Lalami | Der verbotene Bericht | Buch | 978-3-0369-5888-0 | www.sack.de

Buch, Deutsch, 496 Seiten, Hardcover, Format (B × H): 125 mm x 190 mm, Gewicht: 498 g

Lalami

Der verbotene Bericht


Deutsche Erstausgabe
ISBN: 978-3-0369-5888-0
Verlag: Kein & Aber

Buch, Deutsch, 496 Seiten, Hardcover, Format (B × H): 125 mm x 190 mm, Gewicht: 498 g

ISBN: 978-3-0369-5888-0
Verlag: Kein & Aber


Das Jahr 1527: Als der marokkanische Sklave, von seinem Besitzer Estebanico genannt, gemeinsam mit der spanischen Flotte in Florida ankommt, kann er nur staunen, mit welcher Selbstverständlichkeit sich seine spanischen Herren ein Land nehmen, das offensichtlich anderen gehört – und zwar nur, indem sie diese Tatsache aussprechen, ganz egal, ob die Eingeborenen dies nun hören oder nicht. Nach dieser ersten, vermeintlich einfachen Eroberung stehen der spanischen Flotte jedoch Krankheit, Widerstand und Hunger bevor – und nur vier der Männer schaffen es, das Abenteuer zu überleben und darüber zu berichten. Einer von ihnen ist Estebanico. Denn warum sollten die spanischen Herren die Einzigen sein, die berichten dürfen? Als freier Mann und rückblickend setzt sich Estebanico an seinen eigenen Bericht und schildert die Begebenheiten der legendären Narvaez-Expedition im Jahr 1527 so, wie sie waren – oder zumindest so, wie er sich daran erinnern kann.

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Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Allerbarmers. Lob sei Gott, dem Herrn der Welten, seine Gebete und sein Segen seien auf unserem Propheten Mohammed und allen seinen Nachkommen und Gefährten. Dieses Buch ist das bescheidene Werk von Mustafa ibn Muhammad ibn Abdussalam al-Zamori, ein wahrheitsgetreuer Bericht über sein Leben und seine Reise von der Stadt Azemmur ins Land der Indianer, wohin er als Sklave gelangte und in dem Versuch, seine Freiheit zurückzugewinnen, Schiffbruch erlitt und viele Jahre verschollen blieb. Da ich diese Schilderung lange nach den darin erzählten Begebenheiten aufgeschrieben habe, musste ich mich ganz auf meine Erinnerungen verlassen. Deshalb können die Entfernungen durcheinandergeraten oder Datierungen ungenau sein, doch kleine Fehler dieser Art bleiben in einer solchen Erzählung nun einmal nicht aus. Was alles andere betrifft, so erkläre ich, dass die Ereignisse beschrieben wurden, wie ich sie erlebt habe – auch diejenigen, die dem Leser aufgrund der Seltenheit ihres Vorkommens unwahr erscheinen mögen. Den von meinen Gefährten zusammengestellten Bericht werde ich in Einzelheiten abändern. Seine Urheber waren drei kastilische Herren – mein rechtmäßiger Besitzer Andrés Dorantes de Carranza, mein Mitgefangener Alonso del Castillo Maldonado und Álvar Núñez Cabeza de Vaca, mein Rivale auf dem Gebiet des Erzählens, der die Darlegungen der Herren, den sogenannten Gemeinsamen Bericht, an die Audiencia in Santo Domingo sandte. Mich hat man im Gegensatz zu ihnen nie aufgefordert, unsere Reise durch das Land der Indianer vor dem spanischen Vizekönig zu bezeugen. Obwohl ich den drei kastilischen Herren einen durchaus guten Charakter zubillige, glaube ich fest, dass sie, vom Bischof, dem Vizekönig und dem Marquis des Oaxaca-Tales bedrängt und den Gepflogenheiten ihres Standes folgend, bestimmte Ereignisse weggelassen, andere wiederum aufgebauscht haben, Einzelheiten verschwiegen oder aber dazuerfanden. Doch ich, der ich weder kastilischen Autoritäten verpflichtet noch an die Regeln einer Gesellschaft gebunden bin, der ich nicht angehöre, kann ungeschönt erzählen, was meinen Gefährten und mir widerfahren ist. Jeder von uns, ob schwarz oder weiß, Herr oder Sklave, reich oder arm, Mann oder Frau, will nach seinem Tod in Erinnerung bleiben, und auch ich möchte fortbestehen jenseits der ewigen Dunkelheit, die mich erwartet. Sollte dieser Bericht durch einen glücklichen Zufall den Weg zu einem fähigen Schreiber finden, der es für angebracht hält, ihn mit der Feder festzuhalten, und dies ohne ihn auszuschmücken, außer mittels Kalligrafie oder bunter Miniaturmalerei in der Art der Türken und Perser, werden meine Landsleute eines Tages, so Gott will, von meinem erstaunlichen Abenteuer erfahren und ihm, wenn sie klug sind, dies entnehmen: die Wahrheit gehüllt in eine Geschichte.

