Lindenberg / Kewitz / Lardinoix | Internet- und Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 98 Seiten

Lindenberg / Kewitz / Lardinoix Internet- und Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-17-040360-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 98 Seiten

ISBN: 978-3-17-040360-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Internet- und Computerspielsucht äußert sich durch Kontrollverlust, Priorisierung des Suchtverhaltens, Fortsetzen trotz negativer Konsequenzen sowie signifikanten Leidensdruck. Typische Konsequenzen bei Kindern und Jugendlichen sind bspw. Beeinträchtigungen von familiären und Peerbeziehungen, Schulversagen und gesundheitliche Probleme. Das Buch bietet einen Überblick zu den Entstehungs- und Aufrechterhaltungsmechanismen, zur Epidemiologie, Diagnostik, evidenzbasierten Psychotherapie und Prävention.

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2 Epidemiologie, Verlauf und Folgen
Nachdem das Erscheinungsbild der Internet- und Computerspielsucht im ersten Kapitel beschrieben wurde, widmet sich das zweite Kapitel der Frage, wie viele Kinder und Jugendliche von dieser neuen Störung betroffen sind und mit wie vielen Patient*innen praktisch tätige Psychotherapeut*innen im Alltag zu rechnen haben. Darüber hinaus wird die Frage nach der Stabilität der Symptomatik aufgegriffen und es wird diskutiert, ob eine Behandlung notwendig ist, oder ob sich die Störung einfach »auswachsen« kann. Der 13-jährige Marlon wird in einer psychotherapeutischen Ambulanz vorstellig. Er besucht die siebte Klasse eines Gymnasiums und lebt gemeinsam mit seinen Eltern und seinem 5 Jahre alten Bruder. Vorstellig wird er aufgrund von Lernschwierigkeiten und problematischem Computerspielkonsum: Seine Noten seien in letzter Zeit schlechter geworden, woraufhin die Versetzung in die achte Klasse nur knapp erfolgt sei. Außerdem gebe es viele Konflikte zwischen ihm und seinen Eltern bezüglich der Handy- und Spielekonsolennutzung. Die Eltern beschreiben Marlon als »spielsüchtig«: Digitale Spiele seien das Einzige, für das er sich wirklich motivieren und begeistern könne. Dabei sei er bisher sozial gut integriert und sei auch anderen Interessen (Fußball & Lesen) nachgegangen. Im Moment spiele er am Tag bis zu drei Stunden Computerspiele. Die Dauer würde er selbst auf 6?–?8 Stunden pro Tag steigern, wenn die Eltern nicht so strikt wären. Doch auch so verschaffe sich Marlon immer wieder Zugang zu den verschlossenen Geräten, lasse Mahlzeiten zugunsten des Computerspielens ausfallen und führe den Computerspielkonsum fort, trotz der daraus resultierenden familiären Konflikte. Davon abgesehen liege Marlon mittlerweile viel im Bett, gehe nicht raus und lebe insbesondere seit des pandemiebedingten Lockdowns sehr zurückgezogen. Darüber hinaus berichtet Marlon, dass er regelmäßig sehr spät einschlafe. Nach Durchführung eines diagnostischen Interviews zeigt sich, dass Marlon fünf von neun Diagnosekriterien für eine Computerspielstörung laut DSM-5 erfüllt: gedankliche Vereinnahmung, Toleranzentwicklung, Kontrollverlust, Fortsetzung trotz negativer Konsequenzen sowie Gefährdung oder Verlust wichtiger Beziehungen, der Arbeitsstelle oder Ausbildungs-/Karrieremöglichkeiten aufgrund des Computerspielens. Davon abgesehen liegt bei Marlon eine leichte depressive Episode vor. Um die Computerspielstörung zu behandeln und nicht zuletzt, um die negativen Folgen (Interessensverlust, familiäre Konflikte, Leistungsabfall) zu verringern, wird Marlon in der Ambulanz kognitiv-verhaltenstherapeutisch behandelt. Der Behandlungsplan für Marlon beinhaltet zunächst folgende Punkte: 1) Motivationsaufbau, 2) Psychoedukation (Teufelskreislauf Gaming/Internetnutzung, Depression allgemein, Prokrastination), 3) Ressourcenaktivierung sowie Führen eines Stimmungs-/Aktivitätentagebuchs. Dies soll Marlon dabei helfen, in Zukunft mehr Motivation für die Schule aufbringen zu können, weniger Konflikte mit den Eltern zu haben und weniger Rückzug und Müdigkeit zu zeigen und nicht zuletzt, seinen (Drang zum) Computerspielkonsum zu reduzieren. Lernziele · Sie kennen aktuelle Prävalenzschätzungen von Internet- und Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. · Sie wissen, wie viele von Internet- und Computerspielsucht betroffene Jugendliche laut aktuellen Schätzungen auch noch ein Jahr später von Internet- und Computerspielsucht betroffen sind. · Sie wissen, mit welchen Folgen Internet- und Computerspielsucht assoziiert ist, wenn die Sucht unbehandelt bleibt. 2.1 Epidemiologie der Internet- und Computerspielsucht
Viele Studien sind der Frage nachgegangen, wie viele Personen von einer Internet- und Computerspielsucht betroffen sind. Wie in ? Kap. 1 beschrieben, beziehen wir uns mit dem Sammelbegriff der Internet- und Computerspielsucht auf die pathologische Nutzung von (1) Computerspielen, (2) Sozialen Netzwerken und (3) Streamingdiensten. 2.1.1 Epidemiologie der verschiedenen Nutzungsformen
