E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Edition Totengräber
Loha Baking Bad – In roten Pfützen spielt man nicht
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95996-062-5
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Edition Totengräber
ISBN: 978-3-95996-062-5
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Marien Loha wurde gar nicht so lang vor dem Mauerfall in Berlin geboren. Mit zarten sechs Jahren begann ein straffer Lebenslauf, der stark nach einem weiteren, emsigen Hamster im Laufrad aussieht: Schule bis zur zehnten Klasse, Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration, anschließend Arbeit als IT-Systemadministrator, heute selbstständig. Doch das augenscheinlich (system)treudoofe Pelztierchen wurde dankenswerterweise schon immer zum eigenständigen Denken erzogen. Das Hamsterrad kann er wie die meisten zwar nicht verlassen, dreht es aber nur so wenig wie möglich und so schnell wie nötig. Künstlerisch wurde es trotzdem erst recht spät: ab Frühjahr 2011 einen Roman, Kurzgeschichten, Poesie. Zudem wagte er den Tritt auf die Bühnen der Welt (also Berlins), anfänglich durch häufigere Ausnutzung der erfrischend offenen PoetrySlam-Szene, später in der etwas geschlosseneren Lesebühnenszene. Inzwischen ist Marien Loha festes Lesebühnenmitglied bei OWUL.
Autoren/Hrsg.
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Die Beine angezogen, der Oberkörper gekrümmt, den Kopf in einem unmenschlichen Winkel auf die rechte Brust gedrückt. Seine Brustwarze könnte fast in seine Wange stechen. Aber das Hemd hat er ja noch an, im Gegensatz zu seiner Hose. Die Wirbel am Nacken treten stark hervor, als wollten sie die blasse Haut durchstoßen. Bei dem Anblick meint man fast, ein lautes Knacken zu hören. Eines von diesen Geräuschen, die so ein unangenehmes Kribbeln den Rücken rauf und runter wandern lassen. Die fettigen Haare kleben an seinem feisten Kopf. Mit dem Rücken liegt er auf einem Verbandskasten. Eine dreckverkrustete rostige Bohrmaschine liegt in seinem Schritt
Unglückshose & Kaugummis
(Eddy) Ich renne, was das Zeug hält. Na ja … besser gesagt renne ich, wie der, der die Hose hält. Genau genommen hab ich sie sogar an. Sitzt super! Wie maßgeschneidert. Nicht zu eng im Schritt, nicht zu lang an den Beinen und auch am Bund genau richtig. Sie scheuert auch kein bisschen beim Rennen.
Plötzlich springt mir ein kleiner Körper auf den Rücken. Zwei Arme kreuzen sich vor meinem Hals, sie würgen und ziehen mich nach hinten. Gleichzeitig spüre ich, wie zwei Beine meinen Bauch umschlingen, etwas trifft mich empfindlich in die Weichteile.
Wie unfair! So ein unfreiwilliger Huckepacklauf während einer Flucht ist nicht gerecht! Ähh … o.k. … ich tu jetzt einfach mal so, als wenn nix wär, und renne weiter. Aber irgendwie wollen meine Beine nicht so recht mitmachen. Verdammt, ich werde langsamer! Weiter, weiter, weiter! Ein Schritt vor den andern. Und noch einen.
Ich knicke mit dem linken Fuß um und breche zusammen. Das Pack springt von meiner Hucke. Huckepacklauf beendet. Meine Flucht damit leider auch.
Der dreckige Asphalt ist das Letzte, was ich sehe. Ich spüre genau, wie sich kleine Steinchen und vermutlich auch ein paar Glassplitter in meine Wange drücken.
„Ohh Mann … wenigstens bin ich nicht mit der Nase aufgekommen“, denke ich noch und verliere das Bewusstsein.
Dabei hatte mein Tag so gut begonnen. Ich hab nämlich einen neuen Postboten, bis jetzt ganz sympathisch. Endlich hatte die Post meine zahllosen Briefe erhört! Der alte trachtete mir doch schon seit Jahren nach dem morgendlichen Frieden. Viele Briefe stellte er mir einfach nicht zu, las sie wahrscheinlich noch und verbrannte sie dann lachend in seinem Kamin. Ja! Mit Sicherheit hat er einen Kamin, der hinterhältige Sack, oder mindestens einen von diesen feuerfesten Mülleimern, die so sauschwer zu bekommen sind.
