E-Book, Deutsch, Band 4, 439 Seiten
Reihe: Cato Isaksen
Lindell Nachtschwester
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98952-836-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Norwegen-Krimi | Cato Isaksen 4
E-Book, Deutsch, Band 4, 439 Seiten
Reihe: Cato Isaksen
ISBN: 978-3-98952-836-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Unni Lindell, geboren in Oslo, gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen Norwegens. Ihre spannenden und abgründigen Kriminalromane sind mehrfach preisgekrönt und begeistern weltweit die LeserInnen. Die Autorin auf Instagram: unni_lindell_author/ Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Cato-Isaksen-Reihe, die bei SAGA Egmont auch als Hörbuch erhältlich ist, sowie ihre Reihe um die norwegische Polizistin Snø, die bei SAGA-Egmont als Hörbuch- und Printausgabe erscheint.
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Kapitel 1
Er war eben erst eingeschlafen, als er vom Telefon geweckt wurde. Hauptkommissar Cato Isaksen fuhr hoch. Als Erstes fiel ihm auf, dass er vergessen hatte, die Nachttischlampe auszuknipsen. Die Kriminalzeitschrift war neben das Bett geglitten und hatte sich bei einem Artikel aufgeschlagen, in dem es um ihn selbst ging.
Er griff zum Handy, drückte auf Antworten und räusperte sich zweimal, ehe er etwas sagte. Am anderen Ende der Leitung hörte er Roger Høibakk, mit dem er nun schon seit Jahren zusammen arbeitete.
»Ältere Frau in Ullevål Hageby erschossen«, sagte Roger kurz. »Du hast doch wohl noch nicht geschlafen?«
Cato Isaksen warf einen Blick auf den Wecker. Der zeigte 23.16 Uhr. Es war noch immer Mittwoch, der 7. März.
»Nein«, sagte er kurz und fuhr sich über die Augen. Dieses eine Mal war er früh zu Bett gegangen. Bente hatte Nachtdienst im Pflegeheim. Die Geräusche von unten verrieten ihm, dass sein Sohn Vetle noch immer vor dem Fernseher saß.
Roger Høibakk wusste nicht viel über diesen neuen Todesfall.
»Die Meldung ist eben erst eingelaufen«, sagte er. »Wir sind unterwegs zum Tatort. Wann kannst du da sein?«
»In fünfundzwanzig Minuten«, sagte Cato Isaksen. Er schlug die Decke zur Seite und setzte sich auf. Sein Blick fiel auf den roten Kater, der sich im Bett ausgestreckt hatte und sich jetzt am Fußende zusammenrollte.
Cato Isaksen hatte die Vorhänge nicht geschlossen. In der Fensterscheibe sah er sein weißes, scharf geschnittenes Gesicht. Er sah einen müden Siebenundvierzigjährigen mit schütteren blonden Haaren. Seine Augen im Glasbild glichen schwarzen Löchern. Nach einem Herbst mit fast nur Regen, auf den ein kalter, schneereicher Winter gefolgt war, blieb ihm nicht mehr viel Energie. Er rief seinem Sohn gereizt zu, er solle machen, dass er ins Bett komme.
»Du musst morgen in die Schule.«
Er zog sich an und begegnete seinem Sohn mitten auf der Treppe.
»Ich hab es so satt, dass du nicht selber auf die Uhr schaust«, sagte er wütend. Der Sohn zuckte gleichgültig mit den Schultern.
Cato Isaksen schnappte sich seine Wagenschlüssel. Dann lief er rasch in die Küche und trank einige große Schlucke Leitungswasser, ehe er in die kühle Nachtluft hinaustrat.
Auf dem Weg zum Auto, das am Ende der Garagenanlage stand, drehte er sich kurz um und warf einen Blick auf die dicht an dicht liegenden Reihenhäuser. Eigentlich wäre er gern umgezogen, hätte sich ein Einfamilienhaus zugelegt. Aber dazu war es jetzt vielleicht schon zu spät, die Söhne waren schließlich schon siebzehn und zwanzig Jahre alt. Der Jüngste, Georg, war die meiste Zeit bei seiner Mutter. Cato Isaksen zog seine Jacke fester zu. Die Märzluft brachte einen eisigen Hauch mit. Er fror durch den Jackenstoff. Der Frühling hatte es in diesem Jahr wirklich nicht eilig.
