Leutheusser-Schnarrenberger Unsere gefährdete Demokratie

Wie wir mit Hass und Hetze gegen Politiker und Journalisten umgehen

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

ISBN: 978-3-7776-3072-4
Verlag: S. Hirzel
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Wellen des Hasses brechen

Auch in Deutschland erleben wir im Netz wie im 'realen Leben' zunehmend Verleumdungen, Beleidigungen, Einschüchterungen, Hass und sogar körperliche Gewalt gegen Menschen, die sich für unsere Gesellschaft einsetzen. Doch wenn diese Angriffe von Engagement abschrecken, wird das zu einer Gefahr für unsere Demokratie, die auf Teilhabe beruht. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die Schriftstellerin Gunna Wendt haben mit zehn Engagierten über Ursachen, Umstände und Folgen von Hass und Gewalt gesprochen. Die eindringlichen Porträts lassen die Gefahren sehr konkret werden, zeigen aber auch: Der Verrohung der politischen Auseinandersetzung können und müssen wir mit Haltung, Respekt und Toleranz begegnen – und mit einem wirksamen Schutz der Gefährdeten.
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Erfahrungen von betroffenen Mandatsträgern
Herbert Bengler, Kreisrat
Irgendwann muss man Farbe bekennen,
auch der nachrückenden Generation gegenüber,
und sich einmischen. Für Herbert Bengler, geboren 1956 in Freising, ist Zukunftsgestaltung keine Frage des Alters. Seit 2019 in Rente, hat er noch keine Lust auf Ruhestand, sondern engagiert sich politisch als Kreisrat, denn es gibt zu viele Themen, die ihn bewegen, darunter der öffentliche und der private Wohnungsbau. Wohnen muss für jeden wieder bezahlbar werden, ist eine seiner Forderungen. Obwohl von jeher politisch interessiert, trat er erst 2005 in die SPD ein – mit der festen Überzeugung, man könne in der Politik mehr bewirken, als viele denken. Auf eine schwerwiegende Verleumdung hat er sofort mit Strafanzeige reagiert. Erste Anfeindungen
Es ist schon eine Weile her, dass ich zum ersten Mal beschimpft worden bin. 2016/2017 hat man mich auf Facebook als »A... « beschimpft, ohne dass es dafür einen Grund gegeben hat. Damals hab ich, wie man das in Bayern so tut, gedacht: »Du mich auch.« Und das Thema war dann für mich erledigt. Als ich dann im Kommunalwahlkampf als »Kinderficker« tituliert wurde, war’s nicht mehr für mich erledigt. Ich war nicht bereit, das zu akzeptieren. Das musste ich mir nicht gefallen lassen. Das überschritt eine Grenze, und deshalb habe ich gesagt: Jetzt ist Schluss. Ich habe mit einem Rechtsanwalt gesprochen. Er war auch der Meinung, dass man dagegen vorgehen sollte. Wir haben Strafanzeige gestellt, und die ist dann dahingehend auch erfolgreich gewesen, dass derjenige, der mich beleidigt hat, zur Verantwortung gezogen wurde. Er konnte ermittelt werden, weil er seine Nachricht nicht gelöscht hatte. Auswirkungen
Ich habe mich dabei angegriffen und irgendwie komisch gefühlt. Ich weiß nicht, wie ich es sonst noch benennen soll. Die Erfahrung, dass eine Behauptung über dich in den Raum gestellt wird, die durchaus deine Lebensverhältnisse verändern könnte … Ich habe damals relativ schnell reagiert. Nachdem die entsprechende Strafe ausgesprochen worden war, habe ich mir überlegt, ob ich auch noch zivilrechtlich gegen die fragliche Person vorgehen sollte. Das habe ich dann aber gelassen, weil ich mir gesagt habe, die Strafe ist hoch genug. Und das, was ich erreichen wollte, habe ich erreicht: Ich habe gezeigt, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss. Von dem Zeitpunkt an, wo ich genau das gepostet habe, gab es keine Diffamierungen mehr. Da bin ich dann ziemlich verschont geblieben, obwohl ich nach wie vor manche Kommentare schreibe, die nicht allen gefallen. Dann kommt als Reaktion manchmal so etwas wie, »Sie waren wohl nicht in der Schule« oder Ähnliches, aber das nehme ich einfach nicht ernst. Mangelnder Respekt
