E-Book, Deutsch, 354 Seiten
Leuze Sternschnuppenträume
2. Auflage 2018
ISBN: 978-3-945932-44-5
Verlag: 26|books
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 354 Seiten
ISBN: 978-3-945932-44-5
Verlag: 26|books
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Svea muss ihre Träume von einer Zukunft als Meeresbiologin begraben, und das kurz vor dem Abi. Dem gutaussehenden Nick hingegen steht die ganze Welt offen. Und während Svea verzweifelt zu verbergen versucht, weshalb ihre Mutter plötzlich verschwunden ist, wird der reiche, oberflächliche Nick von keinerlei Sorgen geplagt.
Das jedenfalls glaubt Svea – bis sie in einer sternenklaren Nacht am Strand einen Blick auf den wahren Nick erhascht. Für die Dauer eines magischen Kusses erscheint alles möglich. Doch sowohl Svea als auch Nick müssen in ihren Alltag zurückkehren, und dort passen sie einfach nicht zusammen.
Wenn da nur nicht diese unvernünftige Sehnsucht wäre! Dieses hartnäckige Gefühl, dass zwischen der wahren Svea und dem wahren Nick etwas begonnen hat, das stärker ist als die Kluft zwischen ihnen ...
„Geht direkt ins Herz - und bleibt dort auch!“ Leselurch.de
Autoren/Hrsg.
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»Arbeite, als bräuchtest du kein Geld; liebe, als wärst du nie verletzt worden; tanze, als würde niemand zuschauen.« Satchel Paige, US-amerikanischer Baseballspieler (1906-1982) Svea
Wenn es eines gibt, das Seehunde absolut von uns Menschen unterscheidet, dann dies: Verlassene Jungtiere vergessen ihre Mütter innerhalb von Tagen. Spricht das nun für oder gegen sie? Ich grübele ein paar Sekunden über diese Frage nach und merke, wie schon wieder die Bitterkeit in mir aufsteigt. Bitterkeit ist das Gefühl, das ich in den letzten beiden Wochen mit Abstand am öftesten gespürt habe, und langsam nervt es mich. Also beiße ich die Zähne zusammen und befehle mir, an etwas anderes zu denken. Schließlich hatte ich mir fest vorgenommen, meine Probleme nicht mit in die Seehundstation zu nehmen. Zu Hause, in der Schule, am Strand: Überall auf der Insel lauern sie, überallhin verfolgen sie mich, aber hier, zwischen meinen Schützlingen, will ich sie nicht haben. Ich dulde sie einfach nicht! Das jedenfalls habe ich am Tag null für mich beschlossen, und hey, ich kann es mir doch nicht erlauben, schon nach zwei Wochen zu scheitern! Ich meine, woran soll ich mich denn festhalten, wenn nicht an meinen eigenen Beschlüssen? Alles andere ist ja weggebrochen. Ich atme tief durch. Schaue durch das große Fenster der Futterküche über das Stationsgelände, auf dem sich in zehn kleinen Bassins und zwei großen Becken über hundert Heuler tummeln. Die Seehundstation der Nordsee-Insel, auf der ich wohne, ist mein sicherer Hafen, denn anders als zu Hause hat sich hier nichts verändert, nicht in den letzten Tagen, nicht in den letzten Jahren. Alles ist wie immer, und alles hat einen Sinn: Wir setzen unsere ganze Kraft dafür ein, Heulern zu helfen. Ihr Gefängnis auf Zeit ist zugleich ihre Rettung, denn in freier Wildbahn würden die verlassenen Tiere es niemals schaffen, ohne ihre Mütter zurechtzukommen. Leicht ist das nämlich nicht. Wer wüsste das besser als ich? Draußen fangen die Seehundbabys an, nach ihrem Fisch zu jammern, und ich wische mein Selbstmitleid beiseite. Du liebe Güte, ich bin nicht hier, um Trübsal zu blasen, sondern um mich nützlich zu machen! Also schnappe ich mir einen der schweren Heringseimer und rufe über die Schulter: »Torben, kommst du? Da draußen wartet eine ziemlich hungrige Meute auf uns.