E-Book, Deutsch, 215 Seiten
Leffler Weiblichkeit und Erotik
1. Auflage 2016
ISBN: 978-80-268-5176-9
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Memoirenroman
E-Book, Deutsch, 215 Seiten
ISBN: 978-80-268-5176-9
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Weiblichkeit und Erotik' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Anne Charlotte Leffler (1849-1892) war eine schwedische Schriftstellerin. Sie begann als Jugendliche zu schreiben, ihre ersten Geschichten erschienen 1869 unter dem Pseudonym Carlot. Ihr Vater hatte sie herausgegeben. Nach ihrer Eheschließung mit G. Edgren 1872 begann sie, Theaterstücke zu schreiben, die einige Aufmerksamkeit erregten. Viele ihrer Stücke waren an Henrik Ibsens Werken orientiert, vor allem dessen Nora oder Ein Puppenheim, und handelten von den Problemen der Protagonistinnen aufgrund der benachteiligenden Stellung von Frauen in der damaligen Gesellschaft. Damit und mit ihrem Streben nach Authentizität brach sie, ebenso wie Ibsen, Sofja Kowalewskaja und andere, mit bis dahin geltenden Konventionen in der Hoffnung, die Situation verbessern zu können. Besonderes Talent bewies Leffler in der Gestaltung von Dialogen. Aus dem Buch: ''Aagot liebte die Ordnung, da aber ihr Geschmack und ihre Ansichten stets die der großen Menge und der herrschenden Tagesrichtung waren, konnte sie gar nicht auf den Gedanken kommen, ihre Häuslichkeit anders einzurichten, als die Mode es erheischte. Sie selbst ging in eleganten Toiletten durch ihre schönen Zimmer, sich stets korrekt nach den verschiedenen Tageszeiten richtend, in einem Morgenrock aus weichem Kaschmir mit Spitzen besetzt, in einem Vormittagskostüm von streng englischem Herrenstil, oder in einer Mittagstoilette nach dem letzten französischen Modejournal.''
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Zweites Kapitel.
Inhaltsverzeichnis Richard und Aagot waren seit drei Jahren verheiratet und hatten einen kleinen Sohn, der mit den klaren, himmelblauen Augen seiner Mutter in die Welt hineinschaute, – der niemals schrie, niemals ungehorsam war, des Nachts vorzüglich schlief und nie die geringste Spur von Krämpfen gehabt hatte. Sie hatten ein schönes, hübsch eingerichtetes Heim mit modernen Phantasiemöbeln, die unregelmäßig zu kleinen Gruppen geordnet und gleichsam zufällig bunt durcheinandergeworfen waren, deren Aufstellung aber in Wirklichkeit einem gewissen bestimmten System entsprach. Aagot liebte die Ordnung, da aber ihr Geschmack und ihre Ansichten stets die der großen Menge und der herrschenden Tagesrichtung waren, konnte sie gar nicht auf den Gedanken kommen, ihre Häuslichkeit anders einzurichten, als die Mode es erheischte. Sie selbst ging in eleganten Toiletten durch ihre schönen Zimmer, sich stets korrekt nach den verschiedenen Tageszeiten richtend, in einem Morgenrock aus weichem Kaschmir mit Spitzen besetzt, in einem Vormittagskostüm von streng englischem Herrenstil, oder in einer Mittagstoilette nach dem letzten französischen Modejournal. Stets heiter, stets mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen, immer zufrieden mit sich selbst und mit andern, verbreitete sie eine gewisse ruhige Gemütlichkeit um sich her. Keine Thränen schienen jemals den klaren Glanz dieser Augen verdunkelt zu haben, keine Nachtwachen hatten diese blühenden Wangen gebleicht. Richards erste leidenschaftliche Verliebtheit war unter dem Einfluß der sicheren Ruhe, die ihr ganzes Wesen umgab, bald in eine ruhige, eheliche Gleichgültigkeit übergegangen. Er hatte immer viel zu thun und war aus dem besten Wege, sich einen Namen als Militärschriftsteller und Organisator zu machen. Wenn er des Mittags nach Hause kam, küßte er seine Gattin zerstreut auf die Stirn, verzehrte mit Wohlgefallen eine fein zubereitete, geschmackvoll auf kostbarem Porzellan angerichtete Mahlzeit, spielte