E-Book, Deutsch, 236 Seiten
Laßwitz Aspira - Der Roman einer Wolke
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-2457-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 236 Seiten
ISBN: 978-3-8496-2457-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein philosophischer und doch fantastischer Roman. Die Wolke Aspira betrachtet die Menschen und wundert sich. Sie philosophiert und entscheidet sich, in den Körper eines Menschen zu schlüpfen....
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Menschenstolz
Aus Aspiras Tagebuch
Ein merkwürdiges Ding, so ein Menschenleib Als ich sie da liegen sah in der Höhle – mich, muß ich eigentlich jetzt sagen, Wera Lentius, denn so heiße ich ja nun – da überkam mich eine große Angst. In diesen kleinen, fest umgrenzten Körper sollte ich hinein Wie mochte ich dann über die Berge und Täler kommen? Wie sollte ich dieses regelmäßige Hin und Her der Beine erlernen? Aber als ich nun einmal darin war, seltsam, da war ich eben dieses Menschen-Ich. Da verstand sich alles von selbst.
Wie es kam, weiß ich nicht, aber ich lehnte plötzlich aufgerichtet am Höhleneingang. Nun stand ich eine Weile ganz still. Es sah alles anders aus, als ich's gewohnt war, und doch wußte ich gleich, wie alles zusammengehörte und was es war, der Gletscher und die Felsen und drüben der Wald. Aber es waren auch nicht bloß der Gletscher und die Felsen und der Wald, es war so unendlich, so verwirrend vieles, das bei dem vertrauten Anblick in mir zugleich als etwas Neues vorging. Neu nur für Aspira, bekannt mir schon als Wera Lentius. Ich wußte nicht bloß, wie ich hier geschwebt und geregnet und mich aufgelöst hatte, ich wußte auch, mit wem ich als Wera dort unten gewandelt war und gesprochen hatte, und daß ich nun nach der Pension Leberecht gehen wollte.
Freilich, wie sollte ich das machen? Aufschweben – ja da war kein Ausdehnungsorgan da, kein Schwebemittel. Aber das war nur so ein ganz flüchtiges Bedenken. Ich wollte hin, und da bewegten sich meine Glieder, zogen sich zusammen und streckten sich und – ich ging, den richtigen Weg auf dem schmalen Bande, sicheren Schritts. Was ich dabei tat, ich wußte es nicht, und als ich darüber nachdachte, begann ich zu straucheln. Nun verstand ich auch gleich, daß die Menschen das alles machen ohne selbst zu wissen wie. Merkwürdig Und doch, ist es denn bei uns anders? Wissen wir denn, wie wir es anfangen, uns aufzulösen oder zu schweben? Also in diesen einfachen Verrichtungen des gewohnten Lebens ist kein Unterschied zwischen Wolke und Mensch. Dazu brauchte ich nicht Mensch zu werden. Es versteht sich alles von selbst. Alles?
Als ich weiter hinab auf den Fußweg gekommen war, begegnete mir der erste Mensch. Es war ein altes Mütterchen mit einem Korbe. Sie sagte Worte, die ich nicht verstand, doch ich wußte, daß es ein Gruß sei. Und auf einmal klang es laut, daß ich zusammenschrak:
»Guten Morgen.«
Es war meine eigene Stimme, das wurde mir jetzt erst klar. Zum ersten Male hörte ich meine Stimme. Ich habe eine Menschenstimme Wie sonderbar Das wußte ich ja, ich wußte alles, was Wera wußte, aber doch nur als Erinnerung. Nun das wirklich zum ersten Male zu erleben in der Wahrnehmung Das war etwas unbeschreiblich Neues. »Ich will mehr hören Ich will reden Was soll ich denn sprechen?« Alles das sagte ich laut vor mich hin.
Zu meinen Füßen lag das Tal. Drüben im Grünen die hellen Häuser von Schmalbrück, zur Linken davor der sonnenbestrahlte See, und von meinen Lippen klang es:
»Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne;
Weiche Nebel trinken
Rings die türmende Ferne;
Morgenwind umflügelt
Die beschattete Bucht,
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht.«
Ich berauschte mich am Wohllaut der eigenen Stimme. Und dann rief ich jubelnd hinaus:
»Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme
Heilig Gefühl,
Unendliche Schöne«
Was diese Wera alle wußte Das konnte sie erklingen lassen O, es ist doch schön, ein Mensch zu sein und eine Stimme zu haben. Und das hatte ich nun alles, ich war ja Wera. Eines nach dem andern fiel mir ein, was zu den Versen gehörte. Ein großer Menschendichter hatte sie zuerst gesagt. Ich wußte, wie er hieß und wann und wo er gelebt hatte; ich wußte wo das Buch in meinem Zimmer stand und wie es aussah. Wie oft hatte ich darin gelesen Ich sagte mir die Verse noch einmal. Aber ich weiß nicht – als ich nun nicht bloß im Klange schwelgte, als ich mir überlegte, was das bedeute und sagen wolle, da war es, als stockte etwas in mir.
