E-Book, Deutsch, 312 Seiten
Linß Qualitätssicherung - Technische Zuverlässigkeit
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-446-45138-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lehr- und Arbeitsbuch
E-Book, Deutsch, 312 Seiten
ISBN: 978-3-446-45138-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
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Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Gerhard Linß ist emeritierter Professor der Technischen Universität Ilmenau. Er hat an der Mathematisch-Naturwissenschaftlich-Technischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1976 mit Arbeiten zu kostenoptimalen Stichprobenprüfungen promoviert und hat sich 1986 mit Verfahren zur statistischen Qualitätsregelung in der feinmechanisch-optischen Produktion habilitiert. Nach Tätigkeiten im Messwesen im Kombinat Carl Zeiss wechselte er 1983 an die TU Ilmenau und wurde 1994 zum Professor für Qualitätssicherung berufen. Bis 2014 war er dort Leiter des Fachgebiets Qualitätssicherung und industrielle Bildverarbeitung. Bis Dezember 2023 war er außerdem Geschäftsführer der SQB GmbH Ilmenau.
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2 | Begriffe, Definitionen und statistische Grundlagen |
In diesem Kapitel werden zunächst die wichtigsten Begriffe für die technische Zuverlässigkeit eingeführt. Daran schließen sich die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung an.
2.1 | Technische Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit |
Die technische Zuverlässigkeit eines Systems ist eine sehr wichtige Teileigenschaft der Qualität eines Produktes oder Erzeugnisses. Um die technische Zuverlässigkeit eines Produktes während des Kundeneinsatzes sicherstellen zu können, ist es erforderlich, während des gesamten Produktlebenszyklus geeignete Zuverlässigkeitsanalysemethoden anzuwenden [Lin 11].
Die Technische Zuverlässigkeit ist die Beschaffenheit einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, während oder nach vorgegebenen Zeitspannen bei vorgegebenen Anwendungsbedingungen die Zuverlässigkeitsforderung zu erfüllen [Nor 90].
Diese Definition der technischen Zuverlässigkeit kann wie folgt zusammengefasst werden:
„Technische Zuverlässigkeit ist die komplexe Eigenschaft eines technischen Gebildes, die vorgesehene Funktion
-
für eine bestimmte Betriebsdauer
-
bei einem bereits vorhandenen Lebensalter
-
bei festgelegten Betriebs- und Umweltbedingungen
-
unter bestimmten inneren und äußeren Arbeitsbedingungen
-
innerhalb festgelegter Beanspruchungsgrenzen
zu erfüllen“ [Kra 00].
Die Verfügbarkeit ist die Fähigkeit einer Einheit, zu einem gegebenen Zeitpunkt oder während eines gegebenen Zeitraums in einem Zustand zu sein, der eine geforderte Funktion bei gegebenen Bedingungen unter der Annahme erfüllt, dass die erforderlichen äußeren Hilfsmittel bereitgestellt sind [Nor 10]. Der Begriff Nutzungsgrad wird synonym verwendet.
Die Verfügbarkeit V(t) ist die Summe der Betriebszeiten bezogen auf die Summe von Betriebszeiten und Ausfallzeiten:
(2.1) |
Die Zuverlässigkeitsforderung ist die Gesamtheit der betrachteten Einzelforderungen an die Beschaffenheit einer Einheit, die das Verhalten der Einheit während oder nach vorgegebenen Zeitspannen bei vorgegebenen Anwendungsbedingungen betreffen, und zwar in der betrachteten Konkretisierungsstufe der Einzelforderungen.
Anmerkung: Die Zuverlässigkeitsforderung ist Teil der Qualitätsforderung (DIN 55350 Teil 11) und durchläuft im Zuge der Zuverlässigkeitsplanung im Allgemeinen mehrere Konkretisierungsstufen. In verschiedenen Konkretisierungsstufen sind Anteile der festgelegten und der vorausgesetzten Einzelforderungen unterschiedlich [Nor 90].
Zuverlässigkeitskenngröße: Funktion der ermittelten Werte, die eine Eigenschaft der Häufigkeitsverteilung eines Zuverlässigkeitsmerkmals charakterisiert [Nor 90].
