Lausberg / Ermann / Huber | Der Körper in der Psychotherapie | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 127 Seiten

Lausberg / Ermann / Huber Der Körper in der Psychotherapie


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-17-030149-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 127 Seiten

ISBN: 978-3-17-030149-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
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Physical expression is ubiquitous not only in psychotherapeutic work oriented towards the body and movement, but also in verbal psychotherapy. In this volume, the author explores the following questions, among others, from a neuropsychological perspective: With which specific psychological processes are facial expressions, gestures, and posture associated? What are the universal, cultural and individual components of expressive movement behaviour? How reliable is the intuitive interpretation of bodily expression? How do unconscious and conscious nonverbal interactions differ? What information do gestures provide, in contrast to language? What is the psychological function of different types of self-touching? This book provides empirically based knowledge about physical expression and offers numerous suggestions for therapeutic practice.

Prof. Hedda Lausberg is a specialist in psychosomatic medicine and psychotherapy, neurology, psychiatry and is also a dance therapist (BVT). She is professor of neurology, psychosomatics and psychiatry at the German Sports University in Cologne.
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1. Vorlesung
Körperausdruck: Historischer Überblick und Grundlagen


Historischer Abriss und aktuelle Situation


Die Deutung und Erforschung des menschlichen Körperausdrucks lässt sich in unserem Kulturkreis bis in die vorchristliche Zeit zurückverfolgen. Bereits in der philosophischen Schule von Phytagoras (580–500 v. Chr.) wurden Bewerber bei der Aufnahmeprüfung hinsichtlich ihrer Haltung und ihres Ganges als charakterlichem Ausdruck beurteilt. Im antiken Rom spielte das Studium des gestischen Ausdrucks, insbesondere im Kontext politischer Reden, eine große Rolle. Werke wie De humania physiognomonia (1593) von Giovan Battista della Porta, Pathomyotonia (1649) von John Bulwer oder Physiognomonische Fragmente (1778) von Johann Caspar Lavater dokumentieren das Interesse an der Thematik seit der Renaissance.2

Einen wissenschaftlichen Meilenstein stellt Charles Darwins3 bedeutsames Werk The Expression of the Emotions in Man and Animals dar. Anhand der in seiner Zeit verfügbaren anthropologischen Studien und Beobachtungen an Patienten mit psychischen Erkrankungen erhob Darwin Thesen zu universellen Mustern von Gesichtsausdruck, Körperhaltung und emotionalem Erleben.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Ausdruckspsychologie, in der Mimik, Gestik, Haltung, Gang, Stimme und Handschrift in Relation zu Persönlichkeit und Charakter experimentell untersucht wurden4. Vor dem Hintergrund der einflussreichen psychoanalytischen Theorie legte Wilhelm Reich (1933) in Charakteranalyse den Zusammenhang zwischen Muskelspannungsmustern und Charakterformen dar. Ein anderer Ansatz entwickelt sich aus Arbeiten wie The Mastery of Movement des Tanztheoretikers Rudolf von Laban5. Basierend auf der Zerlegung von Bewegung in Komponenten wie Körper, Raum und Bewegungsqualität entwickelte Laban in Analogie zur Notenschrift in der Musik eine Notation für Körperbewegungen und tänzerische Choreographien. Tänzer, die mit der Laban-Analyse im pädagogischen oder therapeutischen Kontext arbeiteten, beobachteten Zusammenhänge zwischen bestimmten Bewegungsformen und Persönlichkeitstypen.

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts rückte das Interesse an den interaktiven und kommunikativen Aspekten von Bewegungsverhalten in den Vordergrund. Die gleichen Bewegungskategorien, die in der Ausdruckspsychologie im Hinblick auf Persönlichkeit untersucht worden waren, wurden nun Gegenstand von Studien zu Interaktion und Kommunikation: Haltung und Sitzposition, Gestik, Berührungsverhalten, Mimik, Blickverhalten, Proxemik (Einteilung des persönlichen Raums, Territorium) sowie Prosodie (Sprechmelodie) und Stimme6.

Von diesen Kategorien wurde gegen Ende des letzten Jahrhunderts insbesondere die Gestik in der linguistischen Forschung aufgegriffen. Neben der kommunikativen und interaktiven Funktion von Gesten, z. B. in Kendons7 Gesture – Visible Action as Utterance, richtete sich der Blick dabei auch auf das Individuum selbst. Hier lag der Fokus auf der Frage, was Gesten über gedankliche Prozesse aussagen, wie z. B. in McNeills8 Hand and Mind – What Gestures Reveal about Thought. Die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Kognition und Gestik wurden auch von Entwicklungspsychologen genutzt, um die präverbale kognitive Entwicklung bei Kindern zu untersuchen9. In der evolutionären Anthropologie wurde Gestik ferner als Indikator symbolischen Denkens bei Menschenaffen untersucht. Eine wissenschaftliche Frage liegt dabei darin, ob in der Phylogenese des Menschen die gestische Kommunikation der verbalen vorausgegangen sein könnte. Etwa zeitgleich mit dem Aufblühen der linguistischen Gestenforschung entwickelte sich die Erforschung der Gebärdensprache der Gehörlosen, deren Erkenntnisse später einen wesentlichen Baustein für die rechtliche Anerkennung der Gebärdensprache als gleichwertige Sprache im Jahre 2002 darstellte.

