E-Book, Deutsch, 229 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Lessing / Hantzsche / Bremer Nathan der Weise. Studienausgabe
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-15-960389-6
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lessing, Gotthold Ephraim - Deutsch-Lektüre, Deutsche Klassiker der Literatur - 19142
E-Book, Deutsch, 229 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
            ISBN: 978-3-15-960389-6 
            Verlag: Reclam Verlag
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gotthold Ephraim Lessing (22. 1. 1729 Kamenz, Sachsen - 15. 2. 1781 Braunschweig) gehört zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern der Aufklärung und trat auch als Publizist hervor. Schwerpunkt seines Werkes sind Dramen, literaturkritische Schriften sowie Fabeln und Epigramme.
Autoren/Hrsg.
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Zweyter Aufzug.
Erster Auftritt.
Die Scene: des Sultans Pallast.
 
 SALADIN und SITTAH spielen Schach.
SITTAH. Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?
SALADIN. Nicht gut? Ich dächte doch.
SITTAH. Für mich; und kaum.
Nimm diesen Zug zurück.
SALADIN. Warum?
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SITTAH. Der Springer
Wird unbedeckt.
SALADIN. Ist wahr. Nun so!
SITTAH. So zieh’
Ich in die Gabel.
SALADIN. Wieder wahr. – Schach dann!
SITTAH. Was hilft dir das? Ich setze vor: und du
Bist, wie du warst.
SALADIN. Aus dieser Klemme, seh’
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Ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen.
Mags! nimm den Springer nur.
SITTAH. Ich will ihn nicht.
Ich geh vorbey.
SALADIN. Du schenkst mir nichts. Dir liegt
An diesem Platze mehr, als an dem Springer.
SITTAH. Kann seyn.
SALADIN. Mach deine Rechnung nur nicht ohne
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Den Wirth. Denn sieh’! Was gilts, das warst du nicht
Vermuthen?
SITTAH. Freylich nicht. Wie konnt’ ich auch
Vermuthen, daß du deiner Königinn
So müde wärst?
SALADIN. Ich meiner Königinn?
SITTAH. Ich seh’ nun schon: ich soll heut meine tausend
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Dinar’, kein Naserinchen mehr gewinnen.
SALADIN. Wie so?
SITTAH. Frag noch! – Weil du mit Fleiß, mit aller
Gewalt verlieren willst. – Doch dabey find’
Ich meine Rechnung nicht. Denn ausser, daß
Ein solches Spiel das unterhaltendste
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Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten
Mit dir, wenn ich verlor? Wenn hast du mir
Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen
Zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?
SALADIN. Ey sieh! so hättest du ja wohl, wenn du
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Verlorst, mit Fleiß verloren, Schwesterchen?
SITTAH. Zum wenigsten kann gar wohl seyn, daß deine
Freygebigkeit, mein liebes Brüderchen,
Schuld ist, daß ich nicht besser spielen lernen.
SALADIN. Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!
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SITTAH. So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!
SALADIN. Nun freylich; dieses Abschach hab’ ich nicht
Gesehn, das meine Königinn zugleich
Mit niederwirft.
SITTAH. War dem noch abzuhelfen?
Laß sehn.
SALADIN. Nein, nein; nimm nur die Königinn.
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Ich war mit diesem Steine nie recht glücklich.
SITTAH. Blos mit dem Steine?
SALADIN. Fort damit! – Das thut
Mir nichts. Denn so ist alles wiederum
Geschützt.
SITTAH. Wie höflich man mit Königinnen
Verfahren müße: hat mein Bruder mich
Zu wohl gelehrt (Sie läßt sie stehen.)
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SALADIN. Nimm, oder nimm sie nicht!
Ich habe keine mehr.
SITTAH. Wozu sie nehmen?
Schach! – Schach!
SALADIN. Nur weiter.
SITTAH. Schach! – und Schach! – und Schach! –
SALADIN. Und matt!
SITTAH. Nicht ganz; du ziehst den Springer noch
Dazwischen; oder was du machen willst.
Gleichviel!
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SALADIN. Ganz recht! – Du hast gewonnen: und
Al-Hafi zahlt. – Man laß ihn rufen! gleich!
Du hattest, Sittah, nicht so unrecht; ich
War nicht so ganz beym Spiele; war zerstreut.
Und dann: wer giebt uns denn die glatten Steine
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Beständig? die an nichts erinnern, nichts
Bezeichnen. Hab’ ich mit dem Iman denn
Gespielt? – Doch was? Verlust will Vorwand. Nicht
Die ungeformten Steine, Sittah, sinds
Die mich verlieren machten: deine Kunst,
Dein ruhiger und schneller Blick …
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SITTAH. Auch so
Willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen.
Genug, du warst zerstreut; und mehr als ich.
SALADIN. Als du? Was hätte dich zerstreuet?
SITTAH. Deine
Zerstreuung freylich nicht! – O Saladin,
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Wenn werden wir so fleißig wieder spielen!
SALADIN. So spielen wir um so viel gieriger! –
Ah! weil es wieder los geht, meynst du? – Mags! –
Nur zu! – Ich habe nicht zuerst gezogen;
Ich hätte gern den Stillestand aufs neue
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Verlängert; hätte meiner Sittah gern,
Gern einen guten Mann zugleich verschafft.
Und das muß Richards Bruder seyn: er ist
Ja Richards Bruder.
SITTAH. Wenn du deinen Richard
Nur loben kannst!
SALADIN. Wenn unserm Bruder Melek
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Dann Richards Schwester wär’ zu Theile worden:
Ha! welch ein Haus zusammen! Ha, der ersten,
Der besten Häuser in der Welt das beste! –
Du hörst, ich bin mich selbst zu loben, auch
Nicht faul. Ich dünk’ mich meiner Freunde werth. –
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Das hätte Menschen geben sollen! das!
SITTAH. Hab’ ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?
Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.
Ihr Stolz ist: Christen seyn; nicht Menschen. Denn
Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,
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Mit Menschlichkeit den Aberglauben wirzt,
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:
Weils Christus lehrt; weils Christus hat gethan. –
Wohl ihnen, daß er ein so guter Mensch
Noch war! Wohl ihnen, daß sie seine Tugend
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Auf Treu und Glaube nehmen können! – Doch
Was Tugend? – Seine Tugend nicht; sein Name
Soll überall verbreitet werden; soll
Die Namen aller guten Menschen schänden,
Verschlingen....





