meiner kurzen Detektivkarriere gewesen. Diese Cohiba hatte ich mir für einen besonderen Anlass aufbewahrt. Hoffentlich reichten meine Fähigkeiten wenigstens dazu aus, den Hühnertod aufzuklären.
Während ich mir also diese sündhaft teure, dreifach fermentierte Tabakrolle zuführte, kamen an diesem Abend – außer dem strafenden Blick von Gina, die ihre Marlboro-Filter immer so unangenehm im Aschenbecher verkokeln ließ – aber keine allzu drastischen Einwände gegen meine Leidenschaft. Vielleicht ahnten sie was.
Jedenfalls paffte ich munter vor mich hin, als das Thema des Tages endlich zur Aussprache kam: die toten Vögel. Denn außer den Eiern und den in regelmäßigen Abständen geschlachteten Hühnern wurde hier wenig produziert, was sich vermarkten ließ. Neben dem Gemüse, das wir auf der Lichtung inmitten des Waldes anbauten, waren es nur noch ein paar Eimer lauwarme Ziegenmilch und einige Festmeter Brennholz, die knapp über den Eigenbedarf hinausreichten. Die auch hier in der Provinz aufblühende Bioladenszene nahm uns den Käse und was sonst noch überschüssig war dankend ab, aber so richtig leben davon konnten weder die noch wir.
Ich hatte zwar laufende Einkünfte aus der Vermietung der von Bruno Sack geerbten Räume in Nürnberg, und ein Schweizer Pharmakonzern überwies mir immer noch ein jährliches Beraterhonorar, weil ich vor sieben Jahren in Taiwan einen Medikamentenfälscher zur Strecke gebracht hatte. Außerdem war von dem Geld, das ich für das Häuschen meiner Eltern auf Mallorca bekommen hatte, auch noch was übrig. Ich hing das alles aber nicht an die große Glocke.
Josef Prohaska, der ein Kauderwelsch aus Wienerisch, Wäldlerisch und dem, was er für Hochdeutsch hielt, pflegte, brachte ab und an seine schriftlichen Ergüsse in Publikationen der Passauer Neuen Presse, der Mittelbayerischen Zeitung oder des Straubinger Tagblatts unter. Hacker nahm hin und wieder noch Aufträge als Architekt an – und durfte dazu auch seinen Computer im Schlafzimmer anwerfen. Aber Gina, obwohl ebenfalls gelernte Architektin und aus guter Familie stammend, war voll und ganz auf die Bio-Landwirtschaft eingestiegen. Und Alex war in den vergangenen zwei Jahren dabei ihr treuer Knecht geworden.
»Wir müssen ihn doch irgendwie drankriegen!« Mit »ihn« meinte Alex den regionalen Hühnermogul Kopf, der mit seinem Unternehmen Eier Kopf seit Neuestem auch den kleinen Ökohöfen das Geschäft streitig machte. Direkt hinter seinen Legebatterien hatte er ein Alibi-Freilaufgelände angelegt und überschwemmte nun die Märkte und Läden der Donauniederung von Regensburg bis Passau mit Billigeiern. Angeblich voll bio.
Dass dieser Eierkopf nun aber loszog, um der Konkurrenz auf diese Weise das Geflügel zu stutzen, war für mich kaum vorstellbar. Oder dass er auch nur den Auftrag dazu gab. Das hatte der doch gar nicht nötig. Obwohl die WG-Mama und der Kaffeehausliterat sofort einen von der Russenmafia ausgeführten Auftragsmord dahinter vermuteten.
»Schau doch auf die Bagasch bei eam«, wienerte der Sepp vor sich hin. »Der holt doch seine ganzen Baraber vom Balkan.« Die abfällige Bemerkung über die Billiglohnkräfte aus dem Osten kam ausgerechnet von dem, der erst vor ein paar Tagen, den selbst gestrickten Pullover voller Wachsflecken, von einer Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit und Donauausbau zurückgekehrt war. Die Demo hatte sich zwar nicht wie geplant von Regensburg bis Passau erstreckt, aber immerhin den Straubinger Stadtplatz – quer – abgemessen. Am liebsten hätte ich den Österreicher darauf aufmerksam gemacht, dass in meiner Jugend, aus dem Blickwinkel meiner oberschwäbischen Heimat, der Balkan schon gleich hinter Lindau begonnen hatte.
»Das ist der richtige Ansatzpunkt. Die Russen sind billig zu haben und zu allem fähig«, stieg Gina auf Joes These ein. Manchmal hatten wir Oberschwaben den Balkan auch schon ein paar Kilometer vorher beginnen lassen. Bei Kressbronn, an der Grenze zwischen Württemberg und Bayern.
»Die Russen kommen übrigens nicht vom Balkan«, stellte ich klar. »Aber von mir aus auch die Jugos, die es als solche ja eigentlich schon gar nicht mehr gibt …«
»Genau! De Tschuschen!«, plärrte Joe dazwischen.
»… hätten wohl mit ein paar Kalaschnikows hier kurzen Prozess gemacht«, fuhr ich unbeirrt fort. »Aber nach so einem Blutbad hat es im Gatter ja nicht ausgeschaut. Kann es nicht sein, dass das Geflügel eines zwar vorzeitigen, aber dennoch natürlichen Todes gestorben ist? Hühnerpest oder so«, warf ich ein.
Während mich die anderen vorwurfsvoll anblickten – so was wie Hühnerpest konnten sie sich nur in Verbindung mit unhygienischer Käfighaltung, aber nicht in der frischen Freilaufluft vorstellen –, meinte Alex sachlich: »Eine Geflügelseuche würde kaum über Nacht alle Tiere auf einmal und ganz ohne äußere Anzeichen hinwegraffen.«
»Stimmt«, pflichtete Hacker ihr...