Bei meinem Ex-Schwiegervater dachte ich kurz, er besäße so einen feuerfesten Mülleimer. Jedoch schmolz der metallisch anmutende Eimer gleich beim ersten Versuch, etwas darin zu verbrennen, innerhalb weniger Sekunden in sich zusammen und hinterließ eine qualmende Pfütze auf dem Parkett, die sich als hässlicher Fleck darauf verewigte. Und mir wurde damals natürlich die Schuld daran gegeben. Sogar von Klara. Unverschämtheit! Was kann ich dafür, wenn sich ihr Vater so ein billiges Imitat andrehen lässt? Er brüllte mich sogar an‚ ich sei ein armer Irrer, solle mich bloß von seiner Tochter fernhalten und überhaupt hätte er sofort gewusst, dass ich zu nix tauge! Frechheit!
Dabei bin ich wirklich sehr vorausschauend. Ich hab mir letztens beim Zahnarzt extra so einen kleinen Mundspiegel geklaut. Diesen Spiegel hab ich seitdem immer bei mir, auch wenn ich unterwegs bin. Man kann nie wissen, wann man mal um eine Ecke lunzen muss, um potentielle zwielichtige Gestalten auszumachen oder so. Vor einer Ecke zu wissen, was dahinter auf einen wartet, hat viele Vorteile.
Auf meinem Nachhauseweg hat mir das heute allerdings gar nichts genutzt.
Zwischen meiner Wohnung und meiner Arbeitsstätte liegt ein verlassenes Fabrikgelände. Es ist nicht nur der kürzeste Weg, sondern auch der sicherste. Auch wenn das unglaubwürdig erscheinen mag. Es ist sicher – denn dort sind keine Menschen. Ein Gebäude kann mir nix tun. Auf der Hauptstraße kann ich dagegen nie alle Leute gleichzeitig im Auge behalten, irgendwas entgeht einem da immer.
Als ich vorsichtig um eine der wenigen Ecken guckte, entdeckte ich nur ein Auto, der Platz zwischen den Hallen war menschenleer. Auf dem Fahrersitz schlief ein Mann. Mhm … was genau mich geritten hat, näher ranzugehen, weiß ich auch nicht, Neugier vermutlich.
Ich klopfte vorsichtig an die Scheibe. Keine Reaktion. Seine Hose war offen. Wieso war seine Hose offen? Hatte er sich hier einen runtergeholt und war danach eingeschlafen?
Aber sein Ding war eingepackt und ich konnte nirgendwo ein Taschentuch sehen. Er war sogar noch angeschnallt. Sehr vorbildlich. Safety first! Auch beim Onanieren.
Vorsichtig öffnete ich die Tür. Nichts passierte. Ich stupste ihn an. Er schlief wie ein Stein. Seine Hose sah neu aus … im Gegensatz zu meiner. Ja, vielleicht … Ich stellte mich seitlich neben die offene Fahrertür, ging in die Hocke und tat so, als würde ich auf einem imaginären Sitz neben ihm Platz nehmen.
Ganz schön anstrengend. Meine Oberschenkel begannen, bereits nach ein paar Sekunden zu brennen. Wie halten Frauen das nur aus, wenn sie so auf Klo gehen und die verkeimte Brille nicht berühren wollen? Ich erhob mich wieder und rieb meine Schenkel. Gut, wir hatten ungefähr die gleiche Größe. Sein Oberkörper war zwar viel kräftiger als meiner, aber der Hosenbund saß unterhalb seiner kleinen Wampe. Müsste passen.
Ich schaute mich um. Niemand zu seh’n. Na denn! Vorsichtig zog ich an seiner Hose und hielt immer wieder inne, um zu gucken, ob er nicht doch aufwachte. So wird das nix.
Ich hievte erst das eine, dann das andere Bein aus dem Wagen. Sein Oberkörper rutschte Richtung Beifahrersitz, wurde aber auf halber Strecke abrupt vom Gurt gestoppt. Sah ganz schön unbequem aus, wie er da so hing. Also ich könnte so nicht schlafen.
Seine Schuhe waren im Weg. Wie kann man nur doppelte Knoten in seine Schnürsenkel machen? Nach einigem Knibbeln brach mir auch noch ein Fingernagel ab. Scheiße verdammt!
