Lavoyer / Sim | Ermutigt. | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

Lavoyer / Sim Ermutigt.

Unterstützung für Betroffene von sexualisierter Gewalt
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-03875-590-6
Verlag: Beobachter-Edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Unterstützung für Betroffene von sexualisierter Gewalt

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

ISBN: 978-3-03875-590-6
Verlag: Beobachter-Edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Betroffene von sexualisierter Gewalt beschäftigen oft die gleichen Fragen: Wohin kann ich mich wenden, wenn ich Unterstützung brauche? Wieso hat mein Umfeld so kritisch reagiert, als ich über die Tat erzählte? Ist es normal, dass ich unsicher bin, ob es sich wirklich um eine Vergewaltigung handelte? Soll ich Anzeige erstatten? Brauche ich eine Therapie und wenn ja, was für eine? Agota Lavoyer und Sim Eggler geben in ihrem Handbuch Antworten - mit Fokus auf Stärkung der Selbstwirksamkeit und Ermächtigung der Betroffenen. Sie möchten Betroffene unterstützen, die Tat einzuordnen und ihre Gefühle verstehen zu können, Unterstützung zu finden und ihre Rechte als Opfer zu kennen. Die vier Hauptteile behandeln gesellschaftliche Aspekte sexualisierter Gewalt, Trauma, Handlungsmöglichkeiten inklusive rechtlichen Optionen und schliesslich Unterstützungsangebote für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Ein weiteres Kapitel thematisiert, wie man als Freund:in oder Angehörige Betroffene bestmöglich unterstützen kann.

Agota Lavoyer hat als Opferhilfe-Beraterin Betroffene sexualisierter Gewalt und deren Angehörige unterstützt und begleitet. Heute arbeitet sie als selbständige Beraterin und Referentin und engagiert sich für die Sensibilisierung und Aufklärung zu sexualisierter Gewalt. Ihre Bücher «Ist das okay?» (2022) und «Jede_ Frau» (2024) wurden Bestseller.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1 Sexualisierte Gewalt

Was ist sexualisierte Gewalt?

Wann handelt es sich um sexualisierte Gewalt? Welche Formen gibt es? Und in welchen Kontexten wird sexualisierte Gewalt ausgeübt?

Wo beginnt sexualisierte Gewalt? Und wer entscheidet, ob etwas gewaltvoll ist? Die Grundregel ist: Du als Betroffene:r entscheidest, ob sich etwas als grenzüberschreitend und gewaltvoll anfühlt. Gewalt beginnt nicht erst da, wo es für andere von aussen «erkennbar» scheint. Gleichzeitig ist es möglich, dass es den Blick und das Wissen anderer braucht, um selbst etwas als Gewalt einzuordnen und anzuerkennen. Denn nicht immer ist es uns möglich, Grenzüberschreitungen und gewaltvolle Handlungen als solche zu sehen und auch zu spüren: Sei es, weil wir es nicht wahrhaben wollen. Oder auch, weil wir uns daran gewöhnt haben.

Breite Definition von sexualisierter Gewalt

Wir definieren sexualisierte Gewalt als alle unerwünschten Handlungen, die ein Eingriff in deine sexuelle Selbstbestimmung sind und deine sexuelle Integrität (Unversehrtheit) verletzen. Es handelt sich um unerwünschte sexuelle Handlungen und Handlungen, die einen Bezug zu deiner Sexualität haben.

Wir arbeiten mit dieser breiten Definition von sexualisierter Gewalt, um möglichst alle unterschiedlichen Erfahrungen abzudecken. Nicht alle dieser Handlungen sind durch das Strafgesetz abgedeckt, denn das Recht ist immer einen Schritt hinter der gesellschaftlichen Realität zurück. Diese Definition entspricht auch nicht dem juristischen Begriff von sexueller Gewalt, der nur bestimmte Formen von sexualisierter Gewalt (wie Vergewaltigung, sexueller Übergriff und Nötigung) abdeckt und diese von anderen Formen wie Belästigung abgrenzt. Wir machen diese Unterscheidung nicht, sondern benennen alle Formen von sexualisierten Grenzüberschreitungen als Gewalt (Genaueres zur aktuellen juristischen Regelung siehe Kapitel 8, «Strafverfolgung», Seite 175).

