E-Book, Deutsch, Band 15, 192 Seiten
Reihe: Manesse Bibliothek
Longos Daphnis und Chloe
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-19367-6
Verlag: Manesse
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Liebesroman
E-Book, Deutsch, Band 15, 192 Seiten
Reihe: Manesse Bibliothek
ISBN: 978-3-641-19367-6
Verlag: Manesse
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der erste erotische Roman der Weltliteratur
Kurt Steinmanns Übersetzungen von Homers «Odyssee» und «Ilias» wurden viel gelobt und ausgezeichnet. Nun zeigt er, dass er auch in Fragen der Liebe den richtigen Ton zu treffen weiß. Diese wurde selten zartfühlender, heiterer und unschuldiger beschrieben als in Longos' «Daphnis und Chloe». Als Findelkinder von zwei Hirtenfamilien aufgenommen, wachsen die beiden titelgebenden Helden in der idyllischen Berglandschaft der Insel Lesbos auf. Spielerisch entdecken sie über Jahre hinweg ihre Körper und ihre Leidenschaft, ehe sich am Ende all ihre Wünsche erfüllen. Longos` zauberhafter Liebesroman ist eines der inspirierendsten Zeugnisse antiker Literatur mit unzähligen Bearbeitungen des Themas durch Kunst, Musik und Literatur.
Der Autor des Romans «Daphnis und Chloe» lebte vermutlich zu Ende des 2., Anfang des 3. Jahrhunderts auf der griechischen Insel Lesbos. Über sein Leben ist nichts bekannt, und selbst die Richtigkeit seines Namens wird immer wieder in Frage gestellt. Sollte der Name «Longos» (lat. «Longus») zutreffen, so war er vermutlich der Sohn freigelassener römischer Sklaven.
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Erstes Buch Es liegt eine Stadt auf Lesbos, Mytilene7, groß und schön. Sie ist nämlich von Kanälen durchschnitten, in die das Meer sanft einströmt, und geschmückt mit Brücken aus poliertem weißem Stein. Fast glaubt man, keine Stadt zu sehen, sondern ein Eiland. Nun lag ungefähr zweihundert Stadien8 von dieser Stadt Mytilene entfernt das Landgut eines reichen Mannes, ein wunderschöner Besitz: das Wild ernährende Berge, Weizen tragende Ebenen, Rebhügel, Weideflächen für Schafe und Ziegen. Und das Meer umspülte den weichen Sand der lang gestreckten Küste. Als auf diesem Grundstück ein Ziegenhirte namens Lamon9 einst seine Herde weidete, fand er einen kleinen Knaben, der von einer seiner Ziegen genährt wurde. Es gab da einen Eichenwald und ein dorniges Dickicht, üppig wuchernden Efeu und weiches Gras, auf dem das Bübchen lag. Dorthin lief die Ziege unablässig, verschwand oft, ließ ihr Zicklein im Stich und verweilte bei dem Kind. Lamon verfolgte dieses Hin-und-her-Rennen aufmerksam und fasste Mitleid mit dem vernachlässigten Zicklein. Und als einmal die Sonne zur Mittagszeit ihre höchste Kraft erreicht hatte, ging er der Spur nach und sah die Ziege über dem Bübchen stehen, die Beine behutsam gespreizt, um es nicht mit ihren Klauen zu zertreten und ihm keinen Schaden zuzufügen. Das Kind aber sog wie aus einer Mutterbrust die zuströmende Milch. Aus gutem Grund verblüfft, trat er nahe heran und fand ein Bübchen, groß und schön, in besseren Windeln, als es das Los eines ausgesetzten Kindes erwarten ließe. Neben ihm lagen nämlich ein purpurgefärbtes Mäntelchen, eine goldene Spange und ein Dolch mit elfenbeinernem Griff. Lamons erster Gedanke war, einzig die Erkennungszeichen10 wegzutragen, ohne sich weiter um das Neugeborene zu kümmern. Dann aber wurde ihm bewusst, wie beschämend es wäre, wenn er weniger Menschlichkeit aufbrächte als eine Ziege, er wartete die Nacht ab und trug alles, die Erkennungszeichen, das Bübchen und die Ziege, zu Myrtale11, seiner Frau. Als diese nun verdutzt fragte, ob Ziegen auch Kinder zur Welt brächten, schilderte er