Ullevål Hageby war bekannt wegen seiner englischen Steinhäuser mit alten Dachziegeln und kleinen Gartenparzellen. Es war ein ganz besonderer Baustil, und in den letzten Jahren war die Gegend sehr beliebt und sehr teuer geworden.
Als Cato Isaksen in die John-Colletts-Allee abbog, sah er schon aus der Ferne das Blinklicht der Streifenwagen und die Menge der Neugierigen.
Der Kommissar hielt halbwegs auf dem Bürgersteig. Er schaute sich um und ging dann auf seine fröstelnden Kollegen zu. In den kleinen Steinhäusern brannte hinter vielen Fenstern Licht.
Eine Schar von zehn bis fünfzehn Neugierigen stand hinter der Polizeiabsperrung und unterhielt sich leise miteinander. Ihre weißen Gesichter leuchteten im Schein der Lampen, die die Polizei aufgestellt hatte. Die roten und weißen Bänder schwangen im Wind langsam hin und her. Die Zuschauer musterten die Polizei und den Arzt, der zum Tatort gerufen worden war. Die gesamte Maschinerie war bereits in Gang gesetzt. Uniformierte Kollegen vom Ordnungsamt sprachen mit den Anwesenden und notierten alles, was vielleicht wichtig sein könnte. Danach baten sie die Leute, sich zurückzuziehen.
Cato Isaksen begrüßte kurz die Kollegen von der Technik. Er hielt Ausschau nach Ellen Grue, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Die Polizei notierte die Nummern der in der Straße abgestellten Wagen und fotografierte die Umgebung.
Das Opfer, eine alte Dame, lag auf der Seite. Ein Arm war auf seltsame Weise nach hinten gebogen, so, als sei er aus Gummi. Ihre Augen waren geschlossen. Die grauen Haare waren nach vorn gerutscht und bedeckten große Teile ihres Gesichts. Cato Isaksen betrachtete den Mund mit den verkniffenen, bleichen Lippen. Der helle Frühlingsmantel wies auf dem Rücken einen großen dunklen Blutfleck auf. Das Blut war weitergeströmt und bildete jetzt auf dem Asphalt eine kleine Lache. Die Frau hatte beim Fallen einen soliden Laufschuh verloren. Dem Fahnder fiel auf, dass ihre dicken braunen Strümpfe an der Ferse gestopft waren. Noch immer durchfuhr es ihn eiskalt beim Anblick des Todes. Er konnte sich auch noch Jahre später an einzelne ausdruckslose Totenmasken aus zurückliegenden Fällen erinnern. Er blieb stehen und musterte den Leichnam. Eine armselige alte Frau. Ihre Tasche lag einen Meter von ihr entfernt. Sie war nicht geöffnet.
Roger Høibakk kam zu ihm herüber. Er nickte kurz.
»Jetzt geht das wieder los«, sagte er.
Cato Isaksen nickte ebenfalls.
»Wer ist sie?«
»Brenda Elise Moen, fünfundsiebzig. Sie hat gleich hier in der Straße gewohnt, in Nummer 51.«
Roger Høibakk zog seine Handschuhe besser zurecht. Er reichte Cato Isaksen einen Bibliotheksausweis.
»Ihre Tasche kommt mir ganz unberührt vor. Das hier hab ich aus ihrer Brieftasche gefischt.«
Cato Isaksen nahm den Ausweis entgegen, sah ihn aber nicht an.
»Das war jedenfalls kein Handtaschenräuber.« Roger Høibakk nickte zu der schwarzen Tasche hinüber.