Im Jahr 934 nach der Hedschra, meinem dreißigsten Lebensjahr und dem fünften meiner Gefangenschaft, hatte es mich an den Rand der bekannten Welt verschlagen. Ich ging hinter Señor Dorantes, während wir durch eine dicht bewachsene Gegend marschierten, die er und die anderen Kastilier La Florida nannten. Wie es von meinem Volk genannt wird, weiß ich nicht, denn bis zu meiner Abreise aus Azemmur fanden Nachrichten aus jenem Land nur selten die Beachtung unserer Stadtschreier. Diese berichteten lieber von der Hungersnot, dem kurz zurückliegenden Erdbeben oder den Aufständen im Süden der Berberei. Ich denke aber, dass es in meinem Volk gemäß unseren Regeln der Namensgebung schlicht das Indianerland hieße. Die Indianer hatten sicherlich auch einen Namen dafür, doch den kannte weder Señor Dorantes noch ein anderer Teilnehmer der Expedition. Señor Dorantes hatte mir gesagt, dass La Florida eine große Insel sei, größer als ganz Kastilien, und sich von der Küste, an der wir angelandet waren, bis zum Stillen Ozean erstrecke. Von einem Meer zum anderen, so hatte er es beschrieben. Das ganze Gebiet würde nunmehr von Gouverneur Pánfilo de Narváez regiert werden, dem Befehlshaber der Armada. Ich fand es unverständlich oder doch zumindest seltsam, dass der König von Spanien einen Untertan über ein Land herrschen ließ, das größer als sein eigenes war, doch diese Ansicht behielt ich natürlich für mich. Wir marschierten nach Norden, auf das Reich Apalache zu. Indianer, die er gefangen genommen hatte, nach dem die Armada an der Küste von La Florida angelangt war, hatten Señor Narváez davon erzählt. Obwohl es nie mein Wunsch gewesen war, dorthin zu kommen, war ich erleichtert, als wir von Bord gehen konnten, denn die Fahrt über das Meer des Nebels und der Dunkelheit hatte jede Unannehmlichkeit bereitgehalten, die man von einer solchen Reise erwarten musste: bröseligen Schiffszwieback, trübes Trinkwasser und verdreckte Latrinen. Besonders die engen Schlafunterkünfte hatten Passagiere und Mannschaft reizbar gemacht, und fast täglich war es zu Streit gekommen. Doch das Schlimmste war der Ge stank gewesen – der alles durchdringende Geruch ungewaschener Männer vermengt mit dem Rauch aus den Kohlenbecken und den Ausdünstungen von Pferdemist und Hühnerkot, die trotz täglicher Reinigung nicht aus den Ställen weichen wollten. Ein Gemisch wie ein Pesthauch, der jedem unter Deck entgegenschlug. Ich war neugierig auf das Land, denn ich hatte von meinem Herrn und seinen Freunden viele Geschichten über die Indianer gehört, oder besser erlauscht. Ihre Haut sei rot und sie hätten keine Augenlider. Heiden seien sie, die Menschen opferten, zu bösen aussehenden Göttern beteten und geheimnisvolle Tränke brauten, die ihnen Visionen machten, und sie gingen herum, wie Gott sie geschaffen habe, sogar die Frauen. Diese Behauptung war mir so unglaubwürdig erschienen, dass ich sie rundweg als Lüge abtat. Dennoch hatte mich das Land in seinen Bann geschlagen und war bald mehr als nur ein Reiseziel: ein fantastischer Ort, wie er nur dem Einfallsreichtum der Wandererzähler in den Suks der Berberei entsprungen sein konnte. Während der Fahrt über das Meer des Nebels und der Dunkelheit keimten solche Gedanken in einem auf, selbst wenn man die Reise nicht freiwillig unternahm. Die Bestrebungen der anderen färbten nach und nach unweigerlich ab. Pro Schiff durfte nur eine kleine, aus Offizieren und Soldaten bestehende Gruppe landen. Als Kapitän der Gracia de Dios hatte Señor Dorantes zwanzig Männer ausgewählt, darunter diesen Diener Gottes, Mustafa ibn Muhammad, die in Ruderbooten an den Strand gebracht wurden. Mein Herr stand am Bug und hatte die eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere um den Knauf seines Schwerts gelegt, als posierte er für einen unsichtbaren Bildhauer. Keine Haltung hätte den Eifer besser zum Ausdruck gebracht, mit dem er Anspruch auf die Schätze der Neuen Welt erhob. Der Himmel war gleichmäßig blau an diesem schönen Frühlingstag, das Wasser klar. Nachdem wir den Strand erreicht hatten, gingen wir langsam in Richtung eines Fischerdorfs, das von einem Matrosen auf dem Fockmast gesichtet worden war und etwa einen Armbrustschuss weit von der Küste entfernt lag. Was mir zunächst auffiel, war die Stille. Nein, das Wort trifft es nicht. Immerhin waren die Wellen zu hören, ein leichter Wind ließ die Palmwedel rauschen, und es kamen Möwen herbei, betrachteten uns voller Neugier und flogen flügelflatternd wieder davon. Und doch verspürte ich eine große Abwesenheit. Das Dorf bestand aus zwölf in einem weiten Kreis angeordneten Hütten, die aus Holzpfählen gebaut und mit Dächern aus Palmblättern bedeckt waren. Die Abstände zwischen den Hütten waren breit genug, um zum Kochen und zur Lagerung von Nahrung genutzt zu werden. Rings um die Lichtung gab es mit frischen Scheiten bestückte Feuerstellen, und an einer Stange hingen drei gehäutete Hirsche, deren Blut noch tropfte. Doch das Dorf war verwaist. Trotzdem gab der Gouverneur den Befehl, die Siedlung gründlich zu durchsuchen. In den Hütten fanden sich Utensilien zum Kochen und Putzen, Tierhäute und Felle, getrockneter Fisch und Dörrfleisch sowie große Mengen Sonnenblumenkerne, Nüsse und Früchte. Die Soldaten nahmen sofort an sich, so viel sie nur konnten, umklammerten eifersüchtig ihre Beute und tauschten sie gegen anderes, das ihnen lieber war. Obwohl ich nichts nahm und deshalb auch nichts zu tauschen hatte, schämte ich mich, zum Zeugen des Diebstahls geworden zu sein und, unfähig, sie aufzuhalten, auch zum Komplizen der Leute. Als ich mit meinem Herrn vor den Hütten stand, fiel mein Blick auf einen Haufen Fischernetze. Um mir die seltsame Knüpfung genauer anzusehen, hob ich eines hoch und entdeckte einen merkwürdigen kleinen Kiesel, den ich zunächst für ein Gewicht hielt. Doch die glatten Steinanker, die an jedem Netz hingen, sahen ganz anders aus als der gelbe, scharfkantige Kiesel. Ich überlegte, ob er ein Spielzeug sein könnte – eine Murmel oder Teil einer Rassel –, das versehentlich auf den Netzen liegen geblieben war. Ich hielt ihn ins Licht, um ihn besser zu betrachten, was Señor Dorantes natürlich bemerkte