Schätzungen aus Metaanalysen mit Studien aus 31 Ländern, die sowohl Erwachsene als auch Jugendliche untersuchten, gehen von einer Prävalenz zwischen 6,0?% und 7,0?% für die Internet- und Computerspielsucht aus (Cheng & Li, 2014; Pan, Chiu & Lin, 2020). Die geschätzte Prävalenz von Internet- und Computerspielsucht bei Jugendlichen in Deutschland liegt aktuell zwischen 3?% und 6?% (Lindenberg et al., 2018; Rumpf et al., 2014; Wartberg et al., 2015; Wartberg, Kriston & Thomasius, 2017). Dabei ist davon auszugehen, dass die Prävalenz höher ist als für die untergeordneten Einzelkonstrukte (Computerspielstörung, Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung und Streaming-Störung). Erste Studien zur klinischen Prävalenz von Internet- und Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen erhoben die Symptome via Selbstbericht (Müller, Ammerschläger, Freisleder, Beutel & Wölfling, 2012; So et al., 2017; So et al., 2019) und teilweise zusätzlich mit klinischen Interviews (Yar, Gündogdu, Tural & Memik, 2019). In diesen klinischen Stichproben von Kindern und Jugendlichen lagen die Prävalenzschätzungen für die Internet- und Computerspielsucht zwischen 11,2?% und 24,1?% (Müller et al., 2012; So et al., 2017; So et al., 2019; Yar et al., 2019). Zur Schätzung der Inzidenz von Internet- und Computerspielsucht gibt es bisher sehr wenige Studien. In einer deutschen Studie wurde eine Zwei-Jahres-Inzidenz von 2,2?% bei Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren, die zu Beginn keine Internetsucht aufwiesen, berichtet (Strittmatter et al., 2016). Computerspielstörung Die Prävalenz einer Computerspielstörung beläuft sich laut einer Metaanalyse bei Jugendlichen auf 4,6?%. Allerdings liegt auch hier eine breite Streuung der einzelnen Prävalenzschätzungen vor. So beliefen sich diese auf Werte zwischen 0,6?% und 19,9?%. Die meisten Studien berichten jedoch geringe Prävalenzschätzungen (6?% und darunter; Fam, 2018). Studienlage In Deutschland ermittelten Rehbein, Kliem, Baier, Mößle und Petry (2015) mithilfe der Computerspielabhängigkeitsskala (CSAS), einem eher konservativen Fragebogen, eine Prävalenz von 1,2?% bei n=11.003 Neuntklässler*innen im Alter von 13 bis 18 Jahren. Wartberg, Kriston und Thomasius (2020) fanden bei n=1.001 Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren eine Prävalenz von 3,5?%, die anhand der Internet Gaming Disorder Scale (IGDS) ermittelt wurde. Die klinische Prävalenz der Computerspielstörung wurde bisher kaum untersucht. In einer deutschen Studie konnte allerdings via Selbstbericht (CSAS) bei n = 177 Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung eine klinische Prävalenzschätzung von 4,0?% ermittelt werden. Im Fremdbericht (Elternurteil) lag die Prävalenz sogar bei 14,0?%. Die wahre Prävalenz wird sich sehr wahrscheinlich auf einen Wert zwischen den beiden Schätzungen belaufen (Kewitz, Vonderlin, Wartberg & Lindenberg, 2021). Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung In der oben genannten Studie von Wartberg et al. (2020) wurde für die Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung eine Prävalenz von 2,6?% ermittelt. Nur ein kleiner Teil der Jugendlichen (0,5?%) wies eine kombinierte Sucht für Computerspiele und soziale Medien auf. Streaming-Störung Zur Prävalenz der Streaming-Störung gibt es noch keine zuverlässigen Schätzungen. Bekannt ist, dass 58?% bis 72?% der US-amerikanischen Erwachsenen angaben, dass sie regelmäßig exzessives Streaming ausüben, in Form von Binge-Watching (mind. zwei bis sechs Episoden einer Fernsehserie am Stück schauen). Exzessive Nutzung kann dabei als Risikofaktor für eine Streaming-Störung verstanden werden. Beim Binge-Watching zeigen sich bisher keine Geschlechtsunterschiede in der Häufigkeit des Binge-Watchings, lediglich in den Inhalten der Serien, die geschaut werden (Starosta & Izydorczyk, 2020). Studien für das Kindes- und Jugendalter, insbesondere im Zusammenhang mit suchtartiger Nutzung von Streaming-Diensten, stehen weitgehend aus. 2.1.2 Rolle der Perspektive
Die hier berichteten Prävalenzschätzungen beruhen überwiegend auf Selbstberichtsdaten via Fragebögen. Nur in wenigen Studien wurde auch das Elternurteil erhoben. Es zeigte sich, dass bei nicht-klinischen Stichproben Eltern und Kinder ähnliche Einschätzungen abgeben (Wartberg, Kriston, Bröning, Kegel & Thomasius, 2017). In klinischen Stichproben liegen die Einschätzungen hingegen weit auseinander, wobei Eltern im Fremdbericht deutlich mehr Symptome berichten als Kinder und Jugendliche im Selbstbericht (Kewitz et al., 2021; Szász-Janocha, Vonderlin & Lindenberg, 2020a). Deutlich konservativer...


Prof. Dr. Katajun Lindenberg leitet die Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters sowie die Ambulanz für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sonja Kewitz ist wiss. Mitarbeiterin in der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie Psychologische Psychotherapeutin in Ausbildung. Julia Lardinoix ist ehemalige wiss. Mitarbeiterin in der Abteilung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie der Goethe Universität Frankfurt sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Ausbildung.



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