E-Book, Deutsch, 580 Seiten
Locke / Franßen Bluebird, Bluebird
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-945133-72-9
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 580 Seiten
ISBN: 978-3-945133-72-9
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Mit einem Abschluss in Princeton und zwei Jahren Jurastudium hätte Darren Mathews leicht einen Platz in der Elite der afroamerikanischen Anwälte einnehmen können. Stattdessen folgte er dem Beispiel seines Onkels, um Texas Ranger zu werden. Auf Drängen eines Freundes im FBI fa?hrt er nach Lark. Was zunächst wie ein doppeltes Hassverbrechen in einer winzigen Stadt in Texas aussieht, entpuppt sich als ein komplizierter Fall. Eines der Opfer ist Michael Wright, ein schwarzer Anwalt aus Chicago. Das andere Opfer Missy Dale, eine unglücklich verheiratete weiße Kellnerin, die zusammen mit Wright eine Redneck-Bar in Lark spät in der Nacht verlassen hat. Beide misshandelten Leichen werden im nahegelegenen Attoyac Bayou gefunden. Matthews, der wegen eines ähnlich gelagerten Falls suspendiert wurde, vermutet eine Verbindung zur gewalttätigen rassistischen Bande der Ayran Brotherhood of Texas, die sich durch Drogenschmuggel bereichert. Er trifft auf einen ihm feindlich eingestellten Sheriff, den rassistischen Ehemann der Toten und die äußerst launische Witwe des toten Anwalts, die extra einfliegt, um herauszufinden, was ihrem Ehemann zugestoßen ist.
Lee Prize for Legal Fiction gewonnen. Ihr erster Roman, 'Black Water Rising', wurde fu?r einen Edgar Award, einen NAACP Image Award sowie einen Los Angeles Times Book Prize nominiert und stand auf der Shortlist fu?r den Women's Prize for Fiction. Ihr zweites Buch, 'The Cutting Season', ist Gewinner des Ernest Gaines Award for Literary Excellence. Winner of the 2018 Edgar Award for Best Novel Winner of the Ian Fleming Steel Dagger 2018. Locke war zuletzt Autorin und Produzentin der Fox-Serie 'Empire'. Sie ist Mitglied des Vorstands der Library Foundation of Los Angeles, stammt aus Houston, Texas, und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Los Angeles, Kalifornien.
Weitere Infos & Material
Texas, 2016
Geneva Sweet zog ein orangefarbenes Verlängerungskabel an Mayva Greenwood, Geliebte Ehefrau und Mutter, Möge sie beim himmlischen Vater in Frieden ruhen, vorbei. Die Vormittagssonne fiel in dünnen Strahlen durch die Bäume und bildete ein gepunktetes Muster auf dem Bett aus Kiefernnadeln zu Genevas Füßen, als sie das Kabel zwischen Mayvas Schwester und ihrem Ehemann Leland, Vater und Bruder in Christus, entlangführte. Sie zog einmal kräftig daran und erklomm den kleinen Hügel, achtete darauf, nicht auf die Gräber zu treten, sondern nur auf den Furchen zwischen den Grabsteinen zu gehen, die wie Zähne eines Bettlers in krummen Winkeln zueinander standen. Sie hatte eine Papiertüte von Brookshire Brothers in Timpson dabei, gemeinsam mit einem kleinen Radio, aus dessen Lautsprecher Muddy Waters dudelte, und zwar eines von Joes Lieblingsstücken – Have you ever been walking, walking down that ol’ lonesome road. Als sie den letzten Ruheplatz von Joe »Petey Pie« Sweet erreichte, Ehemann und Vater und, vergib ihm, Herr, ein Teufel auf der Gitarre, stellte sie das Radio vorsichtig auf den polierten Granitstein und klemmte das Stromkabel an seinen verborgenen Platz hinter dem Grabstein. Der Stein daneben war von identischer Form und Größe. Er gehörte noch einem Joe Sweet, vierzig Jahre jünger, aber genauso tot. Geneva öffnete die Einkaufstüte und holte einen mit Alufolie bedeckten Pappteller heraus, eine Opfergabe für ihren einzigen Sohn. Zwei handgemachte Teigtaschen, perfekt