Cato Isaksen dachte, das wäre ja wohl übertrieben gewesen, eine alte Dame zu erschießen, nur um ihre Brieftasche zu stehlen. Aber geschossen wurde in dieser Stadt nun wirklich oft genug. In der Regel waren es Banden aus den verschiedenen Zuwandererszenen, die aneinander gerieten. Auch Drogensüchtige, Türsteher und Frauen mit eifersüchtigem Ehemann oder Liebhaber standen ganz oben auf der Liste der Opfer solcher Schießereien. Aber nicht alte Damen mit soliden Schuhen und gestopften Strümpfen.
Etwas an der Ermordeten kam ihm komisch vor. Wie sie so da lag, hilflos, auf dem Boden, mit den verschlissenen Strümpfen und den abgenutzten Schuhen, mit ihrem Frühjahrsmantel, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Etwas an ihr kam ihm erbärmlich vor. Und etwas stimmte nicht an der ganzen Situation.
Die nächststehende Laterne schien durch einen Baum mit kahlen Zweigen. Eine Reihe von Mülltonnen wurde gewissenhaft von zwei Polizisten untersucht. Die Hundestreife war ebenfalls am Werk. Ein Schäferhund und ein Labrador bellten kurz und ungeduldig und zerrten an ihren Leinen. Drei Streifenwagen waren im Einsatz und deren Besatzungen sahen sich die nächste Umgebung an. Vor allem hielten sie Ausschau nach einigen jungen Skatern, die ungefähr zur Mordzeit in der Gegend gesehen worden waren.
Ein Streifenwagen polterte in hohem Tempo über ein Geschwindigkeitshindernis und hielt hinter den Zuschauern. Ellen Grue von der Technik, gekleidet in Jeans und schwarze Lederjacke, und eine Kollegin stiegen aus. Der beißende Wind packte Ellens kurzen dunklen Schopf. Sie sah sich um, ehe sie auf die Straße trat und unter der Absperrung hindurch schlüpfte. Cato Isaksen ließ die kleine schlanke Frau nicht aus den Augen.
Angeblich hatte Ellen Grue sich mit einen Anwalt zusammengetan. Einem bekannten. Er war fast sechzig. Ein eleganter Mann, mit großer Wohnung, gleich mehreren Ferienhäusern und viel Geld. Aber alt, dachte Cato Isaksen. Ihm war die Sache überaus unangenehm. Ellen war eine pflegeleichte Geliebte gewesen, pflegeleicht und doch schwierig. Sie verstanden einander. Hinterher gab es niemals irgendwelche Scherereien. Einmal hatte Ellen gesagt, sie habe das Gefühl ihn auszunutzen, nicht umgekehrt. Er hatte es fantastisch gefunden, das von einer Frau zu hören. Aber eben weil die Beziehung so leicht gewesen war, war er sich auch einige Male wie ein Betrüger vorgekommen. Ellen nervte nicht, hatte ihn vielleicht durchschaut. Oder sie brauchte ihn nicht zu durchschauen, weil sie ihn verstand. Aber jetzt verletzte es ihn doch, dass die Sache für sie nicht wichtiger gewesen war.
Sie nickte ihm kurz zu, streifte ihren Papieranzug über und zog ein Paar Plastiksocken aus einer Tasche.
»Zieh du auch welche an«, rief sie und warf ihm zwei blaue Socken zu. Dann zog sie sich eine hellgrüne Haube über die Haare.
Cato Isaksen streifte die Plastiksocken über seine dicken Schuhe und rieb sich kurz das Gesicht. Plötzlich fühlte er sich ausgesprochen munter.
Ein Journalist war dazu gekommen und rief Cato Isaksen etwas zu. Das Blitzlicht zerfetzte den dunklen Frühlingsabend mit seinem harten weißen Flackern. Der Kommissar fuhr gereizt herum und wollte ihn vertreiben.
»Sie wissen doch, dass wir nichts sagen dürfen, so lange die Angehörigen nicht informiert sind«, sagte er.
Das junge Paar, das im nächststehenden Haus wohnte, saß in einem Streifenwagen und machte seine Aussage. Offenbar hatten die beiden etwas gesehen. Sie hatten den Mord bei der Polizei gemeldet und von den jungen Skatern erzählt, die kurz vorher vorbeigefahren waren.
Roger Høibakk...