« Keine Minute später taucht Torben im Türrahmen auf. Er streicht sich über den Vollbart, der genauso signalrot leuchtet wie sein Schopf, und brummt: »Jo, lass uns anfangen, Svea. Rieke kommt auch gleich. Showtime, Kinder!« Ich verkneife mir ein Lächeln. Zwei der vier täglichen Fütterungen werden unter den neugierigen Augen der Besucher durchgeführt, und es ist kein Geheimnis, dass Torben die »Showtime« liebt. Die Besucher wiederum lieben Torben: Mit seinen fünfzig Jahren ist er der dienstälteste Tierpfleger der Station, und keiner füttert unsere Heuler so hingebungsvoll wie er. Torben ist das Herz der Station, das Urgestein, auf dem alles aufgebaut ist. Wenn ich die mühsame, unentgeltliche Arbeit hier so gerne auf mich nehme, dann hat das nicht nur etwas mit den Seehunden zu tun, sondern auch mit Torben. Jetzt stößt er die Tür der Futterküche auf, und wir marschieren mit unseren Heringseimern nach draußen, woraufhin das Geheul der kleinen Seehunde herzzerreißende Ausmaße annimmt. »Die kleinen Spinner!«, grummelt Torben, doch seine Augen leuchten. Er stapft zu den älteren Heulern in einem der beiden großen Becken, und ich steige in die erste der zehn Betonbuchten, in denen unsere Neuzugänge untergebracht sind. Augenblicklich robben die Seehundbabys Kitty und Kali auf mich zu. Mensch ist gleich Futter, diese Gleichung kapieren alle Heuler sofort. Was sie allerdings nicht daran hindert, einen in den Finger zu beißen, wenn der Fischeimer leer ist, wie eine schlecht verheilte Wunde an meinem Ringfinger beweist. Es war das Erste, was ich hier gelernt habe, als ich vor zwei Jahren angefangen habe auszuhelfen: Egal, wie süß und knuddelig sie aussehen, Seehunde sind keine Haustiere. Sie sind wild und sollen es auch bleiben, denn nur so können wir sie, nachdem wir sie zwei bis drei Monate lang aufgepäppelt haben, mit gutem Gewissen zurück in die Freiheit entlassen. Wie wird es mir gehen, in zwei bis drei Monaten?, flüstert eine furchtsame Stimme in meinem Kopf. Ob ich mich daran gewöhnt haben werde, dass sie weg ist? Nicht einfach im Urlaub oder bei einem anderen Mann, sondern wirklich weg? Nicht daran denken! Einfach nicht daran denken. Ich knie mich in meinen grünen Gummihosen zu den fiependen Heulern und nehme den ersten Fisch aus dem Eimer. Seehunde zu füttern ist fürsorglich und tröstlich, und obwohl ich weiß, dass ich für Kitty und Kali nichts als ein sich bewegender Futterspender bin, rührt es mich doch, wie die beiden nun mit ihren runden, schwarzen Augen zu mir aufblicken. Ich muss lachen. Als Gott das Kindchenschema erfunden hat, waren Seehundbabys ganz bestimmt sein Meisterstück! Kali drängelt Kitty entschlossen ab, und schwupps, ist der Riesenhering in ihrem kleinen Maul verschwunden. Ohne zu kauen, schlingt sie ihn hinunter und verlangt nach dem nächsten, indem sie mir auffordernd ihre Flosse aufs Knie legt. »Warum gewöhnt man sich eigentlich nie daran, wie süß die sind?«, höre ich eine atemlose Stimme neben mir. Ich schaue zu meiner besten Freundin hoch und grinse. »Hallo, Rieke. Die Frage ist doch eher: Warum gewöhnt man sich eigentlich nie daran, dass du immer zu spät dran bist?« »Tut mir leid, aber ich konnte meinen Haargummi nicht finden. Und die Haare in den Heringseimer hängen - nee, bei aller Liebe, das geht gar nicht.« Rieke steigt hastig in die Bucht neben meiner, hockt sich hin und fängt an, zwei Heuler gleichzeitig zu füttern, um ihre Verspätung wiedergutzumachen. Dabei schafft sie es, ohne Punkt und Komma zu reden. »Ich weiß ja, dass die Station auf Seehund-Patenschaften angewiesen ist, um sich zu finanzieren«, plappert sie, »aber manche Paten sind doch echt grenzwertig, oder? Wusstest du, dass Kittys Patin es fertigbringt, jedes Mal ‚Hello Kitty' durch die Glasscheibe zu brüllen, wenn sie das arme Tier besucht?