nach Tische ein wenig mit dem Kleinen, ließ ihn in die Höhe springen, Laute nachahmen und Kunststücke machen wie ein kleiner Hund, und begab sich dann in sein schönes, tiefes, mit Büchern und großen Wandkarten geschmücktes Arbeitszimmer, wo er sich an den Schreibtisch setzte, während Aagot mit ihrer Stickerei in dem Boudoir saß oder mit ihrem Kinde spielte, bis es Zeit war, den Kleinen zu Bett zu bringen. Sie entkleidete ihn dann eigenhändig, wusch ihn, ließ ihn die Händchen zum Abendgebet falten, während sie selber neben dem Bettchen kniete. Um diese Zeit des Abends gönnte sich Richard ein paar Erholungsstunden, und dann begann eigentlich erst sein Tag. Alle seine natürliche Mitteilsamkeit, sein Bedürfnis, sich über seine Arbeit und seine Pläne auszusprechen, sich in einer Atmosphäre sympathischen Verstehens zu fühlen, fanden ihre Befriedigung erst, wenn er noch ein paar Treppen höher gestiegen war und an einer Entreethür geschellt hatte, die zu einer Wohnung führte, welche von der größeren Etage, die völlig der seinen entsprach, abgeteilt war. Hier wohnten die beiden »Unberechenbaren«, wie Alie im Scherz sich selber und die alte Frau Rode nannte. Nach Aagots Ansicht war es dort entsetzlich stillos. Die Möbel waren auf jener Periode zwischen der alten und der modernen Zeit, die jetzt mit Recht von allen Menschen mit Geschmack verachtet wird, und standen steil längs den Wänden aufgestellt; Sofas und Stühle waren mit weißen, gehäkelten Antimakassar bedeckt, auf den Tischen lagen doppelte Decken, eine zum Schmuck, eine zum Schutz für diesen Schmuck, und der Fußboden endlich war mit drei doppelten Teppichen belegt, von denen der eine den andern beschützen sollte, und trotzdem durfte man den Fuß nicht darauf setzen, ehe man sich sein säuberlich abgeputzt hatte. Mitten in all dieser Kleinlichkeit aber, die einer längst entschwundenen Zeit angehörte, hatten die beiden Persönlichkeiten, die hier wohnten – die rührige alte Frau, die zur selben Zeit ordentlich bis zur Pedanterie und ungeregelt, freiheitsliebend in ihren Gewohnheiten war, sowie das selbständige, phantasievolle junge Mädchen – dem Ganzen aber doch ein gewisses, persönliches Gepräge zu geben gewußt, von dem man nicht recht wußte, worin es bestand, das aber bewirkte, daß man sich hier sofort heimisch fühlte, während man sich bei Aagot gleichsam in einem Hotel ersten Ranges befand. Im Wohnzimmer stand ein langes, steifes Sofa, Richards Sofa genannt, und hier pflegte er sich, so lang er war, hinzulegen, wenn er des Abends zu ihnen hinaufkam, ermüdet nach einem arbeitsamen Tag. Die Lampe wurde an das Fenster gerückt, damit ihr Schein ihn nicht blenden solle, Alie legte ihm ein Kissen unter den Kopf, und die Mutter rief: »Vergiß nicht das Antimakassar, Alie,« während sie ihm selber eine Schutzdecke unter die Füße legte. Dann machte Alie Thee aus der alten kupfernen Theemaschine, und so waren sie beide geschäftig um ihn besorgt, die Mutter glückselig, etwas für ihren Jungen thun zu können, Alie schwatzend, diskutierend, disputierend, blitzschnell einen jeden seiner Gedanken auffassend, stets individuell in ihrem Beifall wie in ihrer Kritik, hin und wieder ins Blaue hinein fechtend, bereit, ein Paradoxon auf Tod und Leben zu verteidigen, auf der andern Seite aber mit einer so reichen und warmen Sympathie, wenn sie über etwas einig waren, daß es für Richard von der größten Bedeutung war, sie auf seine Seite hinüberzubekommen. Ohne ihre Zustimmung und Billigung konnte er keinen rechten Fluß in irgend etwas bringen, und er konnte oft tagelang verstimmt umhergehen, wenn es ihm nicht gelungen war, sie so weit zu bringen, daß sie eine Frage mit seinen Augen betrachtete. Er beschuldigte sie dann wohl der Einseitigkeit und der Unbilligkeit, aber trotzdem wollte es ihm doch nicht so recht gelingen, seine gute Laune