Grabinger, Michaela
Michaela Grabinger hat für Kein & Aber zahlreiche Romane übersetzt, u. a. von Laila Lalami, Elif Shafak, Anne Tyler, Helen Simpson und Russell Franklin.

Lalami, Laila
Laila Lalami wurde in Rabat geboren und hat in Marokko, Großbritannien und den Vereinigten Staaten studiert. Sie ist Autorin von vier Romanen und zahlreichen Essays, die u. a. in der Washington Post, The Nation und der New York Times erschienen sind. Ihre Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt. Bei Kein & Aber erschienen ihre Romane Die Anderen, der auf der Shortlist des National Book Award stand, sowie Der verbotene Bericht, mit dem sie den American Book Award erhielt und Finalistin des Pulitzer Prize wurde. Laila Lalami ist Professorin für Kreatives Schreiben an der University of California, Riverside. Sie lebt in Los Angeles.

Laila Lalami wurde in Rabat geboren und hat in Marokko, Großbritannien und den Vereinigten Staaten studiert. Sie ist Autorin von vier Romanen und zahlreichen Essays, die u. a. in der ,  und der erschienen sind. Ihre Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt. Bei Kein & Aber erschienen ihre Romane der auf der Shortlist des National Book Award stand, sowie , mit dem sie den American Book Award erhielt und Finalistin des Pulitzer Prize wurde. Laila Lalami ist Professorin für Kreatives Schreiben an der University of California, Riverside. Sie lebt in Los Angeles.

Michaela Grabinger hat für Kein & Aber zahlreiche Romane übersetzt, u. a. von Laila Lalami, Elif Shafak, Anne Tyler, Helen Simpson und Russell Franklin.



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