geformte, in Fett ausgebackene Halbmonde, gefüllt mit braunem Zucker und Obst – Genevas Spezialität und Lil’ Joes Lieblingsspeise. Sie konnte die Wärme durch den Tellerboden spüren, und der buttrige Duft überlagerte den intensiven Kieferngeruch in der Luft. Sie legte den Teller mittig auf den Grabstein und beugte sich hinunter, um heruntergefallene Nadeln von den Gräbern zu wischen, wobei sie, sich ihrer arthritischen Knie stets bewusst, eine Hand auf die Granitplatte stützte. Unten donnerte ein Sattelzug über den Highway 59 und schickte einen Schwall heißer, benzingeschwängerter Luft zwischen den Bäumen empor. Für Oktober war es einer der wärmeren Tage, doch das waren sie heutzutage alle. Knapp sechsundzwanzig Grad, und sie fand, dass es an der Zeit war, die Weihnachtsdekoration aus dem Trailer hinter ihrem Laden zu holen. Klimawandel nennen sie das. Wenn das so weitergeht, lebe ich wahrscheinlich noch lange genug, um die Hölle auf Erden mitzuerleben. Das alles erzählte sie den beiden Männern in ihrem Leben. Erzählte ihnen von dem neuen Stoffladen in Timpson. Dass Faith ihr wegen eines Autos in den Ohren lag. Von dem hässlichen Gelbton, in dem Wally sein Eishaus gestrichen hatte. Sieht aus, als hätte jemand einen großen Batzen Schleim abgehustet und an die Wände der Kneipe geworfen. Allerdings erwähnte sie nicht die Morde oder den Ärger, der sich im Ort zusammenbraute. Diesen kleinen Frieden ließ sie ihnen. Sie küsste ihre Fingerspitzen und berührte damit zuerst den einen und dann den anderen Grabstein. Beim Grab ihres Sohnes verweilte sie einen Moment und stieß einen müden Seufzer aus. Der Tod hatte anscheinend vor, sie ihren Lebtag nicht in Ruhe zu lassen. Er war wie ein heimlicher Schatten in ihrem Rücken, so zielgerichtet wie ein Hund auf der Jagd – und genauso treu. Hinter sich hörte sie Kiefernnadeln knirschen und Blätter rascheln, die von den Pappeln geweht worden waren, und als sie sich umdrehte, stand Mitty vor ihr, der inoffizielle schwarze Friedhofswärter. »Es gibt Batterien für die Dinger«, sagte er und nickte zu dem kleinen Radio hin, während er sich auf den Betongrabstein von Beth Anne Solomon, Viel zu früh von uns gegangene Tochter und Schwester, stützte. »Schick mir die Stromrechnung, sobald du sie kriegst«, sagte Geneva. Mitty war älter als Geneva, an die achtzig schätzungsweise. Er war ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit Beinen so dürr wie Zweige und aschfahl. Er verbrachte die Nachmittage in der kleinen Hütte auf dem Grundstück und vertrieb streunende Hunde und Gesindel. An fünf Tagen der Woche war er mit einem Motorsportmagazin und einem Zigarrenstumpen hier draußen, wachte über die versammelten Toten und hatte ein Auge auf sein zukünftiges Zuhause. Er tolerierte Genevas spezielle Art, sich um ihre Verstorbenen zu kümmern – die Steppdecken im Winter, die Lichterketten an Weihnachten, das Gebäck und das fortwährende Bluesgedudel. Er beäugte den Teller und hob mit einem Finger die Folie an, um besser sehen zu können. »Sie verpetzen dich«, sagte Geneva, »und dein Name steht auch nicht drauf.