2.2 | Ausfall |
Die „Beendigung der Fähigkeit einer Einheit, eine geforderte Funktion zu erfüllen“ entspricht einem Ausfall [VDI 06, Nor 10]. Wenn eine zu Beanspruchungsbeginn als fehlerfrei erkannte Betrachtungseinheit mindestens ein Ausfallkriterium erfüllt, spricht man ebenso von einem Ausfall. Als Sekundärausfall (Folgeausfall) wird der Ausfall einer Betrachtungseinheit, der durch den Ausfall einer anderen Betrachtungseinheit verursacht wird, angesehen. Eine Einteilung der verschiedenen Ausfälle kann nach folgenden Aspekten erfolgen:
-
Aspekte des Beeinträchtigungsumfangs [Nor 90]:
-
Vollausfall/Gesamtausfall: Ausfall betrifft alle Funktionen einer Einheit gleichzeitig
-
Teilausfall: Ausfall betrifft nicht alle Funktionen einer Einheit gleichzeitig
-
-
Aspekte der Änderungsgeschwindigkeit [Nor 90]:
-
Sprungausfall: Ausfall aufgrund einer schnellen Änderung von Merkmalswerten
-
Driftausfall: Ausfall aufgrund einer langsamen Änderung von Merkmalswerten
-
-
Aspekte der Ausfallursache [Nor 90]:
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Entwurfsbedingter Ausfall: Ausfall aufgrund von Entwurfsfehlern
-
Fertigungsbedingter Ausfall: Ausfall aufgrund von Fertigungsfehlern
-
Abnutzungsausfall: Ausfall aufgrund von Abnutzung
-
Intermittierender Ausfall: Ausfall aufgrund von Mechanismen, die zeitweilig zu reversiblen Änderungen von Merkmalswerten führen
-
-
Aspekte der Ausfallfolgen:
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Kritischer Ausfall: System kann nach Ausfall nicht mehr für seinen vorgesehenen Zweck genutzt werden
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Nicht kritischer Ausfall: System kann trotz Ausfall weiter seinen Nutzen erfüllen
-
Man spricht also vom Ausfall einer materiellen Einheit, wenn die Beendigung der Funktionsfähigkeit im Rahmen der zugelassenen Beanspruchung eintritt (Primärausfall). Ein Ausfall führt zum Versagen, sobald die Erfüllung der geforderten Funktion verlangt wird. Insbesondere bei Messgeräten gibt es neben einem Funktionsausfall noch ein weiteres Ausfallkriterium, was durch das Verlassen des zulässigen Toleranzbereiches definiert ist.
Neben dem schon erwähnten Primär- und Sekundärausfall unterscheidet die DIN 25424-1 noch eine dritte Ausfallart [Nor 81]:
-
Primärer Ausfall: Ausfall einer Komponente unter zulässigen Bedingungen, z.?B. Ausfall durch Materialschwäche
-
Sekundärer Ausfall: Folgeausfall durch unzulässige Einsatzbedingungen oder Umgebungsbedingungen, z.?B. Verschmutzung bei offenen Systemen
-
Kommandierter Ausfall: Ausfall einer Komponente durch falsche/fehlende Anregung (Ansteuerung) oder durch Ausfall einer Hilfsquelle, die Komponenten selber sind dabei funktionsfähig
Da die notwendige Reparatur zur Beseitigung der Störung ein nicht geplanter Eingriff ist, kommt es hierbei nicht selten zu hohen Produktions- und Nutzungsausfällen sowie zu hohen Kosten [Kra 00].
Die Lebensdauer ist die Betriebsdauer einer nicht instand zu setzenden Einheit vom Anwendungsbeginn bis zum Zeitpunkt des Versagens [Nor 90].
Die Betriebsdauer ist die Summe der Intervalle der betrachteten Anwendungsdauer, in denen die geforderte Funktion erfüllt wird [Nor 90].
Die Anwendungsdauer ist die Zeitspanne des Einsatzes einer Einheit unter den vorgegebenen Anwendungsbedingungen [Nor 90].
Fällt ein Bauteil während seiner Betriebsdauer aus, so kann dies oftmals viele Ursachen haben (Tabelle 2.1).
Tabelle 2.1 Ausfallmechanismen und Ursachen [DGQ 94]
Ausfallmechanismen | Ausfallursachen | Beispiel |
Alterung | Degradation, Strukturveränderung, ungeeigneter Werkstoff, Fremdstrahlung, aggressive Medien, ungeeignete Lagerung | Versprödung von Werkstoffen, Unwirksamwerden von Schmieröl, Geschmacksbeeinträchtigung bei Lebensmitteln |
Dauerbruch (Sprödbruch bei dynamischer Beanspruchung) | falsche Dimensionierung, Resonanzen, Überbelastung, Unwucht, Kerbwirkung, Korrosion | Achsbruch, Bruch einer Schwingfeder, Flugzeugabsturz |
Gewaltbruch | Überbelastung, Werkstofffehler, Versprödung in der Kälte | Rohrbruch, Zahnbruch bei Schaltgetrieben |
Korrosion | ungeeigneter Korrosionsschutz, falsche Werkstoffpaarung, Fehler bei Montagen, Lagerung oder Transport | Durchrosten der Karosserie, Ausfall elektrischer Kontakte |
Verschleiß | Schmierstoffmangel, unzureichende Kühlung, Schmutz | Kolbenfresser, Lager läuft heiß |
Lösen | unzureichende Konstruktion, falsche Montage | Lösen von Schraub-, Niet-, Steck- oder Lötverbindungen |
Zersetzen | falsche Lagerung, aggressive Medien oder unhygienische Verarbeitung von Lebensmitteln | Unbrauchbarwerden von Kunststoffen, Lebensmitteln oder Medikamenten |
Entmischung | Trennreaktion durch falsche Lagerung | Austrocknen von Farben |
Verformung | Temperaturschwankungen, Werkstofffehler oder Konstruktionsfehler | Verbiegen eines Mastes, Aufwölben eines Rohres, Schrumpfen von Textilien |
Brand, Explosion | Isolationsfehler, Funkenflug, menschliches Versagen | Kabelbrand, offenes Feuer trotz Verbots |
Biologische Schädigung | ungeeignete Lagerung | Verfaulen von... |