Lavant / Amann / Hafner | Gedichte aus dem Nachlass | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 3, 654 Seiten

Reihe: Christine Lavant: Werke in vier Bänden

Lavant / Amann / Hafner Gedichte aus dem Nachlass


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8353-4101-2
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 3, 654 Seiten

Reihe: Christine Lavant: Werke in vier Bänden

ISBN: 978-3-8353-4101-2
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Fast 500, größtenteils unbekannte Gedichte von Christine Lavant. Eine unvergleichliche Entdeckung. »Wer das, was er schreiben muss, zurückhält, ist vielleicht wie ein Weib, das seine Kinder vergräbt aus Angst, sie könnten dem lieben Nachbarn nicht gefallen«, stellte Christine Lavant fest. Die Kärntner Dichterin schrieb zeitlebens ca. 1.800 Gedichte. Nur gut ein Drittel davon hat Lavant auch veröffentlicht. Inhaltlich kühnere, formal riskantere Gedichte hielt sie zunächst zurück, und nach der Veröffentlichung ihres dritten großen Gedichtbandes »Der Pfauenschrei« (1962), als ihre dichterische Stimme nahezu verstummt war, wollte sie von Veröffentlichung nichts mehr wissen. Viele Gedichte aus dem Nachlass zeigen ungeschützt und zugänglich, wo Lavants bildgewaltige Dichtung ihren Ausgang nimmt. Es ist eine Lyrik, von der Monika Rinck sagt, sie sei »die ungeheure Transformation von Schmerz und Leid in ein großes, kraftvolles und zuweilen immens komisches Werk«. Der dritte Band der vierbändigen Werkausgabe enthält eine Auswahl aus den nachgelassenen Gedichten aus allen Schaffensperioden, darunter auch das lange Zeit verschollene, erst kürzlich wieder entdeckte Erstlingswerk »Die Nacht an den Tag«, das 1948 zwar gesetzt, aber nie gedruckt wurde. Drei Viertel der hier versammelten Gedichte sind Erstveröffentlichungen, die übrigen wurden zuvor in diversen Nachlasspublikationen publiziert.

Christine Lavant, (1915-1973), geb. in St. Stefan im Lavanttal (Kärnten) als neuntes Kind eines Bergmanns, war Lyrikerin und Erzählerin. Ihre Schulbildung musste sie aus gesundheitlichen Gründen früh abbrechen. Jahrzehntelang bestritt sie den Familienunterhalt als Strickerin. Sie erhielt u. a. den Georg-Trakl-Preis (1954 und 1964) und den Großen Österreichischen Staatspreis (1970). Seit 2014 erscheint eine Werkausgabe von Christine Lavant im Wallstein Verlag. Fabjan Hafner, 1966-2016, Studium der Slawistik und Germanistik. Literaturwissenschaftler, Übersetzer, Autor. Doris Moser, geb. 1965, Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik. Zunächst Radiojournalistin und Kulturorganisatorin (Ingeborg-Bachmann-Preis). Seit 1996 Leiterin des Fachbereichs Angewandte Germanistik an der Universität Klagenfurt.
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Die Nacht an den Tag


Die Nacht an den Tag


Heute sah ich ihn wieder!

Frühe schon harrte

mein mondenes Auge

in seinem Gezelt,

das er in anmutsvoller Bläue

hingebreitet hatte über die Welt;

und alle Dinge der Erde sangen ihm Lieder.

Ihm, dem schönen, dem herrlichen Tag.

Heute, heute sah ich ihn wieder.

Ach und ich weine. –

Und nur nach Ewigkeiten

darf ich ihm senden

mein mondenes Auge,

schmalgesichelt,

in sein Gezelt.

Dann zittert mein Herz:

heller, heller Geliebter!

Hinwandert ewig

mein trauriges Lieben.