Wann ist eine Handlung sexualisiert?

Der sexuelle Bezug kann sich daraus ergeben, dass

  • die Handlung allgemein als sexuell eingestuft wird, zum Beispiel ein Zungenkuss.
  • der Kontext sexuell ist, zum Beispiel eine sexuelle Begegnung.
  • die Intention der ausübenden Person sexuell ist.
  • die Handlung von der betroffenen Person als sexualisiert empfunden wird.

Es ist möglich, dass eine Handlung von der ausübenden Person nicht als sexualisierte Handlung eingestuft wird – es sich für die betroffene Person jedoch sexualisiert gewaltvoll anfühlt. Zum Beispiel bei medizinischen Handlungen an bestimmten Körperteilen: So kann es sein, dass medizinische Untersuchungen und Eingriffe als gewaltvoll erfahren werden. Sei es, weil die betroffene Person nicht vollumfänglich über die medizinischen Handlungen informiert wurde, ihr Einverständnis nicht eingeholt wurde oder aufgrund der Art und Weise der Durchführung.

Zusätzlich kann sexualisierte Gewalt Feindlichkeiten aufgrund von spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen umfassen, so kann sie beispielsweise Aspekte von Dicken-, Bi+-, Schwulen- oder Lesbenfeindlichkeit, Rassismus oder Behindertenfeindlichkeit aufweisen. Nehmen wir das Beispiel einer trans Person, die sexualisierte Gewalt erfahren hat: Bei dieser Gewalterfahrung kann die Transfeindlichkeit die sexualisierte Komponente überwiegen (sexualisierte Transfeindlichkeit). Es ist aber auch möglich, dass dieselbe Tat sich in erster Linie als sexualisierte Gewalt anfühlt (transfeindliche sexualisierte Gewalt). Dieses Überwiegen der einen oder anderen Komponente kann sich verändern und ist nicht für jede Person und für jede Erfahrung gleich.

Sexualisierte Gewalt kann von Einzelpersonen oder von mehreren Personen gemeinsam ausgeübt werden. Bei mehreren Personen können die Einzelnen unterschiedliche Rollen einnehmen und beispielsweise selbst nicht aktiv tätlich werden, jedoch als Anstiftende oder Bystander (Zuschauende) eine Rolle einnehmen, die Gewalt ermöglicht. Auch das kann strafbar sein.

Formen von sexualisierter Gewalt

Wir zeigen verschiedene Formen von sexualisierter Gewalt auf. Dabei orientieren wir uns nicht einzig am Strafrecht, denn nicht jede dieser Formen wird zurzeit explizit als Straftat erfasst. Zudem kann es sein, dass die fachlichen und juristischen Begriffe nicht dieselben sind (zum Strafrecht siehe Seite 180). Es ist uns auch wichtig, anzumerken, dass wir die verschiedenen Formen von sexualisierter Gewalt grundsätzlich nicht hierarchisieren. Wie schlimm oder folgenschwer eine Gewalterfahrung für eine Person ist, kann nur die Person selbst sagen.

Sexualisierte Belästigung – ein Sammelbegriff

Sexualisierte Belästigung ist ein Begriff, der unterschiedliche Handlungen beschreibt. Belästigungen können mit körperlichen Berührungen, Worten, Blicken, Gesten oder Geräuschen ausgeübt werden oder aus Bild, Ton oder Text bestehen. Sie können überall ausgeübt werden, in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz, in der Ausbildung, im Privaten, in der Freizeit, im digitalen Raum. Dies ist eine nicht abschliessende Liste möglicher Formen von sexualisierter Belästigung:

  • Catcalling: sexualisiertes Nachrufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Geräusche machen
  • taxierende Blicke
  • sexistische und diskriminierende Sprüche und Witze über Geschlechtsmerkmale, sexuelles Verhalten, sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität
  • anzügliche oder zweideutige Bemerkungen über Aussehen, Figur, Kleidung oder Körper
  • unerwünschte Erzählungen über sexuelles Verhalten
  • nicht konsensuelles Vorzeigen, Aufhängen, Auflegen oder Versenden von Texten und Bildern mit sexuell konnotierten Inhalten wie Kalender, Nudes oder Dickpics
  • scheinbar zufällige, unerwünschte Körperkontakte
  • unerwünschte Berührungen
  • unerwünschte Einladungen mit eindeutiger Absicht
  • Annäherungsversuche, die mit Versprechen von Vorteilen oder Androhen von Nachteilen einhergehen
  • (Cyber-)Grooming, also das Anbahnen von Kontakten und der Aufbau einer emotionalen Verbundenheit mit Kindern und Jugendlichen (und manchmal auch deren Familie) mit dem Ziel, sexualisierte Gewalt auszuüben
  • Exhibitionismus, also das nicht konsensuelle Entblössen der Genitalien gegenüber anderen Menschen

