E-Book, Deutsch, Band 3, 654 Seiten
Lavant / Amann / Hafner Gedichte aus dem Nachlass
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8353-4101-2
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 654 Seiten
Reihe: Christine Lavant: Werke in vier Bänden
ISBN: 978-3-8353-4101-2
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christine Lavant, (1915-1973), geb. in St. Stefan im Lavanttal (Kärnten) als neuntes Kind eines Bergmanns, war Lyrikerin und Erzählerin. Ihre Schulbildung musste sie aus gesundheitlichen Gründen früh abbrechen. Jahrzehntelang bestritt sie den Familienunterhalt als Strickerin. Sie erhielt u. a. den Georg-Trakl-Preis (1954 und 1964) und den Großen Österreichischen Staatspreis (1970). Seit 2014 erscheint eine Werkausgabe von Christine Lavant im Wallstein Verlag. Fabjan Hafner, 1966-2016, Studium der Slawistik und Germanistik. Literaturwissenschaftler, Übersetzer, Autor. Doris Moser, geb. 1965, Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik. Zunächst Radiojournalistin und Kulturorganisatorin (Ingeborg-Bachmann-Preis). Seit 1996 Leiterin des Fachbereichs Angewandte Germanistik an der Universität Klagenfurt.
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Die Nacht an den Tag
Die Nacht an den Tag
Heute sah ich ihn wieder!
Frühe schon harrte
mein mondenes Auge
in seinem Gezelt,
das er in anmutsvoller Bläue
hingebreitet hatte über die Welt;
und alle Dinge der Erde sangen ihm Lieder.
Ihm, dem schönen, dem herrlichen Tag.
Heute, heute sah ich ihn wieder.
Ach und ich weine. –
Und nur nach Ewigkeiten
darf ich ihm senden
mein mondenes Auge,
schmalgesichelt,
in sein Gezelt.
Dann zittert mein Herz:
heller, heller Geliebter!
Hinwandert ewig
mein trauriges Lieben.
Es stehen um die Tale mancher Kindheit
Es stehen um die Tale mancher Kindheit
schon die Gebirge des Erwachsenseins;
und ihre Schatten fallen schwer und breit
oft in den Zauber dieses zarten Scheins,
der dünn und gläsern ist und leicht zerbricht.
So mancher isst aus seiner Kinderschale,
die ihm sein Engel stumm entgegenhält,
das Abgestandene, Verdorbne, Schale,
das ihm wie Abfall in die Hände fällt,
der Großen unbekömmliches Gericht.
Es wirkt wie Gift und nährt das frühe Reifen
und übertreibt der Augen kranken Glanz,
die irr wie Vögel um die Dinge streifen,
die sie erkennen, viel zu früh und ganz,
mit aller Trauer, die aus ihnen bricht.
Von ihrer Kindheit sind sie Abgewandte,
auf ihre Jugend warten sie vergebens
und stehen stets – wie ärmliche Verwandte –
am Rande ihres eignen Lebens;
sie haben kaum ein eigenes Gesicht.
Ins frühe Alter treten sie ergeben
mit einer Demut, die die Engel rührt,
so dass sie manches der Gebete heben,
das dann, als Kostbarkeit vor Gott geführt,
aus einer Gnade sich ein Trösten bricht.
Euch mein ich, Verlorne
Euch mein ich, Verlorne, die ihr hinter Mauern
der anderen Artung im Maßlosen steht!
Ihr meine Geschwister, ich weiß euer Trauern,
die schwärende Klage, das herbe Gebet.
Ihr seid keine Blüten im göttlichen Garten
und mehrt nicht der Himmel preisenden Schein;
ihr könnt nur wie Abgewiesene warten
und langsam verstummen wie totes Gestein.
Ihr steht an den wasserlosesten Orten,
von wo keine Träne zum Meere fließt …
Euch möchte ich rühmen in strömenden Worten,
die alle ergreifen, die keiner vergisst.
Und ob ich der Engel dunkelster würde,
euch auszusagen ersetzt mir das Licht.
Ihr, meine Geschwister, ich nehm eure Bürde
und trete mit euch vor das große Gericht.