wiederzugewinnen, ehe er sie überzeugt oder – ausnahmsweise – sich selbst einmal hatte überzeugen lassen. Und dann war da dies Unberechenbare bei ihnen, das so oft kleine, angenehme Ueberraschungen zur Folge hatte. Aagot konnte um elf Uhr des Vormittags zu ihnen hinaufkommen und die alte Frau noch im Unterrock vorfinden, während Alie im Schlafrock dastand und ihre Blumen, die sie auf den Fußboden gesetzt hatte, abbrauste, – ringsumher auf den Stühlen aber lagen Bücher und Handarbeiten. Und eine Stunde später, nachdem sich Aagot mit mißbilligender Miene entfernt hatte, konnte dann Alie bei ihr in die Thür hineingucken, völlig angekleidet zum Ausgehen, und sich zeremoniell verneigend sagen: »Frau Rode bittet um die Ehre, den Herrn Hauptmann und Frau Gemahlin heute mittag präzis fünf Uhr bei sich zu sehen!« »Was sagst du! Heute?« rief Aagot aus. »Ihr hattet ja vorhin noch nicht einmal reingemacht!« »Komm um fünf Uhr, und du wirst sehen, daß wir reingemacht haben,« erwiderte Alie, die Treppe hinabeilend, zum Schlächter und Delikatessenhändler. Und wenn dann Richard und Aagot kamen, fanden sie das Zimmer aufs schönste geordnet, die frischen Blattpflanzen waren geschmackvoll gruppiert, und auf dem Eßtisch stand eine eben aufgebrochene Kamelie. Frau Rode trat ihnen heiter lächelnd in ihrem grauseidenen Sonntagskleid entgegen, mit echten Spitzen um Hals und Arme, Alie dagegen trug ein einfaches, gestreiftes Blusenkleid, das aber wie alles, was sie trug, sein Gepräge durch ihre originelle Schönheit erhielt, so daß es einen guten Eindruck machte und von vorzüglichem Geschmack zeugte. Im Haar und um den Hals trug sie eine Garnitur von ungeschliffenen Korallen, und dieser einfache Schmuck schien absichtlich gewählt zu sein, um die Frische ihrer warmen Gesichtsfarbe und die ungekünstelte Anmut zu erhöhen, die über ihrer leichten, weichen Figur und ihrem selbständigen, wechselvollen Wesen lag. Ueber ihre ganze Persönlichkeit war ein so sprudelndes Leben ausgegossen, daß ihre Gegenwart elektrisierend auf ihre Umgebung wirken mußte: Müdigkeit, Steifheit, schlechte Laune, alles schwand unbedingt vor dieser sprühenden Munterkeit, die jedoch ihren Ursprung keineswegs in wirklicher Freude hatte, denn wenn man in die Tiefe dieser dunkeln, ein wenig kurzsichtigen Augen schaute, so entdeckte man etwas Hartes, Unbefriedigtes, das den Beobachter mit Staunen und Unsicherheit erfüllte und ein verborgenes, inneres Leben ahnen ließ, das ganz andrer Natur war als diese schillernde Oberfläche. So energisch und seelenstark, so lebensfroh und rege interessiert Alie in Gesellschaft scheinen konnte, so gleichgültig, schlaff und unwirksam war sie zu andern Zeiten. Sie kannte keine Ausdauer bei irgend einer Arbeit, sie las alles mögliche, das ihr in den Weg kam, wußte oberflächlich mit allem Bescheid, konnte, wenn es erfordert wurde, jegliches leisten, vermochte aber ihr Interesse niemals auf irgend etwas Bestimmtes zu konzentrieren. Sie sagte häufig, daß sie, wenn sie ein Mann gewesen wäre, Medizin studiert haben würde, aber jetzt hätte ihre Erziehung ihr weder die nötigen Vorkenntnisse noch die erforderliche Gewöhnung an Arbeit verliehen. Sie sehnte sich nach einem bestimmten, positiven Ziel für ihre Wirksamkeit, aber frei in ihrer Wahl, wie sie war, da keine pekuniäre Notwendigkeit sie zwang, das erste beste zu ergreifen, und da sie nach keiner Richtung hin ein ausgeprägtes Talent besaß, konnte sie nicht dazu kommen, einen endgültigen Entschluß zu fassen. Sie litt unter diesem planlosen Leben, es schmerzte sie, daß ihre Jugend so zwecklos verrann, ohne eigentliche Lebensfreude, ohne daß sie mit ihrer reichen Begabung das geringste ausrichtete, und ohne daß sie auch nur die Befriedigung hatte, alles für einen andern Menschen zu sein. Denn wie lieb man sie auch in der Familie hatte, der sie infolge eines...