Es stehen um die Tale mancher Kindheit


Es stehen um die Tale mancher Kindheit

schon die Gebirge des Erwachsenseins;

und ihre Schatten fallen schwer und breit

oft in den Zauber dieses zarten Scheins,

der dünn und gläsern ist und leicht zerbricht.

So mancher isst aus seiner Kinderschale,

die ihm sein Engel stumm entgegenhält,

das Abgestandene, Verdorbne, Schale,

das ihm wie Abfall in die Hände fällt,

der Großen unbekömmliches Gericht.

Es wirkt wie Gift und nährt das frühe Reifen

und übertreibt der Augen kranken Glanz,

die irr wie Vögel um die Dinge streifen,

die sie erkennen, viel zu früh und ganz,

mit aller Trauer, die aus ihnen bricht.

Von ihrer Kindheit sind sie Abgewandte,

auf ihre Jugend warten sie vergebens

und stehen stets – wie ärmliche Verwandte –

am Rande ihres eignen Lebens;

sie haben kaum ein eigenes Gesicht.

Ins frühe Alter treten sie ergeben

mit einer Demut, die die Engel rührt,

so dass sie manches der Gebete heben,

das dann, als Kostbarkeit vor Gott geführt,

aus einer Gnade sich ein Trösten bricht.

Euch mein ich, Verlorne


Euch mein ich, Verlorne, die ihr hinter Mauern

der anderen Artung im Maßlosen steht!

Ihr meine Geschwister, ich weiß euer Trauern,

die schwärende Klage, das herbe Gebet.

Ihr seid keine Blüten im göttlichen Garten

und mehrt nicht der Himmel preisenden Schein;

ihr könnt nur wie Abgewiesene warten

und langsam verstummen wie totes Gestein.

Ihr steht an den wasserlosesten Orten,

von wo keine Träne zum Meere fließt …

Euch möchte ich rühmen in strömenden Worten,

die alle ergreifen, die keiner vergisst.

Und ob ich der Engel dunkelster würde,

euch auszusagen ersetzt mir das Licht.

Ihr, meine Geschwister, ich nehm eure Bürde

und trete mit euch vor das große Gericht.

Und würden uns tausend Gerechte verstoßen,

wir tragen der Armut geheiligtes Kleid

und tragen wie niemals verwelkende Rosen

das ihnen entfremdete uralte Leid.

Wir stehn hinter Grenzen, wohin sie nicht reichen.

Gefallener Engel verworfener Glanz

lässt uns in Nächten erschüttert erbleichen.

Wir bieten uns an ihrem klagenden Tanz.

Viele sind da


Viele sind da, sich zu schonen, zu schweigen,

kostbar zu sein wie ein seltenes Bild,

vor dem sich die Kenner in Ehrfurcht verneigen,

von denen man geht wie von innen gestillt

und die man sich hütet je auszusagen.

Sie sind die Verschlossnen, die Scheuen, die Herben –

wie alte Gefäße von edlem Schwung –

und stehen in mancher Erinnerung

als wachsende Lichter, die niemals ersterben;

sie mindern das menschliche Klagen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und manche sind da, sich nur preiszugeben,

sich zu verschwenden und arm zu sein.

Sie stehen wie Bettler im eigenen Leben

und lieben die Blumen, die Winde, den Stein

und das Leid und die Armut, die Schmerzen.

Sie verschenken ihr Beten, ihr Weinen, ihr Lachen,

vertuen ihr Herz wie ein lebloses Ding;

wenn je sich ein Leuchten an ihnen verfing,

verteilen sie es wie gewöhnliche Sachen,

verbrennen in Kürze – wie Kerzen.

Der Dichter I


Und manchmal trägt er alle Sagen

im Blute – wie von lange her –

der fernsten Städte hohes Ragen

und alle Bläue, die das Meer

zur Mittagszeit zum Strande trägt.

Wenn er den Ton des Himmels wägt,

verspürt er den Geruch von Blüten

aus Ländern, die er niemals sah.

Geheimnisse, die alte Weise hüten,

vor Götzentempeln, sind ihm plötzlich nah

und weigern nichts und mehren das Erschauern.