Der gegenseitige Respekt hat in meinen Augen nachgelassen, weil wir immer mehr in eine Ellenbogengesellschaft abrutschen. Jeder ist sich selbst der Nächste: Hauptsache ich! Ich muss mir nichts gefallen lassen! Vor Kurzem habe ich das mit meiner Frau diskutiert: Früher hat es bei uns im Dorf einen Dorfpolizisten gegeben, früher hat es Streifenpolizisten gegeben, die durch die Stadt gegangen sind, Touristen geholfen haben, die nach dem Weg gefragt haben – das ist alles weg. Das fehlt irgendwo. Sehr häufig ist es einfach so, ein jeder ist nur noch in Eile, ein jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt und nimmt die Umwelt nicht mehr so wahr, wie er das noch vor einigen Jahren gemacht hat. Wenn ich an meine Jugend denke: Wir haben natürlich auch über die Stränge geschlagen. Wir standen nicht immer so unter Beobachtung wie die Jugend heute. Wir wussten aber auch, im weitesten Sinne aus der eigenen Erfahrung heraus, wo gewisse Grenzen sind, wo man zum Beispiel Lehrer nicht angreifen durfte. Gegenseitiger Respekt und gegenseitige Achtung waren wesentlich stärker da. Heute fehlt diese Achtung oft, gerade gegenüber Menschen, die uns helfen. Und wenn dann einer Hilfe braucht, dann sieht er es als selbstverständlich an, dass es getan wird. Da hat sich einiges in der Gesellschaft verändert, und das halte ich persönlich für bedenklich. Darum habe ich auch versucht, meine Kinder so zu erziehen, dass sie nicht nur ihr Ich pflegen: Ich muss lernen, ich muss weiterkommen. Dass sie wegkommen von dieser reinen Ichbezogenheit und auch bereit sind, anderen zu helfen. Politisches Engagement
Ich denke, dass eine Demokratie politisches Engagement verlangt. Ich habe mich sehr spät politisch engagiert, das heißt, ich bin sehr spät in eine Partei eingetreten. Politisch engagiert war ich auch schon in der Schule, aber auf einem anderen Level natürlich. 2005 bin ich in die SPD eingetreten. Ich hab mir gesagt, irgendwann muss man auch Farbe bekennen, auch der nachrückenden Generation gegenüber, und sich einmischen. So bin ich in die Politik gekommen. Die Corona-Krise ist ein typisches Beispiel, wie wir mit Politik umgehen. Wissenschaft ist ja nichts anderes als tägliches Lernen. Lernen schafft Wissen. Keiner, kein Politiker, kein Wissenschaftler, wusste im Februar 2020, wie er mit der ganzen Geschichte umgehen sollte. Aber wir erwarten, dass sie sofort alles wissen. Das sind so Dinge, wo ich sage: »Was meint ihr denn, was ein Politiker kann?« Auf der einen Seite wird er überschätzt, auf der anderen Seite als Depp bezeichnet. Das höre und lese ich oft genug auch außerhalb von Facebook: »Sag mal, was habt ihr denn wieder im Kreistag entschieden, ihr Deppen?« Wir haben einmal eine Frau angesprochen: »Wir hätten dich gerne im Gemeinderat.« Dann hat sie geantwortet: »Da sind ja lauter Deppen drin.« Da hab ich gesagt: »Das ist genau das Problem, weil du dich nicht draufschreiben lässt, kommen lauter Deppen rein.« Viele reden so: »Diese Deppen, diese Wichtigmacher!« Nur Kritik, aber selber nicht den Arsch hochkriegen – da drücke ich mich gern deftig aus. Digitale Bildungsdiaspora
Ich habe bereits gesagt, in meiner Jugend wurde man nicht so stark beobachtet wie heute. Aber es gibt heute einen Bereich, in dem sich die Jugendlichen weitgehend unbeobachtet bewegen: im Internet. Jedenfalls zu einem großen Teil. Mobbing hat es früher auch gegeben, nur nicht in dieser starken Art und Weise. Wenn dann kompromittierende Bilder durch die Gegend geschubst werden, das hat eine andere Qualität. Da sind wir beim Thema Bildung. Auf dem Gebiet des Digitalen im Social-­Media-Bereich sind wir eigentlich deutschlandweit in der Bildungs­diaspora. Wie gesagt, Mobbing, Diffamierung – das hat es alles früher auch schon gegeben, da war nichts besser. Aber heute spielt die Masse eine große Rolle. Ich muss mir bewusst machen, wie viele Menschen ich mit meinen Nachrichten in einer Sekunde erreiche. Das ist auf der einen Seite bei manchen Dingen natürlich sehr gut, aber auf der anderen Seite auch sehr bedenklich. Das zu thematisieren wäre Aufgabe der Politik. Die Politik müsste vorausschauend arbeiten. Der Vorwurf, den ich der Politik dabei mache: Wir haben keine Digitalisierungspolitik, wir haben weder Facebook noch Instagram oder Google im Griff. Jeder müsste eigentlich wissen, welche Konsequenzen es hat, wenn ich jemanden in dieser Art und Weise beleidige, wie es mir beispielsweise passiert ist, oder wenn ich jemanden mobbe. Egal in welchem Medium: Geschrieben ist geschrieben. Was ich geschrieben und weggeschickt habe, das kann ich nicht mehr aus der Welt nehmen. Petra Berg, Landtagsabgeordnete
Ich lasse mich von denen, die mich anfeinden,
nicht in die Defensive drängen. Petra Berg, geboren 1964 in Diefflen, studierte an der Universität des Saarlandes Rechtswissenschaften und war als Fachanwältin für Sozialrecht tätig. Von 2009 bis 2012 war sie Justiziarin der Gemeinde Nalbach. Bei der Landtagswahl im Saarland errang sie 2012 ein Landtagsmandat im Wahlkreis Saarlouis. Seit 2014 ist sie Parlamentarische Geschäftsführerin und Generalsekretärin, seit 2018 stellvertretende Landesvorsitzende der SPD Saar. Als Sprecherin der Fraktion ist sie unter anderem zuständig für die Themen Migration und Landesaufnahmestelle sowie Bekämpfung des Rechtsextremismus. Immer wieder ist sie frauenfeind­lichen Verunglimpfungen ausgesetzt. Analog – digital
Je intensiver der persönliche Kontakt, der persönliche Austausch ist, desto seltener sind Anfeindungen. Ich komme ja aus einem ländlichen Raum, wo man sich gegenseitig kennt. Man kennt die Bürgerinnen und Bürger und umgekehrt. Sie kennen einen als Person und auch die familiäre Herkunft. Zu der Zeit, in der die sozialen Medien noch keine so große Rolle gespielt haben, waren Anfeindungen auf kommunaler Ebene seltener. Aber es gab sie. Als ich 2011 für das Bürgermeisteramt der Stadt Dillingen kandidiert habe, bekam ich das zu spüren. Da stand ich als Person im Fokus und hatte meine Familie – ich habe drei Kinder – mitplakatiert. Im Wahlkampf spielt die Familie eine große Rolle. Die Menschen wollen über die Bewerberin auch sehr Privates erfahren. Im Zuge dieses Wahlkampfes gab es dann sehr persönliche Anfeindungen und Verunglimpfungen. Man hat versucht, mein Renommee zu erschüttern, indem man Gerüchte gestreut hat über Trennungen, über Konflikte in meiner Ehe – das war schon sehr massiv. Je weiter der Wahlkampf voranschritt, desto massiver wurden diese Verunglimpfungen. Es waren Verunglimpfungen, gegen die man sich nicht wehren konnte. Das ging so weit, dass sogar mein Mann mir die Frage gestellt hat: »Ja, ist denn da was dran?« Man ist so selten zu Hause, man ist nur noch unterwegs, die Zeit für die Familie verringert sich auf fast null. Das macht schon etwas mit einer Politikerin. Kandidatur als Frau
Es lag natürlich daran, dass ich als Frau kandidiert habe und dass man keine inhaltlichen Angriffspunkte gefunden hat. Ich kam aus einem stabilen...


Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine
Die studierte Juristin Dr. Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Jahrgang 1951, ist seit
1978 Mitglied der FDP und seit 1991 in deren
Bundesvorstand. Die ehemalige Bundesministerin
der Justiz (1992 bis 1996 sowie
2009 bis 2013) wurde im November 2018 zur
Antisemitismus-Beauftragten des Landes
Nordrhein-Westfalen ernannt und ist seit
2019 nichtberufsrichterliches Mitglied des
Bayerischen Verfassungsgerichtshofes.


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