Ich zog ihm die Schuhe aus. Saßen ganz schön fest. Dass er bei dem Gerüttel nicht wach wurde … der musste voll wie ’n Eimer sein. Ah, geschafft!
Dann die Hose. Sie roch sogar noch neu. Ich zog meine Hose aus und seine an. Passte super. Ich hatte nur noch mein Zeug aus meinen alten Taschen gekramt. Naja, o.k., die Taschentücher und die Kaugummis konnte er haben.
Boah, jetzt ihm die Hose wieder anziehen?! Gar kein Bock drauf. Sollte er sich doch fragen, wie er es im Suff geschafft hatte, seine Hose zu verlieren und eine andere zu besorgen, die er aber dann offenbar nicht mehr anziehen konnte.
Ich richtete ihn wieder etwas in seinem Sitz auf, legte ihm meine alte Hose auf den Schoß und machte die Tür zu. Ich war schon um die Ecke, da blieb ich abrupt stehen und ging noch mal zurück. Die Kaugummis hatten immerhin einen Euro gekostet!
„Ey! Was machst’n du da?!“, brüllte mich jemand von hinten an, als ich grade in meiner alten Hose nach den Kaugummis wühlte. Augenblicklich brach mir der kalte Schweiß aus und ohne mich umzusehen, begann ich zu rennen. Rennen. Weglaufen. Wenn ich etwas konnte, dann das.
Ich sehe Licht. Zwar nur verschwommen, aber immerhin. Wo bin ich? Zwei Schatten schieben sich ins Bild. Ich versuche die Lippen zu öffnen, aber sie sind wie zugeklebt. Oh Mann … was ist passiert?
Der weiche, fremde Stoff, der sich an meine Beine schmiegt, lässt die Erinnerung zurückkehren. Die Hose. Die Kaugummis. Scheiße! Was hat mich nur geritten, mit diesem Mann die Hosen zu tauschen?
Ich blinzele. Aus den Schatten werden zwei völlig identische Gestalten. Ich sehe wohl doppelt. Ich verdrehe die Augen, probiere alles Mögliche, aber die beiden Gestalten bleiben. O.k., dann sieht das die Realität anscheinend wirklich so vor. Zwillinge.
Bin ich in den Siebzigern aufgewacht? Sie haben schwarze, stark lockige Haare, aber kurz, vielleicht Dauerwellen – erinnern mich an Monchhichis, bis auf die buschigen Schnauzbärte. Ihre Gesichter sehen irgendwie seltsam aus. Verhärmt, leicht eingefallen und ihre Köpfe erscheinen zu groß für ihre Körper. Oder liegt das nur an meiner Perspektive?
„Aufgewacht, Schlafmütze!“, näselt der eine Monchhichi mit einer viel zu hohen Stimme und begrüßt mich mit einem werbespotreifen Lächeln.
Ich versuche, mich aufzusetzen. Aus den Zwillingen werden Vierlinge und ich kippe erneut um. In meinem Kopf scheint irgendwas gegen irgendwas Krieg zu führen. Explosionen, Feuer, Lichtblitze, immer wieder Explosionen. Ich weiß zwar nicht, wie sich ein gespaltener Schädel anfühlt, aber so ähnlich stelle ich es mir vor.
„Was ist passiert?“, will ich fragen. Heraus kommt aber mehr so was wie: „Whspse?“
Sie verstehen mich trotzdem. „Du bist auf den Kopf gefallen“, sagt der andere. Seine Stimme ist auch hoch, aber er näselt nicht.
„Und du blutest aus dem Ohr, aber ich glaub, das ist nicht so schlimm“, sagt der mit der näselnden Stimme.
Schön, dass er glaubt, es sei nicht so schlimm, wenn mir mein Gehirn aus den Ohren läuft. Ich probiere noch mal, mich aufzurichten. Klappt ganz gut. Nachdem die Umgebung aufgehört hat, sich zu drehen, stelle ich fest, dass ich im Sitzen den beiden auf den Bauchnabel gucken kann.
„Gott, seid ihr klein!“, rufe ich immer noch nuschelnd aus. Aber immerhin, ich hab meine Stimme wieder.
Dafür fange ich mir einen Tritt in den Bauch von dem einen und eine schallende Ohrfeige...