ihr alles: wie er das ausgesetzte Kind gefunden, wie er sein Stillen beobachtet und wie er sich geschämt habe, es dem Tod preiszugeben. Sein Entschluss fand ihren Beifall, und so versteckten sie die Gegenstände, die zusammen mit dem Bübchen ausgesetzt worden waren, nannten ihn ihr Eigen und übertrugen der Ziege, ihn großzuziehen. Damit aber auch der Name des kleinen Buben nach einem Hirten klinge, beschlossen sie, ihn Daphnis12 zu nennen. Schon zwei Jahre waren ins Land gegangen, als ein Schäfer eines angrenzenden Grundstücks, Dryas13 mit Namen, beim Hüten seiner Herde auf ähnliche Fundstücke und einen ähnlichen Anblick stieß. Es gab da eine Nymphengrotte: ein mächtiger Fels, der innen hohl, außen abgerundet war. Die Statuen der Nymphen waren aus Stein gefertigt, ihre Füße unbeschuht, die Arme bis zu den Schultern unverhüllt, die Haare fielen lose in den Nacken, ein Gürtel zog sich um die Hüfte, ein Lächeln umspielte die Augenbrauen. Die ganze Statuengruppe stellte einen Reigentanz dar, und genau in der Mitte des wuchtigen Felsens ging es in die Grotte. Aus einer Quelle sprudelndes Wasser bildete einen dahinfließenden Bach, sodass sich, da viel weiches Gras von dem Nass durchtränkt wurde, vor der Grotte eine saftige Wiese entlangzog. Auch Melkeimer, Querpfeifen, Pan- und Rohrflöten, Weihegeschenke älterer Hirten, hingen in der Grotte. In dieses Nymphenheiligtum lief nun immer wieder ein Schaf, das kürzlich geworfen hatte, und erweckte dabei mehrmals einen verlorenen Eindruck. In der Absicht, es zu züchtigen und zu seinen früheren guten Gewohnheiten zurückzubringen, bog Dryas eine grüne Weidenrute wie zu einer Schlinge und ging zu dem Felsen, um es dort zu fangen. Als er aber hinzutrat, erblickte er nichts von dem, was er erwartet hatte, sondern das Schaf, wie es ganz nach Menschenart seine Zitzen zu reichlichem Aussaugen der Milch darbot, und ein Kind, das ohne zu weinen, gierig abwechselnd bald an der einen, bald an der anderen Zitze seinen Mund ansetzte, der rein und schimmernd war, da das Schaf mit seiner Zunge das Gesicht des Kindes sauber leckte, sobald es sich an der flüssigen Nahrung gesättigt hatte. Das Kind war ein Mädchen, und auch bei ihm lagen Windeln und Erkennungszeichen: ein golddurchwirktes Stirnband, vergoldete Sandalen und goldene Knöchelspangen. Da er glaubte, die Götter hätten bei diesem Fund irgendwie die Hände mit im Spiel, und ihn das Beispiel des Schafes gelehrt hatte, Mitleid mit dem Kindlein und Liebe zu empfinden, hob er das Mädchen auf und hielt es in seiner Armbeuge, verstaute die Erkennungszeichen in seiner Hirtentasche und flehte zu den Nymphen um Segen beim Aufziehen ihres Schützlings. Und als es Zeit war, die Herde heimzutreiben, ging er in seine Hütte, erzählte seiner Frau, was er gesehen, zeigte ihr, was er gefunden hatte, gebot ihr, das Kind für ihr Töchterchen zu halten und wie ihr eigenes aufzuziehen, ohne jemandem die Wahrheit zu verraten. Nape14 nun – denn so hieß sie – war sofort wie eine Mutter, liebte das Kindlein, als fürchtete sie, vom Schaf an Ansehen übertroffen zu werden, und gab ihm ebenfalls einen Hirtennamen zur Beglaubigung, nämlich Chloe15. Diese Kinder wuchsen sehr schnell heran, und an ihnen entfaltete sich eine Schönheit, welche die von Landkindern weit in den Schatten stellte. Und schon war Daphnis fünfzehn Jahre alt, Chloe zwei Jahre jünger, als Dryas und Lamon in ein und derselben Nacht folgenden Traum hatten: Es schien ihnen, die Nymphen – jene in der Grotte, in der die Quelle war und wo Dryas das Mädchen gefunden hatte – übergäben Daphnis und Chloe einem sehr quirligen und hübschen Knaben16, der Flügel an den Schultern hatte