Sexuelle Übergriffe und Nötigung – ein Sammelbegriff

Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung sind ebenfalls als juristische Sammelbegriffe zu verstehen, unter denen unterschiedliche Formen sexualisierter Gewalt zusammengefasst werden. Grundsätzlich handelt es sich um erzwungene oder aufgezwungene sexualisierte Handlungen, die als intensiver und schwerwiegender eingestuft werden als sexualisierte Belästigungen, aber kein Eindringen in eine Körperöffnung beinhalten (das wäre dann Vergewaltigung). Die Grenzen zwischen sexualisierter Belästigung, sexueller Nötigung und sexuellem Übergriff sind nicht immer eindeutig zu ziehen. Beispiel: Während das nicht einvernehmliche und ganz kurze sexualisierte Berühren über der Kleidung in der Regel juristisch als sexuelle Belästigung eingeordnet wird, ist das kurze nicht einvernehmliche sexualisierte Berühren unter der Kleidung sexuelle Nötigung. Gleichzeitig kann eine absichtliche und längere Berührung über der Kleidung wiederum auch schon sexuelle Nötigung sein.

Vergewaltigung

Unter einer Vergewaltigung wird grundsätzlich das Eindringen in Körperöffnungen (Genital, Anus und Mund) durch Genital, Finger oder Gegenstand oder das Umschliessen eines Genitals (durch Fellatio oder Circlusion) verstanden. Die juristische Definition war in der Schweiz bei den Fällen bis zum 31. Juni 2024 noch auf ein Penis-in-Vagina-Eindringen beschränkt (zum Strafrecht siehe Seite 180).

Spiking

Beim sogenannten Spiking wird Menschen ohne ihr Wissen eine Substanz verabreicht. Dies kann ein Betäubungs- oder Beruhigungsmittel sein. Ziel ist es, die Person bewusstlos oder reaktionsunfähig zu machen und beispielsweise sexualisierte Gewalt auszuüben. Beim Needle Spiking geschieht dies mittels einer Spritze, während beim Drink Spiking das Pulver oder die Flüssigkeit einem Getränk beigemischt wird (siehe auch K.O.-Tropfen, Seite 116).

Stealthing

In der Schweiz wird Stealthing bisher so definiert: Eine Person verwendet gegen den Willen der anderen Person kein Kondom. In anderen Ländern wird auch das Nichtverwenden von Dental Dams und anderen Barrieren entgegen dem Willen der anderen Person als Stealthing verstanden.

Revenge Porn & Deep Fakes

Bei Rachepornografie (Revenge Porn) teilt, zeigt oder verwendet die gewaltausübende Person echte oder mittels künstlicher Intelligenz hergestellte Bilder oder Videos. Echte Bilder zeigen oft ehemalige Partner:innen. Diese Bilder oder Videos wurden häufig zunächst konsensuell im Rahmen eines...


Lavoyer, Agota
Agota Lavoyer hat als Opferhilfe-Beraterin Betroffene sexualisierter Gewalt und deren Angehörige unterstützt und begleitet. Heute arbeitet sie als selbständige Beraterin und Referentin und engagiert sich für die Sensibilisierung und Aufklärung zu sexualisierter Gewalt. Ihre Bücher «Ist das okay?» (2022) und «Jede_ Frau» (2024) wurden Bestseller.

Sim, Eggler
Sim Eggler arbeitet seit 2007 als Fachperson zu sexualisierter, häuslicher und geschlechtsbezogener Gewalt. Eggler war verantwortlich für die politische Arbeit bei Brava und arbeitete im Netzwerk Istanbul Konvention mit Fachstellen und Organisationen aus dem Bereich Alter, Behinderung, Kinder, LGBTIQA+ und Asyl/Migration zusammen.



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