« Der Weg den Hügel hinunter war für ihre Knie jedes Mal eine größere Tortur als der hinauf, und auch heute war es nicht anders. Sie zitterte vor Schmerzen, als sie zu ihrem Wagen ging und dabei die Strickjacke ihres Mannes auszog, eine der letzten in ausreichend gutem Zustand, um sie täglich zu tragen. Ihr 98er Grand Am stand auf einem Gelände aus Grasflecken und roter Erde am Rand des vierspurigen Highways. Sie hatte noch nicht einmal die Schlüssel aus ihrer Handtasche genommen, als sie Mitty eine der Teigtaschen essen sah. Geneva rollte mit den Augen. Der Mann hatte nicht einmal den Anstand, wenigstens so lange zu warten, bis sie weggefahren war. Sie stieg in ihren Pontiac und rumpelte langsam von dem provisorischen Parkplatz, wobei sie nach Sattelschleppern und zu schnell fahrenden Wagen Ausschau hielt, bevor sie auf den Highway 59 abbog und Richtung Lark fuhr. Sie tuckerte die Dreiviertelmeile bis zu ihrem Laden in aller Stille, während sie in Gedanken eine Bestandsaufnahme machte. Sie hatte nur noch zwei Halbliterdosen Fruchtcocktail, acht Salatköpfe, Sirup für den Getränkeautomaten, Dr Pepper, von dem sie nie ausreichend Vorrat hatte, außerdem ein oder zwei Flaschen Ezra Brooks Whiskey, den sie für ihre Stammgäste unter der Kasse aufbewahrte. Sie fragte sich, ob der Sheriff wohl schon da war, ob sich dieses Mädchen, das einsam in ihrem Hinterhof gelegen hatte, noch immer dort befand. Sie war ein wenig besorgt darüber, wie sich das auf ihr Geschäft auswirken würde, doch hauptsächlich versuchte sie zu verstehen, was in Gottes Namen mit dem kleinen Ort passierte, in dem sie die ganzen neunundsechzig Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Zwei Leichen in einer Woche. Was zum Teufel war nur los? Vor Geneva Sweet’s Sweet, einem niedrigen Flachbau, der rotweiß gestrichen war, fuhr sie vom Highway runter. Das Café hatte geraffte Vorhänge in den Fenstern und ein Schild an der Ladenfront mit einem beleuchteten Pfeil, der auf die Eingangstür zeigte. Schwarzrot gestreifte Buchstaben verkündeten BBQ PORK SANDWICH $4.99 und DIE BESTEN TEIGTASCHEN IN SHELBY COUNTY. Sie parkte auf dem gewohnten Platz, den ausgefahrenen Reifenspuren von der Breite eines Pontiacs, neben dem Café, zwischen der Holzwand des Gebäudes und dem Unkraut auf dem öffentlichen Parkplatz auf der anderen Seite. Sie war seit Jahrzehnten an diesem Ort, seit damals, als er nur Geneva’s geheißen hatte und eine von Hand errichtete Bretterbude war, die aus einem einzigen Raum bestanden hatte. Die asphaltierten Parkplätze neben der Zapfsäule waren für Gäste. Und für Wendy natürlich, mit der Geneva gelegentlich Geschäfte machte. Ihr alter grüner Mercury parkte direkt vor dem Eingang. Der rostige, zwanzig Jahre alte Wagen sah aus wie eine Piñata, auf die man zu lange eingeschlagen hatte, und er war vollgestopft mit gebrauchten Nummernschildern, Eisenpfannen, zwei Perückenständern, alten Klamotten und einem kleinen Fernseher, dessen Antenne aus dem hinteren linken Fenster ragte. Die winzige Messingglocke an der Cafétür bimmelte leise, als Geneva eintrat. Zwei ihrer Stammgäste blickten von ihren Plätzen am Tresen auf: Huxley, ein Rentner aus dem Ort, und Tim, ein Fernfahrer, der Woche für Woche die Strecke Houston-Chicago zurücklegte. »Der Sheriff ist da«, sagte Huxley, als Geneva hinter ihm vorbeiging. Am Ende des Tresens öffnete sie die Klappe, die zu ihrer »Zentrale« führte, dem Bereich zwischen Küche und Gästen. »Ist vor dreißig Minuten aufgekreuzt «, sagte er, und sowohl er als auch Tim machten lange Hälse, um ihre Reaktion zu sehen. »Muss den ganzen Weg hundertvierzig Sachen draufgehabt haben«, bemerkte Tim. Geneva presste die Lippen aufeinander und schluckte ihre Wut hinunter. Vom Haken neben der Tür, die zur Küche führte, nahm sie eine Schürze. Sie war alt und verwaschen, mit zwei ausgeblichenen Rosen auf den Taschen. »Bei andern hat’s n’ ganzen Tag gedauert – das hast du doch gesagt, oder?« Tim hatte sein Schinkensandwich zur Hälfte gegessen und redete mit vollem Mund. Er schluckte und spülte mit einem Schluck Cola nach. »Van Horn hat sich alle Zeit der Welt gelassen.« »Der Sheriff?«, fragte Wendy von ihrem Hocker am...