In der aktuellen »Ära der Neurowissenschaften« liegt der Fokus auf den neuronalen Korrelaten der oben genannten Ausdruckskategorien. So findet sich bei der Ausführung pantomimischer Gesten des Werkzeuggebrauchs, z. B. gestisch so zu tun, als würde man sich mit einer imaginären Zahnbürste die Zähne putzen, in bildgebenden Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) eine Aktivierung im Schläfenlappen der linken Gehirnhälfte10, die sich von dem Aktivierungsmuster bei tatsächlichem Objektgebrauch unterscheidet. Die gestisch-symbolische Darstellung mit imaginiertem Objekt geht somit mit einer spezifischen zerebralen Aktivierung einher. Eine Einschränkung dieser bildgebenden Verfahren (fMRT, funktionelle Nahinfrarotspektroskopie usw.) liegt jedoch darin, dass beim aktuellen Stand der Methodik Ausdrucksbewegungen wiederholt und bewusst, d. h. explizit, ausgeführt werden müssen, damit die mit der Produktion der Bewegung einhergehende zerebrale Aktivierung erfasst werden kann. Tatsächlich – wie in Vorlesung 2 ausführlich dargelegt werden wird ( 2. Vorlesung) – ist jedoch Ausdrucksverhalten überwiegend unbewusst (implizit) und die neuronalen Korrelate von expliziten und impliziten Ausdrucksbewegungen unterscheiden sich.

Dieser kurze historische Überblick verdeutlicht, dass der Zusammenhang zwischen Bewegungsverhalten und psychischen sowie interaktiven Prozessen seit jeher von wissenschaftlichem Interesse ist. Dabei ist augenfällig, dass – obwohl sich ansonsten in der Wissenschaft immer mehr spezialisierte Fachdisziplinen ausgebildet haben – sich nie eine eigenständige Wissenschaft des expressiven bzw. interaktiven Bewegungsverhaltens entwickelt hat. Das Manko der fehlenden eigenständigen Identität lässt sich bis zu den einzelnen Forscherpersönlichkeiten zurückverfolgen:

»The list of those who have written about expressive movement or nonverbal communication since 1872 reads like a ›Who’s Who‹ in the behavioral sciences; yet writers still defend the relevance of such study or introduce the subject as if it were esoteric and unheard of. It is as if a great many serious behavioral scientists have shown a fleeting interest in body movement and then gone on«11.

Ein Grund für die – bis dato – ausbleibende Entwicklung einer eigenen Wissenschaftsdisziplin mag die geringere Wertschätzung körperlicher im Vergleich zu intellektuellen Fähigkeiten in unserem Kulturkreis sein. Speziell der Aspekt des Körperausdrucks als ein implizites, unbewusstes Verhalten hat zudem häufig die negative Konnotation, dass etwas unkontrolliert zum Ausdruck kommt und über die Person »verrät«. Neben körperlichem Ausdruck als Forschungsgegenstand betrifft die kulturelle Bewertung auch Kunstformen wie Tanz oder körper- und bewegungsorientierte Therapieformen. Seit Bühlers Aussage 198112, dass die bewegungs- und körperorientierten psychotherapeutischen und -analytischen Verfahren »ein obskures Dasein am Rande der etablierten psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsverfahren« führen, hat sich wenig geändert, obwohl die bewegungs- und körperorientierten therapeutischen Ansätze auf eine ähnlich lange Tradition wie die verbalen psychoanalytischen und psychotherapeutischen Verfahren zurückblicken können. Auch hier überwiegt die Aufsplitterung in unterschiedliche Schulen und Ansätze zuungunsten einer gemeinsamen Identität, die für eine Etablierung im Gesundheitssystem dringend notwendig wäre.

Wie dargelegt, verteilt sich die Erforschung des Bewegungsverhaltens trotz der langen Historie weiterhin auf viele unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen wie Medizin, Psychologie, Linguistik, Anthropologie, Sport- und Bewegungswissenschaft, Kriminologie oder Soziologie. Die Multidisziplinarität birgt den Nachteil, dass die verschiedenen Disziplinen – obwohl sie dieselbe Thematik beforschen – kaum miteinander in wissenschaftlichem Austausch stehen. Somit liegt der interdisziplinäre Wissenstand zur Relation zwischen Bewegungsverhalten und psychischen Prozessen trotz der langen Forschungstradition deutlich hinter dem potentiell möglichen Stand zurück. In dieser Vorlesungsreihe wird daher nicht nur Wissen aus dem Bereich der Psychotherapie, Psychosomatik und Psychiatrie zusammenzutragen, sondern es werden auch Befunde aus anderen Fachdisziplinen wie der Neuropsychologie, der Linguistik, der Bewegungslehre und der Anthropologie berücksichtigt.

Eine positive Perspektive zeigt sich aufgrund der aktuellen Fortschritte in der Videotechnik. Während es bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts technisch aufwändig war, Bewegungsverhalten zu erfassen, ist es heute im Zeitalter von Smartphones einfach geworden, Bewegung jederzeit mit Video aufzuzeichnen. Ein weiterer Fortschritt liegt in der Entwicklung von Annotationssoftware, wie ELAN (https://tla.mpi.nl/tools/tla-tools/elan/), mit der behaviorale Analysesysteme...


Prof. Hedda Lausberg is a specialist in psychosomatic medicine and psychotherapy, neurology, psychiatry and is also a dance therapist (BVT). She is professor of neurology, psychosomatics and psychiatry at the German Sports University in Cologne.



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