Und würden uns tausend Gerechte verstoßen,
wir tragen der Armut geheiligtes Kleid
und tragen wie niemals verwelkende Rosen
das ihnen entfremdete uralte Leid.
Wir stehn hinter Grenzen, wohin sie nicht reichen.
Gefallener Engel verworfener Glanz
lässt uns in Nächten erschüttert erbleichen.
Wir bieten uns an ihrem klagenden Tanz.
Viele sind da
Viele sind da, sich zu schonen, zu schweigen,
kostbar zu sein wie ein seltenes Bild,
vor dem sich die Kenner in Ehrfurcht verneigen,
von denen man geht wie von innen gestillt
und die man sich hütet je auszusagen.
Sie sind die Verschlossnen, die Scheuen, die Herben –
wie alte Gefäße von edlem Schwung –
und stehen in mancher Erinnerung
als wachsende Lichter, die niemals ersterben;
sie mindern das menschliche Klagen.
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Und manche sind da, sich nur preiszugeben,
sich zu verschwenden und arm zu sein.
Sie stehen wie Bettler im eigenen Leben
und lieben die Blumen, die Winde, den Stein
und das Leid und die Armut, die Schmerzen.
Sie verschenken ihr Beten, ihr Weinen, ihr Lachen,
vertuen ihr Herz wie ein lebloses Ding;
wenn je sich ein Leuchten an ihnen verfing,
verteilen sie es wie gewöhnliche Sachen,
verbrennen in Kürze – wie Kerzen.
Der Dichter I
Und manchmal trägt er alle Sagen
im Blute – wie von lange her –
der fernsten Städte hohes Ragen
und alle Bläue, die das Meer
zur Mittagszeit zum Strande trägt.
Wenn er den Ton des Himmels wägt,
verspürt er den Geruch von Blüten
aus Ländern, die er niemals sah.
Geheimnisse, die alte Weise hüten,
vor Götzentempeln, sind ihm plötzlich nah
und weigern nichts und mehren das Erschauern.
Der Wüstentiere grenzenloses Trauern
belastet ihn und macht ihn fremd und schwer …
Dann wieder weiß er Säulen, Marmor, Meer
und eines frühen Torsos edlen Schwung.
Die Steppe kennt er wie Erinnerung
und riecht das Herbe der Nomadenzelte …
Sein Herz ist bloß. Wie eine aufgestellte,
entrollte Flagge, die der Wind bewegt.
Von jedem Hauch wird hart er angeregt
und ist so scheu und baute gern sich Türme!
Und gibt doch preis und wartet auf die Stürme.
Dass ihrer einer einmal jenen brächte,
zu dem er schreit in jeder seiner Nächte.
Der Dichter II
Er ist ein Tor, durch das die Fremden gehen;
er weiß sie alle, wie ein altes Spiel,
weiß ihren Anfang, manchmal auch ihr Ziel,
er hält sich offen, denn: Er ist Verstehen!
Er ist ein Tor, das nie ein Baum beschattet,
das einsam steht und nur ein Durchgang ist;
und wenn er einmal sich vergisst,
bricht er zusammen wie ermattet
und ist nichts mehr als toter Stein …
Nur Gott kann noch sein Bauherr sein.
Wir
Wir stehen alle in den Einsamkeiten
wie in den Wassern deines Zornes.
Wir ahnen tiefer ein verlornes,
ersehntes Land der Seligkeiten
und ragen aus der Flut wie Inseln oder Kerzen.
Wir mühen uns um Zeichen oder Gesten
und halten manchmal welche von den Resten
der angebrauchten, abgenutzten Schmerzen
hoch über uns hinaus wie blasse Sterne.
Wir warten, dass aus irgendeiner Ferne
der Engel einer an die Wasser käme,
das Hocherhobene in seine Hände nähme
und es verwende zu dem Bau der Brücke,
mit eines Lächelns heilgebliebnem Stücke
den Bogen stütze in der großen Mitte …
Und zagend geht die erste scheue Bitte
darüberhin und sieht nach dem Erbauer,
der abseits steht …...