Der Wüstentiere grenzenloses Trauern

belastet ihn und macht ihn fremd und schwer …

Dann wieder weiß er Säulen, Marmor, Meer

und eines frühen Torsos edlen Schwung.

Die Steppe kennt er wie Erinnerung

und riecht das Herbe der Nomadenzelte …

Sein Herz ist bloß. Wie eine aufgestellte,

entrollte Flagge, die der Wind bewegt.

Von jedem Hauch wird hart er angeregt

und ist so scheu und baute gern sich Türme!

Und gibt doch preis und wartet auf die Stürme.

Dass ihrer einer einmal jenen brächte,

zu dem er schreit in jeder seiner Nächte.

Der Dichter II


Er ist ein Tor, durch das die Fremden gehen;

er weiß sie alle, wie ein altes Spiel,

weiß ihren Anfang, manchmal auch ihr Ziel,

er hält sich offen, denn: Er ist Verstehen!

Er ist ein Tor, das nie ein Baum beschattet,

das einsam steht und nur ein Durchgang ist;

und wenn er einmal sich vergisst,

bricht er zusammen wie ermattet

und ist nichts mehr als toter Stein …

Nur Gott kann noch sein Bauherr sein.

Wir


Wir stehen alle in den Einsamkeiten

wie in den Wassern deines Zornes.

Wir ahnen tiefer ein verlornes,

ersehntes Land der Seligkeiten

und ragen aus der Flut wie Inseln oder Kerzen.

Wir mühen uns um Zeichen oder Gesten

und halten manchmal welche von den Resten

der angebrauchten, abgenutzten Schmerzen

hoch über uns hinaus wie blasse Sterne.

Wir warten, dass aus irgendeiner Ferne

der Engel einer an die Wasser käme,

das Hocherhobene in seine Hände nähme

und es verwende zu dem Bau der Brücke,

mit eines Lächelns heilgebliebnem Stücke

den Bogen stütze in der großen Mitte …

Und zagend geht die erste scheue Bitte

darüberhin und sieht nach dem Erbauer,

der abseits steht …...


Strasser, Brigitte
Brigitte Strasser, Studium der Germanistik und Pädagogik an der Universität Klagenfurt, Hochschullehrgang Kulturmanagement an der Johannes Kepler Universität Linz. 2006-2018 Mitarbeit an der Werkausgabe Christine Lavant, Mitherausgeberin der Bände 2 und 4 (Erzählungen).

Moser, Doris
Doris Moser, geb. 1965, Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik. Zunächst Radiojournalistin und Kulturorganisatorin (Ingeborg-Bachmann-Preis). Seit 1996 Leiterin des Fachbereichs Angewandte Germanistik an der Universität Klagenfurt.
Veröffentlichungen u. a.:
Neues vom Buch (Mithg. 2011); Der Ingeborg-Bachmann-Preis. Börse, Show, Event (2004).

Hafner, Fabjan
Fabjan Hafner, 1966-2016, Studium der Slawistik und Germanistik. Literaturwissenschaftler, Übersetzer, Autor.
Veröffentlichungen u. a.:
Peter Handke. Unterwegs ins Neunte Land (2008); Christine Lavant: Briefe an Maja und Gerhard
Lampersberg (Mithg., 2003).

Lavant, Christine
Christine Lavant (1915-1973), geb. als Christine Thonhauser in St. Stefan im Lavanttal (Kärnten) als neuntes Kind eines Bergmanns, war Lyrikerin und Erzählerin. Ihre Schulbildung musste sie aus gesundheitlichen Gründen früh abbrechen. Jahrzehntelang bestritt sie den Familienunterhalt als Strickerin. Sie erhielt u. a. den Georg-Trakl-Preis (1954 und 1964) und den Großen Österreichischen Staatspreis (1970). Seit 2014 erscheint eine Werkausgabe von Christine Lavant im Wallstein Verlag.



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