»Frühling, Geliebter« Gab es in Weras Seele Dinge, die mir noch nicht zugänglich waren? Daß jetzt im letzten Drittel Juni nicht Frühling war, störte mich nicht, das war Phantasie, das verstand ich. Aber »Geliebter« und »Mit tausendfacher Liebeswonne«? Das waren Worte, Klänge, zu denen mir ein innerer Nachhall fehlte. Es war mir wie mit dem See, als ich jetzt durch den Wald schritt. Ich wußte, dort hinter den Bäumen lag er, aber ich sah nicht der Welle Blinken und die tausend schwebenden Sterne – – Wera mußte etwas gesehen haben, als sie jene Worte sich einprägte, mir aber war hier eine Leitung unterbrochen. War ich noch zu sehr Aspira, noch zu wenig mit Weras Seele gemischt? Doch das mußte sich ja finden.
In meiner Weraseele wirkten die Verse fort, Erinnerungen zogen herauf, Gedichte hörte ich erklingen, die mir galten. An fremdem Ort sah ich mich Hand in Hand gehen mit einem andern Menschen, ich wußte jedes Wort, das er gesagt, und – nein, was die Menschen für seltsame Sitten hatten Es mußte vermutlich sehr schön sein, und doch – es war wie ein Bild ohne Farbe. Ich fühlte nichts dabei, ich fand keinen Sinn darin, keinen Zusammenhang mit meinem Denken. Aber das kam wohl daher, weil ich nur die Erinnerung kannte. Wenn ich's einmal erlebe in der Wahrnehmung erfasse, dann werd' ich's schon verstehen. So war's ja auch mit meiner Stimme. Erst als ich sie gehört hatte, freute sie mich.
Eins aber hatte ich doch gelernt. In Verlegenheit würde ich nicht kommen. Als Wolke hatte ich mich gefürchtet, wie das sein würde, wenn ich mit Menschen zusammenträfe, ob ich mich richtig würde benehmen können. Jetzt wußte ich, daß ich gehen kann, mich bewegen, sprechen, daß ich wohl für die Menschen genau bin wie Wera. Ich bin's ja doch auch.
Ach, ich weiß ganz furchtbar viel Vorlesungen habe ich gehört und Bücher gelesen und Versuche gemacht – was fällt mir nicht alles ein Gut, daß Wera so fleißig war, ich hätte es sicher nicht zustande gebracht.
Sollte ich jetzt gleich unter die Menschen gehen? Es war noch früh am Tage. Meine Weraseele sagte mir, daß dies die Zeit nicht sei, in der ich nach Hause zu kommen pflegte. Ich wußte, daß ich meine Zeichenmappe mitgenommen hatte und ein Buch, um mich im Freien zu beschäftigen. Alles dies floß mir als Erinnerung durcheinander, eine Vorstellung verdrängte die andre. Wir traumhaft schritt ich auf dem schmalen Fußsteige dahin. Da klang das Rauschen des Weißbachs mir ans Ohr. Immer näher ging ich hinan, schon stand ich auf einem Felsstück dicht über dem weißen Schaum. Es war mir, als sollte ich hineingleiten, ich mußte mich erst wieder besinnen, daß ich Wera sei.
Nein, so ging das nicht weiter. Ehe ich zu den Menschen hinabstieg, mußte ich mein Bewußtsein selbst in festere Ordnung bringen. Ich mußte erst einmal versuchen, die Welt mit Weras Augen anzusehen. Denn bis jetzt war mir ja alles nur wie zufällig entgegengekommen. Ich wollte in Weras Seele lesen wie in einem Buche. Sie war ja jetzt die meine.
***
Ich streckte mich auf das weiche Moos. Der Bach rauschte weiter. Sonnenlichter fielen durch die Zweige der alten Arven und spielten auf den zarten grünen Blättchen des Mooses neben mir. Was taten sie? Was hatten sie mit mir zu tun? Sie spielten?
Nein Plötzlich fiel es wie ein Schleier von meinen Augen. Das Menschenhirn arbeitete in mir. Was es sich erarbeitet hatte durch zahllose Geschlechter in Millionen von Jahren, auf einmal ging es in mir auf, stieg empor als Gedanke, groß, unendlich, klar und folgerecht, das Geheimnis des Gesetzes Und wußte nichts mehr von Wera noch Aspira, nichts von Menschen- und Wolkenseelen. Ich war nur ein Teil dieses machtvollen Zusammenhangs, dieses gewaltigen Werdens, das in meinem Menschenhirn sich ordnete.
Ich war die Welt, die sich selbst erkennt; der Teil der Welt, darin sie sich erkennt.
Ein Neues, ein Ungeahntes erfüllte mich.
Die Sonnenlichter spielten? Nein, sie spielten ja nicht, sie arbeiteten.
Von den fernen, fernen Sonne, wo glühende Gase wogten und sich preßten, drängten sich die Schwingungen durch den Weltraum und in die Zellen der zierlichen Blättchen. Und die grünen Körnchen des Chlorophylls schwangen mit ihnen im Takte und ihre Atome tanzten den geregelten Reigen. So erhielten sie die Kraft, die Kohlensäure zu spalten. Da riß der Zellsaft die Kohle an sich, da eroberte sich die Pflanze...