und kleine Pfeile samt einem winzigen Bogen trug. Dieser Knabe berührte beide mit ein und demselben Pfeil und gebot ihnen, fortan Herden zu hüten: Daphnis die Ziegen-, Chloe die Schafherde. Nach diesem Traum waren beide, Lamon und Dryas, bedrückt, weil die Findelkinder nichts weiter als Schaf- und Ziegenhirten sein sollten, war ihnen doch aufgrund der Erkennungszeichen ein besseres Los in Aussicht gestellt, weshalb sie sie auch mit feinerer Kost ernährt und sie im Lesen und Schreiben unterrichtet hatten und in allem, was auf dem Land für schön galt. Dennoch schien es ihnen das Beste, sich der Weisung der Götter zu fügen, da die Kinder durch göttliche Vorsehung gerettet worden waren. Nachdem sie einander ihren Traum mitgeteilt und dem geflügelten Knaben – denn seinen Namen wussten sie nicht zu nennen – in der Nymphengrotte ein Opfer dargebracht hatten, schickten sie die Kinder als Hirten mit den Herden hinaus, nicht ohne sie zuvor in allen Belangen gründlich zu unterweisen: wie man vor der Mittagshitze weiden müsse und wie die Tiere hüten, wenn die Gluthitze abgeklungen ist, wann man sie zur Tränke und wann in den Pferch zur Nachtruhe treiben müsse, wo sie den Hirtenstab einzusetzen hätten und wo nur die Stimme. Die Kinder übernahmen ihre Herden voller Freude, als ob sie eine große Herrschaft anträten, und liebten die Ziegen und die Schafe mehr als sonst bei Hirten üblich; sie, weil sie einem Schaf ihre Errettung verdankte, er, weil er sich erinnerte, dass ihn als ausgesetztes Kind eine Ziege genährt hatte. Der Lenz brach an, und alle Blumen standen bald in voller Blüte, in den Wäldern, auf den Auen und in den Bergen. Da summten nun die Bienen, die Singvögel tirilierten, und die neugeborenen Lämmer und Zicklein sprangen umher. Die Lämmer tobten sich auf den Hügeln aus, auf den Auen summten die Bienen, und die Vögel erfüllten mit bezauberndem Gesang das Dickicht. Unter dem Eindruck der gewaltigen Schönheit dieser Jahreszeit, die alles in Beschlag nahm, begannen die beiden zarten, jugendlichen Geschöpfe nachzuahmen, was sie hörten und sahen. Hörten sie die Vögel singen, sangen auch sie, sahen sie die Lämmer herumtollen, hüpften sie leichtfüßig umher, und in Nachahmung der Bienen sammelten sie Blumen, steckten sich einige davon an die Brust, flochten andere zu kleinen Kränzen und brachten sie den Nymphen dar. Sie pflegten alles gemeinsam zu tun, da sie Seite an Seite ihre Herden hüteten. Oft trieb Daphnis die Schafe zusammen, wenn sie sich verliefen, oft jagte Chloe die keckeren Ziegen von steilen Felsen herunter. Auch wachte manchmal eines über beide Herden, während das andere in sein Spiel vertieft war. Es waren Spiele, wie sie zu Hirten und Kindern passen. Sie sammelte draußen an der einen oder anderen Stelle Asphodill17-Stängel, flocht daraus eine Grillenfalle und dachte über dieser Arbeit nicht mehr an ihre Herde. Er hingegen schnitt dünnes Schilfrohr, durchbohrte es an den Knoten, verband die Rohre mit biegsamem Wachs und übte sich bis in die Nacht im Panflöten-Spiel. Dann und wann genossen sie gemeinsam Milch und Wein und legten Speis und Trank zusammen, die sie von zu Hause mitgebracht hatten. Eher hätte man die Schafe und Ziegen voneinander getrennt erleben können als Daphnis und Chloe. Während sie sich derartigen Spielen widmeten, ersann Eros einen Weg, die Dinge in ernstere Bahnen zu lenken, und zwar so: Eine Wölfin, die Junge aufzog, raubte oft auf den benachbarten Fluren viele Schafe aus andern Herden, da sie reichlich Futter zur Aufzucht ihrer Jungen brauchte. So kamen denn die Dorfbewohner nachts zusammen und hoben Gruben aus, einen Klafter18 breit und vier Klafter tief. Den...