« Wir schauen uns in die Augen, Heringe in den Händen, Heulerflossen auf den Schenkeln, und prusten los. Und obwohl mein Leben zurzeit alles andere als lustig ist, fühlt es sich richtig gut an, mal wieder mit Rieke zu lachen. Zumindest für ein paar Sekunden. Bis mir durch den Kopf schießt, dass ich lache, während meine Mutter vielleicht gerade zusammengeschlagen wird. Oder sich anblaffen lassen muss. Oder Hunger hat, zwischendurch aber nichts zu essen bekommt. Oder was immer man eben zu ertragen hat, wenn man neu in der Hölle ist und auf der untersten Stufe der Hierarchieleiter steht. Mein Lachen bricht ab, meine Stimmung kippt. Vor meinem inneren Auge sehe ich meine Mutter, hilflos, gequält, und das imaginierte Bild brennt sich in meine Seele. Doch ich will nicht daran denken, will mir das nicht ausmalen, nicht schon wieder! Es reicht, dass ich jede Nacht von ihr träume. Ich will das nicht in meinem Tag haben! Ich will das nicht. Ich will das nicht. Ichwilldasnichtichwilldasnichtichwilldas … »Svea, alles in Ordnung?«, fragt Rieke besorgt. Ihre Stimme lässt die Wortschleife in meinem Kopf zerstieben, das Bild verblassen, und ich plumpse zurück auf den Betonboden der Seehundstation, schaue verwirrt in Riekes Augen. Die eben noch fröhliche Miene meiner Freundin ist ernst, und ich frage mich unwillkürlich, ob sie Gedanken lesen kann. Aber wahrscheinlich braucht sie das gar nicht - um ein Mädchen, das eben noch albern gelacht hat und zehn Sekunden später verzweifelt Löcher in die Luft starrt, würde sich wohl jeder Sorgen machen. Okay. Zeit, es zuzugeben: Seit Mama weg ist, bin ich seltsam geworden. Ich merke selbst, dass ich eigenbrötlerisch wirke, verschlossen, verstört. Zudem leide ich unter extremen Stimmungsschwankungen. Gar nicht gut. Bis vor ein paar Wochen war das noch anders, ich war ausgeglichen und meistens gut gelaunt. Jetzt aber bin ich schlimmer als eine von Hormonen überflutete Schwangere. Das muss ich unbedingt in den Griff bekommen, und zwar schnell. Denn es darf ja niemand etwas ahnen von der Veränderung in meinem Leben. Und verdammt, sage ich mir zähneknirschend, ich werde es in den Griff bekommen! Schwanger bin ich schließlich nicht, und so habe ich auch keinen legitimen Grund, mich dem Auf und Ab meiner Gefühle hinzugeben. Genau genommen ist das Problem, das dieses Auf und Ab verursacht, ja noch nicht einmal mein eigenes! Sondern das meiner Mutter. Ich selbst kriege nur die schmutzigen Ausläufer ab. Ich straffe die Schultern. »Geht schon wieder«, sage ich zu Rieke und versuche mich an einem Lächeln. »Ich habe nur gerade … daran gedacht.« Rieke greift zu mir herüber und legt mitfühlend die Hand auf meinen Arm. Sie sagt nichts, aber das muss sie auch gar nicht. Es reicht, dass ich mich vor ihr nicht verstellen muss. Rieke ist nämlich nicht nur meine beste Freundin, sie ist auch die Einzige, der ich es erzählt habe. Alles. Obwohl mein Vater mich umbringen würde, wenn er davon wüsste. Obwohl ich mich dafür gehasst habe, mein Versprechen durch meine stockende Beichte gebrochen zu haben. Denn natürlich wäre es sicherer, so viel sicherer, wenn ich niemanden in mein neues Schneckenhaus hereinlassen würde. Niemanden, ohne Ausnahme, auch Rieke nicht. Doch offensichtlich bin ich unfähig, den Mund zu halten, und zu haltlos,...